NPNM-Prozess

Die Prüfer der KPMG kamen zu dem Ergebnis, dass ein wirksamer NPNM-Prozess die Mängel hätte erkennbar machen und Verluste in diesem Ausmaß verhindern können.

Den notwendigen NPNM-Prozess erklärte der Sachverständige und KPMGPrüfer Madsen dem Untersuchungsausschuss: „Die Grundidee von neue Produkte, neue Märkte ist dann also, dass die verschiedenen Einheiten in der Prozesskette einer Bank das Verständnis erlangen müssen: Was ist das eigentlich für ein Geschäft? Also, vom rechtlichen Charakter her, was bedeutet das eigentlich betriebswirtschaftlich? Wie sind eigentlich die Chancen in einem solchen Produkt oder in einem solchen Markt? Wie sind auch die Risiken? Und dann schließlich auch ganz wichtig die Frage: Sind wir als diejenige Bank, die dieses Geschäft auf die Bücher nehmen will, eigentlich in der Lage, das Geschäft tatsächlich zu verbuchen, zu managen, zu überwachen und zu steuern, so? Das ist ein langer Prüfungsprozess, und wenn das ordentlich aufgesetzt ist, dann setzt das eben voraus, dass die verschiedenen Bereiche einer Bank daran teilnehmen. Und wenn alles positiv votiert ist und man zum Beispiel die richtige IT-Infrastruktur hat, um das eben abzubilden, und so fort, dann ist das frei gezeichnet und dann kann man dieses Geschäft dann tätigen und auf die Bücher nehmen."

Die Mängel im NPNM-Prozess bzw. dass ein solcher Prozess erst gar nicht durchlaufen wurde, betraf nicht nur die Euro-Arbitrage, sondern es war ein grundsätzliches Problem in der HSH Nordbank. So bemängelte etwa die Bundesbank, dass Neuprodukte in der entsprechenden Datenbank nicht eindeutig zu identifizieren oder einzelne Neuprodukt dort erst gar nicht erfasst waren.

Die Prüfer der KPMG kommen zu dem grundsätzlichen Ergebnis: „Der gesamte NPNM-Prozess erfüllte seine Aufgabe unzureichend."

Der Freshfields-Gutachter Dr. Emde erklärte in seiner Vernehmung, „dass schwerwiegende Fehler bei der Engagementsteuerung und Engagementüberwachung stattgefunden haben und eingetreten sind, dem Vorstand aber nicht zuzurechnen sind:"

Fazit:

Mit dem Aufbau des Euro-Arbitrage-Portfolios hat die HSH Nordbank in ein für sie neues Produkt investiert, ohne in der Lage zu sein, das Geschäft tatsächlich korrekt verbuchen, managen, überwachen und steuern zu können. Die Mängel im EuroArbitrage-Geschäft sind ­ wie jene im Omega-Geschäft ­symptomatisch für die mangelnde Risikokultur in der Bank, ein fehlerhaftes Risikomanagement, insbesondere hinsichtlich für die Bank neuer komplexer Geschäfte.

2. Das Kreditersatzgeschäft der HSH Nordbank Kreditersatzgeschäft: Großes Geschäft ohne Kunden Wesentlicher Grund für die Schieflage der Bank sind Wertberichtigungen in Folge der Finanzkrise. Dies betrifft insbesondere das so genannte Kreditersatzgeschäft (Credit Investments). Hier investierte die Bank nicht unmittelbar in Kredite, sondern in Wertpapiere, zunehmend strukturierte Wertpapiere, denen letztlich z. B. Immobilienkredite, Unternehmensanleihen oder Kreditkartenforderungen zugrunde liegen. Auch in die Absicherung solcher strukturierten Investments durch die Übernahme von Verlusttranchen bzgl. Portfolien anderer Institute wurde investiert. In den Jahren 2007 und 2008 wurden insgesamt 3,1 Mrd. Euro auf diese Geschäfte abgeschrieben. Zum Ausbruch der Finanzkrise 2007 hatte die HSH Nordbank ein Credit Investment Portfolio mit einem Volumen von rund 30 Mrd. Euro.

