Zukunft der hörgerichtet-lautsprachlichen Förderung hörgeschädigter Kinder in Hamburg

In Hamburg gibt es zwei Schulen für hörgeschädigte Kinder mit sich stark voneinander unterscheidenden pädagogischen Konzepten, zwischen denen die Eltern der Kinder heute freie Wahl haben.

Nach uns vorliegenden Informationen erwägt die BSJB nun anlässlich des bevorstehenden Ruhestands des Schulleiters der Schwerhörigenschule Hamburg, die Stelle ggf. nicht wieder auszuschreiben und die Schwerhörigenschule mit der Gehörlosenschule (Samuel-HeinickeSchule) zu einer „Hörgeschädigtenschule" zusammenzulegen.

Wir fragen den Senat:

1. Gibt es einen Prüfauftrag im Hinblick auf eine Zusammenlegung der Hamburger Schwerhörigenschule und der Gehörlosenschule zu einer „Hörgeschädigtenschule" und, wenn ja, wie lautet dieser Prüfauftrag konkret?

2. Wer hat diesen Auftrag wem zu welchem Zeitpunkt warum erteilt und wann soll dieser Auftrag abgeschlossen sein?

3. Welche Fragestellungen werden im Rahmen des Prüfauftrags bearbeitet?

a) Inwieweit sind Stellungnahmen der beiden betroffenen Schulen, insbesondere auch der Schulkonferenzen, angefordert und berücksichtigt worden?

b) In welchem Stadium befindet sich die Bearbeitung des Prüfauftrags zurzeit?

c) Wann wird über die Ergebnisse des Auftrags entschieden?

In der zuständigen Behörde werden zurzeit Vorüberlegungen zu der Frage angestellt, ob die beiden Schulen für Hörgeschädigte ­ entsprechend der Organisationsform in den meisten anderen Ländern ­ unter einem Dach organisatorisch zusammengeführt werden sollen. Sollten die Vorüberlegungen zu einem entsprechenden Ergebnis führen, werden alle nach demHamburgischen Schulgesetz vor strukturellen Maßnahmen anzuhörenden Gremien um Stellungnahmen gebeten. Dazu gehören auch die Schulkonferenzen der betroffenen Schulen.

4. Werden im Rahmen des Auftrags die Möglichkeiten geprüft,

a) die mehrfach behinderten Schüler der Gehörlosenschule an den Hamburger Schulen für Körperbehinderte bzw. denen für geistig behinderte Kinder zu beschulen, an denen zum Teil heute schon mit Gebärden gearbeitet wird und Lehrer mit der Fachrichtung Gehörlosenpädagogik unterrichten?

b) die nicht mehrfach behinderten gehörlosen Kinder integrativ mit einem Gebärdendolmetscher an die Regelschule anzugliedern?

c) Wenn nein, warum werden diese Möglichkeiten nicht geprüft?

Diese Fragen werden ­ sofern eine organisatorische Zusammenführung angestrebt werden sollte ­ im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach dem Hamburgischen Schulgesetz (vgl. Antwort zu 1. bis 3.) geklärt.

5. Trifft es zu, dass die Stelle des zu den Sommerferien aus dem Schuldienst ausscheidenden Schulleiters der Schwerhörigenschule nicht wieder ausgeschrieben werden soll?

a) Wenn ja, welches sind die Gründe dafür?

b) Wenn nein, wann wird die Ausschreibung erfolgen?

Die Entscheidung über die Ausschreibung der Stelle der Schulleitung der Schwerhörigenschule Hamburg wird im Zusammenhang mit den organisatorischen Überlegungen zu treffen sein.

6. Wie sieht die Entwicklung der Schülerzahlen in den vergangenen fünf Jahren aus:

a) an der Gehörlosenschule aufgeteilt nach mehrfach behinderten Schülern und gehörlosen Schülern ohne Mehrfachbehinderungen sowie in der gebärdenorientierten Frühförderung?

b) an der Schwerhörigenschule sowie in der hörgerichtet-orientierten Frühförderung?

