HSH Nordbank

Diesem Umstand kommt besonderes Gewicht zu, weil die Interne Revision die Prozesse der Bank ständig begleitet und damit über einen Informationsvorsprung gegenüber den „von außen" kommenden Jahresabschlussprüfern verfügt hat.

Mängel, die diese benannt haben, hätten für die Interne Revision ­ bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang ­ ohne Weiteres erkennbar sein müssen.

f. NPNM-Prozess (Neue-Produkte-Neue-Märkte-Prozess):

Für die Bedeutung und Funktionsweise des NPNM-Prozesses wird auf die Darstellung unter C. III. 1. b. dd. (3).

aa. NPNM-Prozess in der HSH Nordbank:

Die HSH Nordbank stellte sämtliche Handelsprodukte, die bereits als bekannt galten, in einer Produktdatenbank dar, auf die alle Mitarbeiter Zugriff hatten. Ein Produkt galt als neuartig, wenn es nicht in der Produktdatenbank enthalten war. Die HSH Nordbank kannte zwei Einstufungen für neue Produkte: Zur Gruppe 1 zählten nur völlig neue Produkte und zur Gruppe 2 gehörten geringfügig abgewandelte Produkte. Die Einstufung entschied über die Modalitäten des Genehmigungsverfahrens im Einzelnen.

Der Anstoß für die Durchführung eines NPNM-Verfahrens hatte aus dem Handelsbereich zu erfolgen, der das (neue) Geschäft vornehmen wollte, weil zunächst nur er davon Kenntnis hatte. Der laufende NPNM-Prozess sollte unter Federführung einer handelsunabhängigen Organisationseinheit von einer für jedes neue Produkt gesondert gebildeten Working-Group durchgeführt werden, der Mitarbeiter der beteiligten Markt- und Marktfolgeabteilungen angehörten.

bb. Schwächen des NPNM-Prozesses:

Die Deutsche Bundesbank hat bemängelt, dass die Produktdatenbank nicht immer erlaubt hat, Neuprodukte eindeutig zu identifizieren. Einzelne Produkte seien in der Datenbank überhaupt nicht erfasst.

Auch der Prozess der Beurteilung neuer Produkte war in der HSH Nordbank mit erheblichen Mängeln behaftet. Die Unterlagen der sogenannten Produktakte waren häufig nicht vollständig ausgefüllt, sodass die den neuen Produkten zugrunde liegenden Konzepte nur eingeschränkt nachvollzogen werden konnten. Darüber hinaus begründete die unzureichende Abstimmung sowie Koordination zwischen den betroffenen Organisationseinheiten die Gefahr, dass wichtige Aspekte bei der Beurteilung der Risiken unberücksichtigt blieben.

Die Deutsche Bundesbank hat diese Mängel als gewichtig (F3) eingestuft.

Besondere Bedeutung haben die dargestellten Mängel dadurch erlangt, dass im Zusammenhang mit der verlustbringenden Omega-52-Transaktion verschiedentlich die mängelbehaftete Durchführung des NPNM-Prozesses genannt wird.

Während KPMG die erheblichen, im Rahmen der NPNM-Prozesse aufgetretenen Schwächen als Verstoß gegen die in AT 8 der MaRisk niedergelegten Anforderung an die organisatorische und inhaltliche Ausgestaltung des NPNM-Prozesses gewertet hat1, sieht Freshfields darin lediglich individuelles Versagen der HSH-NordbankMitarbeiter, das, weil es nicht Ausdruck von Prozessmängeln sei, keinen MaRiskVerstoß darstelle.

