Ärztliche Abschiebehilfe (II)

Die Antworten des Senats auf meine Anfrage vom 14. Juni (Drucksache 16/2607) haben nicht alle Fragen in einer den Schicksalen der betroffenen Menschen angemessenen Deutlichkeit beantwortet und sogleich neue Fragen aufgeworfen.

Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat.

Im Jahr 1999 sind bisher drei Abschiebungen mit ärztlicher Begleitung durchgeführt worden. In diesen drei Fällen lagen ärztliche Atteste vor, die eine Suizidgefahr bescheinigten.Um dieser Gefahr zu begegnen, wurden die Personen von einer Ärztin bzw.von einem Arzt zum Flughafen und während des Fluges begleitet, um suizidalen Handlungen vorzubeugen bzw. im Notfall helfen zu können. Die begleitende Ärztin bzw. der begleitende Arzt stellte am Zielort den Kontakt zu einer dort anwesenden Ärztin oder einem Arzt sicher.

Die Entscheidung, in diesen Fällen mit ärztlicher Begleitung abzuschieben, trafen die für die Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen zuständigen Bediensteten der Ausländerbehörde.

Für die Entscheidung der Ausländerbehörde, ob ein Abschiebungshindernis vorliegt oder ob eine Abschiebung mit ärztlicher Begleitung durchgeführt wird, ist in Zweifelsfällen die amtsärztliche Begutachtung maßgeblich. Die Amtsärztinnen und -ärzte können sich hierzu der Unterstützung durch niedergelassene Fachärztinnen und -ärzte ihrer Wahl bedienen.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. Der Senat bejaht meine Frage, ob ärztliche Gutachten zur Aussetzung der Abschiebungen übergangen wurden, und fährt erläuternd fort, dass von einer grundsätzlichen amtsärztlichen Überprüfung abgesehen wird, „wenn einer attestierten Erkrankung... keine Relevanz" zukommt. Von wem wird eine solche Übergehung der privatärztlichen Gutachten, aufgrund welcher Qualifikation und mit welcher Berechtigung vorgenommen?

Der Senat hat die Frage zu 4. der Schriftlichen Kleinen Anfrage ­ Drucksache 16/2607 ­, ob ärztliche Gutachten zur Aussetzung der Abschiebung übergangen wurden, nicht bejaht, sondern Fallkonstellationen benannt, bei denen eine amtsärztliche Überprüfung entbehrlich ist.Einer attestierten Erkrankung kommt für die ausländerrechtliche Entscheidung z. B. dann keine Relevanz zu, wenn eine Abschiebung bereits aus anderen Gründen auszusetzen ist. Eine Übergehung privatärztlicher Atteste ist damit nicht verbunden.

Auch in den aus diesem Jahr bekannten Fällen wurden ärztliche Gutachten nicht übergangen. Die Ausländerbehörde trug vielmehr den ärztlichen Attesten Rechnung, indem eine ärztliche Begleitung und ärztliche Inempfangnahme im Herkunftsstaat sichergestellt wurde. Im übrigen siehe Vorbemerkung.

1. a) Wie wird dies dokumentiert?

Die Entscheidungen zu den oben genannten drei Fällen wurden in einem Aktenvermerk festgehalten.

Die begleitenden Ärztinnen bzw.Ärzte haben über die Durchführung dieser drei Abschiebungen jeweils einen Bericht gefertigt.

2. In derselben Antwort führt der Senat weiter aus, dass z. B. auch durch „geeignete Vorkehrungen" die grundsätzliche amtsärztliche Überprüfung überwunden werden kann.

a) Was konkret sind im einzelnen „geeignete Vorkehrungen"?

b) Wer entscheidet über die Zulässigkeit und Angemessenheit der Durchführung der „geeigneten Vorkehrungen" entgegen dem privatärztlichen Attest?

c) Geschieht dies ausschließlich durch Amtsärzt/innen?

i) Wenn nein, von wem sonst?

d) Wenn ja, wie wird dies dokumentiert?

Siehe Vorbemerkung und Antworten zu 1. und 1. a).

3. Warum werden die Fälle von Abschiebungen trotz oder ohne amtsärztliche Überprüfung nicht erfaßt?

a) Was konkret heißt, nicht erfaßt? Gibt es keine Protokolle seitens der Behörde und ihrer „Verwaltungspraxis", der Gerichte, der abschiebenden Beamten, der Fluggesellschaften, die Aufschluß darüber geben, wer wann mit welcher Begründung und unter welchen Umständen wohin abgeschoben wurde?

i) Wenn für alle aufgeführten Institutionen und Personen nein, existieren über diese Verwaltungspraxis somit keinerlei schriftliche Aufzeichnungen und wie verhält es sich?

