Ärzt/innen und Abschiebungen

In der Vereinbarung zwischen SPD und GAL vom 9. Juli 1999 heißt es: „Für die Feststellung eines Abschiebehindernisses aufgrund eines ärztlichen Attestes ist in Zweifelsfällen die amtsärztliche Begutachtung maßgeblich... Sollte sich die Behörde für Inneres zur Feststellung von Zweifeln eigenen ärztlichen Sachverstandes bedienen, ersetzt dies nicht die Entscheidung eines Amtsarztes."

Hierzu frage ich den Senat.

Die Ausländerbehörde muss ­ wie andere Fachdienststellen auch ­ auf eigenen ärztlichen Sachverstand zurückgreifen können, um insbesondere ihrer Obhutspflicht gegenüber Ausreisepflichtigen nachkommen zu können. Dadurch wird die amtsärztliche Begutachtung, die in Zweifelsfällen für die Feststellung eines Abschiebehindernisses aufgrund eines ärztlichen Attestes maßgeblich ist, selbstverständlich nicht ersetzt.

Die Ausländerbehörde beabsichtigt, für die Dauer eines Jahres zwei Ärztinnen einzustellen, die folgende Aufgaben wahrnehmen sollen:

­ Rücksprache mit niedergelassenen Ärzten, falls deren Atteste pauschal oder unsubstantiiert erscheinen. Mit dieser Rücksprache soll die ggf. notwendige Konkretisierung der Atteste erreicht werden.

Diese Konkretisierung kann gleichzeitig der Vorbereitung amtsärztlicher Untersuchungen dienen.

­ Ärztliche Begleitung von Rückführungen, soweit die Begleitung von einer Amtsärztin / einem Amtsarzt oder vom Verwaltungsgericht für notwendig gehalten werden bzw. sie diesem Vorgehen zugestimmt haben oder wenn sie aufgrund der Feststellungen der behandelnden niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte oder des Krankenhauses erforderlich erscheinen. Soweit die ärztliche Begleitung von Rückführungen durch andere Ärztinnen oder Ärzte erfolgt, ist diese zu koordinieren.

­ Kontaktaufnahme zu den Vertrauensärztinnen und -ärzten deutscher Vertretungen im Ausland; Organisation und Koordination einer eventuellen ärztlichen Inempfangnahme, eventuell auch Klärung der Weiterbehandlungsmöglichkeiten im Heimatland.

­ Im Einzelfall Durchführung einer Untersuchung der Reisefähigkeit am Reisetag, soweit fachlich möglich und notwendig.

Organisatorisch werden die Ärztinnen unmittelbar dem Leiter des Einwohner-Zentralamtes unterstellt.

Soweit eine ärztliche Begleitung ausreisepflichtiger ausländischer Staatsangehöriger nicht durch die Ärztinnen erfolgt, deren Einstellung beabsichtigt ist, wird mit weiteren Ärztinnen/Ärzten jeweils ein auf den Einzelfall bezogener Honorarvertrag geschlossen. Die Zahl der Honorarverträge ist von der Zahl der Fälle abhängig, in denen eine ärztliche Begleitung für erforderlich gehalten wird.Seit April 1999 wurden acht Honorarverträge geschlossen. In sechs Fällen erfolgte eine ärztliche Begleitung bis ins Heimatland, in zwei Fällen wurde die Abschiebung nicht durchgeführt.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. a) Wieviel Haushaltsmittel wurden und werden in den Jahren 1999 und 2000 für die Beschäftigung von Ärzt/innen bei der Ausländerbehörde veranschlagt? Aus welchen Haushaltstiteln werden die Stellen finanziert?

Es sind keine gesonderten Haushaltsmittel veranschlagt. Die Vergütung erfolgt gemäß Artikel 4 Nummer 4 des Haushaltsbeschlusses aus dem Titel „Rückführung von Ausländern" (8010.534.01).

