Mißhandlungsvorwürfe gegen Mitarbeiter der S-Bahn-Wache

Am 4., 5., 6. und 7. Oktober 1999 berichteten die Hamburger Tageszeitungen ausführlich über die Mißhandlung eines Fahrgastes auf dem S-Bahnhof Holstenstraße, der sich am Freitag, den 1.Oktober 1999 zugetragen haben soll. DieVorwürfe richten sich gegen zwei mittlerweile offensichtlich ermittelte Mitarbeiter der Firma Securitas. Durch unbeteiligte Zeugen haben die Vorwürfe zusätzliches Gewicht erhalten. Nicht das erste Mal beschäftigen Vorwürfe gegen private Sicherheitsunternehmen wegen unzulässiger Gewaltanwendung die Öffentlichkeit und das Parlament.

Unter Berücksichtigung von Stellungnahmen der Hamburger Verkehrsunternehmen nimmt der Senat zu der Großen Anfrage wie folgt Stellung.

I. Vorfall vom 1. Oktober 1999

1. Trifft die Meldung zu, dass es mittlerweile konkrete Beschuldigte, denen die Mißhandlung zugerechnet wird, gibt?

Ja.

2. Welcher konkrete Anlaß hat das Einschreiten der Sicherheitsleute ausgelöst?

3. Welchen konkreten Auftrag hatten die beiden Mitarbeiter?

4. Wieso wurden die Sicherheitsleute am Bahnhof Holstenstraße tätig, obwohl doch nach Auskunft der Bahn sich zum fraglichen Zeitpunkt auf dem Holstenbahnhof angeblich kein Mitarbeiter der S-Bahn-Wache befinden konnte?

Es wird aus grundsätzlichen Erwägungen davon abgesehen, zu Einzelheiten eines laufenden Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen.

5. Sind die beiden beschuldigten Mitarbeiter bereits durch weitere Beschwerden innerdienstlich aufgefallen?

In drei Fällen haben sich Fahrgäste über die Festsetzung eines erhöhten Beförderungsentgeltes, in zwei Fällen über das Einziehen ihres Fahrausweises beschwert.

II. Beschwerdelage

1. Wie viele Strafermittlungsverfahren wurden 1997, 1998, 1999 gegen Mitarbeiter der S- und U-Bahn-Wache wegen welcher Vorwürfe geführt?

Über die Gesamtzahl aller Strafermittlungsverfahren, die gegen in den Schnellbahnwachen tätige Sicherheitskräfte im genannten Zeitraum geführt wurden, können keine Angaben gemacht werden: Berufsbezeichnungen und Zugehörigkeit zu einem Sicherheitsunternehmen sind weder in kriminalpolizeilichen noch in staatsanwaltschaftlichen personenbezogenen Sammlungen und Aktennachweissystemen Suchkriterien.Nach Auskunft der Bundesgrenzschutzinspektion Hamburg, bei der einTeil der Vorwürfe gegen Mitarbeiter der S-Bahn-Wache abschließend bearbeitet wird, erfolgt auch im Strafsachenbuch der Ermittlungsgruppen des Bundesgrenzschutzes keine derartige Kennzeichnung.

Anderes gilt nur für die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren der Polizei, in denen den Mitarbeitern der Schnellbahnwachen eine Amtsträgereigenschaft im Sinne des §11 Absatz 1 Nummer 2 StGB zugerechnet wurde oder in Betracht kam. Beim Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) wurden seit 1997 insgesamt 57 entsprechende Ermittllungsverfahren gegen Mitarbeiter der Schnellbahnwachen durchgeführt. Davon 1997 zehn Verfahren, 1998 23 Verfahren und 1999 bisher 24 Verfahren.

Von den 57 beim Dezernat Interne Ermittlungen geführten Verfahren wurden bislang 39 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.

