Umgang mit Drogen- bzw. Cannabiskonsument/innen

In der BVerfGE 1994 sprach sich das Gericht dafür aus ­ zwar ohne die Diskriminierung von Konsument/innen anderer Drogen als Nikotin und Alkohol zu bestätigen ­, den Eigenverbrauch an Cannabisprodukten strafrechtlich dergestalt zu regeln, dass dort, wo es „ausschließlich [um] den gelegentlichen Eigenverbrauch geringer Mengen von Cannabisprodukten [geht]... und nicht mit einer Fremdgefährdung verbunden [ist]... es den Strafverfolgungsorganen [zu] ermöglichen..., durch das Absehen von Strafe... oder Strafverfolgung... einem geringen individuellen Unrechts- und Schuldgehalt der Tat Rechnung... [ge]tragen" werden kann.

Im selben Jahr, in der Drucksache 15/2095, meinte der Senat: „Die übliche Menge eines Endverbrauchers liegt bei einer Menge von bis zur Größe einer Streichholzschachtel", und verweist auf die „Rundverfügung des Leitenden Oberstaatsanwalts beim Landgericht Hamburg", wobei die „vom Senat seit längerem verfolgte Politik der schrittweisen Entkriminalisierung der Drogenkonsumenten" fortgeführt würde.

Im Hamburger Suchtbericht von 1998 heißt es denn auch, dass der Senat „[g]emeinsam mit den anderen Ländern und der Bundesregierung... die Fachdiskussion zur Frage einer möglichen weitergehenden Entkriminalisierung der Drogenkonsumenten und -abhängigen (Strafverfolgungsverzicht bei Erwerb und Besitz kleiner Mengen an Drogen zum unmittelbaren Eigenverbrauch) initiieren" würde.

Dennoch stehen immer wieder Konsumentinnen und Konsumenten von Cannabis und/oder Marihuana im Zielkreuz der Strafverfolgungsbehörden. So unlängst Ende Juli. In der Presse war zu lesen, dass die Polizei in Eimsbüttel einen unbewaffneten „mutmaßlichen Drogendealer" erschoß, in dessen Wohnung sich ganze 13 g Cannabis fanden.

Dies vorausgeschickt, frage ich den Senat:

A. Fachdiskussion

1. Hat der Senat bisher eine gemeinsame Fachdiskussion zur Frage einer möglichen weitergehenden Entkriminalisierung der Drogenkonsumenten eingeleitet?

2. Wenn ja, mit wem fanden wann Gespräche mit welchem Ergebnis statt?

3. Wenn nein, warum nicht?

Da das Verfahren zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes im Hinblick auf die rechtliche Absicherung der sogenannten Drogenkonsumräume und die Qualitätssicherung der Methadon-Behandlung noch nicht abgeschlossen ist, hat der Senat bisher von konkreten Schritten zur Initiierung der in der angekündigten Fachdiskussion mit der Bundesregierung und anderen Ländern über eine mögliche weitergehende Entkriminalisierung der Drogenkonsumenten und -abhängigen (Strafverfolgungsverzicht bei Erwerb und Besitz kleiner Drogenmengen zum unmittelbaren Eigenverbrauch) abgesehen.

A. 4. Trifft es zu, dass eine Streichholzschachtel Cannabis oder Marihuana etwa einer Konsumeinheit von 20 g entspricht?

5. Wenn ja, nach welchen Kriterien erfolgte diese Festlegung?

6. Wenn nein, welcher Konsumeinheit in Gramm entspricht eine solche Streichholzschachtel und nach welchen Kriterien erfolgte diese Festlegung?

Eine Streichholzschachtel Cannabis oder Marihuana entspricht einer Menge von ca. 8 bis 10 g dieser Betäubungsmittelsubstanzen. Der Wert einer Konsumeinheit Haschisch oder Marihuana ist von der jeweiligen Wirkstoffkonzentration der sichergestellten Cannabis-Substanz abhängig und ist von der Rechtsprechung beim Rauchen dieser Betäubungsmittel mit 15 mgTetrahydrocannabiol (THC) bemessen worden. Nach den Erfahrungswerten der Polizei entspricht eine Konsumeinheit etwa einem halben Gramm Haschisch. In Abstimmung mit der zuständigen Behörde ist durch die Verfügung des Leitenden Oberstaatsanwalts vom 10. November 1992, insbesondere auch als Hilfestellung für die Polizeibeamtinnen und -beamten vor Ort, der Inhalt einer Streichholzschachtel Cannabis oder Marihuana (dies entspricht etwa 20 Konsumeinheiten) als Richtwert einer geringen Menge im Sinne des § 31a des Betäubungsmittelgesetzes (BtmG) vorgegeben worden.

7. Hat die „Rundverfügung des Leitenden Oberstaatsanwalts beim Landgericht Hamburg" noch Bestand, bzw. ist sie aktueller Handlungsmaßstab der Strafverfolgungsbehörden in Hamburg?

Die Verfügung des Leitenden Oberstaatsanwalts vom 10. November 1992 wurde aufgrund der Allgemeinen Verfügung der Behörde für Inneres und der Justizbehörde zur Anwendung des § 31a Absatz 1 BtmG vom 10. August 1999 (vgl. Drucksache 16/2912) durch die Verfügung vom 16. September 1999 ersetzt, die nunmehr Geltung hat. Inhaltlich ist die Verfügung im Hinblick auf die Vorgaben zur geringen Menge von Haschisch oder Marihuana zum Eigenverbrauch unverändert geblieben.