Aufgrund der Kombination aus nicht ordnungsgemäßer Pflege des Datenbestandes der Produktdatenbank, deren Benutzerunfreundlichkeit, die dazu geführt hat, dass der Handel die Datenbank kaum genutzt hat1, und der unzureichenden Dokumentation sowie Koordination der Beteiligten ist in Übereinstimmung mit der Deutschen Bundesbank und KPMG insoweit von einem gewichtigen Verstoß gegen die MaRisk auszugehen.

g. Funktionstrennung und Verhältnis zwischen Markt und Marktfolge

Die MaRisk verlangen in ihrem Allgemeinen Teil 4.3.1, dass die Organisation der Bank gewährleisten muss, dass unvereinbare Tätigkeiten durch unterschiedliche Mitarbeiter durchgeführt werden. Dieser Grundsatz wird im besonderen Teil BTO 1.1 Tz. 1 (Kreditgeschäft) und BTO 2.1 (Handel) dahin gehend konkretisiert, dass eine klare (aufbau-)organisatorische Trennung zwischen den das Geschäft initiierenden und den für das Risikocontrolling zuständigen Organisationseinheiten besteht.

aa. Funktionstrennung KPMG hat festgestellt, dass die Funktionstrennung der Markt- und Marktfolgebereiche grundsätzlich auf allen Ebenen organisatorisch gewährleistet gewesen ist,1200 hat aber die seit dem Ausscheiden von Herrn Berger im Tatsächlichen bestehenden Verstöße auf Vorstandsebene im Vertretungsfall bemängelt.

Da es sich insoweit um übergangsweise aufgetretene Durchbrechungen des Prinzips der Funktionstrennung und nicht um strukturelle Versäumnisse gehandelt hat, bedarf dieser Komplex keiner vertieften Erörterung. Eine andere Frage ist, ob es in der schwierigen Situation der HSH Nordbank Ende 2008 tunlich gewesen ist, dass Prof. Dr. Nonnenmacher infolge des Weggangs von Herrn Hartmut Strauß seit dem 01.07.2008 sowohl die Funktion des Chief Risk Officer (CRO) als auch die des Chief Financial Officer (CFO) innehatte und seit dem 17.11.2008 als Folge des Rücktritts von Herrn Berger zudem die Funktion des Vorstandsvorsitzenden (Chief Executive Officer; CEO). Ob Maßnahmen zur vollständigen Aufrechterhaltung des Trennungsgebotes angezeigt und möglich gewesen wären1, lässt sich ohne weitere Untersuchungen, die wegen des vorzeitigen Abbruchs der Untersuchung nicht mehr haben durchgeführt werden können, nicht beurteilen.

bb. Verhältnis zwischen Markt und Marktfolge:

(1) KPMG: KPMG konstatiert ein faktisches Ungleichgewicht zwischen Markt und Marktfolge, das eine konsequente und umfangreiche Stärkung der Marktfolge erfordere. Es bestehe ein deutliches Ungleichgewicht in der quantitativen Mitarbeiterausstattung zwischen den Markt-UBs und den Marktfolge-UBs. Das bewirke einen deutlichen Informationsvorsprung der Markt-UBs, der zu einem faktischen Ungleichgewicht zugunsten der Markt-UBs führe. Zusammengenommen stellten diese Umstände einen Verstoß gegen MaRisk BTO 1.1. Tz. 1 dar.

(2) Freshfields Freshfields hält die Bestandsaufnahme von KPMG für zutreffend, schließt sich in seinem Gutachten ihrer Einschätzung an und konkretisiert das Missverhältnis zwischen Markt und Marktfolge weiter. Es herrsche eine starke Asymmetrie in der Gewichtung der Marktbereiche einerseits und der Marktfolge andererseits. Dieser Eindruck werde insbesondere dadurch bestätigt und verstärkt, dass die Mitarbeiterverteilung bei der HSH Nordbank etwa dem Verhältnis 4 : 1 zugunsten der Marktbereiche entsprach „und damit deutlich von den in Deutschland vorherrschenden Verteilungsusancen ­ etwa 1:1 ­" abgewichen sei.