Statistische Angaben zu den übrigen Verfahren, insbesondere zu den im Zuständigkeitsbereich des Bundesgrenzschutzes abschließend bearbeiteten Fällen, waren selbst in der für eine Große Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu erheben, weil eine auch nur annähernd vollständige Erfassung des Aktenmaterials mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich ist (vgl. Antwort zu II. Nummer 1).

3. In wieviel Fällen konnten unbeteiligte Zeugen das Geschehen beobachten und die Angaben der Opfer oder der Sicherheitsleute bestätigen?

In 22 der oben genannten 57 Fälle haben unbeteiligte Zeugen das Geschehen beobachtet und die Angaben der Geschädigten oder Beschuldigten bestätigt. Zu den übrigen Verfahren vgl. Antwort zu II. Nummer 2.

4. In wieviel Fällen haben Mitarbeiter der Sicherheitsunternehmen gegen ihre Kollegen ausgesagt?

Aussagen können nur von Tatbeteiligten oder Zeugen gemacht werden.

In zwei der zu II. Nummer 1 genannten 57 Fälle haben Mitarbeiter von Sicherheitsunternehmen die Beschuldigten durch ihre Aussagen belastet. Zu den übrigen Verfahren vgl. Antwort zu II. Nummer 2.

5. In wieviel Fällen haben sich die Unternehmen von beschuldigten Mitarbeitern getrennt?

Soweit den Hamburger Verkehrsunternehmen bekannt, haben sich die Sicherheitsunternehmen 1998 und 1999 in jeweils zwei Fällen von vorher bei der S-Bahn-Wache eingesetzten Mitarbeitern getrennt.

6. Angeblich soll die am 1. Oktober 1999 mißhandelte Person gezwungen worden sein, „Sieg Heil" zu rufen. In der Vergangenheit hat es wiederholt Vorwürfe gegeben, die Sicherheitsleute im Bereich des ÖPNV in rechtsextremistische Nähe brachten (vgl. stellvertretend Drucksache 16/127: Nazi-Feier auf Alsterdampfer). Auch die „Morgenpost" berichtet am 7. Oktober 1999, dass ein Tischler im Juli Wachleute beobachtet haben will, die sich mit Hitlergruß begrüßt haben sollen. In wieviel Fällen sind den Ermittlungsbehörden im Abfragezeitraum Vorgänge bekannt geworden, die einen rechtsextremistischen oder ausländerfeindlichen Hintergrund hatten?

Die kriminalpolizeilichen bzw.staatsanwaltlichen Aufzeichnungen bzw.Statistiken enthalten keine Angaben über die Zugehörigkeit zu Sicherheitsunternehmen. Im übrigen vgl. Antwort zu II. Nummer 1.

II. 7. Mit welchem Ergebnis sind die Ermittlungen in Sachen „Nazi-Feier auf dem Alsterdampfer" (Drucksache 16/127 vom 9. Dezember 1997) abgeschlossen worden? Sind die seinerzeit beschuldigten Sicherheitsleute noch Mitarbeiter der U- oder S-BahnWache?

Das Ermittlungsverfahren ist am 23. April 1998 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden. Zwei der damals beschuldigten Sicherheitskräfte sind Mitarbeiter der Schnellbahnwachen, drei haben gekündigt.

8. Welche Kontroll- bzw. Dienstaufsichtsmaßnahmen sind von seiten der S-Bahn-Wache im Dienstalltag vorgesehen?

Kontroll- und Dienstaufsichtsaufgaben werden durch den Leiter S-Bahn-Wache sowie den Betriebsleiter, den Einsatzleiter, den zuständigen Wachenleiter und die jeweiligen Einsatzgruppenleiter der beauftragten Firma sowie durch den Bundesgrenzschutz vorgenommen. Daneben werden sämtliche Fahrgasteingaben ausgewertet und nachgeprüft.AufVerlangen des Leiters der S-Bahn-Wachen werden Mitarbeiter der beauftragten Sicherheitsfirmen bei entsprechenden Vorkommnissen umgehend aus der Tätigkeit im Bereich der S-Bahn entfernt.

