Verletzung der Schulpflicht

Betreff: Verletzung der Schulpflicht in Hamburg. Aktuellen Presseberichten zufolge nimmt Hamburg mit über 1000 Fällen von Schulpflichtsverletzungen pro Jahr bundesweit eine Spitzenposition ein.

Ich frage den Senat:

1. Wie viele Fälle, die in Zusammenhang mit der Verletzung der Schulpflicht stehen, wurden von der Dienststelle Schülerhilfe der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung (BSJB) sowie von den regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren für Schulen (REBUS) im Jahr 1999 bearbeitet?

776 Fälle von Verletzungen der Schulpflicht wurden gemeldet.

2. Wie viele der unter 1. erfragten Fälle sind Wiederholungsfälle?

Dieses Merkmal wird in der Statistik nicht erfasst.

3. Welche Erkenntnisse liegen der BSJB vor über die Verteilung der unter 1. erfragten Fälle von Schulpflichtsverletzung:

a) auf die einzelnen Schulformen?

3. b) auf die einzelnen Schulaufsichtsbezirke?

Dies wird in der Statistik nicht erfasst.

4. Liegen der BSJB Angaben über die Gründe vor, die zur Verletzung der Schulpflicht geführt haben? Wenn ja: Welche Gründe führen mit welcher Häufigkeit zur Verletzung der Schulpflicht? Wenn nein: Aus welchen Gründen nicht?

Nach den Erfahrungen von REBUS (Regionale Beratungs- und Unterstützungsstellen) führen insbesondere folgende Ursachen zur Verletzung der Schulpflicht: Intrapersonale Ursachen (Angst, mangelndes Selbstwertgefühl, Antriebsarmut, pubertäre Identifikationsprobleme, Flucht in Krankheit, Teilleistungsstörungen), besondere familiäre Problemlagen (fehlende Abnabelung, symbiotische Beziehungen, Trennungsprobleme, übermäßige Besorgnis vor Gefahren), dissoziale familiäre Problemlagen (Vernachlässigung, Gleichgültigkeit, Auswirkungen von Armutsproblematik), subkulturelle Problemlagen (z. B. Mädchen in heiratsfähigem Alter aus anderen Kulturkreisen, mangelnde Bedeutung von schulischer Ausbildung), Abdriften von Jugendlichen in andere Milieus (besondere Peergroups, Drogen, Kriminalität, Prostitution), Misserfolgsproblematik in Schule (Überforderung, mangelnde schulische Perspektive), Diskriminierung in Schule (Ausgrenzung durch Mitschüler und/oder Mitschülerinnen, ungelöste Konflikte mit Lehrkräften), nicht ausreichende Betreuung in Heimerziehung (mangelnde Beaufsichtigung/Anregung in Jugendwohnungen und anderen Formen der Heimerziehung, vorzeitige Entlassung aus Heimerziehung), „Lustvolles Schwänzen" ohne deutliche Anteile der vorstehenden Ursachen, eigenmächtige Ferienverlängerung durch Eltern.

Entsprechende quantitative Angaben werden statistisch nicht erfasst.

5. Neben den pädagogischen Maßnahmen und Ordnungsmaßnahmen nach § 49 des Hamburgischen Schulgesetzes (HmbSG) gibt es auch die Möglichkeit, in schwerwiegenden Fällen Bußgeld- oder Strafverfahren nach §§113 und 114 einzuleiten.

Wie oft wurde jeweils in den Jahren 1997 bis 1999 ein Strafantrag von der BSJB nach §114 Absatz 2 HmbSG gestellt?

Wie häufig führte im gleichen Zeitraum der Strafantrag zur Erhebung einer öffentlichen Klage?

1997 und 1999 wurde jeweils ein Strafantrag gestellt mit anschließender öffentlicher Anklage.

In wie vielen Fällen wurde im oben genannten Zeitraum ein Bußgeld verhängt?

In drei Fällen.

6. Welche Vergleichszahlen hinsichtlich der Häufigkeit von Schulpflichtsverletzungen liegen der BSJB aus anderen Bundesländern bzw. Städten mit über 250 000 Einwohnern vor?

Vergleichende Daten liegen der zuständigen Behörde nicht vor.

7. Der Senat gibt in der Antwort zu Frage 6.4 der Drucksache 16/2685 an, dass verschiedene Modelle aus anderen Bundesländern zur Erschließung außerschulischer Lernorte zur Verringerung der Häufigkeit von Schulpflichtsverletzungen ausgewertet und mit Hamburger Schulen im Hinblick auf die Übertragbarkeit von Handlungsansätzen beraten werden.

Konnte mittlerweile die Auswertung dieser Modelle abgeschlossen werden? Wenn nein: Warum nicht?

