Förderung
Am 8. März 2010 ist in Bremen auf der Autobahn BAB A 1 in Fahrtrichtung Osnabrück durch die Bremer Polizei ein Sattelzug gestoppt worden, der nach der Gefahrgutbeschilderung mit Gütern der Klasse 7 radioaktive Stoffe beladen war.
Auf einem mit dem Auflieger befestigten sog. Flat-Container befand sich ein Versandstück, das mit dem radioaktiven Stoff Uranhexafluorid (UN-Nummer 2978) beladen war und ein Brutto-Ladungsgewicht von rund 15 t aufwies.
Gegenüber den kontrollierenden Polizeibeamten machte der zum Transport benutzte Flat-Container im Gegensatz zum eigentlichen Versandstück einen offensichtlich stark gebrauchten und durch Abblättern der Farbe, wie auch durch deutlichen Rostbefall maroden Eindruck. Das an dem Container auf Grund der Container Safety Convention (CSC) befestigte Sicherheits-Zulassungsschild war jedoch gültig (April 2011).
Eine nähere Überprüfung des Flat-Containers durch die kontrollierenden Beamten ergab, dass Rostfraß vorhanden war, der die Stabilität des Containers möglicherweise beeinträchtigte. Vor diesem Hintergrund wurde vorsorglich die Weiterfahrt des Sattelzugs untersagt bzw. ein vorsorgliches Umladen des eigentlichen Versandstücks auf einen intakten Flat-Container verfügt. Das Versandstück selbst war im Sinne der einschlägigen Gefahrgutvorschriften korrekt gekennzeichnet und in einem intakten Zustand.
Der betreffende Flat-Container war mit dem Versandstück am 6. März 2010 von einem aus Kanada kommenden Seeschiff im Hamburger Hafen gelöscht und am 8. März 2010 für den Straßentransport Richtung Westdeutschland auf den später dann in Bremen aufgestoppten Sattelzug verladen worden.
Als Folge dieses Ereignisses hat die Bürgerschaft am 1. April 2010 in der Drucksache 19/5807 u.a. festgestellt, dass
die Sicherheit auf Grund der hohen Risiken für Mensch und Umwelt, die von den Atomtransporten ausgehen, oberste Priorität haben muss;
die Hamburger Kontrollvorgaben auch auf Grund des erneuten Zwischenfalls einer genauen Prüfung unterzogen werden müssen;
eine Verstärkung der Kontrollen zwingend notwendig ist und
strahlende und andere gefährliche Fracht in maroden Transportbehältern oder auf untauglichen Fahrzeugen nicht durch Hamburg fahren und von hier aus in das weitere Bundesgebiet gelangen darf.
Mit gleicher Drucksache wurde der Senat ersucht:
1. verstärkte Kontrollen der Transporte von radioaktiven Stoffen, insbesondere Uranhexafluorid, durchzuführen,
2. zu prüfen, inwieweit Verbesserungen des Gefahrgüterkontrollkonzeptes möglich sind und dabei auch eine generelle Kontrolle von genehmigungspflichtigen radioaktiven Transporten mit einzubeziehen,
3. der Bürgerschaft bis zum 30. Oktober 2010 zu berichten.
Der Senat antwortet auf das Ersuchen mit den nachstehenden Ausführungen:
1. Gesetzliche Grundlagen und Zuständigkeiten im Zusammenhang mit der Überwachung und Kontrolle von Transporten gefährlicher Güter, insbesondere radioaktiver Stoffe
Der Transport gefährlicher Güter, insbesondere radioaktiver Stoffe, wird unabhängig vom Verkehrsträger parallel durch folgende Rechtsvorschriften bestimmt: zum Ersuchen der Bürgerschaft vom 1. April 2010
Kontrollen von Transporten mit atomarem und anderem Gefahrgut durch Hamburg verstärken kein unkontrollierter Umschlag von Containern mit radioaktivem Inhalt über den Hamburger Hafen!
a) Das Gefahrgutrecht mit
dem Gefahrgutbeförderungsgesetz (GGBefG), den daraufhin erlassenen verkehrsträgerspezifischen Rechtsverordnungen Gefahrgutverordnung Straße, Eisenbahn und Binnenschifffahrt (GGVSEB) und Gefahrgutverordnung Seeschifffahrt (GGVSee),
der landesspezifischen Landesgefahrgutverordnung Hafen Hamburg (LGGVHH) sowie
der Verordnung über die Kontrollen von Gefahrguttransporten auf der Straße und in den Unternehmen (GGKontrollV).
b) Das Atomrecht mit
dem Atomgesetz (AtG) und
der daraufhin erlassenen Strahlenschutzverordnung (StrlSchV).
c) Das Gesetz zu dem Übereinkommen vom 2. Dezember 1972 über sichere Container (CSCG).
d) Weitere, generelle Aspekte des gewerblichen Güterkraftverkehrs betreffende Rechtsvorschriften.
