Ratenzahlung

Gnadenpraxis in Hamburg (2)

Über das Begnadigungsrecht sollen besondere, über das übliche Maß hinausgehende und vom Gesetzgeber nicht gewollte Härten im Einzelfall ausgeglichen werden.

Im Gnadenwege sollen keine Gerichtsurteile abgeändert oder aufgehoben werden. Die Urteilsfeststellung und das Strafmaß sind bindend.

Die Gnadenpraxis darf nicht unzulässigerweise dazu benutzt werden, um die Zahl der Strafgefangenen zu verringern. Das Begnadigungsrecht ist kein Mittel, um die völlig überfüllten geschlossenen Anstalten zu entlasten.

Der Erlaß von Ersatzfreiheitsstrafen im Gnadenwege wird in Hamburg nicht in Einzelfällen vollzogen. Vielmehr war die Justizbehörde in den Jahren 1996 und 1997 mit 4816 Begnadigungsfällen befaßt.

Ab Januar 1997 wird der Verzicht auf die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen bei Nichteinbringbarkeit von Geldstrafen in einem Modellprojekt pauschalisiert vorgenommen. Diese Gnadenpraxis wurde trotz zahlreicher Einwendungen und Eingaben Hamburger Richter fortgesetzt und intensiviert.

Bei Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe wird der Vollstreckungsvorgang von Amts wegen an die Gnadenabteilung der Justizbehörde geleitet, wo grundsätzlich wenigstens die Hälfte der Ersatzfreiheitsstrafen im Gnadenwege erlassen wird.

Die Justizbehörde sieht sich in der Durchführung dieser großzügigen Gnadenpraxis durch ein im Januar 1998 vorgelegtes Gutachten eines Frankfurter Rechtsprofessors bestärkt.

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat.

Der Senat hat bereits in seiner Antwort auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drucksache 16/667 und in seiner Antwort auf die Große Anfrage Drucksache 16/1044 ausführlich zu seinem Begnadigungsrecht Stellung genommen: „Das Begnadigungsrecht steht nach Artikel 44 Absatz 1 der Hamburger Verfassung dem Senat zu. Es unterliegt nicht der parlamentarischen Kontrolle. Dies gilt insbesondere und vor allem für die Willensbildung des Senats in diesem Bereich. Im Gnadenwege werden keine Gerichtsentscheidungen abgeändert oder aufgehoben. Die Urteilsfeststellungen und das Strafmaß sind bindend. Vom Begnadigungsrecht werden lediglich die Rechtsfolgen umfaßt. Gnadenerweise sollen Unbilligkeiten bei besonderen, über das übliche Maß hinausgehenden und vom Gesetzgeber nicht gewollten Härten im Einzelfall ausgleichen."

Die Gnadenabteilung der Justizbehörde prüft im Zusammenwirken mit der Staatsanwaltschaft und den Justizvollzugsanstalten von Amts wegen, ob eine angeordnete Ersatzfreiheitsstrafe nach Verbüßung der Hälfte bzw. zum Zweidrittelzeitpunkt im Einzelfall teilweise erlassen werden kann (Gnadenprojekt „Ersatzfreiheitsstrafen"). Dabei werden sowohl die abgeurteilte Straftat als auch die soziale Situation des Verurteilten und die Anzahl der Tagessätze gewürdigt (vgl. insoweit auch die Stellungnahme des Senats zu dem Ersuchen der Bürgerschaft.

Die von den Fragestellern aufgestellte Behauptung, der (teilweise) Erlaß von Ersatzfreiheitsstrafen werde von der Gnadenabteilung der Justizbehörde nicht in Einzelfällen vollzogen, sondern „pauschaliert" vorgenommen, trifft nicht zu. Ebenso unrichtig ist die Darstellung, dass die Gnadenabteilung der Justizbehörde „grundsätzlich wenigstens die Hälfte" der Ersatzfreiheitsstrafe erlasse. Richtig ist vielmehr, daß

­ nach einer Einzelfallprüfung ­ höchstens die Hälfte der Ersatzfreiheitsstrafe erlassen wird.

Auch die Behauptung, die Gnadenpraxis sei von der Gnadenabteilung der Justizbehörde intensiviert worden, ist unzutreffend. Die Gnadenabteilung unterzieht vielmehr seit Beginn des Projekts sämtliche ihr von den Justizvollzugsanstalten von Amts wegen vorgelegten Fälle von Ersatzfreiheitsstrafen einer Einzelfallprüfung. Die Behauptung einer Intensivierung wird auch durch die Entwicklung der Ablehnungsquoten widerlegt. Sie betrugen 1997 56 Prozent, 1998 61 Prozent und 1999 71 Prozent.