Der frühere Finanzsenator und Aufsichtsrat der HSH Nordbank Dr. Peiner sagte aus: „Aus heutiger Sicht - nach der schwersten weltweiten Finanzkrise seit 80 Jahren ist erkennbar: Das Volumen des Kreditersatzgeschäfts der Bank als ein wesentliches Element ihres Geschäftsmodells war vor dem Hintergrund ihres niedrigen Eigenkapitals zu groß."

Aber auch schon im Jahr 2006 hätte der Aufsichtsrat Anlass gehabt, die Größe des Portfolios zu hinterfragen. Zur Aufsichtsratssitzung am 27. April 2006 legte der Vorstand einen Bericht über das Geschäftsfeld „Portfolio Managements and Investments" (PMI) vor. Darin heißt es unter anderem: „Im Bereich der Credit Investments (Investitionen in kredithaltige Wertpapiere) managt PMI im Auftrag der HSH Nordbank deutschlandweit eins der größten Portfolien."

Eine Diskussion über Größe und Strategie des Kreditersatzgeschäftes vor Beginn der Finanzmarktkrise fand sich in den dem Untersuchungsausschuss vorliegenden Akten jedoch nicht. Auf die Frage, warum dieser Bericht im Aufsichtsrat nicht zum Anlass genommen wurde, die Größe des Portfolios zu diskutieren, antwortete der Zeuge Dr. Peiner: „Ja, ich sagte, dass das Portfolio der Bank groß war, war kein Geheimnis. Das haben wir aber insgesamt nicht als kritisch gesehen, weil das in diesen Bereichen, ob das... Also, groß ist ja eine relative Größe. Es war groß, aber es war aus unserer Sicht nicht zu groß für die Größe der Bank und Sie war auch kein internationaler „Großplayer" in dem Bereich." Man sei der Meinung gewesen, dass es sich um ein insgesamt notwendiges Geschäft handelte, um die Rolle der Bank als international tätige Geschäftsbank zu stützen.

Auch die Vorgängerinstitute der HSH betrieben zur Risikodiversifizierung Kreditersatzgeschäft. Bis zum Jahr 2005 waren aufgrund der günstigen Refinanzierung ­ abgesichert durch die Gewährträgerhaftung der Länder ­ mit Staats- und Unternehmensanleihen angemessene Renditen relativ risikoarm zu erzielen. Mit dem Wegfall der Gewährträgerhaftung stieg in diesem Geschäft der Druck, trotz teurerer Refinanzierung zur Dividende und Bedienung Stiller Einlagen beizutragen. Das Portfolio wuchs in der HSH in den Jahren 2003 bis 2007 noch einmal von 25,6 auf 29,8 Mrd. Euro.

Kreditersatzgeschäft: Großes Portfolio, aber keine Strategie.

Trotz der Größe des Portfolios fehlte der HSH Nordbank eine Strategie im Kreditersatzgeschäft. Die Prüfer der KPMG stellten fest: „Aus den vorgelegten Unterlagen zur Gesamtstrategie ist nach unserer Einschätzung für den gesamten Untersuchungszeitraum, insbesondere bis zum Ausbruch der Subprime-Krise im Jahre 2007, keine konkrete Strategie für das Kreditersatzgeschäft ableitbar. Insbesondere ist nicht zu erkennen, welche Rolle das Kreditersatzgeschäft in der strategischen Ausrichtung der Gesamtbank einnimmt bzw. eingenommen hat."

Das Fehlen einer Strategie verhinderte, dass interne Kontrolleinheiten wie die Revision, die Umsetzung einer Strategie im operativen Geschäft prüfen bzw. Einzelgeschäfte auf ihre Strategiekonformität überprüfen konnten. 36

Der Zeuge van Gemmeren bestätigte das Fehlen einer Strategie und erklärte, es habe auch mahnende Hinweise gegeben: „Nach der Fusion, also Ende 2003, belief sich das Credit Investment Portfolio der HSH Nordbank in der heutigen Abgrenzung auf rund 26 Milliarden Euro. Dabei haben beide Vorgängerinstitute jeweils rund die Hälfte des Portfolios eingebracht.