1. b) Wie viele Ärztinnen und Ärzte sind seit April 1999 a) fest und b) auf Honorarbasis bei der Ausländerbehörde eingestellt worden? Wie viele davon im Abschnitt für Rückführungsangelegenheiten (­ E 44 ­)?

c) Wie viele Ärztinnen und Ärzte sollen noch 1999 a) fest, b) befristet und c) auf Honorarbasis eingestellt werden?

c) Wie viele Ärztinnen und Ärzte sollen im Jahr 2000 bei der Ausländerbehörde a) fest, b) befristet, c) auf Honorarbasis eingestellt werden? Wie viele davon im Abschnitt für Rückführungsangelegenheiten?

d) Auf welchen Zeitraum sind bisherige und geplante Einstellungen befristet?

Siehe Vorbemerkung.

2. a) Wie viele Stellen für Ärzt/innen bei der Ausländerbehörde sind bis heute ausgeschrieben worden und wo?

b) Wenn nicht ausgeschrieben worden ist:Warum nicht? Und wie sind die Ärzt/innen dann rekrutiert worden?

Im April 1999 hatte das Einwohner-Zentralamt über den Stellen-Informations-Service des Arbeitsamtes Hamburg Ärztinnen/Ärzte gesucht, die auf Honorarbasis ausreisepflichtige ausländische Staatsangehörige bis zum Zielflughafen des jeweiligen Heimatlandes begleiten, wenn eine ärztliche Begleitung aus medizinischen Gründen erforderlich ist (vgl.Antwort des Senats zu 7.der Schriftlichen Kleinen Anfrage Drucksache 16/2607). Aus zeitlichen Gründen hat das Einwohner-Zentralamt im Einvernehmen mit dem Personalrat von einer Ausschreibung der zwei Stellen abgesehen und mit den Ärztinnen und Ärzten Kontakt aufgenommen, die über das Arbeitsamt Hamburg für eine Begleitung von abzuschiebenden Ausländerinnen/Ausländern empfohlen wurden. Die Personalauswahl erfolgte unter Beteiligung des Personalärztlichen Dienstes des Personalamtes.

2. c) Soll in Zukunft ausgeschrieben werden? Wenn ja: Wo? Wenn nein, warum nicht?

Nein, weil die Maßnahme zeitlich befristet ist.

3. a) Wie begründet der Senat die Einstellung von eigenem ärztlichen Personal bei der Ausländerbehörde bzw. beim Abschnitt für Rückführungsangelegenheiten?

b) Bei welchem Amt, welcher Dienststelle, welcher Behörde liegt die Fachaufsicht über die bei der Ausländerbehörde beschäftigten Ärztinnen und Ärzte?

Siehe Vorbemerkung.

3. c) Welche anderen Ämter, Dienststellen und Behörden haben sich im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Ärzt/innen bei der Ausländerbehörde geäußert?

d) Wie wurde die Beschäftigung von Ärzt/innen bei der Ausländerbehörde in diesen Stellungnahmen beurteilt?

Zu der grundsätzlichen Frage einer Beschäftigung von Ärztinnen/Ärzten bei der Ausländerbehörde haben sich gegenüber der zuständigen Fachbehörde keine anderen Ämter, Dienststellen oder Behörden geäußert. Bezogen auf die konkret beabsichtigte Einstellung von zwei Ärztinnen war bei den im Einwohner-Zentralamt geführtenVorstellungsgesprächen ein Vertreter des Personalärztlichen Dienstes des Personalamtes zugegen, der die beabsichtigten Einstellungen positiv beurteilte.

4. a) Welche Qualifikationsanforderungen wurden und werden an die Ärzt/innen gestellt?

Voraussetzungen waren die Approbation als Ärztin/Arzt sowie hohe soziale Kompetenz.

4. b) Für welche konkreten Aufgaben und Tätigkeitsmerkmale wurden und werden Ärztinnen und Ärzte bei der Ausländerbehörde gesucht? Welche konkreten Arbeitsplatzbeschreibungen liegen für diese Ärzt/innen vor?

5. a) Trifft es zu, dass diese Ärzt/innen auch die Reisefähigkeit von Personen untersuchen sollen, die abgeschoben werden sollen?

b) Wenn ja: Gilt das auch für den Fall, dass bereits ärztliche Atteste über die Reisefähigkeit vorliegen?

c) Soll u.U. auch die Reisefähigkeit am Tag der Abschiebung selbst festgestellt werden?

d) Wenn ja: Wie wird in solchen Fällen die zwischen SPD und GAL vereinbarte letztinstanzliche Entscheidung von Amtsärzt/innen über ärztliche Atteste sichergestellt werden?

