Jobcenter

Überlastung des Sozialgerichts Hamburg?

Aufgrund einer immensen Zahl von Widerspruchsverfahren gegen Bescheide der Hamburger Jobcenter kommt es beim zuständigen Sozialgericht Hamburg zu einer Vielzahl von Verfahren. Diese Vielzahl von Verfahren gefährdet die Rechtssicherheit für ALG-II-Empfänger.

Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat:

Die gemeinsamen Einrichtungen nach § 44b Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) ­ Grundsicherung für Arbeitsuchende ­ führen die Bezeichnung Jobcenter (§ 6d SGB II). Die Bundesagentur für Arbeit (BA), vertreten durch die Agentur für Arbeit Hamburg, und die Freie und Hansestadt Hamburg, vertreten durch Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration haben eine gemeinsame Einrichtung gegründet. Es gibt daher in der Freien und Hansestadt Hamburg nur ein Jobcenter.

Der Senat beantwortet die Fragen auf der Grundlage von Auskünften der Bundesagentur für Arbeit ­ Regionaldirektion Nord (RD Nord) und Jobcenter team.arbeit.hamburg (Jobcenter) wie folgt:

1. Wie entwickelte sich in den letzten zwölf Monaten die Anzahl der Widersprüche in den Jobcentern hinsichtlich der Leistungsgewährung nach dem SGB II und XII und gab es dabei örtliche Unterschiede? Die Leistungsgewährung nach dem SGB XII und damit auch die Bearbeitung von Widersprüchen gegen Bescheide des Sozialhilfeträgers gehört nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des Jobcenters.

Im Übrigen siehe Vorbemerkung.

2. Wie lang ist die durchschnittliche Bearbeitungszeit der Widersprüche in den Jobcentern, worin liegen die Ursachen der mitunter mehrere Monate andauernden Wartezeiten und welche Belastungen erwachsen daraus für die Betroffenen?

Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer für die Widersprüche beträgt im Jobcenter für den Zeitraum Januar bis Oktober 2011 nach der Statistik der BA RD-Nord 1,1 Monate.

Die Bearbeitung der Widersprüche von zum Beispiel selbstständigen Leistungsberechtigten erfordert eine umfangreichere Prüfung, bei der insbesondere zusätzliche Unterlagen des Leistungsberechtigten erforderlich sind. Dabei sind je nach Fallkonstellation mehr oder weniger umfangreiche Unterlagen wie betriebswirtschaftliche Auswertungen und Beweismittel jeglicher Art (Kassenaufzeichnungen, Buchführungsunterlagen, Kontoauszüge, Quittungen et cetera) nach Maßgabe der Arbeitslosengeld-IIVerordnung zu berücksichtigen und auszuwerten. Die Unterlagen werden oftmals erst im Widerspruchsverfahren vorgelegt, sodass bis zur Vorlage der Unterlagen der Widerspruch noch nicht entscheidungsreif ist.

Einige Widersprüche betreffen Rechtsfragen, die am Landessozialgericht Hamburg beziehungsweise Bundessozialgericht anhängig sind, sodass diese bis zu deren Entscheidung ruhend gestellt werden. Gleiches gilt für Tatsachenbewertungen in Parallelverfahren beim Sozialgericht. Die Betroffenen klären in der Regel ihre Ansprüche vorläufig in einem gerichtlichen Eilverfahren.

3. Welche Hilfestellungen könnte durch den Senat geleistet werden, um diese Wartezeiten im Sinne der betroffenen Menschen entscheidend zu verkürzen und was hält der Senat auch in diesem Zusammenhang von einer eigenen Hamburger Ombudsstelle?

Die Beurteilung der Frage, ob und welche Maßnahmen zur Verkürzung von Bearbeitungszeiten ergriffen werden, obliegt der Trägerversammlung der gemeinsamen Einrichtung Jobcenter team.arbeit.hamburg. Im Rahmen der Trägerversammlung wird die Entwicklung bei Widersprüchen und Klagen laufend im Rahmen des Controllings ausgewertet und anschließend bewertet. Darüber hinaus wurde im Januar 2011 ein Fachaustausch zwischen der zuständigen Behörde und der Agentur für Arbeit als Träger der Einrichtung zum sogenannten Kundenreaktionsmanagement eingeführt. Damit steht neben dem rein quantitativen Aspekt (Statistik zur Anzahl der Fälle, Bearbeitungsdauer) auch die Qualität der Arbeit im Jobcenter im Fokus.

Zur Verbesserung der Qualität der Sachbearbeitung sowie zur Senkung der Anzahl von Beschwerden, Widersprüchen und Klagen sind verschiedene Maßnahmen geplant beziehungsweise bereits umgesetzt:

- Festlegung eines Anhaltswertes für einen Betreuungsschlüssel im Bereich Leistungsgewährung (1 : 126) durch die Träger zum 1. Januar 2011.

- Inanspruchnahme der internen Beratung der BA zur Optimierung der Prozessabläufe der Rechtsstelle im Bereich Widersprüche und deren Schnittstellen zu den Standorten; Umsetzung der Ergebnisse (Veröffentlichung der Abläufe bei Widerspruchsverfahren mit Infobrief vom 23. Juni 2011).

- Einführung von Standards der Prozess- und Ergebnisqualität im SGB II (Nachfolgesystem Mindeststandards) unter anderem zu Bearbeitungsdauer, Widersprüchen und Klagen sowie Kundenzufriedenheit; die Träger können im Rahmen der Empfehlungen über die grundsätzliche Anwendung der „Mindeststandards" sowie deren Ausgestaltung vor Ort (Schwerpunktsetzung, Tiefe der Zielnachhaltung et cetera) entscheiden. Die Empfehlungen zu Standards sollen demnächst in der Trägerversammlung thematisiert und konkretisiert werden.

