Videoüberwachung der Reeperbahn

Der Senat unterrichtet hiermit die Bürgerschaft über die Videoüberwachung der Reeperbahn für den Zeitraum von April 2006 bis März 2009.

I. Vorbemerkung:

Der Bereich der Reeperbahn ist eines der wichtigsten touristischen Ziele der Freien und Hansestadt Hamburg ­ weltweit bekannt als Amüsiermeile, Eventstandort und Szeneviertel. Gleichzeitig ist der Bereich der Reeperbahn aber auch ein Kriminalitätsbrennpunkt, der mit Abstand das höchste Fallaufkommen an Straftaten im öffentlichen Raum in Hamburg aufweist.

Mit dem Gesetz zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit in Hamburg vom 16. Juni 2005 wurde im Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei (PolDVG) die gesetzliche Grundlage geschaffen, die eine Videoüberwachung von Kriminalitätsbrennpunkten erlaubt. Auf dieser Grundlage wird der Bereich der Reeperbahn seit dem 30. März 2006 polizeilich videoüberwacht.

Gemäß Artikel 5 des Gesetzes zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit in Hamburg war die Hamburgische Bürgerschaft nach Ablauf von drei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes am 29. Juni 2005 über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der Videoüberwachung zu unterrichten. Dieser Berichtspflicht ist der Hamburgische Senat mit der Drucksache 19/2732 nachgekommen. In dieser Drucksache wurde eine darüber hinausgehende Wirksamkeitsanalyse angekündigt. Diese wird hiermit vorgelegt.

II. Ausgangslage:

Der Bereich der Reeperbahn weist die höchste Kriminalitätsbelastung im öffentlichen Raum in Hamburg auf. In dem Jahr vor Inbetriebnahme der Videoüberwachung wurden hier 856 Straftaten im öffentlichen Raum registriert.

Die Zahlen gehen auf eine zu Zwecken der Standortauswahl durchgeführte Sonderauswertung über das Fallaufkommen an besonders kriminalitätsbelasteten Orten Hamburgs im Vorfeld der Einführung der Videoüberwachung zurück.

Berücksichtigt wurden Delikte im öffentlichen Raum, die zur Bestimmung von Kriminalitätsbrennpunkten herangezogen werden können. Dies sind Betäubungsmittel-, Körperverletzungs-, Raub- und Sexualdelikte, Bedrohungen, Nötigungen und Sachbeschädigungen, Freiheitsberaubungen sowie Straftaten gegen das Leben.

Die Auswertung erfolgte auf Grundlage des polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystems ComVor in Bezug auf die oben benannten Deliktsbereiche im öffentlichen Raum. Diese Sonderauswertung war erforderlich, da die kleinste Auswertungseinheit in der Polizeilichen Kriminalstatistik der Ortsteil ist und ohne eine für die Anzahl an Örtlichkeiten nicht zu realisierende Handaktenauswertung nur über das System ComVor verlässliche Angaben zur Belastung einzelner Örtlichkeiten zu erlangen sind. ComVor ermöglicht, die Belastung der definierten Kriminalitätsbereiche für eine fest begrenzte Örtlichkeit zu ermitteln, wobei die in ComVor erfassten Vorgänge den Sachstand zum Zeitpunkt der Anzeigeerstattung abbilden.

Handlungsbedarf bestand insbesondere im Hinblick auf zwei Umstände: Zum einen wurden vermehrt Straftaten unter Anwendung von Gewalt begangen. Zum anderen eskalierten Sachverhalte oftmals auf Grund übermäßigen Alkoholkonsums.

III. Zielsetzungen:

Ergänzend zu den bereits bestehenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Gewaltkriminalität im Bereich der Reeperbahn und den angrenzenden Straßen und Plätzen, wie beispielsweise der Erhöhung der polizeilichen Präsenz durch zielgerichtete Maßnahmen und den lageabhängigen Kontrollen im Gefahrengebiet, sollte die Videoüberwachung den Schutz der Anwohner und Besucher der Reeperbahn sowie der in diesem Bereich Beschäftigten verbessern. Darüber hinaus sollte sie einen Beitrag zur Stärkung des Sicherheitsempfindens der Bürger leisten.

Mit der Einführung der Videoüberwachung waren folgende Erwartungen verknüpft:

­ Die Anzahl der im öffentlichen Raum begangenen Straftaten soll durch die Abschreckung potentieller Täter auf Grund der Erhöhung des Entdeckungsrisikos reduziert werden. Dies soll durch eine positive Berichterstattung über erfolgreiche Täterermittlungen infolge der Maßnahme Videoüberwachung verstärkt werden.