Trotz dieser Größenordnung muss man rückblickend sagen, dass die HSH Nordbank keine klare Strategie für ihr Kreditersatzgeschäft definiert hatte. Es war nicht geklärt, welche Rolle das Kreditersatzgeschäft in der strategischen Ausrichtung der Gesamtbank spielen sollte. (...) Selbstverständlich gab es dabei auch mahnende Hinweise, insbesondere auch von Außenstehenden, wie Beratern, da sich die Fragen nach dem Shareholder Value solcher Kapitalmarktprodukte und den notwendigen Fähigkeiten auch schon vor der Kapitalmarktkrise gestellt haben."

Kreditersatzgeschäft: Umstrukturiert für höhere Renditen ­ und höhere Risiken.

Trotz des Fehlens einer Strategie kam es in den Jahren 2003 bis 2007 zu einer Umstrukturierung des Kreditersatzgeschäfts. Der Anteil so genannter „Single Names" ging von 65,5 auf 39,8 Prozent zurück. Zugleich wuchs der Anteil strukturierter Produkte. So stieg der Anteil so genannter „Asset Backed Securities (ABS)" am Portfolio von 19,4 auf 40,6 Prozent.

Auch die regionale Verteilung des Investments verlagerte sich deutlich. 2003 waren 68,2 Prozent des Kreditersatzgeschäftes in Wertpapiere europäischer Emittenten und 21,7 Prozent in Wertpapiere nordamerikanischer Emittenten angelegt. 2007 waren nur noch 53,5 Prozent in Europa, aber schon 34,8 Prozent des Kreditersatzgeschäftes in Nordamerika investiert.

Im Prüfbericht der KPMG zum Jahresabschluss 2008 heißt es dazu: „Die Analyse der Entwicklung des CIP40 hat ergeben, dass in Bezug auf das zum Ende des Jahres 2008 bestehende Credit Investment Portfolio der HSH nicht von einem „Aufbau" der Bestände zu sprechen ist, sondern vielmehr Umschichtungen innerhalb des Portfolios festzustellen sind. Hierbei sind insbesondere die Verschiebung des Anteils der Investments in sogenannte „Single Names" im Portfolio hin zu ABS-Transaktionen zu nennen: Während zum Beginn des Untersuchungszeitraumes in 2000 knapp 90 % in Single Names investiert waren, lag der Anteil zum Ende (2008) nur noch bei rund 40 %. Innerhalb der Produktart ABSTransaktionen haben insbesondere die ab 2004 erworbenen komplexen Strukturen wie z. B. die synthetischen CDOs, High Yield CLOs und Hedge Funds einen hohen Anteil an den in den Jahren 2007 und 2008 aus dem CIP-Portfolios insgesamt realisierten Verlusten, die sich auf EUR 1.331 Mio. In 2007 und EUR 1. Mio. in 2008 belaufen (...). (...) Bei der regionalen Verteilung des CIP-Bestandes ist über den Untersuchungszeitraum eine deutliche Reduzierung des Anteils europäischer Emittenten von rund 75 % in 2000 auf rund 50 % in 2008 festzustellen, während gleichzeitig der Nordamerika-Anteil von 15 % in 2000 auf knapp 40 % in 2008 gestiegen ist. Dabei machen die aus dem Nordamerika-Portfolio realisierten Wertverluste deutlich mehr als die Hälfte der in 2007 und 2008 insgesamt im CIP-Portfolio entstandenen Verluste aus."

Diese Entwicklung beschrieb der Zeuge Prof. Dr. Nonnenmacher: „Ab der Fusion und verstärkt ab dem Jahr 2005 fand innerhalb des CIP, Credit Investment Portfolio, eine sukzessive Verschiebung sowohl hinsichtlich des Sitzes der Emittenten als auch hinsichtlich der eingekauften Instrumente statt. Zwischen 2003 und 2006 hat sich vor allem der Anteil der strukturierten Wertpapiere signifikant erhöht. Die Ursachen für diese Umschichtung lagen vor allem in Anlagezwängen begründet: Zwischen 2003 und 2007 liefen eine Reihe von herkömmlichen Anleihen aus, gleichzeitig hatte die Bank durch die vorsorgliche Liquiditätsbeschaffung ständigen Anlagebedarf.