Integration

8. Ergebnisse der Nichtwählerbefragung

Wie schon in Kapitel 5.1. dargestellt wurde, ist die Wahlbeteiligung bei der Bürgerschaftswahl um über sechs Prozentpunkte zurückgegangen. Damit fügt sich Hamburg in einen bundesweit beobachtbaren, jedoch nicht monotonen Trend der zurückgehenden Wahlbeteiligung ein. In diesem Kapitel sollen daher die Nichtwähler in Hamburg genauer untersucht werden. Zu den methodischen Herausforderungen der Nichtwählerbefragung wurde in Kapitel 5 schon einiges ausgeführt. In diesem Kapitel wird daher zunächst ein Überblick über die bisherige Nichtwählerforschung gegeben, was unter anderem auch daran liegt, dass es zu diesem Gebiet vergleichsweise wenig Forschung gegeben hat und das Feld von einigen Besonderheiten geprägt ist, die hier erwähnt werden sollen. An diesen eher theoretisch orientierten Teil schließt sich die Analyse der Nichtwählerbefragung an, welche insbesondere die Einstellung der Nichtwähler zum neuen Wahlrecht untersucht.

Gegenwärtiger Forschungsstand zum Thema Nichtwahlverhalten

Zu einer der Besonderheiten in der politikwissenschaftlichen Forschung zählt es, dass Nichtwählern bislang relativ wenig Beachtung geschenkt wurde. Während sich die Wahlforschung nach dem zweiten Weltkrieg zu einer der meist erforschten Gebiete der deutschen Politikwissenschaft entwickelte, blieb das Nichtwahlverhalten bis Anfang der neunziger Jahre nahezu unerforscht (Roth 2008: 149-163). Dazu beigetragen hat sicherlich die in Deutschland historisch hohe Wahlbeteiligung im internationalen Vergleich. In den siebziger Jahren wurden mit Wahlbeteiligungen von über 90% Werte erreicht, die vergleichbar mit Staaten sind, in denen eine gesetzliche Wahlpflicht besteht. Aber auch die methodischen Schwierigkeiten der Nichtwählerforschung, die auch in dieser Studie im Kapitel 6 besprochen werden, erschweren eine systematische Analyse von Nichtwählern. Mit zunehmend sinkenden Wahlbeteiligungen rückt seit den neunziger Jahren verstärkt das Nichtwahlverhalten in den Fokus der politikwissenschaftlichen Forschung (Eilfort 1994; Falter, Schuhmann 1994; Feist 1994; Kleinhenz 1995; Völker, Völker 1998). Dabei lassen sich mehrere Forschungsschwerpunkte ausmachen, wie zum Beispiel verschiedene Nichtwählertypologien, die zum besseren Verständnis der späteren Darstellung der Nichtwählerbefragung im Folgenden kurz skizziert werden sollen.

Darstellung verschiedener Nichtwählertypen

Ein zentraler Bereich der Nichtwählerforschung beschäftigt sich mit der Frage, wie man die Nichtwähler zu unterschiedlichen Typen gruppieren kann (Eilfort 1994: 53-60; Kleinhenz 1995: 201-215). Dieser Überlegung geht voraus, dass man bei Nichtwählern nicht von einer homogenen Gruppe ausgehen kann, in der die gleichen politischen Einstellungen vorherrschen. Der teils immer noch verwendete Begriff der „Partei der Nichtwähler" ist daher irreführend, da er eine Homogenität innerhalb der Nichtwählerschaft suggeriert, die so nicht existiert (Eilfort 2009: 4).

Dabei besteht eine Reihe möglicher Kriterien, anhand derer man die Typologien vornehmen könnte. Denkbar wäre eine Einteilung anhand soziodemographischer Merkmale. Hier wird jedoch insbesondere die Dauer der Nichtwahl berücksichtigt, um hieraus unterschiedliche Nichtwählertypen abzuleiten. Dieses liegt insbesondere daran, das anhand dieser Gruppierung am besten festgestellt werden kann, welcher Nichtwählertypus unter Umständen zur Wahlteilnahme bereit wäre. Dabei muss erwähnt werden, dass die ausgemachten Nichtwählertypen sich je nach Wahl und Untersuchung unterscheiden und auch von ihrer Größe her nicht stabil sind, was aufgrund der schwankenden Wahlbeteiligung auch zu erwarten ist. Hinzu kommt die Besonderheit, die schon im Rahmen der methodischen Probleme der Nichtwählerforschung angesprochen wurde. Bei Nichtwähleranalysen muss zwischen bekennenden und potentiellen Nichtwählern unterschieden werden. Letztere geben weder ihre Wahl- noch ihre Nichtwahlabsicht an. In Wahlumfragen antworten diese Personen mit „weiß nicht". Folglich kann bei diesen Personen nur eine Wahlenthaltung vermutet werden. Diese Studie befasst sich ausschließlich mit bekennenden Nichtwählern, also Personen, die im persönlichen Interview ihre Nichtwahl offen angaben. Aufgrund der Fokussierung auf die bekennenden Nichtwähler ist sichergestellt, dass tiefere Begründungen und Motivationen der Hamburgischen Nichtwähler eingehend untersucht werden können.

