Datenschutz und Datei über jugendliche Delinquenten bei der Polizei Hamburg
Die „Bild"-Zeitung berichtet am 25.10.2011 unter der Überschrift „AlarmAmpel Neue Datei überwacht jugendliche Gewalttäter", dass „228 Jugendliche seit vier Wochen kontinuierlich beobachtet" würden. In dem Artikel heißt es, dass zur Überwachung der Jugendlichen eine „Taskforce Jugendgewalt" gegründet worden sei, die unter dem Namen „Sachgebiet Obachtverfahren" im Polizeipräsidium angesiedelt sei. Diese neue Abteilung der Polizei Hamburg, in der vier weitere Polizeibedienstete arbeiten, werde von einer Kriminaloberrätin geleitet. Aufgabe des „Sachgebiets Obachtverfahren" sei eine „Zentraldatei, in der alle Jugendlichen geführt werden, die bereits wegen Gewaltdelikten aufgefallen" seien. Diese Zentraldatei könne von der „Innenbehörde, der Polizei, der Sozialbehörde, der Justizbehörde und der Jugendgerichtshilfe" „eingesehen und aktualisiert" werden. In dem Artikel wird die Kriminaloberrätin folgendermaßen zitiert: „Wenn sich bei einem Jugendlichen etwas tut, wissen alle Bescheid, und wir können umgehend Maßnahmen einleiten." Die Zentraldatei würde außerdem nach einem Ampel-Prinzip funktionieren. „Bei Grün ist alles okay. Schwänzt zum Beispiel ein Jugendlicher die Schule, springt die Ampel auf Gelb, womöglich auf Rot", wird die Leiterin des Sachgebietes in der Bild-Zeitung zitiert. In solchen Fällen werde sofort eine „Fallkonferenz angesetzt", die „Hausbesuche oder zusätzliche Betreuungsstunden" zur Folge hätten. Die Ampelbewertungen würden jede Woche von allen beteiligten Behörden neu erstellt. Derzeit sei bei 41 der 288 Jugendlichen die Ampel auf Rot gestellt.
Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte hatte bereits in seinem Tätigkeitsbericht 2008/2009 die „Gemeinsamen Fallkonferenzen über junge Gewalttäter", die im Rahmen des Projekte „Handeln gegen Jugendgewalt" (Drs. 18/7269) stattfinden, kritisiert. Für besonders bedenklich hält der Datenschutzbeauftragte die Tatsache, dass „der Polizei die Koordinierung und Organisation der Fallkonferenzen übertragen wurde", „weil damit alle Informationen über die Betroffenen (dies sind vor allem Kinder, Jugendliche, Erziehungsberechtigte und sonstige Bezugspersonen) dort zusammenlaufen". Befürchtet wird vom Datenschutzbeauftragten, dass „das Prinzip der informationellen Gewaltenteilung, das der Zweckbindung personenbezogener Daten innewohnt", außer Kraft gesetzt wird. Eine gesetzlich zulässige Datenübermittlung dürfe nur in „einer Einbahnstraße zwischen zwei Stellen" geschehen, „weder umfasst Datenübermittlung ein Mithören einer dritten Behörde, noch erlaubt sie eine Rückmeldung der empfangenen Stelle".
Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte hatte in seinem Bericht außerdem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „die Verarbeitung personenbezogener Daten grundsätzlich nur auf gesetzlicher Grundlage oder mit Einwilligung des Betroffenen zulässig" ist.
Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat:
1. Wer hat wann die Einrichtung des „Sachgebiets Obachtverfahren" im Polizeipräsidium beschlossen?
Die Staatsrätelenkungsgruppe hat auf Vorschlag der Amtsleiterrunde „Handeln gegen Jugendgewalt" am 11. Juli 2011 beschlossen, dass der Präsidialstab 3 der Polizei die Federführung für die Durchführung eines Obachtverfahrens als Koordinierungsstelle obliegt.
2. Welche Aufgaben und welche Kompetenzen hat das „Sachgebiet Obachtverfahren" im Polizeipräsidium?
Der Präsidialstab 3 der Polizei ist als Koordinierungsstelle verantwortlich für die behördenübergreifende Beobachtung der besonders gewaltauffälligen Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden, die Koordination der zwischen den Behörden abgesprochenen Maßnahmen sowie die Durchführung von Fallkonferenzen. Gegenüber anderen Behörden hat die Koordinierungsstelle keine Kompetenzen.
3. Aus welchen Rechtsgrundlagen resultieren die unter 2. genannten Aufgaben- und Kompetenzzuweisungen?
Die Befugnis hierfür ergibt sich aus dem Direktionsrecht der Exekutive, das heißt der Behördenleitungen, die ressortintern oder ressortübergreifend entscheiden können, welche Maßnahmen zur Aufgabenwahrnehmung erforderlich sind (Artikel 33 HV, Verwaltungsverfahrensgesetz). Im Übrigen siehe Antworten zu 1. und 2.
4. Wer hat die Rechts- und Fachaufsicht gegenüber dem „Sachgebiet Obachtverfahren"?
Die Aufsicht ist Pflicht der Vorgesetzten und Dienstvorgesetzten. Im Übrigen siehe Antwort zu 1.
5. Welche beruflichen Qualifikationen haben die Leitung und die Mitarbeiter/-innen des „Sachgebiets Obachtverfahren" im Polizeipräsidium hinsichtlich datenschutzrechtlicher Bestimmungen? Welche Fortbildungen haben die Mitarbeiter/-innen des „Sachgebiets Obachtverfahren" hinsichtlich datenschutzrechtlicher Bestimmungen in welchem Umfang absolviert? Bitte detailliert darlegen.
