Krankenhaus

Späte Schwangerschaftsabbrüche

Ein Schwangerschaftsabbruch ist gemäß § 218 StGB unbefristet straffrei, wenn eine medizinische Indikation besteht. Unter diese Regelung fallen auch diejenigen Schwangerschaftsabbrüche, die nach festgestellter Normabweichung und wahrscheinlicher Behinderung des Kindes erfolgen, wenn aus ärztlicher Sicht die Fortführung der Schwangerschaft der Schwangeren nicht zugemutet werden kann.

Ab der 22. bis 24. Schwangerschaftswoche und einem Geburtsgewicht von 500 g gelten heute Kinder nach einer Frühgeburt als potentiell lebensfähig. Das macht die späten Schwangerschaftsabbrüche, bei denen es sich um ärztlich eingeleitete Frühgeburten mit dem Ziel der Totgeburt handelt, besonders problematisch.

Nach dem Personenstandsgesetz besteht für Lebend- und Totgeburten ab einem Geburtsgewicht von 500 g eine Anmeldepflicht beim Standesamt. Eine „Lebendgeburt" liegt nach § 29 der VO zur Ausführung des Personenstandsgesetzes vor, „wenn bei einem Kind nach der Scheidung vom Mutterleib entweder das Herz geschlagen oder die Nabelschnur pulsiert oder die natürliche Lungenatmung eingesetzt hat".

Auf der Todesbescheinigung der Freien und Hansestadt Hamburg muss der Arzt, der die Leichenschau vornimmt, fürTotgeborene das Gewicht in Gramm angeben und ankreuzen, ob das Kind „als tote Leibesfrucht geboren" oder „in der Geburt verstorben" ist. Bei Neugeborenen, die innerhalb der ersten 24 Stunden gestorben sind, ist auf der Todesbescheinigung die Lebensdauer in Stunden anzugeben. Außerdem muss der Arzt bei Lebend- und Totgeburten mitteilen, ob es „Anhaltspunkte für ein nichtnatürliches Geschehen im Zusammenhang mit dem Todeseintritt" gibt, wobei als Beispiel der „Tod durch äußere Einwirkung, bei der das Verhalten eines Dritten eine Ursache gesetzt haben könnte", genannt wird. In diesem Fall oder wenn die Todesursache ungeklärt ist, ist der Arzt nach dem Hamburgischen Bestattungsgesetz verpflichtet, sofort die Polizei oder die Staatsanwaltschaft zu benachrichtigen.

Diese Regelungen lassen einen Widerspruch zur unbefristeten Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruches nach medizinischer Indikation erkennen. Dieser Widerspruch zeigt sich besonders deutlich im Hinblick auf den Fetozid, d.h. der intrauterinen Tötung des Feten durch eine Kaliumchloridinjektion ins Herz, die in manchen Kliniken vor dem Abbruch einer weit fortgeschrittenen Schwangerschaft vorgenommen wird, um die Lebendgeburt des als behindert oder krank diagnostizierten Kindes zu verhindern.

Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat:

1. Wie viele späte Schwangerschaftsabbrüche mit einem Gewicht ab 500 g des Totgeborenen wurden seit der Neuregelung des § 218 StGB in Hamburg durchgeführt? Bitte Angaben, in welchen Kliniken die Eingriffe vorgenommen wurden und in welchen Jahren sie sich jeweils ereigneten.

2. In wie vielen Fällen wurde in Hamburg bisher ein Fetozid durchgeführt (siehe hierzu auch meine Kleine Anfrage vom 17.Juni 1997, Drucksache 15/7623)? Bitte Angaben, in welchen Kliniken die Eingriffe vorgenommen wurden und in welchen Jahren jeweils.

Soweit in der zur Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zurVerfügung stehenden Zeit ermittelt werden konnte, waren in den Häusern des Landesbetriebes Krankenhäuser (LBK Hamburg) lediglich im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek 1996 zwei Fälle und 1997 ein Fall eines Schwangerschaftsabbruchs mit einem Gewicht ab 500 g zu verzeichnen. Fetozide erfolgten dort 1996 in fünf, 1997 in drei, 1998 in zwei und 1999 in zwei Fällen.

In der Frauenklinik des Universitäts-Krankenhauses Eppendorf (UKE) hat es keine entsprechenden Fälle gegeben.

Angaben für die privaten und freigemeinnützigen Krankenhäuser liegen nicht vor.