Zu a): Gefahrgutrecht
Das Gefahrgutrecht regelt die Sicherheit bei der Beförderung gefährlicher Güter mit Eisenbahn-, Straßen-, Wasser- und Luftfahrzeugen. Die Sicherheitsvorschriften beruhen im Wesentlichen auf den international geltenden verkehrsträgerspezifischen Vorschriften RID (Europäisches Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter mit der Eisenbahn), ADR (Europäisches Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße), ADN (Europäisches Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf Binnengewässern) und IMDG-Code (Internationale Regelungen für die Beförderung gefährlicher Güter mit Seeschiffen) und ICAO-TI oder IATA-DGR (Internationale Regelungen für die Beförderung gefährlicher Güter im Luftverkehr), wobei diese bis auf den Luftverkehr durch die GGVSEB und GGVSee in nationales Recht umgewandelt wurden.
Das Schutzziel dieser gefahrgutrechtlichen Vorschriften besteht darin, Menschen und Umwelt vor akuten transportbedingten Gefahren zu bewahren. Zu diesem Zweck sind durch verschiedene Beteiligte u.a. folgende Forderungen zu erfüllen:
· innerbetriebliche organisatorische (Überwachung, Kontrollen, Bestellung von beauftragten Personen und Gefahrgutbeauftragten),
· technische (Verpackungen, Tankanforderungen, Fahrzeuganforderungen, Be- und Entladeeinrichtungen, Ladungssicherungsmittel) und
· personelle (Schulungen, Unterweisungen der Mitarbeiter).
Damit ein Stoff oder ein Gegenstand mit gefährlichen Eigenschaften nach den Gefahrgutbeförderungsvorschriften identifiziert werden kann, bzw. die Bedingungen für einen Transport festgelegt werden können (wie Beförderungsverbote, Verpackungen usw.) sind bestimmte Informationen über den Stoff erforderlich, die zu einer Klassifizierung führen. International werden Stoffe den Klassen 1 bis 6 (Explosivstoffe, Gase, entzündbare flüssige Stoffe etc.) über Klasse 7 (radioaktive Stoffe) bis Klasse 9 (verschiedene gefährliche Stoffe und Gegenstände) zugeordnet.
Radioaktive Stoffe werden im Rahmen des Gefahrgutbeförderungsrechts ab einer bestimmten Aktivität als Gefahrgut der Klasse 7 eingestuft. In diesem Falle gelten gefahrgutrechtliche Bestimmungen für einen schadensfreien Transport. Durch die vorgeschriebene, zugelassene und unbeschädigte Verpackung für den jeweiligen Stoff wird die Strahlungsaktivität nach außen auf das gesetzliche Höchstmaß reduziert. Für einzelne Versandstückarten sind Aktivitätsgrenzwerte festgelegt, die nicht überschritten werden dürfen.
Um örtlichen Besonderheiten, die das bundesrechtliche Gefahrgutrecht nicht berücksichtigt, gerecht zu werden, haben die Länder die Möglichkeit, entsprechende lokale Vorschriften zu erlassen. Als Folge dessen hat Hamburg die Landesgefahrgutverordnung Hafen Hamburg (LGGVHH) erlassen, die insbesondere umschlagsspezifische Sicherheitsanforderungen beim Umgang mit gefährlichen Gütern regelt. Die LGVHH beinhaltet darüber hinaus eine Meldeverpflichtung für gefährliche Güter, die mit dem Seeschiff in den Hamburger Hafen eingebracht werden sollen. Danach müssen für die wirkungsvolle Durchführung der Aufgaben der zuständigen Behörden im Bereich der Gefahrenvorbeugung, -abwehr und Schadensbekämpfung erforderliche Gefahrgutdaten 12 Stunden vor Anlaufen des Hamburger Hafens über das Gefahrgutinformationssystem GEGIS der zuständigen Behörde gemeldet werden.
