Gutachterliche Altersfeststellung bei Ausländern
Im Rahmen einzelner Asylverfahren bei minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen und bei Verfahren gegen ausländische Tatverdächtige, bei denen Zweifel an der Strafmündigkeit bestehen, soll durch ein ärztliches Gutachten das tatsächliche Alter festgestellt werden.
Zwischen Altersfeststellungen durch ärztliche Gutachten, die bei Asylsuchenden zur Ermittlung ihrer asylverfahrensrechtlichen Handlungsfähigkeit nach §12 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG), und solchen, die im Rahmen von Strafermittlungsverfahren veranlaßt werden, ist zu differenzieren.
Das Verfahren bei der Feststellung einer asylverfahrensrechtlichen Handlungsfähigkeit ist in den Antworten des Senats auf die Schriftlichen Kleinen Anfragen Drucksachen 16/238, 16/297, 16/631 und 16/1955 sowie in der Mitteilung des Senats zu dem Ersuchen der Bürgerschaft vom 4./5. März 1998 Drucksache 16/1836 umfassend dargestellt. Bei diesem Verfahren werden behördlicherseits keine Altersfeststellungen durch ärztliche Gutachten veranlaßt. Vielmehr legt die zuständige Behörde bei offenkundigen Zweifeln an der Richtigkeit einer Altersangabe von unter 16 Jahren nach dem Grundsatz der freien Beweisführung für die weitere Bearbeitung ein fiktives Geburtsdatum zugrunde, wonach der bzw.die Betroffene mindestens 16 Jahre alt ist.In diesen Fällen wird den Betroffenen allerdings die Möglichkeit eröffnet, ihrerseits zur Glaubhaftmachung der Richtigkeit ihrer Altersangaben ein ärztliches Altersgutachten einzuholen.
Demgegenüber werden im Rahmen von Strafermittlungsverfahren Altersfeststellungen durch ärztliche Gutachten gemäß § 81a der Strafprozeßordnung (StPO) von den Strafverfolgungsbehörden veranlaßt, soweit dies z. B. zur Feststellung der Schuldunfähigkeit nach §19 des Strafgesetzbuches (StGB) oder im Rahmen von Ermittlungen wegen des Verdachts einer (versuchten) mittelbaren Falschbeurkundung (§ 271 StGB) aufgrund mutmaßlich falscher Altersangaben von Bedeutung ist.
Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.
1. Wie viele Gutachten sind in Hamburg in den letzten fünf Jahren erstellt worden? (Bitte Aufschlüsselung nach Jahren.)
2. In wie vielen Fällen wich das festgestellte Alter von dem angegebenen Alter ab?
Seit Ende April 1998 wird von der Ausländerbehörde die Zahl derjenigen Gutachten statistisch erfaßt, die nach Festsetzung eines fiktiven Geburtsdatums von den Betroffenen selbst veranlaßt wurden. 1998 belief sich die Gesamtzahl dieser Gutachten auf 94. Dabei wurde in 49 Fällen ein Alter von eindeutig über 16 Jahren festgestellt. In 45 Fällen konnte ein Alter von unter 16 Jahren nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden; derartige Restzweifel werden zugunsten der Betroffenen berücksichtigt. Von Januar bis einschließlich August 1999 wurden von der Ausländerbehörde 115 Altersgutachten statistisch erfaßt, von denen 87 ein Alter von eindeutig über 16 Jahren feststellten und 28 ein Alter von unter 16 Jahren nicht ausschlossen.
Die von den Strafermittlungsbehörden veranlaßten ärztlichen Altersgutachten und deren Ergebnisse sind statistisch nicht erfaßt und in der für die Beantwortung der Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Aufwand nicht zu ermitteln. Für den Teilbereich der Ermittlungen wegen (versuchter) mittelbarer Falschbeurkundung bei angeblich unter sechzehnjährigen Asylsuchenden hat die zuständige Ermittlungsgruppe des Landeskriminalamtes 1998 den Eingang von 112
Altersgutachten registriert, die von den Strafermittlungsbehörden veranlaßt worden waren;dabei wurde in 111 Fällen die behördliche Einschätzung, dass die Betroffenen 16 Jahre und älter waren, eindeutig bestätigt (vgl. Fußnote 3 zu 1. der Antwort des Senats auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drucksache 16/1955 ). Für Januar bis einschließlich August 1999 wurden in diesem Teilbereich insgesamt 83 ärztliche Altersgutachten ausgezählt, ohne dass eine nach den jeweiligen Untersuchungsergebnissen differenzierende weitere Auswertung in der für die Beantwortung der Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit möglich war.
Das von der Staatsanwaltschaft mit der Erstellung von Altersgutachten ausschließlich betraute Institut für Rechtsmedizin des Universitäts-Krankenhauses Eppendorf (UKE) bzw.der Gerichtsärztliche Dienst erstellen jährlich nach eigener Schätzung ca. 100 bis 150 derartiger Gutachten.
3. Welche Techniken wurden bei der Erstellung der Gutachten außer der Zugrundelegung der Betrachtung der Handwurzelknochen und des Gebisses verwendet?
Im Institut für Rechtsmedizin bzw. vom Gerichtsärztlichen Dienst wird ergänzend eine allgemeine körperliche Untersuchung durchgeführt. Über die Untersuchungsmethoden privat niedergelassener Ärztinnen und Ärzte liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor.
