Flucht des Strafgefangenen Peter Mike Wappler

Der Strafgefangene Peter Mike Wappler, genannt „Milliarden-Mike", ist laut Presseberichten am 15.10.2010 während eines Besuchs bei seiner Mutter in Lübeck, bei dem er von zwei Strafvollzugsbediensteten begleitet wurde, geflohen. Nach dem Bericht von „Spiegel Online" vom 18.10.2010 wollte die Justizbehörde die zu den Umständen der Flucht bestehenden Widersprüche durch eine Konfrontation der Strafvollzugsbediensteten mit den Angaben der Familienangehörigen von Herrn Wappler klären.

Zur Ermittlung des tatsächlichen Sachverhalts fragen wir den Senat:

1. Von wem haben die Strafvollzugsbediensteten welche Weisungen für ihr Verhalten während der Begleitung von Herrn Wappler erhalten?

Die Weisungen wurden von der zuständigen Vollzugsleitung erteilt und sahen neben der ständigen Fesselung die ständige und unmittelbare Aufsicht über den Gefangenen vor. Im Ausführungsbogen heißt es zur Fesselung, dass der Gefangene grundsätzlich mit der Handfessel an den Begleitbeamten zu fesseln ist. Diese kann abgenommen werden, wenn dem Gefangenen vorher eine Fußfessel angelegt worden ist.

2. Welche Vorschriften oder Weisungen gibt es mit Blick auf die Ausgestaltung der Begleitung von Strafgefangenen bei derartigen Besuchen außerhalb der Vollzugsanstalt und welchen Inhalt haben sie? Was besagen die Regelungen insbesondere zur Verpflichtung der Strafvollzugsbediensteten, die Gefangenen zur Toilette zu begleiten und vor der Toilettentür zu warten?

Nach der Allgemeinen Verfügung der Justizbehörde Nummer 131/2009 vom 19. November 2009 zu § 12 HmbStVollzG sind Gefangene bei einer Ausführung von Angehörigen des einfachen Justizdienstes oder des mittleren allgemeinen Vollzugsdienstes (AVD) ständig und unmittelbar zu beaufsichtigen.

Grundlage der Ausgestaltung der Begleitung ist die Handlungsanleitung des Strafvollzugsamtes für Fesselungen bei Aus- und Vorführungen von Gefangenen vom 19. Februar 2007 in Verbindung mit der Anstaltsverfügung der Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel vom 19. Juli 2010 zur Ausführung und Bewachung von Gefangenen.

Danach ist Gefangenen während einer Aus- oder Vorführung vor Abnahme der Handfessel die Fußfessel anzulegen, wenn sie die Toilette aufsuchen müssen. Bevor Gefangene zur Toilette geführt werden, hat ein Bediensteter die Räumlichkeiten im Hinblick auf Flucht- und Versteckmöglichkeiten in Augenschein zu nehmen. Unbeschadet des zu wahrenden Schamgefühls dürfen Gefangene die Toilette grundsätzlich nicht allein aufsuchen, es sei denn, im direkten Sanitärbereich sind Flucht- oder Versteckmöglichkeiten nicht vorhanden. Der Bedienstete muss jedoch jederzeit in der Lage sein, auf die Gefangenen zuzugreifen.

3. Wurden die Strafvollzugsbediensteten zu den Aussagen der Familienangehörigen, wonach Herr Wappler allein zur Toilette gegangen sei, während die Strafvollzugsbediensteten im Garten gesessen hätten, befragt?

Nein. Die beiden Bediensteten haben über den Ablauf der Ausführung am 15. Oktober 2010 schriftliche Meldungen abgegeben. Die weitere Befragung erfolgt im Rahmen der eingeleiteten disziplinaren Ermittlungen.

a) Falls ja: Welche Ergebnisse liegen der Justizbehörde aufgrund der Stellungnahmen der Strafvollzugsbediensteten zu den Angaben der Familienangehörigen im Hinblick auf den Ablauf der Flucht vor?