­ Weiterhin soll die Anzahl der unter Anwendung von Gewalt begangenen Straftaten verringert werden. Dies soll zum einen durch das frühzeitige Erkennen möglicherweise eskalierender Sachverhalte und zum anderen durch eine Minimierung der Tatfolgen durch eine gezieltere Kräftesteuerung erreicht werden. Zudem sollen unmittelbar bevorstehende Straftaten durch die Möglichkeit eines schnelleren Eingreifens durch die Beobachtung mittels der Videoüberwachung unterbunden werden.

­ Letztlich sollen Straftaten auf Grund einer möglichen spezialpräventiven Wirkung bei Tätern, die mit Hilfe der Videoüberwachung der Strafverfolgung zugeführten werden konnten, verhindert werden.

Es wurde erwartet, dass sich die Videoüberwachung als zusätzliche Maßnahme schlüssig in das bestehende polizeiliche Maßnahmenkonzept für St. Pauli integrieren lässt, die taktische Flexibilität durch sie gefördert wird und sich daraus polizeiliche Handlungsoptionen ergeben, mit denen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Bereich der Reeperbahn effektiver entgegengewirkt werden kann.

Über diese präventiven Effekte hinaus wurde als positiver Nebeneffekt der Videoüberwachung ein Nutzen für die Strafverfolgung ­ insbesondere bei der Täterermittlung und bei der Aufklärung des Tathergangs ­ erwartet.

IV. Implementierung:

1. Rechtliche Grundlagen und Rahmenbedingungen Rechtliche Grundlage für die Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist die durch Artikel 2 des am 16. Juni 2005 beschlossenen Gesetzes zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit in Hamburg eingefügte Regelung des § 8 Absatz 3 PolDVG. Die Vorschrift lautet wie folgt: „(3) Die Polizei darf öffentlich zugängliche Orte mittels Bildübertragung und -aufzeichnung offen beobachten, soweit an diesen Orten wiederholt Straftaten begangen worden sind und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort auch künftig mit der Begehung von Straftaten zu rechnen ist. Absatz 1 Sätze 2 bis 4 gilt entsprechend."

Die Beobachtung muss offen erfolgen, das heißt an den Zu- beziehungsweise Eingängen eines videoüberwachten Bereichs muss sich ein deutlicher Hinweis auf die Überwachung befinden, so dass ein jeder Bürger in die Lage versetzt wird, eine Entscheidung darüber treffen zu können, ob er sich in den videoüberwachten Bereich begeben möchte oder nicht. Entsprechende Hinweisschilder wurden vor Beginn der Maßnahme an den Zugängen zum Überwachungsbereich gut sichtbar aufgestellt. Im Zusammenhang mit der Einrichtung eines Waffenverbotsgebietes im Bereich der Reeperbahn wurde ein einheitliches Hinweisschild gestaltet, das nachfolgend abgebildet ist: Abb. 1: Hinweisschild zur Videoüberwachung und zum Waffenverbotsgebiet der Polizei Hamburg.

Im März 2006 wurde die Dienstanweisung für die polizeiliche Videoüberwachung der Reeperbahn erlassen. Ihre wesentlichen Inhalte sind die rechtlichen Grundlagen und Zielformulierungen der präventiven Videoüberwachung sowie Bestimmungen über die Standorte der Kameras, den Umfang der Überwachung und die Durchführung der Maßnahme. In die Dienstanweisung integriert ist ein Kräftekonzept, welches für die Wahrnehmung der Einsätze aus Anlass der Videoüberwachung in den Nachtdiensten regelhaft eine Unterstützung des für den Bereich der Reeperbahn zuständigen Polizeikommissariats 15 (PK 15) mit Zusatzkräften vorsieht.

2. Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Bestimmungen:

Die Planung und Einrichtung der Videoüberwachung erfolgte in enger Abstimmung mit dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) im Hinblick auf die Berücksichtigung der datenschutzrechtlichen Belange bei der technischen Umsetzung und der Durchführung der Videoüberwachung.

Auch im weiteren Verlauf befanden sich die zuständige Behörde und der HmbBfDI in einem ständigen Informationsaustausch.

Es bestand von vornherein Einigkeit, dass die Einrichtung einer automatisierten Protokolldatei für die Dokumentation der technischen Steuerungsdaten aus der Videoüberwachung erforderlich ist. Daher wurde ein elektronisches Logbuch entwickelt, in dem Daten wie der Durchführende der Videoüberwachung und der Status der Kamera protokolliert werden (im Einzelnen siehe V.2.c).

Es wurde einvernehmlich festgelegt, welche Bereiche als nicht-öffentlich gelten (sogenannte private zones, wie beispielsweise Wohnraum) und damit von den Kameras nicht erfasst werden dürfen. In der technischen Umsetzung wurde die Software so programmiert, dass diese Bereiche nicht eingesehen werden können (automatisierte Schwarzschaltung).