8. Wie viele Ermittlungsverfahren wurden in den Jahren 1993 bis heute gegen Konsumenten von Cannabis und Marihuana aufgrund welcher gefundenen Mengen eingeleitet (bitte jahresweise aufschlüsseln)?

In der Polizeilichen Kriminalstatistik werden Vergehen gemäß § 29 BtmG erfaßt.Hierzu gehören sowohl der Besitz als auch der Erwerb von Betäubungsmitteln. Eine Aufschlüsselung allein nach Besitztatbeständen erfordert die Durchsicht aller Ermittlungsakten und ist in der Kürze der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zurVerfügung stehenden Zeit mit vertretbaremVerwaltungsaufwand nicht leistbar. Im übrigen beträgt die Aufbewahrungsfrist der Akten fünf Jahre.Eine Einzelfallauswertung sämtlicherVerfahren im gewünschten Abfragezeitraum ist innerhalb der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich.

10. Kann der Senat erklären, wie er sich eine „Just-in-time"-Produktion von einer Streichholzschachtel Cannabis oder Marihuana pro Konsumentin und Konsument pro Woche/Monat vorstellt (da andernfalls ja nach Meinung des Senats von „Handel" auszugehen und zu bestrafen ist)?

Wird die große Zahl von Heimzüchterinnen und Heimzüchtern von Cannabis oder Marihuana, bei denen sich naturgemäß zumal zur Erntezeit mehr als eine Streichholzschachtel finden lassen dürfte, als Eigenverbrauchskonsument/innen oder Händler/innen eingestuft?

12. Nach welchen anderen Kriterien nehmen Senat bzw.die Strafverfolgungsbehörden hier eine Zuordnung vor?

Der Tatbestand des „unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln" ist nach dem BtmG nicht (allein) von der Menge des Betäubungsmittels abhängig. Hinzu kommen müssen noch andere Kriterien, wie z. B. eine gewinnbringende Verkaufsabsicht des Täters. Allerdings kann der Besitz einer größeren Menge Rauschgift ein Indiz für ein unerlaubtes Handeltreiben im Sinne des BtmG sein. Die auch zum Zwecke des Eigenkonsums angelegte Vorratshaltung von Haschisch oder Marihuana, die den Grenzwert einer geringen Menge übersteigt, erfüllt indes grundsätzlich nicht mehr die Voraussetzungen des § 31a BtmG.

Die Produktion von Cannabis ohne gewinnbringende Weiterveräußerungsabsicht stellt für sich genommen noch kein unerlaubtes Handeltreiben dar, sondern lediglich den unerlaubten Anbau oder die unerlaubte Herstellung von Betäubungsmitteln. Bei beiden Tatbeständen können Verfahren nach § 31a BtmG eingestellt werden. Von dieser Einstellungsmöglichkeit hat die Staatsanwaltschaft in den vergangenen Jahren auch Gebrauch gemacht. Bei Mengen, die den Grenzwert einer geringen Menge im Sinne des § 31a BtmG deutlich überschreiten, kommt eine Einstellung nach § 31a BtmG nicht mehr in Betracht.

Ob ein Fall der unerlaubten Herstellung oder des unerlaubten Anbaus für den Eigenkonsum vorliegt oder ob durch die Herstellung oder den Anbau von Cannabisprodukten der Tatbestand des unerlaubten Handeltreibens erfüllt ist, hängt von den im Einzelfall ermitteltenTatumständen ab.Eine „Faustregel" zur Abgrenzung der geringen Menge für den Eigenkonsum im Sinne des § 31a BtmG ist für den Anbau bzw.die Herstellung von Cannabisprodukten bisher von der Rechtsprechung noch nicht entwickelt worden. Hier muss die Polizei im Einzelfall die erforderlichen Feststellungen treffen, die eine rechtliche Bewertung nach dem Betäubungsmittelgesetz ermöglichen.

B. Polizeiaktion

1. Hält es der Senat für verhältnismäßig, bei Konsumentinnen und Konsumenten von Cannabis mit MEK und gezogener Pistole des Nachts gewaltsam in die Wohnung einzudringen?

2. Müssen Menschen in Hamburg, die kleine Mengen an Drogen zum unmittelbaren Eigenverbrauch erwerben oder besitzen, mit derartigen Aktionen rechnen? Wenn nein, welche zusätzlichen Tatsachen lagen dem der Anfrage zugrundeliegenden Fall vor?

3. Wie begründet der Senat die erwähnte Aktion in Retrospektive angesichts der gefundenen äußerst geringen Menge Cannabis?

Die Polizei ist durch Gesetz verpflichtet, bei jeder Maßnahme den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel zu beachten; hierbei kommt es jeweils auf die Besonderheiten des Einzelfalls an.

Den Fragen liegt offenbar der in der Schriftlichen Kleinen Anfrage (Drucksache 16/3116) angesprochene Sachverhalt zugrunde. Es wird davon abgesehen, Einzelheiten dieses Verfahrens zu benennen, weil die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hamburg in dieser Sache noch nicht abgeschlossen sind (vgl. Drucksache 16/3116).