Die GGKontrollV setzt im Wesentlichen die Richtlinie 95/50/EG über einheitliche Verfahren für die Kontrolle von Gefahrguttransporten auf der Straße und in Unternehmen um. Danach soll ein repräsentativer Anteil der Gefahrguttransporte auf der Straße nach bestimmten Standards kontrolliert werden. Die Kontrollen sind im Stichprobenverfahren möglichst auf einem ausgedehnten Teil des Straßennetzes durchzuführen und sollen eine angemessene Zeitdauer nicht überschreiten.
Die Überwachung/Kontrolle von Gefahrguttransporten obliegt gemäß § 9 Absatz 1 GGBefG den zuständigen Behörden. Gemäß Senatsanordnung über Zuständigkeiten im Bereich der Beförderung gefährlicher Güter ist die Zuständigkeit für Durchführungsaufgaben im Bereich gefährlicher Güter der Behörde für Inneres und Sport und dort dem Amt Polizei/WSP übertragen worden. Damit ist die Polizei/WSP originär für die Überwachung und Kontrolle der Beförderung gefährlicher Güter in Hamburg zuständig.
Zu b): Atomrecht
Für den Transport radioaktiver Stoffe hat der Gesetzgeber neben dem Gefahrgutrecht auch im Rahmen des Atomund Strahlenschutzrechts umfassende Regelungen erlassen. Zweck der Vorschriften ist es, die mit der Beförderung radioaktiver Stoffe verbundenen Gefahren, insbesondere die schädliche Wirkung ionisierender Strahlung für Leben, Gesundheit und Sachgüter auszuschließen bzw. auf ein vertretbares Maß zu reduzieren.
Die grundlegenden Regelungen finden sich im Atomgesetz (AtG) und der Strahlenschutzverordnung (StrlSchV).
Die atomrechtlichen und strahlenschutzrechtlichen Vorschriften sind Bundesregelungen, die im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung durch die Länderbehörden in den jeweiligen Bundesländern vollzogen werden. Die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz hat nach Artikel 73 Absatz 1 Nr. 14 GG der Bund.
Das Atomgesetz unterscheidet radioaktive Stoffe in die Gruppen „Kernbrennstoffe" und „sonstige radioaktive Stoffe".
· Kernbrennstoffe sind spaltbare Stoffe in Form von Plutonium 239 und Plutonium 241 oder mit den Isotopen 233 oder 235 angereichertem Uran. Mit Kernbrennstoffen kann in geeigneten Anlagen eine Kettenreaktion aufrechterhalten werden. Sie werden vor allem zur Erzeugung von elektrischem Strom in Kernkraftwerken eingesetzt.
· Sonstige radioaktive Stoffe umfassen alle übrigen radioaktiven Stoffe, die ein Radionuklid oder mehrere Radionuklide enthalten, soweit es sich nicht um Kernbrennstoffe handelt. Hierzu zählen z. B. radioaktive Isotope, die in der Medizin und industriellen Technik zu Anwendung kommen wie Kobalt 60, Technetium 99m und Iridium 192 sowie nicht angereichertes Natururan.
Transporte von Kernbrennstoffen und von Großquellen (unter Großquellen werden sonstige radioaktive Stoffe bezeichnet, deren Aktivität je Beförderungs- oder Versandstück 1000 Tera Becquerel überschreitet) mit sonstigen radioaktiven Stoffen müssen nach § 4 i.V.m.
§ 23 des Atomgesetzes vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) genehmigt werden. Sind alle gesetzlichen Anforderungen durch den Antragsteller erfüllt, muss die Genehmigung vom BfS erteilt werden. Ein Einfluss der Bundesländer auf das Genehmigungsverfahren für Kernbrennstofftransporte besteht nicht.
Die Beförderung radioaktiver Stoffe unterliegt nach § 19 Absatz 1 AtG der staatlichen Aufsicht. Die Aufsichtsbehörden haben insbesondere darüber zu wachen, dass nicht gegen die Vorschriften des Atomgesetzes und die Bestimmungen des Bescheids über die Genehmigung verstoßen wird.
Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) ist nach der Anordnung des Senats über Zuständigkeiten im Atomrecht vom 7. Mai 2002 Aufsichtsbehörde für die Durchführung des Atomgesetzes bei der nach § 4
AtG genehmigten Beförderung von Kernbrennstoffen.
