Radioaktivität und radioaktive Abfälle in hamburgischer Verantwortung

Mit der Entscheidung der neuen Bundesregierung, Transporte radioaktiver Abfälle weiter auszusetzen, nimmt die Menge zwischengelagerter Abfälle in Kraftwerken unter Hamburger Beteiligung dauernd zu. Ein Ende der Konsensgespräche ist immer noch nicht abzusehen, ebensowenig der Weiterbetrieb der vier Kernkraftwerke unter Beteiligung der HEW, deren Aufsichtsratsvorsitzender Bürgermeister Runde ist.

Angesichts der nach wie vor bestehenden großen Verunsicherung der Bevölkerung über die Natur und das Gefährdungspotential radioaktiver Strahlung ist eine Aufklärung über den derzeitigen und zu erwartenden Stand der zusätzlichen zivilisatorischen Strahlenbelastung durch zusätzliche Lagerung von radioaktiven Abfällen dringend geboten.

Wir fragen daher den Senat.

Der Vollzug des Atomgesetzes ist in der Bundesrepublik Deutschland Sache der Länder. Somit obliegen Genehmigung und Überwachung der Kernkraftwerke im Hamburger Umland, an denen die HEW beteiligt sind, den zuständigen Länderministerien in Schleswig-Holstein und Niedersachsen.

Auf Hamburger Gebiet werden keine kerntechnischen Anlagen betrieben; genehmigter Umgang mit Kernbrennstoffen findet nicht statt.Es fallen demzufolge weder abgebrannte Brennelemente noch kernbrennstoffhaltige Abfälle an, sondern lediglich Abfälle aus dem Umgang mit sonstigen radioaktiven Stoffen.

Der Betrieb der vier Kernkraftwerke im Hamburger Umland wird durch eigenständige Betriebsgesellschaften wahrgenommen unter unternehmerischer Führung der HEW (Kernkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel) bzw. der PreussenElektra (Kernkraftwerke Brokdorf und Stade). Auch als Hauptaktionär der HEW hat die Freie und Hansestadt Hamburg daher auf den Anlagenbetrieb betreffende Entscheidungen keinen direkten Einfluß; darüber hinaus hat sie keinen Zugriff auf Detailinformationen zu den Kraftwerken unter Führung der PreussenElektra.

Unabhängig von den aktienrechtlichen Gegebenheiten verfolgt Hamburg das politische Ziel eines baldmöglichen Ausstiegs aus der Kernenergienutzung. Hierzu gehört auch die ebenfalls von der Bundesregierung angestrebte Beendigung der Wiederaufarbeitung von abgebrannten Brennelementen und statt dessen deren direkte Endlagerung.Vor dem Einbringen in ein Endlager ist aus physikalisch-technischen Gründen eine langfristige Zwischenlagerung erforderlich. Ein Gesamtkonzept zur Entsorgung ist aus Hamburger Sicht dringend erforderlich. Es ist abhängig vom Ergebnis der Konsensverhandlungen auf Bundesebene.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. Wie wird die zivilisationsbedingte, zusätzliche radioaktive Strahlenbelastung in Hamburg und Umgebung ­ insbesondere der unter seiner Mitverantwortung betriebenen Kraftwerke ­ überwacht? Wie viele Meßstellen existieren? Welche Strahlenarten werden erfaßt?

Durch wen werden die Messungen betrieben, wer wertet die Messungen aus?

Die Überwachung der in der Nähe von Hamburg gelegenen Kernkraftwerke Krümmel (KKK), Brunsbüttel (KKB), Brokdorf (KBR) und Stade (KKS) liegt in der Zuständigkeit der Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Hierzu werden von beiden Ländern Systeme zur Kernreaktorfernüberwachung (KFÜ) betrieben und nach REI (Richtlinie zur Emissions- und Immissionsüberwachung kerntechnischer Anlagen) verschiedene Umweltmedien überwacht.

In Hamburg bestand seit den frühen fünfziger Jahren eine Euratommeßstelle, deren Aufgabenspektrum zur Ermittlung der „allgemeinen Umweltradioaktivität" nach Gründung der Umweltbehörde im Jahr 1978 auf zwei medienorientierte Radioaktivitätsmeßstellen aufgeteilt wurde.