Auf Grundlage des § 6 Nr. 1 PolDVG hatte sich die Polizei anfänglich die Möglichkeit vorbehalten, bei konkreter Gefährdung hochwertiger Rechtsgüter (wie zum Beispiel bei angedrohtem Suizid oder Geiselnahmen) die Beobachtung über die Kameras auch für private Bereiche freischalten zu dürfen. Auf den Antrag einer Anwohnerin wurde diese Absicht durch das Verwaltungsgericht Hamburg in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren zunächst bestätigt (VG Hamburg vom 21. Juli 2006, 4 E 1653/06), im Rahmen des anschließenden Beschwerdeverfahrens durch das Oberverwaltungsgericht Hamburg jedoch für rechtswidrig erkannt (OVG Hamburg vom 22. November 2006, 4 Bs 244/06). Die Freischaltung der Kameras für private Bereiche in Fällen der konkreten Gefährdung hochwertiger Rechtsgüter wurde daraufhin untersagt, die technischen Möglichkeiten für eine Freischaltung entzogen und die Dienstvorschrift entsprechend angepasst.

Unterschiedliche Auffassungen bestehen im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Fertigung einer Risikoanalyse im Vorfeld der Einführung der Videoüberwachung sowie im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Verfahrensbeschreibung nach dem Hamburgischen Datenschutzgesetz. Die zuständige Behörde bewertet die Videoüberwachung nicht als automatisiertes Verfahren im Sinne des § 8 Absatz 4 HmbDSG und betrachtet die Fertigung einer Risikoanalyse insofern als entbehrlich. Gleiches gilt für die Verfahrensbeschreibung nach § 9 HmbDSG, für welche die zuständige Behörde vorliegend keine Rechtspflicht sieht.

Gleichwohl sind die wesentlichen Inhalte einer solchen Analyse in der Einrichtung und Weiterentwicklung der Videoüberwachung ­ außerhalb des vom HmbBfDI gewünschten formalisierten Verfahrens ­ berücksichtigt worden.

3. Öffentlichkeitsarbeit und Beteiligung Dritter:

Im Vorfeld der Einführung wurden die Problemstellungen und der Handlungsbedarf sowie die mit der Einführung der Videoüberwachung verfolgten Ziele von der zuständigen Behörde im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit erläutert.

Darüber hinaus wurde die Videoüberwachung in einer Landespressekonferenz am 30. März 2006 durch den damaligen Präses der Behörde für Inneres Udo Nagel umfänglich vorgestellt.

Ferner wurden die Interessengemeinschaft St. Pauli und der St. Pauli Bürgerverein durch den Präses der Behörde für Inneres unmittelbar vor Einführung der Videoüberwachung und etwa ein Jahr nach Einführung der Maßnahme in speziellen Veranstaltungen über die Thematik informiert. Die Resonanz und Akzeptanz seitens dieser Gremien war durchweg positiv.

V. Umfang und Durchführung:

1. Räumlicher und zeitlicher Umfang der Videoüberwachung:

Es sind insgesamt zwölf Kameras im Bereich der Reeperbahn installiert.

Erfasst wird die gesamte Straßenbreite zwischen Millerntorplatz und Holstenstraße/Pepermölenbek, der Spielbudenplatz, der Hans-Albers-Platz, die Nebenfahrbahn Nobistor bis Holstenstraße sowie die Kreuzungs- und Einmündungsbereiche der zu- beziehungsweise wegführenden Straßen in diesem Bereich. Die Grenze des Überwachungsbereichs in den Einmündungsbereichen ist präzise nach Straßen und Hausnummern definiert.

Um mögliche Verdrängungseffekte auf Grund der Videoüberwachung, das heißt ein räumliches Ausweichen der Täter in den nicht-videoüberwachten Bereich, feststellen zu können, wurde über den Überwachungsbereich hinaus ein Kontrollbereich festgelegt. Für diesen Kontrollbereich wurden gleich dem Überwachungsbereich Sonderauswertungen über das Fallaufkommen in den ausgewählten Deliktsbereichen vorgenommen.

Der Kontrollbereich umfasst das an den Überwachungsbereich nördlich angrenzende Gebiet der Nebenstraßen der Reeperbahn vom Millerntorplatz bis Pepermölenbek jeweils bis zur Höhe der Simon-von-Utrecht-Straße, im östlichen Bereich vom Millerntorplatz entlang des Zirkuswegs bis zur Bernhard-Nocht-Straße, im südlichen Bereich die Nebenstraßen bis zur Höhe der Bernhard-Nocht-Straße sowie in westlicher Abgrenzung bis Pepermölenbek.

Die Festlegung der Grenzen erfolgte auf Grundlage der über die Jahre gewonnenen polizeilichen Erfahrungen über Milieustruktur und Täterverhalten in diesem Bereich.

Die nachstehende Abbildung zeigt den Verlauf der Grenzen des Überwachungsbereichs (grüne Markierung), des angrenzenden, nicht-videoüberwachten Kontrollbereichs (blaue Markierung) sowie die Standorte der Kameras (gelbe Punkte).