In Ermangelung entsprechender Statistiken können nicht alle Einzelfragen beantwortet werden. Es werden nur diejenigen Gnadenverfahren gesondert statistisch erfaßt, die der Gnadenabteilung während der Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Rahmen des Gnadenprojekts „Ersatzfreiheitsstrafen" von Amts wegen vorgelegt werden. Im übrigen stehen in der zuständigen Behörde lediglich das allgemeine Aktenregister sowie die Jahresauswertung 1997 zum Gnadenprojekt „Ersatzfreiheitsstrafen" zur Verfügung. Dem Aktenregister lässt sich nicht entnehmen, ob ein Gnadengesuch von dem Verurteilten oder von sonstigen Personen eingereicht wurde oder ob es von Amts wegen vorgelegt worden ist. Das Aktenregister lässt bei einer Verurteilung zu einer Geldstrafe auch nur die ursprüngliche Verurteilung erkennen, nicht jedoch das Stadium der Vollstreckung und ob bereits ­ wegen Uneinbringlichkeit der Geldstrafe ­ Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet wurde.

Eine Auswertung von 11591 Einzelakten ist selbst in der für die Beantwortung einer Großen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich. Die Beschaffung von Gnadenakten, die bereits größtenteils archiviert sind, und deren Auswertung würde etwa ein Jahr in Anspruch nehmen (siehe Antwort des Senats auf die Große Anfrage Drucksache 16/1044, dort Vorbemerkung und Antwort zu 3.).

Dies gilt auch, soweit die Fragesteller nach der Anzahl der Verbüßungen von Ersatzfreiheitsstrafen fragen. Hierfür wäre eine Einzelanalyse von mehr als 10000 Eintragungen in der Zentralkartei der Justizvollzugsanstalt Suhrenkamp und der Gefangenenkartei der Untersuchungshaftanstalt erforderlich (siehe Antwort des Senats auf die Große Anfrage Drucksache 16/1044).

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

I. Zahlen und Fakten

1. Wie viele Anordnungen von Ersatzfreiheitsstrafen gab es im Zeitraum 1. Januar 1997 bis 31. Dezember 1999?

Die zur Beantwortung dieser Frage benötigten Daten werden von der Staatsanwaltschaft nicht gesondert statistisch erfaßt. Eine Einzelfallauszählung ist selbst in der für die Beantwortung einer Großen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich. Im übrigen siehe Vorbemerkung.

2. Wie viele dieser Personen haben die Haft tatsächlich angetreten?

Siehe Vorbemerkung.

3. a) Wie viele Gnadengesuche sind im Fragezeitraum von Verurteilten eingereicht worden?

1997, 1998 und 1999 wurden insgesamt 11591 Gnadenverfahren von Verurteilten, sonstigen Personen und von Amts wegen registriert. Im übrigen siehe Vorbemerkung.

3. b) Wie viele dieser Personen waren aufgrund einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert?

Siehe Vorbemerkung.

3. c) Wie viele von diesen Gnadenfällen sind im Fragezeitraum der Gnadenbehörde im Fragezeitraum von Amts wegen vorgelegt worden?

Der Gnadenabteilung der Justizbehörde wurden 1997, 1998 und 1999 im Rahmen des Gnadenprojekts „Ersatzfreiheitsstrafen" 3268 Fälle von Amts wegen vorgelegt. Im übrigen siehe Vorbemerkung.

4. a) Wie viele Anordnungen zur Ersatzfreiheitsstrafe waren begnadigungsfähig?

1997,1998 und 1999 wurde im Gnadenprojekt „Ersatzfreiheitsstrafen" in insgesamt 1172 Fällen eine Teilbegnadigung ausgesprochen. Im übrigen siehe Antwort zu I. 3.c) und Vorbemerkung.

4. b) Wie viele wurden überprüft?

Siehe Antwort zu I.3.c).

I. 4. c) In wie vielen Fällen konnte keine Begnadigung erfolgen, weil

­ die Ersatzfreiheitsstrafe für auswärtige Staatsanwaltschaften verbüßt wurde,

­ die Geldstrafe noch bezahlt wurde,

­ die Strafe während des Begnadigungsverfahrens vollständig verbüßt wurde?

Im Gnadenprojekt „Ersatzfreiheitsstrafen" wurde in 542 Fällen ein Gnadenerweis abgelehnt, weil die Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe für eine auswärtige Staatsanwaltschaft erfolgte. In 462 Fällen wurde ein Gnadenerweis abgelehnt, weil die Geldstrafe während der Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe gezahlt wurde. In 379 Fällen wurde ein Gnadenerweis abgelehnt, weil während der (kurzen) Dauer der Verbüßung die für die Entscheidung notwendigen Vollstreckungsakten der Staatsanwaltschaft der Gnadenabteilung der Justizbehörde nicht rechtzeitig vorlagen.