(3) Deutsche Bundesbank:

Die Deutsche Bundesbank hat bereits anlässlich der IRBA-Abnahmeprüfung (Internal Rating Based Approach; im Rahmen von Basel II anzuwendende Methode, um Kreditrisiken auf internen Ratings basierend zu messen) kritische Nachfragen zur Kräfteverteilung zwischen Markt und Marktfolge gestellt.

Da die IRBA-Prüfung das neu zu gestaltende Messsystem für Risiken zum Gegenstand hatte, hat die Bundesbank das Thema in diesem Zusammenhang aufsichtsrechtlich jedoch nicht weiterverfolgt.

(4) Sachverständige:

Der Sachverständige Madsen hat sich in seiner Anhörung vor dem Untersuchungsausschuss überraschend unkonkret geäußert. Während in dem von ihm mitverantworteten Prüfbericht 2008 der HSH Nordbank von einem stark unangemessenen Mitarbeiterverhältnis zwischen Markt und Marktfolge die Rede ist (siehe oben (2)), wollte er sich in seiner Vernehmung nicht auf eine Zielgrößenordnung festlegen. So führte er in seiner Antwort auf die Frage eines Ausschussmitgliedes zum Missverhältnis aus: „Bei Ihrer Zahl von 1:100 mit einem in der Marktfolge werden Sie wohl wahrscheinlich den 100 Marktleuten nicht gerecht werden."

Angesichts der auf eine McKinsey-Studie gestützten Aussage von Freshfields, dass ein Verhältnis von 1 : 1 in Deutschland üblich sei, ist nicht nachvollziehbar, wieso der Sachverständige sogar im Falle des vom Abgeordneten beispielhaft genannten Verhältnisses von 1 : 100 zulasten der Marktfolge keinen eindeutigen Verstoß gegen die MaRisk hat annehmen wollen, sondern lediglich befand, dass dieses Verhältnis „wohl wahrscheinlich den 100 Marktleuten nicht gerecht werde".

(5) Zeugen Prof. Dr. Nonnenmacher hat in seinem Eingangsstatement zu seiner Vernehmung am 05.02.2010 ein Missverhältnis zwischen Markt und Marktfolge bestätigt: Es sei eine „Abkehr von einer marktdominierten Geschäftsorganisation notwendig, innerhalb der die Marktfolge nicht Schritt halten konnte, weder qualitativ noch quantitativ.

Der Zeuge Dr. Peiner hat bekundet, dass sowohl seiner als auch Herrn Bergers Auffassung nach die Funktionen Rechnungswesen, also Chief Financial Officer, und Risikovorstand, also Chief Risk Officer, getrennt werden mussten und der Bereich des Risikomanagements im Hinblick auf eine künftig börsennotierte Bank gestärkt werden musste.

Der Zeuge Dr. Peiner wies aber auch darauf hin, dass die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, die er zu einem späteren Zeitpunkt auf die Problematik des Ungleichgewichts zwischen den Markt- und den Marktfolgebereichen angesprochen habe, sich eher überrascht gezeigt hätten.

Allerdings hätten ihm nach der LehmanKrise einige Mitarbeiter mitgeteilt, dass es schon immer ihr Eindruck gewesen sei, dass der Marktfolgebereich schwächer besetzt gewesen sei als der Markterschließungsbereich. Nicht erinnerlich sei ihm, dass zuvor leitende oder auch sonstige Mitarbeiter oder gar Vorstandskollegen der Bank dieses Missverhältnis an ihn oder andere Aufsichtsratskollegen herangetragen hätten.

Der Zeuge Dr. van Gemmeren, im Risikomanagement der HSH Nordbank in leitender Funktion tätig (siehe unter unter 3. c. sowie III.), bestätigte die unzureichende personelle Ausstattung der Marktfolge: „Die gesamte Geschäftsfeldorganisation der HSH Nordbank war in der Umsetzung der MaRisk stark marktorientiert aufgestellt, heute muss man sagen: zu marktorientiert. Es gab ein Ungleichgewicht zwischen dem Markt und der Marktfolge.