Die Aufgaben der beiden Meßstellen bestehen in der meßtechnischen und radiochemischen Ermittlung der Radioaktivität in Lebensmitteln und Bedarfsgegenständen (Meßstelle der BAGS) und Umweltproben (Meßstelle der Umweltbehörde).Dabei werden sowohl natürlich vorkommende Radionuklide (natürliche Vorkommen in Böden, Gesteinen und Sedimenten, natürliche Einträge aus der Atmosphäre, Verbrennung fossiler Brennstoffe, bergbauliche Tätigkeiten) als auch künstliche Radionuklide (Kernwaffenfallout, Tschernobyl, medizinische, industrielle und kerntechnische Anwendungen) gemessen.

Nahezu alle Proben werden auf gammastrahlende Nuklide und ein Teil der Proben (ca. 20 bis 30 Prozent) werden auf Betastrahler, z.B.Strontium-90, und Alphastrahler, z.B.Plutoniumisotope, untersucht.

Die Wahrnehmung dieser Aufgaben geschieht im Rahmen des Strahlenschutzvorsorgegesetzes (StrVG) sowie aufgrund landesspezifischer Interessen und Regelungen in einem engmaschigen Untersuchungsraster.

An die umfangreichen Untersuchungsprogramme und Ermittlungen der Radioaktivitätskonzentrationen schließen sich in den Meßstellen Bewertungen der Ergebnisse, Abschätzung der Strahlenbelastung sowie Unterrichtung und Beratung von betroffenen Stellen und Öffentlichkeit an.

Parallel werden im Rahmen der Verpflichtungen nach dem Strahlenschutzvorsorgegesetz die Meßergebnisse an das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gesandt.

Weiterhin gehören in den Arbeitsbereich beider Meßstellen die Ermittlung von Strahlengefahren z.B. beim Fund von radioaktivitätsverdächtigem Material und meßtechnische Zuarbeit zur Lagebeurteilung bei für den Strahlenschutz und Katstrophenschutz relevanten Ereignissen.

Von der Umweltbehörde werden des weiteren ­ im wesentlichen zu Zwecken des Katastrophenschutzes ­ zwei Systeme betrieben, die den Zugriff auf eine größere Zahl von Stationen zur Messung der Gamma-Ortsdosisleistung erlauben.

Das 1987 in Betrieb genommene System zur Kernreaktorfernüberwachung (KFÜ-HH) besteht aus der Meßwerterfassungszentrale in der Umweltbehörde zur Sammlung der Daten und 20 Immissionsmeßstationen in den auf Hamburg weisenden Sektoren um die Kernkraftwerke Krümmel und Stade. Das KFÜ-HH benutzt eine Auswahl der Immissionsmeßstationen des KFÜ Schleswig-Holstein (acht Stationen um KKS, elf Stationen um KKK, davon drei auf Hamburger Gebiet und eine eigene Station in Cranz).

Die Daten werden täglich von der Umweltbehörde abgefragt und anschließend ausgewertet; im Ereignisfall werden die Daten dem Zentralen Katastrophendienststab bei der Behörde für Inneres zur Verfügung gestellt.

Der Anschluß Hamburgs an das Ortsdosisleistungs-Meßnetz des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS-ODL, ehemals WADIS) ermöglicht den Zugriff auf 30 Stationen zur Messung der Gamma-Ortsdosisleistung, die das gesamte Hamburger Stadtgebiet und die angrenzenden Regionen bis zu den Kernkraftwerken Krümmel und Stade abdecken. Die Datenabfrage erfolgt nicht kontinuierlich, sondern nur im Ereignisfall sowie zu Übungszwecken. Die Daten werden im Ereignisfall dem Zentralen Katastrophendienststab bei der Behörde für Inneres zur Verfügung gestellt. Das System wurde 1997 in Betrieb genommen.

Darüber hinaus verfügt die Umweltbehörde noch über eine eigene Station zur Messung der Ortsdosisleistung, deren Daten kontinuierlich erhoben und ausgewertet werden.

2. Wie hoch ist die gesamte durchschnittliche Strahlenbelastung seit 1986, und wodurch wird sie verursacht? (Bitte Aufteilung nach natürlicher und zivilisatorischer Belastung, letztere wiederum aufgeteilt in die Kategorien der Herkunft: Kern- und Kohlekraftwerke, Medizin, Baumaterialien, Elektrogeräte, Flugreisen und sonstige.)