9. Wie viele Beschwerden hat es über das Einschreiten von Mitarbeitern bei der U- bzw. S-Bahn-Wache im Abfragezeitraum gegeben, die sich unterhalb eines Strafverfahrens bewegten? Um Beschwerden welcher Art handelte es sich?

1997 24 Beschwerden bei 39 759 Maßnahmen zur Wahrung des Hausrechts 1998 56 Beschwerden bei 44 289 Maßnahmen zur Wahrung des Hausrechts 1999 (bis September) 69 Beschwerden bei 41 465 Maßnahmen zur Wahrung des Hausrechts

Die Beschwerden beziehen sich auf angebliches Fehlverhalten (Einschreitverhalten, Gesprächsführung, Kundenorientierung) der Sicherheitskräfte.

10. Trifft es zu, dass Mitarbeiter der im Bereich des ÖPNV eingesetzten Sicherheitsunternehmen angehaltene und überprüfte Personen im Einzelfall fotografisch ablichten und die Fotos als interne Datei benutzen? Geschehen solche Maßnahmen im Einvernehmen mit den Unternehmensleitungen?

11. Aufgrund welcher Rechtsgrundlage und nach welchen Kriterien erfolgt ggf. eine derartige fotografische Erfassung von überprüften Personen, und hat der Datenschutzbeauftragte davon Kenntnis?

Durch die im Bereich der Schnellbahnwachen tätigen Sicherheitskräfte werden keine Personen fotografisch abgelichtet.

III. Fachliche und soziale Kompetenz der Mitarbeiter der S- und U-Bahn-Wachen

1. Nach welchen Kriterien werden Mitarbeiter der Hamburger S- und U-Bahn-Wachen derzeit eingestellt: Werden polizeiliche Führungszeugnisse eingeholt? Welche Kompetenzen müssen die Mitarbeiter mitbringen?

Die bei den Schnellbahnwachen einzusetzenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen folgendeVoraussetzungen erfüllen:

­ einwandfreier Leumund,

­ polizeiliches Führungszeugnis (wird jährlich erneut abgefordert),

­ abgeschlossene Berufsausbildung, ersatzweise eine mehrjährige Tätigkeit in einem verwandten Beruf (z.B. Polizei, Bundesgrenzschutz, Bundeswehr, Zoll),

­ Lebensalter zwischen 25 und 35 Jahren,

­ körperliche Fitneß,

­ soziale Kompetenz (z.B. Ausdrucksfähigkeit, Kontaktbereitschaft, Verbindlichkeit, frei von Vorurteilen gegenüber Minderheiten und Randgruppen, richtige Beurteilung von Situationen, aufmerksam, ruhiges, angemessenes und besonnenes Handeln).

2. Welche Ausbildungsgänge haben Angestellte der U- und S-Bahn-Wachen in der Regel durchlaufen (Ausbildungsinhalte, Stundenzahl, Dauer der Ausbildung)?

Die im Bereich der Schnellbahnwachen tätigen Sicherheitskräfte durchlaufen vor ihrem ersten Einsatz im Außendienst eine viermonatige Grundausbildung, die folgende Ausbildungsinhalte umfaßt:

­ Rechtskunde (100 Stunden),

­ Verhaltenstraining (100 Stunden),

­ unternehmensspezifische Ausbildung (120 Stunden),

­ praktischer Außendienst (80 Stunden),

­ Sport und Selbstverteidigung (80 Stunden),

­ Erste Hilfe (20 Stunden),

­ Brandschutz (20 Stunden),

­ Unterrichtung gemäß § 34 Gewerbeordnung (20 Stunden),

­ Fahrsicherheitstraining (acht Stunden),

­ Sprengstoffseminar (fünf Stunden),

­ Rauschgiftseminar (fünf Stunden),

­ Dienstkunde (15 Stunden),

­ ggf. Zusatzausbildung als Hundeführer.