Erziehung

IV Jugendhilfe rungslosigkeit und Vernachlässigung zurückzuführen (Koettgen, C., 1998a). Frühzeitiges Wahrnehmen von problematischen Entwicklungen und rechtzeitiges Handeln können dazu beitragen, belastende Situationen von Kindern, Jugendlichen und Familien sowie daraus folgende eingriffsintensive Hilfen zu vermeiden. In diesem Zusammenhang hat sich die Kommission mit der Frage befasst, ob das vorhandene Angebot im Bereich „Förderung der Erziehung in der Familie" eine funktionierende Unterstützungsstruktur für Familien darstellt.

Der Leistungsbereich „Förderung der Erziehung in der Familie" wurde mit dem SGB VIII/KJHG neu in den Leistungskatalog der Jugendhilfe aufgenommen (§§ 16 - 21). Er wird durch eine regionalisierte Infrastruktur von unterschiedlichen Institutionen, Instanzen und Trägern in Hamburg wahrgenommen. Die Neufassung dieses Aufgabenfeldes trägt der Tatsache Rechnung, dass einerseits die Familie trotz gewandelter Bedeutung anderer Institutionen eine zentrale Rolle bei der Vermittlung gesellschaftlich anerkannter Werte und der Einübung sozialer Formen des Zusammenlebens ausübt, sie aber gerade wegen gesellschaftlicher Veränderungsprozesse verstärkt auf Unterstützung angewiesen ist. Eine Pluralisierung von Lebensformen, sich verändernde Werte und Normen, ein verändertes Erziehungsklima haben einerseits zu partnerschaftlichen Erziehungsstilen, zum Aushandeln von Regeln geführt, sie haben aber auch Verunsicherungsprozesse hervorgerufen, auf die Jugendhilfe mit vielfältigen Angeboten reagieren muss (vgl. Senat der Freien und Hansestadt Hamburg: Kinder- und Jugendbericht, 1999). Eine zunehmende Ausdifferenzierung von Familienstrukturen stellt erhöhte Anforderungen an Erziehungsleistungen. Aufgabe des Leistungsbereichs „Förderung der Erziehung in der Familie" ist somit die Stärkung der elterlichen Erziehungskompetenz.

Dieser Leistungsbereich, dessen fachliche Grundlage die Globalrichtlinie „Familienförderung und -beratung im Rahmen der Jugendhilfe" (BSJB, Amt für Jugend, Globalrichtlinie GR J/99 vom 21.12.1999) darstellt, enthält für Mütter, Väter und andere Erziehende Angebote wie Familienbildung, Erziehungs- und Familienberatung, Partnerschafts-, Trennungs- und Scheidungsberatung, Sicherstellung von Schutzmaßnahmen über das Familiengericht, Unterstützung bei der Ausübung der Personensorge, des Umgangsrechts und in Unterhaltsangelegenheiten.

Die vielfältigen Beratungs- und Unterstützungsangebote implizieren, dass Probleme im Alltag mit Kindern und ein vorübergehender Unterstützungsbedarf etwas „ganz Normales" in allen Familien sind. Darüber hinaus bieten sie Hilfen für Familien, deren Lebenssituationen mit zusätzlichen Risiken für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen verbunden ist.

Ähnlich wie in anderen Jugendhilfebereichen besteht aufgrund enger finanzieller Ressourcen auch hier die Gefahr einer Konzentration auf die besonders dringlichen Problemlagen und der damit einhergehenden Vernachlässigung der allgemeinen Versorgungsstruktur.

Die Angebote im Leistungsbereich „Förderung der Erziehung in der Familie" zeichnen sich durch niedrigschwellige Zugangswege aus, sie finden mit unterschiedlichen Aufgabenschwerpunkten in folgenden Institutionen und Einrichtungen statt: Vorwiegend beratende Aufgaben übernehmen die Abteilungen Amtsvormundschaft/Beistandsschaft und Allgemeiner Sozialer Dienst der bezirklichen Jugendämter (Unterhaltsansprüche, Ausübung der Personenfürsorge, Trennungs- und Scheidungsberatung, Beratung bei Erziehungsproblemen). Einzelfallbezogene Beratung und therapeutische Begleitung bei Erziehungsproblemen und Familienkonflikten leisten die Erziehungsberatungsstellen in kommunaler und bezirklicher Trägerschaft.

IV Jugendhilfe

Elternschulen, Familienbildungsstätten, Kinder- und Familienhilfezentren, Mütterzentren und Stadtteilzentren bieten unterschiedlichste Gruppenaktivitäten, offene Treffpunkte, Informationen über rechtliche und soziale Themen sowie Beratung und Begleitung im Familienalltag an und fördern Selbsthilfeaktivitäten.

Wie alle kommunalen Jugendhilfeangebote ist auch der Bereich „Förderung der Erziehung in der Familie" ­ soweit in kommunaler Trägerschaft - von den Konsolidierungsmaßnahmen im Hamburger Haushalt betroffen. So wurden von 1997 bis 1999 bei den kommunalen Erziehungsberatungsstellen 8,6 % und beim Allgemeinen Sozialen Dienst 4,9 % der Personalstellen gestrichen; hinzu kommen bewirtschaftete, d. h. nicht besetzte Stellen (1999 waren das 5,3 % des reduzierten Stellenbestandes). In diesem Kontext wird von verschiedenen Kooperationspartnern des ASD innerhalb der Jugendhilfe verstärkt darauf hingewiesen, so auch in der Anhörung der Enquete-Kommission zu „Hilfen zur Erziehung", dass der ASD seine Aufgabe in der prophylaktischen, niedrigschwelligen Arbeit mit Familien aufgrund reduzierter Personalressourcen kaum noch wahrnehme und überwiegend mit Krisenintervention beschäftigt sei.

Einer Intensivierung und Qualifizierung der familienbegleitenden und -unterstützenden Arbeit dient die Vernetzung mit anderen Bereichen der Jugendhilfe bzw. dem Sozial- und Gesundheitswesen. Diese findet sowohl in gemeinsamen, institutionsübergreifenden Projekten als auch auf Ebene von regionalen Gremien statt, wobei bei personellen Engpässen dieser Aufgabenbereich häufig hinter der „Pflichtarbeit" zurücksteht.

Eine institutionalisierte Form dieses Vernetzungsansatzes stellen die in den letzten 3 Jahren entwickelten Kinder- und Familienhilfezentren dar, deren Konzeption eine Bündelung von Hilfen entsprechend kleinräumiger Bedarfe vorsieht.

Bewertung und Empfehlungen der Kommission

Die Enquete-Kommission nimmt eine erhebliche Vernachlässigung des Leistungsbereichs „Förderung der Erziehung in der Familie" innerhalb der Jugendhilfe wahr. Das gegenwärtige Hilfesystem setzt Eltern nicht ausreichend in den Stand, ihrer Verantwortung bei der Erziehung ihrer Kinder gerecht zu werden. Wegen fehlender frühzeitiger Unterstützung bei auftretenden Erziehungsschwierigkeiten, u.a. wegen fehlender personeller Ressourcen im ASD, werden oftmals möglicherweise vermeidbare hochschwelligere Hilfemaßnahmen (Hilfen zur Erziehung) in Anspruch genommen.

Zur Gewährleistung rechtzeitiger Hilfe und Unterstützung für Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsaufgaben erachtet die Kommission folgendes für erforderlich:

- Der Leistungsbereich der Jugendhilfe „Förderung der Erziehung in der Familie" ist auszubauen.

- In Hamburg ist ­ in unterschiedlicher Trägerstruktur ­ ein Netz von allgemeinen Beratungsangeboten für Eltern als Förderung der Erziehung in der Familie zu implantieren, das die unterschiedliche Mobilität von Familien, Kindern und Jugendlichen berücksichtigt.

IV Jugendhilfe

- Diese Angebote sollen eine Lotsenfunktion in der Jugendhilfe und verwandten Leistungsangeboten übernehmen, indem sie den Familien den Zugang zu geeigneten Hilfeund Unterstützungsangeboten und konkrete Lösungen erleichtern.

- Auch in diesem Leistungsbereich sind Strukturen zu entwickeln, die ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit und Autonomie ihrer Nutzer ermöglichen.

- Der prophylaktischen Arbeit des ASD ist durch eine entsprechende Stellenausstattung stärkeres Gewicht zu verleihen.

- Der Ansatz einer sozialräumlichen Bündelung unterschiedlicher Hilfen ­ wie sie z.B. das Modell der Kinder- und Familienhilfezentren vorsieht ­ ist auszubauen.

Es sollten Voraussetzungen zur Herstellung einer bedarfsgerechten Versorgungsstruktur in den Bereichen „Kinder- und Jugendarbeit" und „Förderung der Erziehung in der Familie" geschaffen werden.

Dazu bedarf es nach Ansicht der Enquete-Kommission der Verstärkung von Ressourcen für die beiden Bereiche, die durch eine flexiblere Handhabung des Gesamtetats für Jugendhilfe hergestellt werden sollte:

- Durch Umschichtungen innerhalb des Jugendhilfeetats ist ein höherer Anteil als bisher für die beiden Leistungsbereiche zur Verfügung zu stellen.

- Um flexibel auf sich verändernde Bedarfe reagieren zu können, ist die Deckungsfähigkeit der unterschiedlichen Haushaltstitel herzustellen und eine an sozialräumlichen Indikatoren orientierte Mittelverteilung anzustreben. Die Einführung von Sozialraumbudgets ist zu überprüfen.

- Ein mögliches Instrument zur Absicherung einer frühzeitigen, bedarfsgerechten Unterstützung für Kinder, Jugendliche und Familien sieht die Enquete-Kommission in der Formulierung subjektiver Rechte für einzelne Leistungen (z. B. die Teilnahme an Elternschulkursen oder die Zugänge zu Angeboten der Kinder- und Jugendarbeit).

Hilfen zur Erziehung

Nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz haben Eltern oder andere Personensorgeberechtigte bei der Erziehung eines Kindes oder Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Hilfe zur Erziehung umfasst insbesondere die Gewährung pädagogischer und damit verbundener therapeutischer Leistungen (§ 27 Abs. 1 und 2 KJHG/SGB VIII).

Die erzieherischen Hilfen stellen mit gut einem Viertel der veranschlagten Mittel den zweitgrößten Leistungsbereich im Hamburger Jugendhilfeetat dar (vgl. hierzu IV 3.2.). Dieser Bereich hat in den vergangenen 20 Jahren sowohl strukturell als auch inhaltlich eine tiefgreifende Wandlung erfahren. Zum besseren Verständnis der heutigen Situation werden die wesentlichen Veränderungen nachstehend noch einmal kurz zusammenfassend dargestellt.

Strukturelle Entwicklungen Ausgelöst durch eine bundesweit geführte Fachdiskussion zur Reform der Heimerziehung wurden seit Beginn der Achtzigerjahre vielerorts neue Formen der öffentlichen Erziehung