Die Strahlenschutzverordnung regelt u.a. die Genehmigungstatbestände für die Beförderung von sonstigen radioaktiven Stoffen. Nicht erfasst von den Regelungen der Strahlenschutzverordnung sind Sachverhalte, die unter die Gefahrgutregelungen fallen wie z. B. die Art der Verpackung des Versandstückes, die maximale Aktivität der Verpackung, die Dosisleistung am Versandstück, die zulässigen Kontaminationswerte am Versandstück, die Transportkennzahl, Kennzeichnung des Fahrzeuges, Unfallmerkblätter oder erforderliche Fahrzeugausstattungen und Sachverhalte, die mit den Containern (Stichwort CSC-Container) zusammenhängen.
Nach § 16 Strahlenschutzverordnung gibt es folgende Fallgruppen, in die die Beförderung von sonstigen radioaktiven Stoffen eingestuft werden kann:
· Genehmigungs- und anzeigefreie Beförderung von sonstigen radioaktiven Stoffen Sonstige radioaktive Stoffe dürfen genehmigungsund anzeigefrei befördert werden, wenn sie
- nicht den Vorschriften für die Beförderung gefährlicher Güter unterliegen,
- als freigestelltes Versandstück nach den Vorschriften für die Beförderung gefährlicher Güter befördert werden können oder
- solche radioaktive Stoffe enthalten, die in der Anlage I Teil B der Strahlenschutzverordnung genannt sind (z.B. Bauart zugelassene radioaktive Strahlenquellen oder Aktivitäten bis zur jeweiligen Freigrenze).
· Anzeigepflichtige Beförderung von sonstigen radioaktiven Stoffen Sollen sonstige radioaktive Stoffe, deren Aktivität je Beförderungs- oder Versandstück das 107-fache der Freigrenzen nach der Strahlenschutzverordnung nicht überschreitet, befördert werden, muss der Beförderungsvorgang 14 Tage vor dem ersten Beförderungsvorgang bei der für das Transportunternehmen zuständigen Genehmigungsbehörde angezeigt werden. Die Anzeige hat eine Gültigkeit von 3 Jahren. Die Vollständigkeit der Anzeige wird dem Genehmigungsinhaber schriftlich bestätigt, wobei die Bestätigung bei jedem Beförderungsvorgang mitgeführt werden muss. Das Anzeigeverfahren ist nicht als Anzeige einer Einzelbeförderung zu sehen, sondern stellt verwaltungsrechtlich ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren dar.
· Genehmigungspflichtige Beförderungen Überschreitet die Aktivität je Beförderungs- oder Versandstück das 107-fache der Freigrenzen nach der Strahlenschutzverordnung, ist eine Beförderungsgenehmigung erforderlich, die von der für das Transportunternehmen zuständigen Genehmigungsbehörde erteilt wird. Diese überprüft in diesem Zusammenhang die fachlichen Voraussetzungen des Antragstellers und die Angaben zur Aktivität. Beförderungsgenehmigungen werden auf 3 Jahre befristet und nach einer bundeseinheitlichen Mustergenehmigung erteilt. Im Rahmen der Beförderungsgenehmigungen gibt es keine Anzeigepflicht für Einzelbeförderungsvorgänge bei den zuständigen Aufsichtsbehörden, durch deren Gebiet der Beförderungsvorgang läuft bzw. wo ein Wechsel des Beförderungsmittels stattfindet (z.B. Umschlag Hafen).
· Beförderung von Großquellen
Unter Großquellen werden sonstige radioaktive Stoffe bezeichnet, deren Aktivität je Beförderungsoder Versandstück 1000 TBq (1000 Tera Becquerel = 1015 Becquerel) überschreitet. Für solche radioaktiven Quellen liegt die Zuständigkeit für die Erteilung von Beförderungsgenehmigungen beim Bundesamt für Strahlenschutz. Im Gegensatz zu allen übrigen genehmigungspflichtigen Beförderungen von sonstigen radioaktiven Stoffe besteht bei diesen Quellen eine Anzeigepflicht bei den zuständigen Aufsichtsbehörden, durch deren Gebiet der Beförderungsvorgang läuft bzw. wo ein Wechsel des Beförderungsmittels stattfindet (z.B. Umschlag Hafen).
Nur bei Großquellen hat der Gesetzgeber eine Anzeigepflicht in den atomrechtlichen Genehmigungen vorgeschrieben und ermöglicht so eine Aufsicht durch die örtlichen Behörden. Uranhexafluorid ist, solange es sich nicht um angereichertes Uran handelt, nach den strahlenschutzrechtlichen Vorschriften ein sonstiger radioaktiver Stoff, weshalb für dessen Transport keine Anzeigepflicht besteht.