Schule

Neues Abitur: Mehr Stress für Lehrer, mehr Schummel-Chancen für Schüler

Mit dem Schuljahr 2010/2011 wurde das mündliche Abitur neu geregelt. Die Neuregelung führt zu einer erheblichen Mehrbelastung der Lehrerinnen und Lehrer.

Bislang wurde der Themenbereich für die mündliche Abiturprüfung im Vorfeld der Prüfung sehr weitläufig mit dem Schüler abgesprochen. Das eigentliche Prüfungsthema erfuhren die Schülerinnen und Schüler dann in der Regel wenige Minuten vor der mündlichen Abiturprüfung. Aufgrund der unmittelbar aufeinanderfolgenden Einzelprüfungen konnten bis zu drei Schülerinnen und Schüler mit demselben Themenkomplex geprüft werden. Für neun Prüflinge mussten die Prüfer ­ bei günstiger Terminierung der Prüfungen ­ daher beispielsweise nur drei Themenkomplexe vorbereiten.

Die neuen Regelungen sehen dagegen eine sogenannte Präsentationsprüfung vor. Danach erhalten die Schülerinnen und Schüler Wochen vor der Prüfung ihr Prüfungsthema. In der mündlichen Abiturprüfung sollen sie dieses Thema dann zunächst medial präsentieren, danach findet ein Prüfungsgespräch statt. Diese Neuregelung führt zu einer erheblichen Mehrbelastung der Prüfer und zieht weitere Folgen nach sich, an die bei der Abfassung offensichtlich nicht gedacht wurde.

Aufgrund der neuen Regelung können nicht mehr wie bisher mehrere Schülerinnen und Schüler mit dem gleichen Themenkomplex geprüft werden.

Stattdessen muss für jeden Schüler ein einzelnes Thema gestellt werden.

Dadurch verdreifacht sich der Prüfungsaufwand für die Prüfer, müssen sie doch dreimal so viele Themen vorbereiten. Da die Prüfer für jedes Thema umfangreiche Vorarbeiten anfertigen und schriftlich einen sogenannten Erwartungshorizont erarbeiten müssen, bedeutet das eine erhebliche Mehrarbeit.

Aufgrund der vielfältigen Kommunikation zwischen den Hamburger Schülern (Internet, schülerVZ et cetera) ist darüber hinaus zu erwarten, dass die Schüler ihre Abiturthemen schulübergreifend untereinander austauschen und vorbereiten werden. Eine Bewertung der individuellen Leistung der Schüler ist deshalb nur noch möglich, wenn es den Prüfern gelingt, für jeden Hamburger Schüler ein unverwechselbares und nicht austauschbares Prüfungsthema zu finden. Was im ersten Jahr bei rund 8.000 Hamburger Abiturienten noch möglich scheint, wird in den Folgejahren immer schwieriger, da die bereits gestellten Themen nur mit erheblichem zeitlichen Abstand wieder aufgegriffen werden können. In Schülerforen im Internet wird schon jetzt länderübergreifend der Austausch von Themen diskutiert. Das schränkt den Spielraum noch stärker ein.

Deshalb frage ich den Senat:

1. Wie viel Arbeitszeit müssen Lehrer nach Einschätzung des Senats für Vorbereitung und Durchführung von drei mündlichen Abiturprüfungen alter Form leisten? Bitte genauer aufschlüsseln.

2. Wie viel Arbeitszeit müssen Lehrer nach Einschätzung des Senats für Vorbereitung und Durchführung von drei mündlichen Abiturprüfungen neuer Form leisten? Bitte genauer aufschlüsseln.

3. Wie wurde die Arbeitszeit für Vorbereitung und Durchführung des mündlichen Abiturs alter Form bisher beim Lehrerarbeitszeitmodell berücksichtigt?

Eine Aufschlüsselung der Arbeitszeit von Lehrkräften für drei mündliche Prüfungen alter oder neuer Form ist nicht möglich. Die gültige Lehrkräfte-Arbeitszeit-Verordnung vom 1. Juli 2003 weist keine auf einzelne Schülerinnen oder Schüler beziehungsweise auf einzelne mündliche Abiturprüfungen bezogenen Beschreibungen der Arbeitszeit von Lehrkräften aus. Vielmehr erfolgt eine Festlegung der Arbeitszeit bezogen auf die Lerngruppen eines Fachs, den zeitlichen Umfang des Unterrichts und das Anforderungsniveau.

4. Ist aufgrund der veränderten Prüfungsanforderungen eine Überarbeitung des Lehrerarbeitszeitmodells geplant?

5. Wenn ja, wie soll die Arbeitszeit für Vorbereitung und Durchführung des mündlichen Abiturs neuer Form künftig beim Lehrerarbeitszeitmodell berücksichtigt werden?

Wenn nein, warum nicht?

Im Zuge der Reform der gymnasialen Oberstufe wurden die Faktoren für unterrichtliche Aufgaben in den Jahrgangsstufen der Studienstufe des Gymnasiums und der Stadtteilschule auf 1,8 erhöht. Im Übrigen sind in den Fachfaktoren der Studienstufen in der Lehrkräfte-Arbeitszeit-Verordnung die Zeiten für die Vorbereitung und Durchführung mündlicher Abiturprüfungen auch in neuer Form bereits enthalten.

6. Wie will der Senat sicherstellen, dass die Schüler künftig ihre mündlichen Abiturthemen nicht schulübergreifend austauschen und vorbereiten?

7. Wie will der Senat sicherstellen, dass die Schüler künftig ihre mündlichen Abiturthemen nicht länderübergreifend austauschen und vorbereiten?

Es ist durchaus wünschenswert, dass sich im Rahmen der Vorbereitung auf eine mündliche Abiturprüfung Schülerinnen und Schüler schul- und länderübergreifend austauschen. Dies stärkt die fachliche und überfachliche Kompetenzentwicklung der Jugendlichen. Die fachlichen Anforderungen, die in der Richtlinie für die Aufgabenstellung und Bewertung der Leistungen in der Abiturprüfung festgelegt sind, ermöglichen es dem Prüfungsausschuss, Bewertungen der individuellen Leistung eines Prüflings vorzunehmen. Insbesondere das Fachgespräch der mündlichen Abiturprüfung erlaubt es den Lehrkräften, den individuellen Anteil des Prüflings an der Prüfungsleistung zu erkennen.

8. Welchen zeitlichen Abstand hält der Senat künftig für die Wiederverwendung früherer Themen für angemessen?

9. Welcher zeitliche Abstand galt bisher für die Wiederverwendung früherer Themen?

Bindende Vorgaben, in welchem zeitlichen Mindestabstand Aufgabenstellungen für die mündliche Abiturprüfung wiederzuverwenden wären, bestanden und bestehen bei der mündlichen Abiturprüfung weder in alter noch in neuer Form. Es liegt im Ermessen des Prüfungsausschusses, die Aufgaben für eine mündliche Abiturprüfung so zu formulieren, dass der Stand der individuellen Kompetenzentwicklung jedes Schülers oder jeder Schülerin vor dem Hintergrund der fachlichen Anforderungen festgestellt werden kann.