Vor dem Hintergrund der Veränderungen in der Berufs- und Arbeitswelt, insbesondere der gestiegenen Anforderungen an die Berufsbildung und der zunehmenden Bedeutung der Weiterbildung und des lebenslangen Lernens, aber auch der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Jugendliche heute aufwachsen, hat die zuständige Behörde bei der ehemaligen Leiterin der „Stadt-alsSchule Berlin" die Erstellung einer Expertise zur „Nutzung von außerschulischen Lernorten und Realsituationen für Lernprozesse" in Auftrag gegeben. In dieser Expertise vom September 1999 wurden die zentralen Gestaltungselemente und Erfahrungen des Schulversuchs „Stadt-als-Schule Berlin" sowie vergleichbare Konzepte zum Lernen an außerschulischen Lernorten ausgewertet und für die Weiterentwicklung von Bildungskonzepten an Hamburger Schulen aufbereitet.

Welche konkreten Handlungsansätze wurden erarbeitet und wann sollen sie umgesetzt werden?

In der in der Antwort zu 7.1. genannten Expertise werden zur Nutzung außerschulischer Lernorte drei Grundmodelle empfohlen, die an einem bis drei Tagen je Woche Lernen an einem außerschulischen Lernort vorsehen. Diese Lernzeiten sollen durch besondere Lernaufgaben strukturiert und in das Lernen im Unterricht integriert werden.

Bereits parallel zur Erstellung der Expertise wurden das Konzept „Stadt-als-Schule Berlin" und weitere Modelle zur Nutzung außerschulischer Lernorte im Rahmen von Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen des Instituts für Lehrerfortbildung mit interessierten Schulen erörtert.

Derzeit planen sechs Haupt- und Realschulen die Einbeziehung außerschulischer Lernorte zum 1. August 2000 entsprechend einer der Modellvarianten. Weitere vier Schulen erwägen eine Beteiligung zum 1. August 2000 oder später. Die einzelnen Schulen kooperieren miteinander und erarbeiten gegenwärtig ihre konzeptionellen Vorstellungen für das jeweilige schulspezifische Curriculum. Darüber hinaus beteiligen sich weitere Schulen im Rahmen des Projekts „Trans-Job", das von der Stiftung der deutschen Wirtschaft begleitet wird, an der Entwicklung und Erprobung der Einbeziehung außerschulischer Lernorte.

Welche weiteren ­ über die Erschließung außerschulischer Lernorte hinausgehenden

­ Maßnahmen hält der Senat für geeignet, um die Häufigkeit der Schulpflichtsverletzungen in Hamburg zu verringern?

Vgl. Drucksache 16/2685. Über die dort berichteten Maßnahmen hinaus sollen mit dem weiteren Ausbau von Regionalen Beratungs- und Unterstützungsstellen (REBUS) die infrastrukturellen Voraussetzungen für die Lösung der Probleme verbessert werden, die für das Auftreten von Schulversäumnissen ursächlich sind. Zur Verbesserung der Kooperation zwischen Jugendhilfe, Schulen und Polizei, insbesondere bei Fragen der Jugendkriminalität und des Absentismus, fand am 26. und 27. Januar 2000 für Lehrkräfte und Angehörige der Polizei eine gemeinsame Fortbildung im Institut für Lehrerfortbildung statt.

8. Nach Drucksache 16/2685 bereitet das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) eine Untersuchung über einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Beginn einer kriminellen Karriere und der Verletzung der Schulpflicht vor. Wird sich Hamburg an dieser Untersuchung beteiligen?

Ja.

Wenn ja:

8. a) Wann wird diese Untersuchung durchgeführt?

Geplant ist diese Schülerbefragung für den Zeitraum Ende Februar bis Mitte April 2000.

8. b) Wie sieht der Untersuchungsauftrag genau aus?

Der Forschungsauftrag an das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) ist noch nicht abschließend festgelegt. Eine Wiederholung der Befragung von 1998 soll einerseits der Klärung dienen, ob das damals ermittelte Dunkelfeld (von Opfern berichtete Delikte, ohne dass sie zur Anzeige gebracht werden) gesunken oder gestiegen ist; überdies soll der Zusammenhang zwischen Kriminalität und Schulpflichtverletzungen untersucht werden.

8. c) Welche anderen Bundesländer bzw. Städte beteiligen sich an dieser Untersuchung?

Nach Informationen des KFN beteiligen sich nach dem derzeitigen Planungsstand neben Hamburg die Städte München, Hannover, Leipzig und der Landkreis Friesland an der Studie. Frankfurt erwägt eine Teilnahme.

8. c) In welchem Umfang werden wann die Schülerbefragungen durchgeführt werden?

In Hamburg werden voraussichtlich ca. 200 Klassen mit 3500 bis 4000 Schülerinnen und Schülern aus etwa 150 Schulen in die Untersuchung einbezogen.

8. d) Wann werden nach dem derzeitigen Planungsstand die Ergebnisse der Untersuchung vorliegen?

Wenn nein: Aus welchen Gründen nicht?

Hierzu wurden noch keine Vereinbarungen getroffen.