Seit 1958 werden die von den amtlichen Meßstellen in der Bundesrepublik gemessenen Werte der Radioaktivität in der menschlichen Umwelt in Form von regelmäßig erscheinenden Berichten des Bundesumweltministeriums veröffentlicht. Diese Berichte enthalten neben den Ergebnissen der Überwachung der Umweltradioaktivität Angaben über die Strahlenexposition der Bevölkerung durch natürliche und künstliche Quellen. Die mittlere Strahlenexposition der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1996 (letzte verfügbare Daten) ist in der folgenden Tabelle nach den verschiedenen Strahlenquellen aufgeschlüsselt. Die Werte sind repräsentativ auch für frühere Jahre.

Mittlere effektive Dosis der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1996

Mittlere effektive Dosis in Millisievert pro Jahr

1. Natürliche Strahlenexposition durch kosmische Strahlung (in Meereshöhe) ca. 0,3 durch terrestrische Stahlung von außen ca. 0,4

Bei Aufenthalt im Freien (5 Stunden/Tag) ca. 0,1

Bei Aufenthalt in Häusern (19 Stunden/Tag) ca. 0,3 durch Inhalation von Radonfolgeprodukten ca. 1,4

Bei Aufenthalt im Freien (5 Stunden/Tag) ca. 0,2

Bei Aufenthalt in Gebäuden (19 Stunden/Tag) ca. 1,2 durch Ingestion1 von natürlich radioaktiven Stoffen ca. 0,3

Summe der natürlichen Strahlenexposition ca. 2,4

2. Zivilisatorische Strahlenexposition durch kerntechnische Anlagen 2.2. durch Anwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlen in der Medizin ca. 1,52 durch Anwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlen in Forschung, Technik und Haushalt (ohne 2.4) 2.3.1. Industrieerzeugnisse 2.3.2. technische Strahlenquellen 2.3.3. Störstrahler 2.4. durch berufliche Strahlenexposition (Beitrag zur mittleren Strahlenexposition der Bevölkerung) 2.5. durch besondere Vorkommnisse 0 durch Fallout von Kernwaffenversuchen 2.6.1. von außen im Freien 2.6.2. durch inkorporierte radioaktive Stoffe 2.7. Strahlenexposition durch den Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl Summe der zivilisatorischen Strahlenexposition ca. 1,5

1 Aufnahme durch Nahrungsmittel und Trinkwasser.

2 Der Schwankungsbereich dieses Wertes beträgt ca. 50 Prozent.

Die gesamte mittlere effektive Dosis der Bevölkerung in der Bundesrepublik beträgt für das Jahr 1996 rund 4 Millisievert. Bis auf den Beitrag durch den Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl hat sie sich im Vergleich zu den Vorjahren nicht signifikant verändert (vgl. unten Antwort zu 3.).

Die in der Tabelle genannten Werte sind mit den folgenden Ergänzungen auch für Hamburg zutreffend:

Durch die geographische Lage und die geologische Beschaffenheit des Untergrundes ist in Hamburg die Exposition durch terrestrische und kosmische Strahlung von außen und durch Inhalation von Radonfolgeprodukten etwas niedriger als im Bundesmittel einzustufen. Die Ortsdosisleistung im Freien liegt im Raum Hamburg im Mittel zwischen 0,06 und 0,1 Mikrosievert (1 Mikrosievert = 1 Tausendstel Millisievert). Die Radonkonzentration in Gebäuden bewegt sich im Mittel bei 27 Becquerel pro Kubikmeter (Bq/m3). Die Strahlenexposition durch natürliche Radioaktivität in Baustoffen ist in den Tabellenangaben enthalten.

Aus den Jahresemissionen der Kernkraftwerke in der Umgebung Hamburgs ergeben sich z. B. für das Jahr 1996 für eine (rechnerische) Referenzperson an der ungünstigsten Einwirkungsstelle (in der Nähe der jeweiligen Anlage) und unter Berücksichtigung ungünstiger Ernährungsgewohnheiten und Aufenthaltszeiten die folgenden Strahlenexpositionen: Strahlenexposition in der Umgebung von Kernkraftwerken durch die Ableitung radioaktiver Stoffe mit der Abluft im Jahr 1996.