4. Wenn keine „Erfassung dieser Fälle" erfolgt, jedoch wie in Antwort 8 h) ausgeführt, zumindest in den Fällen, in denen Ärzt/innen die Abschiebung begleiten, Berichte angelegt werden, könnte doch anhand der vorliegenden Berichte über diese begleiteten Abschiebungen eine Überprüfung stattfinden und eine Zahl genannt werden, auch wenn keine Statistiken geführt werden?

i) Wenn nein, wie verhält es sich?

Eine gesonderte statistische Erfassung der seltenen Fälle einer Abschiebung mit ärztlicher Begleitung ist bislang wegen der geringen Fallzahlen nicht für erforderlich gehalten worden. Das Herausfinden dieser Fälle aus den Vorjahren aus der Gesamtmenge aller Abschiebungsfälle ist in der Kürze der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Aufwand nicht möglich. Im übrigen siehe Vorbemerkung und Antworten zu 1. und 1. a) dieser Schriftlichen Kleinen Anfrage sowie zu 8.h) und 8.i) der Schriftlichen Kleinen Anfrage Drucksache 16/2607. Für die dort angeführten drei Fälle aus diesem Jahr ist eine „Erfassung" nicht in Abrede gestellt und eine Überprüfung möglich. Zu zwei der drei Fälle hat der Senat in seinen Antworten auf die Schriftlichen Kleinen Anfragen Drucksachen 16/2561 und 16/2614 ausführlich Stellung genommen.Bei dem dritten Fall handelte es sich um die Abschiebung einer Familie in die Türkei. Eine ärztliche Begleitung und Inempfangnahme in Istanbul erfolgte wegen einer privatärztlich attestierten „latenten Suizidgefahr" der Ehefrau bzw. Mutter, nachdem das Verwaltungsgericht Hamburg einen auf Abschiebungsschutz gerichteten Antrag unter ausdrücklichem Hinweis auf die Sicherstellung einer ärztlichen Begleitung abgelehnt hatte.

5. Trifft es zu, dass es sich bei den „approbierten Allgemeinmedizinern" um praktische Ärzt/innen handelt, die über keine fachärztlichen Erfahrungen verfügen können, da sie keine Fachärzt/innen sind?

a) Wenn nein, wie verhält es sich?

6. Trifft es zu, dass diese Ärzt/innen über Erfahrungen in einzelnen medizinischen Fachgebieten verfügen?

a) Wenn ja, welche jeweiligen Erfahrungen sind dies und wie lange jeweils verfügen diese Ärzt/innen über jene Erfahrungen?

Dem Einwohner-Zentralamt steht ein Facharzt für Psychiatrie zur Verfügung. Bei den übrigen Ärztinnen bzw. Ärzten handelt es sich um Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner, die über allgemeinmedizinische Erfahrungen hinaus zum Teil über mehrjährige Erfahrungen unter anderem in den Bereichen Neurochirurgie, Innere Medizin, Psychotherapie, Psychiatrie, Intensivmedizin und Notfallmedizin verfügen.

Eine Ärztin sowie ein Arzt haben eine Zusatzausbildung als „Arzt im Rettungsdienst", ein Arzt war bei einer karitativen Einrichtung für die Betreuung und Versorgung von Flüchtlingen angestellt.

7. Über welche „fachärztlichen Berufserfahrungen" verfügt derjenige „approbierte Allgemeinmediziner", der den „Anforderungskatalog" zusammengestellt hat?

Es handelt sich um einen approbierten Allgemeinmediziner mit vierzehnjähriger Berufserfahrung und Fachkenntnissen in den Bereichen Innere Medizin und Chirurgie. Der Anforderungskatalog wurde darüber hinaus von einer Ärztin und einem weiteren Arzt überprüft und ergänzt. Diese verfügen über Fachkenntnisse in den Bereichen Psychiatrie und Notfallmedizin.

7. a) Gibt es vergleichbare Anforderungskataloge in anderen Bundesländern?

b) Wenn ja, wurde dieser Anforderungskatalog jemals mit den anderen Anforderungskatalogen abgeglichen?

i) Wenn ja, geschieht dies regelmäßig?

c) Wenn nein, warum bildet Hamburg eine Ausnahme?

d) Auf wessen Initiative wurde ein solcher Anforderungskatalog zusammengestellt?

