Gnadenpraxis in Hamburg

Im Mai und Juni letzten Jahres haben sich 32 Hamburger Amtsrichter an die Justizsenatorin gewandt und die pauschale Gnadenpraxis des Hamburger Senats kritisiert: „Die Vollstreckung rechtskräftiger strafrechtlicher Entscheidungen wird bewußt verhindert, weil sie zu teuer ist." ... „Wir halten es im Hinblick auf die erforderliche Gleichbehandlung von Straftätern für höchst problematisch, wenn Nichtzahler von Geldstrafen belohnt werden, während diejenigen, die Einschränkungen ihrer Lebensführung hinnehmen, um eine Geldstrafe zu bezahlen, das Nachsehen haben." Presseberichten zufolge hat die Justizsenatorin daraufhin geantwortet: „Auch wenn dies den Richtern nicht gefällt, müssen sie akzeptieren, dass diese Frage einer anderen Instanz (dem Senat) zugewiesen ist."... „Gnade heißt immer, dass ein Urteil nicht oder nicht vollständig vollstreckt wird.Wenn ein Richter sich dadurch gekränkt fühlt, hat er das Gnadenwesen nicht verstanden."

Der Senat räumte in seiner Antwort auf eine Große Anfrage ­ Drucksache 16/1044 ­ ein, daß in den Jahren 1996 und 1997 von 4816 eingereichten Gnadengesuchen 2740 stattgegeben wurde. Dies sind 66 Prozent.

Am 9. September 1998 ist das Thema „Gnadenpraxis in Hamburg" debattiert und von seiten der CDU als Eingriff in die dritte Gewalt gerügt worden. Die Justizsenatorin hat in dieser Sitzung die Gnadenpraxis als rechtmäßig und verfassungsgemäß verteidigt.

Aus der Antwort auf die Große Anfrage „Vergabe und Verwendungen von Gutachten" (Drucksache 16/2578) ergibt sich, dass die Justizbehörde im Juli 1998 ein Gutachten zur Prüfung der Rechtmäßigkeit des Gnadenprojekts „Ersatzfreiheitsstrafe" in Auftrag gegeben hat, dessen Ergebnis im Januar 1999 vorliegen sollte.

Anläßlich der Beratung des Berichts des Senats über den Haushaltsverlauf 1999, Einzelplan 2, in der Sitzung des Rechtsausschusses am 26. August 1999 hat der Fragesteller um Übersendung des Gutachtens gebeten, nach dessen Verfasser und dessen Inhalt er jetzt fragt. Das Gutachten ist dem Fragesteller daraufhin als Vorsitzendem des Rechtsausschusses von der zuständigen Behörde mit Schreiben vom 3. September 1999 zur Verteilung an alle Fraktionen im Rechtsausschuß übersandt worden.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. Warum bedurfte es der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Gnadenprojektes „Ersatzfreiheitsstrafe", wenn der Senat der festen Überzeugung war und ist, dass seine Gnadenpraxis weder verfassungswidrig noch rechtsmißbräuchlich ist?

Die Einholung des Gutachtens diente dazu, die Rechtmäßigkeit des Gnadenverfahrens bei Ersatzfreiheitsstrafen gegenüber der im Kreise von Richtern laut gewordenen Kritik durch das Gutachten eines unabhängigen Experten zu untermauern, nachdem die Rechtsausführungen der zuständigen Behörde zur Rechtmäßigkeit des Verfahrens die Kritiker nicht zu überzeugen vermochten.

2. An welchen Gutachter der Universität Frankfurt ging der Auftrag und warum gerade an diesen?

Siehe Vorbemerkung. Der beauftragte Hochschullehrer ist ein renommierter Strafrechtswissenschaftler, siehe auch Drucksache 16/3033.

3. Wann genau erging der Auftrag, und wann wurde das Gutachten in der Justizbehörde ausgewertet?

Die mündliche Beauftragung erfolgte am 15. Juli 1998 und wurde später schriftlich fixiert und von der zuständigen Behörde am 10. November 1998 und vom beauftragten Gutachter am 15. November 1998 unterzeichnet. Das Gutachten wurde nach seiner Ablieferung im Januar 1999 ausgewertet.

4. Zu welchen zusammenfassenden Ergebnissen gelangt der Gutachter?

Siehe Vorbemerkung. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Hamburger Gnadenpraxis sowohl rechtlich zulässig als auch in der Sache geradezu angezeigt ist, vgl. im übrigen Drucksache 16/3033.

5. Hat es nach Vorliegen des Gutachtens Überlegungen gegeben, die Gnadenpraxis zu überdenken?

Nein. Das Gutachten hat die zuständige Behörde vielmehr ausdrücklich darin bestärkt, den beschrittenen Weg fortzusetzen.

6. Ist den oben erwähnten Amtsrichtern das Gutachten zur Kenntnis gegeben worden? Wenn ja: Wann und hat die Justizsenatorin hierzu ein Gespräch mit den Richtern geführt? Wenn nein: Warum nicht?

Das Gutachten ist auf dem Dienstwege über den Präsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts jedenfalls denjenigen sieben Richtern zur Kenntnis gebracht worden, mit denen die zuständige Senatorin am 13. Juli 1998 ein Gespräch zu der von ihnen vorgebrachten Kritik geführt hat. Welchen weiteren Richtern der Präsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts das Gutachten zur Kenntnis gebracht hat, ist dem Senat nicht bekannt.

Die zuständige Senatorin hat die bezeichneten sieben Richter für den 17.Juni 1999 zu einem Gespräch über die Ergebnisse des Gutachtens eingeladen. Die Richter haben die Einladung schriftlich ausgeschlagen mit der Begründung, sie blieben bei ihrer Meinung, deshalb erübrige sich ein Gespräch.

7. Wie viele Gnadengesuche wurden 1998 und 1999 eingereicht, und wie viele wurden positiv beschieden?

Im Jahre 1998 sind 4176 Gesuche eingegangen, im Jahre 1999 bis einschießlich September 3097. Da zur Erledigung von Gnadenverfahren Statistiken nicht geführt werden, wäre zur Ermittlung der Zahl der positiv beschiedenen Fälle eine Auswertung des gesamten Registers erforderlich. Dies ist in der zur Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich.