U-Haft und Jugendstrafvollzug

Aufbau und die Entwicklung von alltagsbezogenen Handlungskompetenzen nehmen einen besonders hohen Stellenwert ein.

Die Probleme im Umgang mit dieser besonders schwierigen Klientel unterscheiden sich im Vollzug nicht grundsätzlich von denen in ambulanten Einrichtungen. Dem Vorteil der ständigen Erreichbarkeit aufgrund der vorübergehenden anfänglichen Geschlossenheit der Einrichtung stehen die sich nachteilig auswirkenden subkulturellen Verhaltensweisen der Insassen gegenüber, die ständig beobachtet, thematisiert und einzelfallbezogen aufgearbeitet werden müssen.

Da in der Verhängung einer Jugendfreiheitsstrafe die „ultima ratio" des JGG gesehen wird, ist die Wahrscheinlichkeit erneuter Delinquenz nach dem Vollzug erfahrungsgemäß relativ hoch.

Bei vorsichtigen Schätzungen muss davon ausgegangen werden, dass etwa die Hälfte der Jugendlichen und Heranwachsenden, die eine Jugendstrafe absitzen müssen, wenigstens ein weiteres Mal in das Gefängnis zurückkehrt und dass bis zu einem Drittel der Verurteilten noch über einen längeren Zeitraum im Kreis von Verbrechen und Strafe verbleibt (Kerner und Jansen, 1996). Jedoch sind derartige Oberflächenbetrachtungen in mehrfacher Hinsicht zu qualifizieren. So müsste insgesamt die Qualität und individuelle Erklärung des jeweiligen Rückfalls wesentlich genauer differenziert werden. Offensichtlich ist es ein erheblicher Unterschied, ob ein wegen schwerer Körperverletzung verurteilter Jugendlicher im Wiederholungsfall wegen eines Ladendiebstahls vor Gericht steht, oder ob das Umgekehrte der Fall ist. Ebenso ist die Wiederholung eines Drogendeliktes anders zu bewerten als die Wiederholung einer Vergewaltigung und dies wiederum anders als der wiederholte gemeinschaftlich begangene Raubüberfall. Der unmittelbaren Rückfallquote, auch wenn man pauschalen Angaben offizieller Statistiken folgen könnte, steht der ebenso gut belegte Befund gegenüber, dass die überwiegende Mehrheit spätestens im mittleren Erwachsenenalter strafrechtlich nicht wieder in Erscheinung tritt. Je größer der gewählte Zeitraum, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Betreffende den Kreislauf von Delinquenz und justitieller Reaktion verlassen hat, was jedenfalls gegen irreversible Kriminalisierungs- oder Labelingeffekte des Gefängnisses spricht (ausführlicher hierzu Greve und Hossa, 1996).

Eine Vielzahl von nationalen und internationalen Studien belegt, dass die ganz überwiegende Anzahl junger Männer delinquentes Verhalten lediglich während der Adoleszenz zeigt (zum Überblick vgl. Greve und Hossa, 1996). Dieser Effekt macht zugleich deutlich, dass die vielfach präsentierte Gegenüberstellung von (hohen) Rückfallraten im Jugendvollzug und (niedrigeren) im allgemeinen Strafvollzug das Resultat einer Entwicklungsdynamik und nicht etwa der differenzielle Effekt eines unterschiedlichen Wirkungsgrades der beiden Vollzugsformen ist.

Bei der Bewertung des Jugendstrafvollzuges darf vor dem aufgezeigten Hintergrund nicht übersehen werden, dass es Jugendliche und Heranwachsende gibt, die nach der ersten Jugendstrafe an der Hürde der Legalbewährung nicht scheitern. Selbst bei pessimistischer Schätzung ist dies annähernd ein Viertel. Das zeigt, dass der Weg ins Gefängnis nicht notwendig der Weg ins Verhängnis sein muss und dass der Jugendstrafvollzug, allerdings nicht allein und auch ohne Garantie eines konkreten Zeitpunktes, mit dazu beitragen kann, dass Jugendliche und Heranwachsende künftig nicht wieder straffällig werden.

Empfehlungen der Kommission Jugendarrestvollzug

Die Jugendarrestanstalt leidet in einer Weise an Personalknappheit, dass ein korrekter Vollzug nicht mehr gewährleistet ist. Wenn die Anstalt über das Wochenende geschlossen werden muss, so findet dies nicht nur keine Grundlage im Gesetz, eine unzureichende Personalausstattung macht auch jeden Versuch hinfällig, die Zeit des Dauerarrestes sinnvoll zu nutzen. Die Kommission verlangt eine adäquate Personalausstattung, wozu eine gründliche Ausbildung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gehört. Ziel muss sein, die volle Funktionsfähigkeit der Anstalt wiederherzustellen, um auch die mit dem Jugendarrest verbundenen Chancen wieder zu nutzen, dem Einzelnen durch praktische Unterstützung bei der Bewältigung seiner konkreten Schwierigkeiten helfen zu können.

Soweit die Jugendarrestanstalt genutzt wird, um offene Wohnmöglichkeiten für diejenigen zur Verfügung zu stellen, die durch richterliche Entscheidungen von der U-Haft verschont werden, muss auch dafür ausreichend Personal zur Verfügung gestellt werden, damit die Voraussetzungen für die Vermeidung von U-Haft erhalten bleiben.

U-Haft und Jugendstrafvollzug (Jugendvollzug)

Die Enquete-Kommission unterstützt das Konzept der Justizbehörde, den Jugendvollzug defizitund bedarfsorientiert auszugestalten. Dabei kommt der Jugenduntersuchungshaft vor dem Hintergrund der im Vergleich zur Jugendstrafhaft höheren Belegungszahlen nach wie vor eine besondere Bedeutung zu. Die Kommission ist der Auffassung, dass neben den bereits vorhandenen beruflichen und schulischen Qualifikationsangeboten eine besonders pädagogische bzw. therapeutische Ausgestaltung der Jugenduntersuchungshaft erfolgen muss. Eine intensive, bisher nicht ausreichende, sozialpädagogische Betreuung muss auch für diese Vollzugsform künftig personell sichergestellt werden.

Aufgrund der bereits in der Untersuchungshaft durch das dort tätige Fachpersonal gewonnenen Erkenntnisse ist eine enge und konzeptionell fest verankerte Zusammenarbeit nicht nur zwischen Jugendgerichtshilfe, Jugendbewährungshilfe und dem Jugendvollzug sondern auch der allgemeinen Jugendhilfe und dem Jugendvollzug sicherzustellen. Beispielsweise sollten grundsätzlich Erziehungskonferenzen des Amtes für Jugend bei Untersuchungs- und Strafgefangenen rechtzeitig in der Anstalt stattfinden, um auch auf die dort vorhandenen Informationen und Erfahrungen zurückgreifen zu können. In diesem Zusammenhang wird eine Überprüfung und ggf. Veränderung der Angebotsstruktur der Jugendhilfe für die zahlenmäßig besonders bedeutsame Gruppe der inhaftierten „Heranwachsenden" von der Enquete-Kommission für erforderlich gehalten.

Die für den Wiedereingliederungsprozess notwendige „Elternarbeit" kann nach Auffassung der Kommission nicht allein vom Jugendvollzug geleistet werden. Die in diesem Zusammenhang stehenden pädagogisch-therapeutischen Maßnahmen einer „Familienzusammenführung" sollten nicht nur in der Haft vorbereitet, sondern auch schrittweise konkret umgesetzt werden. Es gilt hier, behördenübergreifend ein entsprechendes Angebot bereitzustellen und konzeptionell abzusichern mit der Möglichkeit, pädagogisch-therapeutische Elternarbeit auch nach der Haft sicherzustellen bzw. problembelastete Familien während und nach der Entlassung zu unterstützen. Jugendgerichtshilfe und Jugendbewährungshilfe sind an diesem Prozess zu beteiligen.

Aufgrund der fehlenden Angebotsstruktur im jugendpsychiatrischen Bereich ist der Jugendvollzug immer wieder in Einzelfällen vor die von ihm nicht lösbare Aufgabe der Behandlung und Betreuung psychisch kranker junger Gefangener gestellt. Die Kommission fordert daher dringend dazu auf, im erforderlichen Umfang Voraussetzungen zu schaffen, die eine ausreichende stationäre jugendpsychiatrische Versorgung, insbesondere auch für junge Untersuchungs- und Strafgefangene in Hamburg, sicherstellen. Es gilt hier, vordringlich Fehlplatzierungen im Jugendvollzug zu vermeiden. Eine ambulante psychiatrische Versorgung in der Anstalt durch Honorarkräfte ist grundsätzlich nicht ausreichend.

Die Kommission ist sich darüber einig, dass sich aufgrund der besonderen Aufgabenstellung im Jugendvollzug hohe qualitative Anforderungen an die dort tätigen Mitarbeiter ergeben. Für eine erfolgreiche Arbeit ist es notwendig, sich mit dem Erziehungsauftrag zu identifizieren und die Fähigkeit zur Anteilnahme an den oft krisenhaften Lebensumständen der Insassen zu entwikkeln sowie den jungen Gefangenen in seiner Persönlichkeit zu akzeptieren. Die Kommission hält es für unbedingt erforderlich, insbesondere den Allgemeinen Vollzugsdienst in Hinblick auf die notwendigen speziellen Belange des Jugendvollzuges weiter zu qualifizieren. Der Jugendanstalt müssen Mittel bereit gestellt werden, um entsprechende Fortbildungsprogramme entwickeln und durchführen zu können. Nur so können die vorhandenen personellen Ressourcen der Jugendanstalt für einen pädagogisch-therapeutisch ausgerichteten Jugenduntersuchungshaft- und Jugendstrafvollzug in dem notwendigen Umfang genutzt werden.