Siehe Anlage.

7. Wie erklärt sich ein Rückgang bzw. Anstieg der Zahlen?

Die Entwicklung der Zahlen wird außer von der allgemeinen Schülerzahlenentwicklung von

­ der frühen medizinischen Diagnostik von Hörschädigungen,

­ der technischen Entwicklung der Hörgeräte und der Anpassung der Geräte an immer jüngere Kinder,

­ der Versorgung der Kinder mit Cochlea-Implantaten,

­ der Frühförderung und

­ der ambulanten Förderung in der allgemeinen Schule beeinflusst. Diese Entwickungen haben dazu geführt, dass immer mehr Kinder, die früher aufgrund ihrer Hörschädigungen die Schule für Schwerhörige besucht hätten, mit Erfolg die allgemeinen Schulen besuchen können. Außerdem kann eine zunehmende Zahl von Kindern, die früher als gehörlos galten und die Schule für Gehörlose besucht hätten, heute in der Schwerhörigenschule Hamburg gefördert werden.

8. Wie viele Kinder wurden in den vergangenen fünf Jahren von der Schwerhörigenschule

a) nach Durchlaufen der hörgerichteten Frühförderung in Regelschulen integriert?

b) an Regelschulen integrativ betreut?

31 Kinder wurden aus der Frühförderung direkt in allgemeine Schulen eingeschult.

Die Zahl der integriert betreuten Schülerinnen und Schüler betrug (jeweils zu Beginn des Schuljahres) 1995/96: 53, 19996/97: 60, 1997/98: 58, 1998/99: 53 und 1999/2000: 63.

9. Welches pädagogische und organisatorische Konzept soll bei einer Zusammenlegung der Schwerhörigenschule und der Gehörlosenschule verfolgt werden und an welchem Standort soll eine „Hörgeschädigtenschule" stattfinden?

10. Vorausgesetzt, die unbeeinträchtigte Eigenständigkeit der beiden Konzepte nebeneinander und damit die Wahlfreiheit der Eltern soll trotz einer Zusammenlegung erhalten bleiben: Wie wird ausgeschlossen, dass es aufgrund der insgesamt geringen und insbesondere der unterschiedlichen Entwicklung der Schülerzahlen beider Richtungen zu Klassenzusammenlegungen kommt, die den gemeinsamen Unterricht von schwerhörigen, d. h. hörenden, und gehörlosen Kindern zur Folge haben werden und damit zwangsläufig die Aufgabe der unterschiedlichen Ansätze zugunsten der gebärdenorientierten Förderung?

11. Teilt der Senat die Auffassung, dass eine räumliche Zusammenlegung, bei der die methodische Eigenständigkeit beider Richtungen erhalten bleiben soll, eines Gesamt-Schulleiters sowie zweier Schul- oder Abteilungsleiter bedarf, die jeweils die Verantwortung für die Sicherstellung der schwerhörigen- und der gehörlosenpädagogischen Unterrichtsweisen innehaben? Wenn nein: Warum nicht?

Siehe Antwort zu 4.

12. Wie beurteilt der Senat die Vorgehensweise in anderen Bundesländern (z. B. Nordrhein-Westfalen), auch in der Gehörlosenschule nur hörgerichtet frühzufördern?

Der Senat sieht in ständiger Praxis davon ab, Maßnahmen in anderen Ländern zu bewerten.

13. Ist dem Senat bekannt, dass die hörgerichtet arbeitende Frühförderung der Schwerhörigenschule Hamburg bundesweit als besonders effektiv und beispielhaft angesehen wird und, wenn ja, welchen Einfluss hat dies auf eine Entscheidung über die Zukunft der lautsprachlich-orientierten Schwerhörigenpädagogik in Hamburg?

Die bundesweit anerkannte erfolgreiche pädagogische Arbeit der hörgerichteten Frühförderung hängt

­ wie die Erfahrungen zeigen ­ nicht von der Organisationsform ab (siehe auch die Antwort zu 1. bis 3.).

Anlage zur Antwort des Senats