- Aufnahme eines Prüfauftrages „Verbesserung des Kundenreaktionsmanagements" in das Arbeitsmarktprogramm 2012.

- Fachlicher Austausch zwischen team.arbeit.hamburg und Sozialrichtern zu Rechtsprechung und Gesetzesänderungen.

Die Einrichtung einer eigenen Hamburger Ombudsstelle wird als nicht sinnvoll erachtet. In erster Linie sollen Beschwerden grundsätzlich vor Ort geklärt werden. Den unmittelbaren Vorgesetzten (Team- und Standortleitungen) und der Geschäftsführung muss die Gelegenheit gegeben werden, auf Auffälligkeiten und negative Entwicklungen angemessen reagieren zu können. Darüber hinaus besteht ein Beschwerdemanagement beim Jobcenter, das direkt bei der Geschäftsführung angesiedelt ist. Ferner können sich die Betroffenen an die aufsichtführende Behörde, die Agentur für Arbeit, das Bürgerbüro, den Eingabenausschuss der Bürgerschaft, den Petitionsausschuss des Bundes oder das zuständige Bundesministerium wenden. Alle diese Beschwerdeinstanzen sind den Betroffenen bekannt und werden auch seit Jahren in Anspruch genommen. Schließlich wird die Geschäftsführung des Jobcenters laufend durch die Träger, weitere Hamburger Behörden, die Agentur für Arbeit, den zentralen Beirat und die Sozialgerichte selbst beraten. Die Einrichtung einer weiteren Beschwerde- und Beratungsinstanz ist daher nicht notwendig.

4. Wie viele Klagen beim Sozialgericht Hamburg gingen aufgrund nicht akzeptierter Widerspruchsbescheide der Jobcenter in 2009 und 2010 ein und kann man von einer weiter anhaltenden Klageflut ausgehen?

Die Anzahl aufgrund nicht akzeptierter Widerspruchsbescheide des Jobcenters eingegangener Klagen wird statistisch nicht gesondert erfasst. Insgesamt sind beim Sozialgericht 2.008 Klagen gemäß SGB II (ohne einstweiligen Rechtsschutz) im Jahr 2009 sowie 2.665 Klagen in 2010 eingegangen. Nach Einschätzung des Sozialgerichtes Hamburg richten sich die Klagen bis auf wenige Einzelfälle gegen das Jobcenter. Den Klagen liegt mit Ausnahme einer geringen Zahl von Untätigkeitsklagen im Regelfall ein nicht akzeptierter Widerspruchsbescheid zugrunde. Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der Klageeingänge beim Sozialgericht Hamburg auf hohem Niveau verbleiben wird.

5. Wie viele Stellen mussten deshalb mit welchem finanziellen Umfang bei dem Sozialgericht Hamburg für welche Bereiche neu eingerichtet werden?

Das Sozialgericht wurde aufgrund der insgesamt zu verzeichnenden Geschäftsentwicklung personell um eine Stelle Richterin/Richter R 1 mit einem Budgetwert von 76.100 Euro (gemäß Personalkostentabelle Stand Dezember 2010) vom 16. Februar 2011 verstärkt.

6. Wie viele der eingereichten Klagen wurden insgesamt abschlägig durch das Sozialgericht Hamburg und wie viele im Sinne der Kläger beschieden?

Quelle: Die Behörde für Justiz und Gleichstellung November 2011

Zu berücksichtigen ist, dass der deutlich überwiegende Anteil der Klageverfahren nach gerichtlicher Sachaufklärung und richterlichem Hinweis ohne gerichtliche Entscheidung endet. In diesem Bereich ist der Anteil der ganz oder teilweise erfolgreichen Klagen nach Einschätzung der Sozialgerichtsbarkeit höher, wird aber statistisch nicht erfasst.

7. Welche Gründe innerhalb der Jobcenter liegen nach Ansicht der Richterinnen und Richter der hohen Klageflut zugrunde?

Der zuständigen Behörde liegen hierzu keine Erkenntnisse vor.

8. Welche Absprachen hat der zuständige Senator mit der Regionaldirektion für Arbeit Hamburg und den zuständigen Arbeitsagenturen getroffen, damit diese Defizite und Mängel in den Jobcentern behoben werden?

Ein Rückschluss von der Zahl an Widersprüchen auf Defizite und Mängel in der Aufgabenerledigung/Qualität der Arbeit des Jobcenters ist nicht möglich. Auch ist diesbezüglich weniger die Zahl der eingelegten Widersprüche und Klagen, als vielmehr die Zahl der Stattgaben zu betrachten. Daher besteht derzeit kein Handlungsbedarf für Absprachen im Sinne der Fragestellung.

Im Übrigen siehe Antwort zu 3.

9. Ist die zuständige Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration bereit, zur Entlastung der Sozialgerichte und zur Rechtssicherheit der Klienten der Jobcenter eine zentrale Überprüfungsstelle einzurichten, die Widersprüche gegen Bescheide vor Klageeinreichung überprüft?

Wenn nein, warum nicht?

Die der zentralen Überprüfungsstelle zugeordnete Aufgabe der Überprüfung von Widersprüchen wird von der Widerspruchsstelle des Jobcenters wahrgenommen. Die Einrichtung einer weiteren Prüfinstanz ist daher nicht notwendig. Im Übrigen siehe Antwort zu 3.