Entfällt.

b) Falls nein: Aus welchen Gründen wurden die Strafvollzugsbediensteten nicht zu den ihren Angaben widersprechenden Ausführungen der Familienangehörigen zu den Umständen der Flucht befragt?

Nein. Die beiden Bediensteten haben über den Ablauf der Ausführung am 15. Oktober 2010 schriftliche Meldungen abgegeben. Die weitere Befragung erfolgt im Rahmen der eingeleiteten disziplinaren Ermittlungen.

4. Wurde aufgrund der laut Pressemeldungen erfolgten Angaben der Familienangehörigen, dass die Flucht nicht durch das Toilettenfenster erfolgt sei, geprüft, ob eine Flucht durch das Toilettenfenster, zum Beispiel aus baulichen Gründen, möglich gewesen wäre?

Siehe Antworten zu 2. sowie zu 3. und 3. b). Im Übrigen war die Rekonstruktion des Fluchtweges Gegenstand der von der zuständigen Polizei Lübeck durchgeführten Ermittlungen.

a) Falls ja: Welche Ergebnisse hat die Prüfung ergeben?

Entfällt.

b) Falls nein: Aus welchen Gründen ist diese Prüfung unterblieben?

Siehe Antworten zu 2. sowie zu 3. und 3. b). Im Übrigen war die Rekonstruktion des Fluchtweges Gegenstand der von der zuständigen Polizei Lübeck durchgeführten Ermittlungen.

5. Wie stellt sich der Ablauf der Flucht Herrn Wapplers aus Sicht des Senats dar?

Nach den vorläufigen Erkenntnissen der zuständigen Behörde auf der Grundlage der schriftlichen Meldungen der beiden Bediensteten vom 15. Oktober 2010 und der Mitteilungen der ermittelnden Polizei Lübeck sind die Bediensteten gegen 11.15 Uhr mit dem Gefangenen bei dessen Schwester in Lübeck eingetroffen. Gegen 12.50 Uhr bat Herr W. darum, die Toilette aufsuchen zu dürfen. Zu dieser Zeit hielten sich die beiden Bediensteten mit dem Gefangenen im Garten vor der Wohnung der Schwester auf, wo noch weitere Familienangehörige von Herrn W. anwesend waren. Daraufhin wurde der Gefangene, der seit seiner Ankunft bei der Schwester eine Fußfessel trug, von einem Bediensteten zur Toilette im Erdgeschoss der Wohnung der Schwester begleitet. Während des Toilettenganges wartete der Bedienstete in der Nähe der Tür zum Badezimmer. Nach circa zwei Minuten stellte er fest, dass der Gefangene sich nicht mehr im Badezimmer befand. Die Ermittlungen der Polizei Lübeck zum genauen Ablauf der Entweichung sind noch nicht abgeschlossen.

6. Welche Maßnahmen organisatorischer, disziplinarischer oder sonstiger Art sind als Konsequenz aus dem Vorgang gezogen worden oder geplant?

Bis auf Weiteres werden alle Vorgänge über Ausführungen in den häuslichen Bereich der Gefangenen vor ihrer Genehmigung der Anstaltsleitung vorgelegt. Darüber hinaus unterzieht die Anstaltsleitung das Verfahren zur Prüfung, Genehmigung und Durchführung von Ausführungen einer grundsätzlichen Überprüfung. Die Anstaltsleitung hat zudem angeordnet, die theoretischen Kenntnisse für alle mit Ausführungen befassten

Bediensteten in entsprechenden Schulungen systematisch aufzufrischen und dabei kritische Situationen, die im Rahmen von Ausführungen auftreten können, praktisch zu üben.

7. Konnte Herr Wappler mittlerweile aufgegriffen werden und wenn ja, wann und wo hat er sich aufgehalten?

Ja. Die Leitung der JVA Fuhlsbüttel wurde am 22. Oktober 2010 telefonisch von der Polizei Lübeck unterrichtet, dass Herr W. an diesem Tag in Portugal festgenommen wurde.