Erziehung

IV Jugendhilfe schiedlich sind und den Entwicklungsstand und die Bewährung der einzelnen Jugendlichenberücksichtigen und im Verlauf des Aufenthalts eine sukzessive Öffnung der Betreuung erfolgt.

Alle individuell geschlossenen Gruppen verfügen über gesicherte Türen und Fenster, um ein Weglaufen der Jugendlichen aus den Einrichtungen zu erschweren. Die Einrichtungen betonen jedoch selbst, dass die baulichen Vorkehrungen Entweichungen allerdings nicht vollends verhindern. Zur Ausstattung einiger Einrichtungen gehören Isolierräume, die in besonderen Krisensituationen (z.B. zur Durchsetzung von Regeln, nach massiven körperlichen Angriffen auf das Personal oder bei akuter Entweichungsgefahr) genutzt werden.

Wesentlicher Bestandteil des Konzeptes ist die intensive Betreuung der Kinder und Jugendlichen. Die Einrichtungen verstehen sich als pädagogisch-therapeutische Intensivbereiche, in deren Mittelpunkt nicht die Geschlossenheit der Unterbringung sondern intensive pädagogische bzw. therapeutische Bemühungen stehen. Aus diesem Grunde verfügen die Gruppen über eine vergleichsweise gute Personalausstattung (ca. 1:1). Neben Sozialpädagogen und Erziehern werden auch Psychologen und Werkerzieher beschäftigt. Die Beschulung der Jugendlichen erfolgt teilweise in den Gruppenbereichen, teilweise in Heimschulen.

Als Zielgruppe werden besonders schwierige und problembeladene männliche Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsstörungen genannt (aus der Konzeption der teilgeschlossenen Unterbringung, Jugendheim Schönbühl, Baden-Württemberg), die ein breites Spektrum massiver aggressiv-dissozialer Symptome zeigen, Anforderungen, Kontakten und Schwierigkeiten ständig ausweichen und die bisher keine Gelegenheit hatten oder wahrgenommen haben, Bindungen aufzubauen und angebotene Hilfen zu akzeptieren, sondern in offenen Angeboten sich einer Unterstützung durch Weglaufen entzogen haben.

Bei Mädchen werden häufig Streunen, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Begehung von Straftaten und die Gefahr eines Abgleitens in die Prostitution als Gründe für die Unterbringung genannt.

Das Alter der betreuten Kinder und Jugendlichen liegt in der Regel zwischen 12 und ca. 16

Jahren. Die Gesamtdauer der Unterbringung wird z. B. vom teilgeschlossenen Pädagogisch-Therapeutischen Intensivbereich Rummelsberg (Bayern) mit ca. 2 Jahren angegeben.

In ihrer pädagogischen Zielsetzung selbst unterscheidet sich die Arbeit nicht von der in offenen Gruppen: Als wesentliches Anliegen wird die Förderung und Stabilisierung der Persönlichkeit im emotionalen, sozialen und kognitiven Bereich benannt. Hierzu gehören einerseits die Vermittlung von Alltagswissen und lebenspraktischem Können, die Förderung von Lernfähigkeit und -bereitschaft wie auch die Vorbereitung auf einen Schulabschluss oder auf das Berufsleben.

Im pädagogischen Alltag geht es um die Vermittlung von Erfahrungen, die die Jugendlichen in ihrem bisherigen Leben nicht oder nur in sehr unzureichender Weise gemacht haben: Erfahrungen der Grenzziehung und Sanktionierung, Erfahrungen des Angenommenund Ausgehaltenwerdens, Erfahrungen der Bewältigung von Anforderungen. Zwei Aspekte stehen im Vordergrund: Als grundlegend für die Vermittlung von Halt und Orientierung werden überschaubare Strukturen - strukturierte Tagesabläufe, eindeutige Regelwerke, ziel

IV Jugendhilfe gerichtete Freizeitgestaltung und kontrollierte Freiräume - bewertet. Ganz wesentliche Bedeutung wird ferner dem Aufbau einer Beziehung zwischen den Kindern und Jugendlichen und den pädagogischen Fachkräften beigemessen, die sowohl durch klares Grenzensetzen wie auch durch Annehmen der betreuten Person geprägt sei.

Die fachliche Diskussion um die geschlossene Unterbringung

In der fachlichen Diskussion werden von Kritikern sowohl pädagogische als auch strukturelle Argumente gegen die geschlossene Unterbringung Unterbringung geltend gemacht (DPWV/IGFH, 1997).

In der pädagogischen Diskussion stützen Kritiker (DPWV/IGFH, 1997) sich vor allem auf eine in den Achtzigerjahren vom Deutschen Jugendinstitut durchgeführten empirischen Untersuchung (Wolffersdorf, Chr. v. u.a., 1996). Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Unterbringung besonders schwieriger Kinder und Jugendlicher in geschlossenen Einrichtungen oder Gruppen viele der Probleme nicht beseitige und gleichzeitig weitere Schwierigkeiten produziere. In der Kritik stand insbesondere die ­ Gruppenkonflikte erzeugende - Zusammenballung erheblich belasteter Jugendlicher, der als künstlich und auf das reale Leben nicht vorbereitend bewertete Gruppenalltag sowie das ungelöste Problem der Entweichungen auch aus geschlossenen Einrichtungen.