4. Welche Kosten entstehen bei der jeweiligenTechnik pro Gutachten, und welche Kosten sind in den letzten fünf Jahren insgesamt entstanden? (Bitte nach Jahren aufschlüsseln.)
Im Institut für Rechtsmedizin bzw. beim Gerichtsärztlichen Dienst belaufen sich die Kosten pro Gutachten je nach Art der Untersuchung und dem jeweiligen gutachterlichen Aufwand auf ca. 120 DM bis 1000 DM. Die Untersuchungen werden dort als Dienstaufgabe durchgeführt. Zusätzliche Untersuchungen etwa in der Kinderklinik und in der Zahn-, Mund- und Kieferklinik des UKE sind erstattungspflichtig.
Auch für die übrigen Altersgutachten im Zusammenhang mit der Feststellung der asylverfahrensrechtlichen Handlungsfähigkeit entstehen Kosten in Höhe von durchschnittlich 120 DM. Übersichten über den Kostenaufwand in den letzten fünf Jahren liegen nicht vor und können kurzfristig auch nicht erstellt werden.
5. Haben die Kosten einen Einfluß auf die Wahl der gutachterlichen Technik? Nach welchen Kriterien wird die jeweils angewendeteTechnik ausgewählt? WelcheTechniken werden aus welchem Grund nicht benutzt?
Im UKE erfolgt die Wahl der Methoden nach fachlich-wissenschaftlichen Gesichtspunkten.Bei fachlichwissenschaftlich gleichwertigen Methoden wird die weniger aufwendige Methode angewandt. Im übrigen siehe Antwort zu 3.
6. Durch wen wurden die Gutachten mit welchen Techniken durchgeführt?
Soweit die von einer ausländerbehördlichen Altersfiktivsetzung betroffenen Asylsuchenden ärztliche Altersgutachten veranlassen, stehen hierfür von der Ärztekammer Hamburg aufgrund ihrer nachgewiesenen formalen Qualifikation für fachlich geeignet erklärte Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung (vgl. Antwort des Senats zu 4.a der Schriftlichen Kleinen Anfrage Drucksache 16/631).
Die Staatsanwaltschaft beauftragt ausschließlich das Institut für Rechtsmedizin des UKE mit der gutachterlichen Altersfeststellung von Beschuldigten.Dort hat sich im Laufe der Jahre ein besonders hohes Maß an fachlicher Qualifikation gebildet. Im UKE werden in den Fällen einer richterlichen Anordnung nach § 81a StPO kinderradiologische Untersuchungen des Handskeletts, zahnärztliche Untersuchungen (zahnärztliches Röntgen, Zahnabdruckuntersuchungen) und allgemeine körperliche Untersuchungen durchgeführt. Siehe im übrigen Antwort zu 3.
7. Gibt es die Möglichkeit, weitere Ärzte/Stellen mit der Durchführung der entsprechenden Gutachten zu beauftragen? Wenn ja, warum wird diese nicht genutzt? Wenn nein, plant der Senat die Einrichtung/Beauftragung anderer Stellen? (Bitte Begründung.) Fundierte medizinische Altersfeststellungen erfordern besondere Spezialkenntnisse. Über die von der Ärztekammer Hamburg für geeignet erklärten Ärztinnen und Ärzte hinaus (siehe Antwort zu 6.) wird in Hamburg keine Möglichkeit, aber auch kein Bedarf gesehen, weitere Ärztinnen und Ärzte bzw. sonstige Stellen mit der Durchführung derartiger Gutachten zu beauftragen. Dementsprechend ist auch die Einrichtung zusätzlicher Stellen nicht geplant.
8. Trifft es zu, dass einige Stellen Gutachten nicht nach Bedarf, z. B. bei einer Festnahme, sondern nur nach Termin erstellen?
9. Trifft es zu, dass die angesetztenTermine im Regelfall nachVerstreichen der maximalen Zeit für Ingewahrsamnahmen liegen und somit der Verdächtige erneut für die Altersfeststellung durch die Polizei aufgegriffen werden muß? Wenn ja, welche Maßnahmen hat der Senat zur Beseitigung dieses Mißstandes eingeleitet und wie oft mußten in den letzten JahrenVerdächtige zwangsweise zu einer Altersfeststellung gebracht werden bzw. wie viele angesetzte Termine sind ungenutzt verstrichen, weil der Verdächtige nicht erschien bzw. nicht aufgefunden werden konnte?
Medizinische Altersuntersuchungen, die von den Strafermittlungsbehörden veranlaßt werden, bedürfen gemäß § 81a StPO einer richterlichen Anordnung, die in der Regel eines gewissen zeitlichen Vorlaufs bedarf.Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass die zu untersuchenden Beschuldigten sich der richterlich angeordneten Untersuchung nicht immer freiwillig stellen, sondern zum Teil polizeilich vorgeführt werden müssen. Das Institut für Rechtsmedizin hat hier im Laufe der mehrjährigen vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und Polizei eine große Flexibilität bewiesen, so daßVorführungen von zu untersuchenden Beschuldigten durch die Polizei in Ausnahmefällen auch ohne Vorankündigung erfolgen können.Im Anschluß an die Vorführung ist das Institut für Rechtsmedizin zeitnah in der Lage, bei den Beschuldigten die ärztlichen Untersuchungen zur Feststellung des Alters durchzuführen. Diese Flexibilität kann bei freien Gutachterinnen und Gutachtern nicht gleichermaßen vorausgesetzt werden.