5. In wie vielen Fällen wurden auch begnadigungsfähige Ersatzfreiheitsstrafenfälle von vornherein „aussortiert", weil nach der Anlage des Modellprojektes bestimmte Tätergruppen nicht berücksichtigt werden sollen, weil eine „Begnadigung auf keine Akzeptanz bei Dritten stoßen und damit sozialen Unfrieden bewirken könnte" (Zwischenbericht vom 17. Dezember 1997)?

Im Gnadenprojekt „Ersatzfreiheitsstrafen" wurden in keinem Fall begnadigungsfähige Fälle „vor der Entscheidung aussortiert". Vielmehr wurde im Rahmen der Einzelfallentscheidung berücksichtigt, ob aufgrund des Unrechtsgehalts der Straftat eine Begnadigung bei Dritten nicht auf Akzeptanz stoßen und damit sozialen Unfrieden bewirken könnte. Dieser generalpräventive Aspekt der Gnadenentscheidung findet bei der Beurteilung der Schwere der Schuld Berücksichtigung. Es ist daher ein wichtiges Kriterium für die Beurteilung der Frage, ob im Einzelfall ein Gnadenerweis erfolgen kann.

6. Wie vielen Begnadigungsersuchen wurde nach Bereinigung um die in 4. und 5. genannten Fälle im Berichtszeitraum entsprochen, in absoluten und Prozentzahlen? Wie viele wurden abgelehnt, in absoluten und in Prozentzahlen?

Siehe Antwort zu I. 4. a). Dies entspricht einer Begnadigungsquote von ca. 36 Prozent.

Unter den ­ nicht zutreffenden ­ Prämissen der Fragestellung wurde im Bezugszeitraum bei insgesamt 1885 Gnadenverfahren in 1172 Fällen von Ersatzfreiheitsstrafen eine Teilbegnadigung ausgesprochen.

Eine Ablehnung erfolgte in 713 Fällen. Mithin erfolgte bei einer solchermaßen verengten Betrachtung eine Begnadigung in ca. 62 Prozent der Fälle. Dies entspricht einer Ablehnungsquote von ca. 38 Prozent. Siehe jedoch auch Vorbemerkung.

7. a) Warum wurde das Sonderprojekt „Ersatzfreiheitsstrafe Beförderungserschleichung" (§ 265a StGB) eingerichtet? Wann begann es? Wann endete es? Wird es fortgeführt?

Das auf einen Zeitraum von sechs Monaten angelegte Gnadenprojekt „Beförderungserschleichung" wurde im Zusammenwirken mit der Staatsanwaltschaft mit dem Ziel entwickelt, bei aufgrund von Verurteilungen wegen Beförderungserschleichung (§265a Strafgesetzbuch [StGB]) zu vollstreckenden Freiheits- oder (mehrheitlich) Ersatzfreiheitsstrafen im Einzelfall zu prüfen, ob eine Haftvermeidung unter Auflagen ­ insbesondere des Erwerbs einer Dauerfahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr ­ möglich ist. Beginn des Projekts war der 1. Dezember 1997. Das Projekt wurde zum 31. Mai 1998 beendet. Es wird nicht fortgeführt.

7. b) Wie vielen vorgelegten Gnadenersuchen wurde im Rahmen dieses Sonderprojekts entsprochen?

In 59 Fällen wurde die Strafe nach einer Einzelfallprüfung im Gnadenwege erlassen bzw. teilweise erlassen. In weiteren 132 Fällen ist die Vollstreckung zur Zeit unter Auflagen eingestellt. Sofern diese sich nicht infolge der im Rahmen des Gnadenverfahrens im Einzelfall auferlegten Tilgung der Geldstrafen durch Ratenzahlung oder gemeinnützige Arbeit erledigen, kommt unter der Voraussetzung der Befolgung sonstiger Auflagen ­ z. B. regelmäßiger Erwerb einer Dauerfahrkarte für den öffentlichen Nahverkehr ­ ein Erlaß bzw. Teilerlaß in Betracht. In 286 Fällen erfolgte eine Ablehnung.

8. In wie vielen Fällen lagen der Verhängung von Ersatzfreiheitsstrafen Delikte der Beschaffungs- und Drogenkriminalität zugrunde, in wie vielen Fällen Hausfriedensbruch (§123 StGB)?

Siehe Antwort zu I. 1.

9. Wie viele Personen verbüßten im Berichtszeitraum eine Ersatzfreiheitsstrafe von jeweils welcher Dauer?

Die Zahl der Personen, die 1997, 1998 und 1999 eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt haben, kann nicht benannt werden. Es kann jedoch die Anzahl der Gefangenen mitgeteilt werden, die jeweils am Ersten eines Monats Ersatzfreiheitsstrafen verbüßten.