Blutprobenentnahme und Richtervorbehalt

Der Deutscher Richterbund hat in einer Stellungnahme die Initiative Niedersachsens zur Neuordnung der Anordnungskompetenz für die Entnahme von Blutproben (vergleiche BR-Drs. 615/10) als Signal für die Rückbesinnung auf Sinn und Zweck der Richtervorbehalte begrüßt: „Der Richtervorbehalt in § 81a StPO ist in Fällen alkohol-, betäubungsmittel- oder medikamentenbedingter Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit aus grundrechtlicher Sicht nicht erforderlich. Nach Messung der Atemalkoholkonzentration oder bei Wahrnehmung deutlicher Ausfallerscheinungen durch die Polizei liegen regelmäßig bereits zureichende konkrete Anhaltspunkte vor, die den Verdacht einer Verkehrsstraftat begründen, zu dessen Überprüfung die Bestimmung der Blutbestandteile erforderlich ist. Die ärztliche Blutentnahme stellt einen vergleichsweise geringen körperlichen Eingriff dar. Gegen die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe durch Staatsanwaltschaft oder Polizei kann der Betroffene unmittelbar nachträglichen gerichtlichen Rechtsschutz erlangen.

Die Gesetzesinitiative Niedersachsens stärkt insgesamt den Richtervorbehalt als rechtsstaatliches Kontrollinstrument", erklärte der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Christoph Frank: „Richtervorbehalte sichern die Rechtsförmigkeit des Verfahrens zum Schutze der Betroffenen und sind bei der Anordnung bedeutender Zwangsmaßnahmen im Strafprozess wie Freiheitsentziehungen, Durchsuchungen oder heimlichen Überwachungsmaßnahmen unverzichtbar. Sie müssen in diesen Kernbereichen - nicht zuletzt durch eine Verbesserung der Personalausstattung der Justiz - gestärkt werden, um eine sorgfältige richterliche Prüfung zu gewährleisten. Eine richterliche Anordnung hat jedoch nur dann einen rechtsstaatlichen Mehrwert, wenn eine eigenständige, gründliche Prüfung des Sachverhalts möglich ist. Bei der wegen des drohenden Beweismittelverlustes immer unter Zeitdruck zu treffenden Beurteilung, ob eine Blutentnahme erforderlich ist, ist der Richter dagegen regelmäßig allein auf die telefonischen Schilderungen und Bewertungen der vor Ort anwesenden Ermittlungspersonen angewiesen. Das Instrument des Richtervorbehalts wird dadurch zur bloßen Formalie abgewertet.

Für Blutentnahmen zur Überprüfung der Fahrtüchtigkeit ist es daher entbehrlich."

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:

1. Welche Daten, Schätzungen und anderen Erkenntnisse liegen auf Senatsseite dazu vor, wie sich die Blutprobenentnahmen nach § 81a StPO in 2010 gegenüber den Vorjahren entwickelt haben, insbesondere im Zusammenhang mit Trunkenheitsdelikten? (Bitte wie in Drs. 19/5118 beantworten.)

Die Polizei erfasst lediglich die Blutprobenentnahmen, die wegen des Verdachts einer Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß §§ 24a oder 24c des Straßenverkehrsgesetzes beziehungsweise einer Verkehrsstraftat gemäß §§ 315c oder 316 des Strafgesetzbuchs zur Beweiserhebung durchgeführt werden. Dies waren im ersten Halbjahr 2010

1.414 Blutprobenentnahmen. Es handelt sich hierbei um vorläufige Zahlen, die sich durch Nachmeldungen noch geringfügig verändern können.

Darüber hinaus führt die Polizei im Rahmen der Überprüfung der Rechnungen, die das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (IfR) im Zusammenhang mit Blutprobenentnahmen und -analysen stellt, Übersichten über die einzelnen Kosten- und Auftragsarten. Seit dem 1. Januar 2010 erfolgt keine Differenzierung mehr zwischen Blutprobenentnahmen bei Verkehrsdelikten und Blutprobenentnahmen bei Straftaten in kriminalpolizeilicher Sachbearbeitung. Bisher sind im Jahre 2010 insgesamt 2.724 Blutprobenentnahmen in Rechnung gestellt worden (Stand: 8. Oktober 2010).