6. a) Sollen die neuen Ärzt/innen der Ausländerbehörde im Falle ärztlicher Atteste mit den jeweiligen Ärzt/innen Rücksprache halten?

6. b) Wenn ja: Mit welchem Ziel und mit welcher Kompetenz? Warum wird im Zweifel nicht ein Amtsarzt / eine Amtsärztin eingeschaltet?

7. a) Sollen die Ärzt/innen Abschiebungen begleiten? Wenn ja, in welchen Fällen?

Siehe Vorbemerkung.

7. b) Geht der Senat davon aus, dass eine Reisefähigkeit prinzipiell dann vorliegt, wenn begleitende Ärzte das Überleben während des Transportes sicherstellen?

Nein.

7. c) Wie viele Fälle von ärztlich begleiteten Abschiebungen hat es bisher in diesem Jahr gegeben?

Siehe Vorbemerkung.

7. d) In wie vielen dieser Fälle hat ein ärztliches Attest zur Reiseunfähigkeit vorgelegen?

In zwei Fällen hat seit April 1999 ein aktuelles privatärztliches Attest über die Reiseunfähigkeit vorgelegen.

7. e) Ist in allen diesen Fällen die ärztliche Begleitung nach Einholung einer amtsärztlichen Begutachtung erfolgt?

Ja.

7. f) In wie vielen Fällen haben die begleitenden Ärzt/innen während des Transportes eingreifen müssen? Ist dabei jeweils die Erlaubnis des Flugkapitäns oder anderer autorisierter Personen eingeholt worden?

In zwei Fällen wurden den Betroffenen vor Abflug auf eigenen Wunsch Medikamente verabreicht.

8. a) Trifft es zu, dass es ein von der Ausländerbehörde und dem Präsidenten der Hamburger Ärzt/innenkammer gemeinsam unterzeichnetes Schreiben an die Amtsärzt/innen in bezug auf den Komplex ärztlicher Atteste bei Abschiebungen gibt?

Nein.

8. b) Welchen konkreten Inhalt hat dieser Brief?

c) Enthält dieses Schreiben Hinweise auf Sanktionsmöglichkeiten seitens der Ärztekammer oder anderer Stellen gegenüber Ärzt/innen?

d) Ist in diesem Brief ein Hinweis auf die jüngsten Beschlüsse des Deutschen Ärztetages in Cottbus enthalten? Wenn ja, welcher Art? Wenn nein, warum nicht?

e) In welchen ärztlichen und Kammergremien ist dieser Brief diskutiert und abgestimmt worden?

Entfällt.

9. a) Nach vorliegenden Informationen soll die Ausländerbehörde gegenüber den Gesundheitsämtern darauf hingewiesen haben, dass bei Abschiebungen in die Türkei a) Ärzt/innen bei eventuellen polizeilichen Verhören anwesend und b) eine psychotherapeutische Behandlung in der Türkei „garantiert" seien. Gibt es solche Stellungnahmen der Ausländerbehörde gegenüber Gesundheitsämtern?

Die Feststellung, ob in einem Einzelfall eine solche Stellungnahme abgegeben wurde, würde eine Durchsicht aller für aufenthaltsbeendende Maßnahmen anstehenden Einzelvorgänge erfordern, die in der für die Beantwortung der Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich ist.

9. b) Ist nach Auffassung des Senats eine psychotherapeutische Behandlung in der Türkei „garantiert"? Psychotherapeutische Behandlungen sind nach Auskünften der deutschen Auslandsvertretungen in der Türkei grundsätzlich möglich.

9. c) Spielt es nach Auffassung des Senats in bezug auf die gesundheitlichen Gefahren eine Rolle, ob bei polizeilichen Verhören und Folterungen Ärzt/innen anwesend sind oder nicht?

Sofern Ausreisepflichtigen die konkrete Gefahr einer Folterung droht, nimmt die Ausländerbehörde keine Abschiebungen vor.