Es wird an dieser Stelle auf das generelle Dilemma der Erfassung von Nichtwählern in Wahlstudien verwiesen, denn in diesen sind Nichtwähler deutlich unterrepräsentiert. Dieses ist einerseits dadurch bedingt, dass in Wahlstudien Wähler im Vordergrund stehen und andererseits im Allgemeinen bei Nichtwählern ein deutlich geringer ausgeprägtes Interesse zur Beantwortung und zur Teilnahme von Wahlumfragen vorliegt. Im Folgenden werden die zum gegenwärtigen Forschungsstand definierten vier Nichtwählertypen, die in unterschiedlichen Studien identifiziert wurden, kurz erläutert.

Unverschuldete Nichtwähler

Der unverschuldete oder auch „technische" (Hoffmann-Jaberg, Roth 1994: 137) Nichtwähler wird schon in der umfassenden Nichtwählerstudie von Lavies (1973: 49-51) beschrieben.

Hierunter fallen Personen, die durch nicht vorhersehbare Umstände (bspw. Krankheit am Wahltag) nicht an Wahlen teilnehmen konnten. Des Weiteren können technische und auch juristische Rahmenbedingungen wie zum Beispiel durch Todesfälle und Umzüge hervorgerufene Fehler in den Wahlverzeichnissen dazu führen, dass von einer insgesamt erhöhten Wähleranzahl ausgegangen wird. Hierdurch bedingt kann es zu einem sinkenden prozentualen Anteil der Wähler kommen. Lavies schätzt den gesamten Anteil des unverschuldeten oder auch technischen Nichtwählers auf insgesamt ca. vier Prozent.

Der grundsätzliche Nichtwähler

Während der unverschuldete Nichtwähler im Allgemeinen nicht weiter auf politische Einstellungen untersucht wird, rücken die nun folgenden Nichtwählertypen in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses. Der grundsätzliche Nichtwähler (Roth, Wüst 2007: 399) verzichtet im Allgemeinen in einem langfristigen Zeithorizont auf die Partizipation bei Wahlen. Bei diesem Typus ist ein niedriges politisches Interesse und eine hohe Distanz zu den politischen Institutionen vorherrschend. Darüber hinaus lassen sich eine schwache soziale Integration und ein niedriger formaler Bildungsstand feststellen. Kleinhenz (1995: 206) beschreibt Personen, die diesem Typus angehören, als „isolierte Randständige". Nach Roth und Wüst (2007: 399) lassen sich die hierzugehörigen Personen nicht (mehr) zu einer Wahlteilnahme motivieren. Roth und Wüst schätzen den Anteil des grundsätzlichen Nichtwählers an der gesamten Nichtwählerschaft im einstelligen Prozentbereich ein. In dieser Gruppe der Nichtwähler sind Frauen überrepräsentiert (Kleinhenz 1995: 206), ein Befund, der in früheren Studien auch für die gesamte Nichtwählerschaft festgestellt werden konnte (Lavies 1973: 70). In jüngerer Vergangenheit hat dieser Aspekt an Bedeutung verloren. Frauen und Männer bilden gegenwärtig etwa gleichstarke Gruppen innerhalb der Nichtwählerschaft (Bohne 2010: 257). Konjunkturelle Nichtwähler

Während der grundsätzliche Nichtwähler im Allgemeinen als formal niedrig gebildet und politisch desinteressiert gilt, treffen diese Annahmen auf den konjunkturellen Nichtwähler ohne weiteres nicht zu. Der konjunkturelle Nichtwähler schließt eine Wahlteilnahme nicht kategorisch aus. Die konkrete Wahlteilnahme ist von einer Vielzahl von unterschiedlichen Gründen abhängig. Eine zentrale Rolle spielt nach Auffassung mehrerer Autoren die Wichtigkeit, die der Parlamentsebene im politischen System zugeschrieben wird (Eilfort 1994: 299; Roth, Wüst 2007: 395). Wie Abbildung 8.1 zeigt, korreliert die Höhe der Parlamentsebene mit der Höhe der Wahlbeteiligung. Vereinfacht ausgedrückt kann man für das Verhalten des konjunkturellen Nichtwählers zusammenfassen, dass diese sich prinzipiell eher an Wahlen beteiligen, wenn deren Stellenwert als wichtig eingeschätzt wird. Hieraus erklärt sich beispielsweise die unterschiedliche Höhe der Wahlbeteiligung bei Bundes- und Landtagswahlen.