Die Staatsanwaltschaft hat in der Zeit von November 2009 bis einschließlich Mai 2010 die im Bereitschaftsdienst getroffenen Eilentscheidungen nach § 81a StPO ausgewertet. Erfasst wurden hierbei nicht die von der Polizei wegen Gefahr im Verzug getroffenen Anordnungen und die Fälle, in denen die Betroffenen freiwillig einer Blutprobenentnahme zugestimmt haben. Erst ab dem 20. Januar 2010 wurden die Maßnahmen nach § 81a StPO im Zusammenhang mit Alkohol im Straßenverkehr gesondert erfasst. Deswegen kann auf der Grundlage dieser Erhebung keine verlässliche Aussage über die Entwicklung der Zahlen der Blutprobenentnahmen getroffen werden.

Dies vorausgeschickt wird Folgendes mitgeteilt:

· Im Januar 2010 betrafen 47 an die Staatsanwaltschaft herangetragene Sachverhalte Maßnahmen gemäß § 81a StPO. Für den Zeitraum vom 20. Januar 2010 bis Ende Januar 2010 betrafen neun Fälle Maßnahmen nach § 81a StPO im Zusammenhang mit Alkohol im Straßenverkehr.

· Im Februar 2010 betrafen 57 an die Staatsanwaltschaft herangetragene Sachverhalte Maßnahmen gemäß § 81a StPO und davon 19 Fälle Maßnahmen nach § 81a StPO im Zusammenhang mit Alkohol im Straßenverkehr.

· Im März 2010 betrafen 85 an die Staatsanwaltschaft herangetragene Sachverhalte Maßnahmen gemäß § 81a StPO und davon 43 Fälle Maßnahmen nach § 81a StPO im Zusammenhang mit Alkohol im Straßenverkehr.

· Im April 2010 betrafen 78 an die Staatsanwaltschaft herangetragene Sachverhalte Maßnahmen gemäß § 81a StPO und davon 48 Fälle Maßnahmen nach § 81a StPO im Zusammenhang mit Alkohol im Straßenverkehr.

· Im Mai 2010 betrafen 81 an die Staatsanwaltschaft herangetragene Sachverhalte Maßnahmen gemäß § 81a StPO und davon 55 Fälle Maßnahmen nach § 81a StPO im Zusammenhang mit Alkohol im Straßenverkehr.

Im Übrigen vergleiche Drs. 19/5118.

2. Wie hat sich die Vorgehensweise zur Umsetzung der Rechtsprechung zum Richtervorbehalt der Verfahrensbeteiligten (weiter-)entwickelt und warum? Welche Erfahrungen haben die beteiligten Stellen gesammelt?

Im Februar 2010 hat die Staatsanwaltschaft in Abstimmung mit der Polizei die im März 2009 erlassene behördeninterne Verfügung aufgrund der inzwischen ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung zu Blutprobenentnahmen gemäß § 81a StPO überarbeitet und den Verfahrensablauf weiter präzisiert. Ungeachtet der stets erforderlichen Einzelfallbetrachtung ist in Fällen, in denen die Ermittlungsperson eine Maßnahme nach § 81a StPO für notwendig erachtet, regelmäßig der Versuch zu unternehmen, eine richterliche Entscheidung zu erlangen. Der Beschuldigte wird zu diesem Zweck von den Ermittlungspersonen zur nächstgelegenen Polizeidienststelle beziehungsweise an den Ort der beabsichtigten Blutentnahme mitgenommen. Insbesondere bei unklarer Lage über den Grad der Intoxikation durch Alkohol und Betäubungsmittel wird der Arzt zur Entnahme der Blutprobe bereits vom Anhalteort aus oder während der Mitnahme zur Polizeidienststelle angefordert. In allen anderen Fällen erfolgt diese Anforderung erst dann, wenn eine Anordnung vom unverzüglich nach der Mitnahme zu unterrichtenden Staatsanwalt in Aussicht gestellt wurde. Eine die Eilanordnungskompetenz der Strafverfolgungsbehörden begründende Gefahr im Verzug gemäß § 81a Absatz 2 StPO ist nur noch dann anzunehmen, wenn die zuständige Richterin oder der zuständige Richter beziehungsweise ihr Vertreter telefonisch nicht erreicht werden kann oder wenn die zuständige Richterin oder der zuständige Richter erklärt, ohne Vorlage schriftlicher Unterlagen nicht entscheiden zu können und die für eine richterliche Entscheidung erforderlichen Unterlagen nicht in einer ohne eine Gefährdung des Ermittlungserfolgs zur Verfügung stehenden Zeit hergestellt und übermittelt werden können.