3. Wie ist die ärztliche Dokumentation dieser unter 1. und 2. aufgeführten Fälle geregelt?

a) Werden die Totgeborenen dem Standesamt „als tote Leibesfrucht geboren „oder als „in der Geburt verstorben" gemeldet?

b) Wird dokumentiert, dass es sich um „ein nichtnatürliches Geschehen im Zusammenhang mit dem Todeseintritt" handelt? (Beim Fetozid ist die Einstichstelle als Zeichen der Fremdeinwirkung deutlich!)

Nach Auskunft des LBK Hamburg erfolgt eine Dokumentation über unnatürlichenTod einschließlich des Protokolls der Ethikkommission, der ärztlichen Aufklärung, der Erklärung der Eltern und der Todesbescheinigung.

Dem Standesbeamten sind zur Beurkundung im Geburtenbuch „totgeborene" oder „in der Geburt verstorbene" Kinder anzuzeigen (§16 Satz 2 des Personenstandsgesetzes). Über die Art der Totgeburt erhält der Standesbeamte keine Kenntnis.

Die genannten Fälle wurden vom AK Barmbek als „tote Leibesfrucht" gemeldet.

3. c) Werden der Polizei und/oder Staatsanwaltschaft diese Fälle gemeldet?

d) Werden diese Fälle von Totgeburten über 500 g nach Schwangerschaftsabbruch statistisch erfaßt? Wenn ja, wie viele dieser Fälle gab es seit der Novellierung des § 218 in Hamburg? Wenn nein, warum gibt es keine entsprechende Statistik?

Der Polizei ­ Landeskriminalamt 41, Sachgebiet 417 (Todesermittlungen und Vermißtensachen) ­ werden Fetozide und Totgeburten von 500 g und mehr von den Krankenhäusern gemeldet.Im Rahmen von Todesermittlungsverfahren wird die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hamburg durch LKA 417 unverzüglich über den Sachverhalt in Kenntnis gesetzt.

Eine statistische Erfassung dieser Fälle findet nicht statt. Sie ist für die polizeiliche Aufgabenwahrnehmung nicht erforderlich.

3. e) Gibt es besondere Regelungen und Absprachen zwischen Senat, Staatsanwaltschaft und Ärztekammer für den Umgang mit dem aufgezeigten Widerspruch? Wie wird also einerseits der Dokumentations- und Meldepflicht entsprochen und andererseits die Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruches aus medizinischer Indikation für Schwangere und handelnden Arzt gewährleistet?

Nein. Ein Widerspruch zwischen der grundsätzlichen Straffreiheit bei einem gerechtfertigten Schwangerschaftsabbruch nach § 218 ff. StGB und den vorgeschriebenen Dokumentations- und Meldepflichten wird nicht gesehen.

4. Werden regelhaft nach Schwangerschaftsabbrüchen aus medizinischer (eugenischer) Indikation pathologische Untersuchungen durchgeführt, um die pränatale Diagnose zu verifizieren? Werden diese Befunde statistisch erfaßt?

Ja, soweit die Sektion von den Eltern nicht abgelehnt wird. Statistische Meldungen erfolgen ggf. entsprechend den gesetzlichen Anforderungen an das Statistische Bundesamt.

5. In wie vielen Fällen ist es seit Juni 1997 (siehe Drucksache 15/7623) in Hamburg nach einem späten Schwangerschaftsabbruch zur Lebendgeburt des Kindes gekommen?

a) Wie lange war die Lebensdauer dieser Kinder, und was ist dem Senat über ihre medizinische Sofortbehandlung und ggf. über ihre weitere Entwicklung bekannt?

b) Wie werden die Fälle von Lebendgeburten nach Schwangerschaftsabbruch ärztlich dokumentiert?

In einem Fall mit nicht-lebensfähigem Chromosomenschaden. Die Lebensdauer betrug ca.30 Minuten.

Es erfolgte eine Sterbebegleitung durch Eltern, Hebamme, Geburtshelfer und Kinderärzte. Die Dokumentation erfolgte entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen.

5. c) Wie erfolgt die standesamtliche Registrierung unter dem Aspekt „natürliches/nichtnatürliches Geschehen", wenn nach einem Schwangerschaftsabbruch die Kinder die ersten 24 Stunden nicht überleben?

Die genannten Umstände sind dem Standesbeamten nicht bekannt und haben somit auf die standesamtliche Beurkundung keinen Einfluß.