Besonders betont werden die negativen Auswirkungen auf die Struktur des Hilfesystems:

Die Existenz von Sondereinrichtungen als „letzter Auffangstation" erleichtere Betreuungsabbrüche in den Regeleinrichtungen und fördere auf diese Weise im Hilfesystem vorhandene Tendenzen, bei auftretenden Schwierigkeiten die betroffenen Kinder und Jugendliche eher an Spezialisten weiterzuverweisen, anstatt die eigenen Hilfeansätze zu qualifizieren und problemadäquate Hilfen zu entwickeln. Dies belegen die Ergebnisse der zitierten Untersuchung insofern, als die geschlossene Unterbringung der untersuchten Jugendlichen nicht auf der Grundlage einheitlicher Indikationen erfolgt sei, sondern eher das Prinzip „Versuch und Irrtum" Anwendung gefunden habe. Die geschlossene Unterbringung sei somit Teil eines Spezialisierungssystems, das gleichzeitig Unzulänglichkeiten produziere.

Diese Einwände wurden auch im Rahmen der Anhörung „Hilfen zur Erziehung" von den Vertretern der Hamburger Behörden und freien Trägern vorgebracht. Des weiteren wurde angeführt: Unter Bedingungen des Einschlusses sei ein Vertrauensaufbau zwischen Jugendlichen und Erziehern nicht möglich, die betreuten Jugendlichen würden ihre Energie auf die Suche nach Wegen des Entweichens konzentrieren, die Verfügbarkeit geschlossener Unterbringung würde die generelle Bereitschaft der Inanspruchnahme von Hilfe senken, maßgeblich für die Entwicklung des Jugendlichen sei die Qualität der Beziehung des Betreuers zu den Jugendlichen.

Ziel müsse sein, die Angebotsstruktur, die pädagogische Arbeit und die organisatorischen Strukturen insgesamt weiter zu qualifizieren.

Befürworter des Konzeptes der gesicherten Unterbringung wenden demgegenüber ein, dass die Einrichtungen sich deutlich von der ­ zu Recht kritisierten - Praxis der Siebzigerjahre entfernt hätten. Weit häufiger als in früheren Jahren gebe es heute delinquente und dissoziale Kinder, die sich selbst und andere in erhebliche Gefahren brächten, weil sie aufgrund frühkindlicher Mangelerfahrungen nur über unzureichende innere Steuerungs- und Schutzmechanismen verfügten und es nicht gelernt hätten, Aggressivität und Destruktivität zu be

IV Jugendhilfe wältigen (Ahrbeck, B., 1998 und Ahrbeck, B./Stadler, B., 2000). Maßgeblich für eine nachhaltige pädagogische Bearbeitung der innerpsychischen Defizite seien Erziehungskräfte, die bereit und in der Lage seien, den Jugendlichen Halt zu bieten und ihnen in ihrem Handeln Grenzen zu setzen. Hierzu bedürfe es ­ solle die Grenzsetzung nicht folgenlos bleiben realer Möglichkeiten auch in Form institutioneller Vorgaben. Die Institution wird als Hilfsmittel pädagogischer Prozesse bewertet: Entscheidend sei, welche Organisationsform im konkreten Einzelfall Beziehungserfahrungen ermögliche.

Im Rahmen der Anhörung vor der Enquete-Kommission wies der Vertreter einer Einrichtung mit individuell-geschlossener Unterbringung auf seine Erfahrungen mit intensiver offener Betreuung in derselben Einrichtung hin, die belegten, dass ohne äußere Vorkehrungen ein Teil der untergebrachten Jugendlichen auch bei intensivster Betreuung sich der Auseinandersetzung mit den Betreuern entzöge. Gleichwohl sähen sich auch die unter geschlossenen Bedingungen arbeitenden Einrichtungen außerstande, mit jedem der als hochproblematisch ausgewiesenen Jugendlichen zurechtzukommen:

Als Ausschlusskriterien werden zum Beispiel massive Drogenabhängigkeit, geistig behinderte und medizinischer Betreuung bedürftige Jugendliche genannt. Darüber hinaus sind die Einrichtungen bei der Belegung darauf bedacht, Problempotenzierungen oder ungünstige Gruppenkonstellationen zu vermeiden.

Hinsichtlich der Darstellung von Erfolgsquoten bleiben die Angaben vage: Während eine der befragten Einrichtungen äußert, bei ca. 65 % der betreuten Jugendlichen eine positive Entwicklung im Hinblick auf einen oder mehrere Aspekte (Legalbewährung bzw. Verringerung der Straftaten in Quantität oder Qualität und/oder Zugewinn an Qualifikation und/oder positive Bearbeitung der zentralen Problemstellung) zu erreichen, verweist eine andere auf den Mangel an Evaluation. Zwar werde bei den meisten Jugendlichen eine Reduzierung ihrer Probleme erkennbar; präzisere Aussagen zu den (auch langfristigen) Effekten der Arbeit fehlten hingegen (Angaben der Einrichtungen Jugendheim Schönbühl und PTI Rummelsberg gegenüber dem Arbeitsstab).

Eine neuere Evaluation des Konzeptes der geschlossenen Unterbringung am Beispiel eines Mädchenheimes stellt sehr wohl positive Effekte des Heimaufenthaltes fest. Sie kommt hierbei jedoch zu dem Schluss, dass diese vorrangig als Ergebnis gelungener Beziehungsarbeit zu werten seien. Hierfür biete der in der geschlossenen Unterbringung meist übliche Personalschlüssel von 1:1 gute Voraussetzungen (Pankofer, S., 1998).

Modelle aus anderen europäischen Ländern

Auch in anderen europäischen Ländern wird nach neuen Wegen im Umgang mit erheblich problembelasteten und zum Beispiel aufgrund von Delinquenz, Gewaltbereitschaft oder Obdachlosigkeit sozial auffällig gewordenen jungen Menschen gesucht.

Dänemark

Der Umgang mit dem Thema Jugendkriminalität wird in Dänemark durch eine Doppelstrategie bestimmt.