Die Mitarbeiter des Präsidialstabs 3 der Polizei sind Angehörige der Laufbahn des Polizeivollzugsdienstes ab dem ersten Einstiegssamt der Laufbahngruppe 2. Datenschutzrechtliche Bestimmungen sind Bestandteil der Ausbildung der Polizei in dieser Laufbahngruppe. Spezifische Fortbildungen im Sinne der Fragestellung sind nicht vorgesehen. Datenschutzrechtliche Fragen werden vom oder mit dem Justiziariat der Polizei geklärt.
6. Ist es richtig, dass das „Sachgebiet Obachtverfahren" der Polizei Hamburg eine „Zentraldatei" führt, in der personenbezogene Daten von delinquenten Jugendlichen gesammelt und gespeichert werden?
Wenn ja, seit wann und wie heißt diese Datei?
7. Welche Daten werden von wie vielen Kindern, Jugendlichen, Heranwachsenden oder anderen Personen seit wann in der „Zentraldatei" gespeichert? Bitte differenziert beantworten.
Es wird keine Zentraldatei geführt, da die Datei nicht von verschiedenen Dienststellen aus eingesehen oder beschrieben werden kann. Es handelt sich vielmehr um eine Datensammlung. Die Vorbereitungsphase für diese Datensammlung begann am 4. Juli 2011. Die Fertigstellung erfolgte am 26. September 2011. Die Datensammlung heißt „Obachtliste Gewalt unter 21".
Die Obachtlisten stellen auch nicht das aktenführende Verfahren dar. Es wird lediglich auf dem Sharepoint eine Plattform bereitgestellt, auf der drei Arten von Tabellen abgelegt werden, die verschiedenen Berechtigungsstufen unterliegen. Zunächst gibt es eine Eingabetabelle, auf die nur die vier Koordinatoren der Fallkonferenzen in der Koordinierungsstelle sowie drei weitere Mitarbeiter des Präsidialstabs 3 Zugriff haben.
Diese enthält die allgemeinen Daten einer Person, wie Name, Geburtsdatum, Anschrift et cetera, sowie die mit der Person befassten Dienststellen und Ansprechpartner. Ferner gibt es für jede beteiligte Dienststelle eine Eingabetabelle, in die nach festgelegten Kriterien der Status eines Falles aus Sicht der eingebenden Dienststelle eingetragen wird. Hierauf hat nur die jeweilige Behörde, die ohnehin im Besitz der Daten ist, Vollzugriff. Die Koordinatoren in der Koordinierungsstelle sowie die drei Mitarbeiter des Präsidialstabs 3 haben hier jeweils eine Leseberechtigung. Auf die Ausgabetabelle haben ebenfalls nur die Koordinatoren und die vorgenannten Mitarbeiter Vollzugriff.
Hier werden die Gesamtbewertung sowie die Einzelbewertungen nach den Ampelfarben Rot, Gelb, Grün ersichtlich.
Mit Stand vom 27. Oktober 2011 wurden Daten von zehn Kindern, 135 Jugendlichen und 144 Heranwachsenden gespeichert. Die Frage, seit wann die einzelne Person gespeichert wurde, kann aufgrund der händischen Eingabe, deren Datum nicht gespeichert wird, nicht beantwortet werden.
8. Aufgrund welcher Sachverhalte und nach welchen Kriterien wird die Ampel auf Grün, Gelb oder Rot von welchen Behörden, Ämtern oder Stellen gestellt und welche konkreten Maßnahmen erfolgen aus den jeweiligen Ampelstellungen für welche Behörden, Ämter oder Stellen?
Jede mit einem Fall befasste Dienststelle nimmt eine Bewertung anhand abgestimmter Kriterien vor. Die Konsequenzen aus den vorgenommenen Bewertungen werden dann individuell und dem festgestellten Bedarf entsprechend festgelegt. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Kriterien: Kriterien für die Statusmeldung des Familieninterventionsteams (Rot) Hilfen zur Erziehung zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung werden nicht beantragt (Rot) Fachliche Einschätzung, dass Klient mit Jugendhilfemitteln nicht erreichbar ist (Gelb) Klärungsphase der Sachgebiete HzE/Psychologie (Gelb) HzE-Antragsverfahren/Hilfeplanung laufen (Gelb) Hilfeplanüberprüfung erforderlich (Grün) Hilfeplanprüfung ergibt: Angebote werden angenommen (Grün) Absprachen werden eingehalten (Grün) Klient nähert sich Hilfezielen (Grün) Fall steht vor der Abgabe Kriterien für die Statusmeldung der Behörde für Schule und Berufsbildung (Rot) Gewaltmeldung der Schule (Kategorie I-Fälle) (Rot) Vorfall „Gewalt gegen Lehrkräfte" (Rot) Einleitung eines Umschulungsverfahrens nach Gewalthandlungen (Gelb) Gewaltmeldung der Schule (Kategorie II-Fälle) (Gelb) Meldung von Schulpflichtverletzungen (Kriterium: fünf Tage) (Gelb) Eintrag des ZSR-Häkchens (Gelb) Einleitung eines Bußgeldverfahrens (Gelb) Beratungstermine beziehungsweise -angebote werden nicht angenommen (Gelb) Einleitung eines Umschulungsverfahrens wegen Disziplinschwierigkeiten (Grün) Erfolgreiches Ausgleichsgespräch nach einer Gewalthandlung (Grün) Trainingskurs (Verlauf positiv) (Grün) Reintegrationsversuch