Bei Unerreichbarkeit des Gerichts entscheidet stets die Staatsanwaltschaft.

Zum 1. Juni 2010 ist die Bereitschaftsdienstverordnung des Senats in Kraft getreten.

Auf dieser Grundlage werden nicht nur wie bisher die Richterinnen und Richter des Amtsgerichts Hamburg sondern auch die des Landgerichts Hamburg im Bereitschaftsdienst des Amtsgerichts außerhalb der üblichen Geschäftszeiten eingesetzt. Der Bereitschaftsdienst wurde damit personell verstärkt und wird gleichmäßiger unter den Richterinnen und Richtern der Amtsgerichte und des Landgerichts aufgeteilt.

3. Die Justizministerkonferenz hat ­ laut Senat mit der Stimme Hamburgs ­ beschlossen, dass die strafprozessualen Probleme im Zusammenhang mit der Annahme von Gefahr im Verzug bei der Entnahme von Blutproben „einer eingehenden Prüfung" bedürfen. Dieser Beschluss stammt aus dem Juni 2009. Wie ist insoweit der Sachstand?

4. Inwieweit hat sich die Innenministerkonferenz einschließlich ihrer Gremien seit der letzten Anfrage mit der rechtlichen Problematik um die Blutproben befasst? Wie ist insoweit der Sachstand?

Die Justizbehörde hat im Anschluss an die Justizministerkonferenz zum 1. November 2009 begonnen, die staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen Entscheidungen des Bereitschaftsdienstes in Strafsachen auszuwerten. Es zeigte sich, dass der Einschaltung der Staatsanwaltschaft eine beachtliche Filterfunktion zukommt. Ein nicht zu vernachlässigender Teil der Anträge auf Entnahme einer Blutprobe in Verkehrsstrafsachen wurde durch die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen. In einigen Fällen wurde die Maßnahme gegenüber zumeist jugendlichen Radfahrern aus Gründen der Verhältnismäßigkeit abgelehnt. In weiteren Fällen bestand kein ausreichender Tatverdacht gegen den Beschuldigten (zum Beispiel Anordnung gegenüber einem Beifahrer). Demgegenüber wurden ablehnende richterliche Entscheidungen nicht bekannt. Lediglich ein einziger an das Gericht herangetragene Sachverhalt führte nach einer Besprechung zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht dazu, dass kein Antrag gestellt wurde. Auf der Basis dieser Auswertung wurde in der Justizbehörde ein Gesetzgebungsantrag erarbeitet.

Im Übrigen sieht der Senat in ständiger Praxis davon ab, sich zum Inhalt der Beratungen in Bundesratsausschüssen und Fachministerkonferenzen zu äußern.

5. Sind sich Innen- und Justizbehörde mittlerweile einig, welche Anforderungen die StPO an eine Blutprobenentnahme und den diesbezüglichen Richtervorbehalt stellen soll? Welche Position(en) vertreten sie?

6. Haben die Behörden Maßnahmen ergriffen, um sich darüber zu verständigen, wie die gesetzliche Regelung über die Blutproben aussehen soll?

Welche und wann?

Wenn ja, wann und mit welchen Ergebnissen?

Zu Fragen seiner internen Meinungsbildung nimmt der Senat grundsätzlich nicht Stellung.

7. Wie hat sich Hamburg bislang im Bundesratsplenum und in den Ausschüssen zur in den Vorbemerkungen genannten Bundesratsinitiative verhalten? Welche Voten haben die beteiligten Behörden hierzu abgegeben? Wie bewertet der Senat die Initiative?

Siehe Antwort zu 3.

8. Wie wird Hamburg sich im Bundesratsplenum, voraussichtlich am 5. November 2010, hierzu verhalten? Mit welcher Begründung?

Zu Fragen seiner internen Meinungsbildung nimmt der Senat grundsätzlich nicht Stellung.