Über entsprechende Anforderungskataloge in anderen Ländern liegen dem Senat keine Erkenntnisse vor.

Die Erforderlichkeit einer medizinischen Grundausstattung zur Notfallversorgung wurde im Rahmen der Gespräche mit den Ärztinnen und Ärzten, die sich für eine Abschiebungsbegleitung bereit erklärt hatten, erörtert. Die Zusammenstellung der erforderlichen Grundausstattung sowie der im jeweiligen Einzelfall ggf. zusätzlich erforderlichen medizinischen Hilfsmittel erfolgt aus eigener Verantwortung. Einer Abstimmung mit anderen Ländern bedurfte es insoweit nicht.

7. e) Entspricht dieser Anforderungskatalog irgendwelchen von Fachausschüssen der Ärztekammer oder entsprechenden medizinischen Fachgremien verbindlich festgelegten Mindeststandards und Kriterien?

Nein.

7. f) Seit wann existiert ein solcher Anforderungskatalog?

Der Anforderungskatalog wurde im Mai dieses Jahres erstellt.

7. g) Gab es Abschiebungen, bevor dieser Anforderungskatalog vorlag?

Ja.

8. Was ist der genaue Inhalt der Grundausstattung (bitte einzeln jedes Medikament und jedes medizinische Instrument aufführen)?

Siehe Anlage.

9. Für welche wichtigsten Krankheitsbilder wird die Grundausstattung zusammengestellt?

Die Grundausstattung dient insbesondere dazu, eine Notfallversorgung bei suizidalen Handlungen sicherzustellen. Darüber hinaus wird Vorsorge getroffen für Magen-/Darmbeschwerden, Atembeschwerden (Asthma), Herz-/Kreislauf, Schock, psychische Probleme, Schmerz und Vergiftung.

10. Was konkret heißt „bedarfsgerecht... ergänzt"? 11. Von wem wird diese „bedarfsgerechte" Ergänzung festgestellt?

a) Wenn nicht von einer/m Amtsärztin/Amtsarzt, von wem dann?

12. Zu welchem Zeitpunkt (vor) der Abschiebung und nach wessen Urteil wird diese „bedarfsgerechte" Ergänzung durchgeführt?

13. Werden dazu die jeweiligen Privatärzt/innen konsultiert?

a) Wenn nein, wie verhält es sich?

Die Grundausstattung zur Notfallversorgung würde aufgrund der von den begleitenden Ärztinnen und Ärzten gewonnenen Erfahrungen bedarfsgerecht ergänzt werden. Darüber hinaus würde je nach den Besonderheiten des spezifischen Krankheitsbildes des/der Abzuschiebenden die Grundausstattung um den Bedarf ergänzt werden, den die Amtsärztin oder der Amtsarzt ggf. für erforderlich hält. Zur Feststellung dieses zusätzlichen Bedarfs würde erforderlichenfalls zu den behandelnden Privatärztinnen und -ärzten Kontakt hergestellt werden.

14. Gibt es oder gab es medizinisch unbegleitete Abschiebungen, bei denen ein privatärztliches Attest, das eine Abschiebung aus gesundheitlichen Gründen ablehnte, vorlag?

Ärztlich unbegleitete Abschiebungen trotz privatärztlich attestierter Reiseunfähigkeit sind nicht durchgeführt worden, soweit nicht amtsärztlich die Reisefähigkeit ausdrücklich bestätigt wurde.

15. Ist bei allen Abschiebungen gewährleistet, dass die Amtsärzt/innen und die begleitenden Ärztinnen jeweils die Sprache sprechen, die die abgeschobenen Menschen sprechen und verstehen?

a) Wenn nein, wie kommunizieren die begleitenden Ärzt/innen mit den Patient/innen über ihre gesundheitlichen Beschwerden?

i) Wie wird den Patient/innen bedeutet, was die angestellten Ärzt/innen ihnen für eine medizinische Versorgung während der Begleitung zuteil werden lassen?

16. Über welche Fremdsprachenkenntnisse handelt es sich im einzelnen?

Bei den oben genannten drei Abschiebungen in ärztlicher Begleitung war die Kommunikation bereits dadurch sichergestellt, dass entweder die Abzuschiebenden Deutsch sprachen oder eine Begleitperson der Ausländerbehörde die Landessprache der Abzuschiebenden sprach.