Förderung von Schülern mit Lese-/Rechtschreibschwäche

Das Erlernen des Lesens und der Rechtschreibung vollzieht sich in einem individuell sehr verschieden verlaufenden Lernprozeß. Zu den Voraussetzungen gehören spezifische Sprach- und Sprechfähigkeiten, Fähigkeiten der visuellen und auditiven Wahrnehmung sowie der motorischen Koordination. Über die Bereitschaft zum Lesen und Schreiben von Texten hinaus sind auch die allgemeinen Lernvoraussetzungen von Bedeutung, z. B. Lernfreude und Selbstvertrauen, Konzentrations- und Merkfähigkeit, intellektuelle Neugierde und Lerntempo, sowie die Fähigkeit, mit Mißerfolgen umzugehen.

Eine unberücksichtigte, unerkannte, unbehandelte oder nicht fachgerecht behandelte Legasthenie führt nicht selten zur Ausweitung des Versagens in der Schule auch auf andere Lernbereiche sowie zu schwerwiegenden Störungen der Persönlichkeitsentwicklung.

Dies vorausgeschickt, frage ich den Senat.

Die Ursachen für eine anhaltende Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS) sind vielfältig. Unter dem Begriff „Legasthenie" werden vorrangig psychomotorisch, physiologisch oder psychosozial bedingte Lernstörungen zusammengefaßt, die einer unterrichtsergänzenden lerntherapeutischen Förderung bedürfen. Die wissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass in der weit überwiegenden Zahl anhaltender Lernschwierigkeiten, die zu einer Verzögerung oder Störung des Schriftspracherwerbs führen, auch soziale und intellektuelle Faktoren zu berücksichtigen sind, die in die schülerbezogenen Förderkonzepte systematisch einzubeziehen sind. Vor diesem Hintergrund hat der Senat 1994 das Projekt „Lesen und Schreiben für alle" (PLUS) beschlossen (vgl. Bürgerschaftsdrucksache 15/1540 vom 5. Juli 1994). Im Rahmen dieses Projekts werden in den Jahren 1994 bis 1999 sogenannte Schriftsprachberaterinnen und -berater ausgebildet, die die Klassenlehrerinnen und -lehrer bei der Diagnostik von Lernschwierigkeiten, der Erstellung von individuellen Förderkonzepten und bei der Prävention von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten unterstützen. Sofern unterrichtsergänzende lerntherapeutische Hilfen sich als erforderlich erweisen, erfolgt die Förderung der Schülerinnen und Schüler in Kooperation mit Instituten und frei praktizierenden Therapeuten.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. Wie viele Legastheniker gab es durchschnittlich prozentual

a) gemessen an der Zahl der jeweils in der FHH schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen,

b) gemessen an der Zahl der Bevölkerung der FHH in den Jahren 1990 bis 1997?

Angesichts der fehlenden Trennschärfe des Begriffs „Legastheniker" lässt sich eine Quantifizierung im Sinne der Fragestellung nicht vornehmen. Gegenwärtig werden 0,35 Prozent der Schülerinnen und Schüler einer Jahrgangsstufe (Klassen 2 bis 5) im Rahmen unterrichtsergänzender (lern-)therapeutischer Maßnahmen gefördert. Da diese spezifische Form der Förderung seit 1995 eingeführt und mit dem Fortschreiten des Projekts „Lesen und Schreiben für alle" sukzessive ausgeweitet wird, lassen sich keine Vergleichsdaten zu früheren Jahren angeben. Hinzu kommen 49 Schülerinnen und Schüler verschiedener Schulformen und -stufen, die gemäß §§ 39, 40 Bundessozialhilfegesetz außerschulische Eingliederungshilfen im Bereich Lesen und Schreiben erhalten.

Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Hans-Detlef Roock (CDU) vom 06.03. und Antwort des Senats

Betreff: Förderung von Schülern mit Lese-/Rechtschreibschwäche (Legasthenie) in Hamburgs Schulen

2. In welchem Alter wird bei den Betroffenen die Legasthenie normalerweise erkannt?

Anhaltende Verzögerungen oder Störungen des Schriftspracherwerbs lassen sich mit Hilfe diagnostischer Tests bereits gegen Ende von Klasse 1/erste Hälfte von Klasse 2 verläßlich prognostizieren.

Hingegen lässt sich die Identifikation der jeweiligen Ursachen für die Lernschwierigkeiten nur prozeßbegleitend vornehmen, so dass die Frage, inwieweit (lern-)therapeutische Hilfen in die Förderung einzubeziehen sind, nur fallbezogen geklärt werden kann.

3. Welche Fördermaßnahmen werden in den verschiedenen Klassenstufen und Schularten in welchem Umfang jeweils angeboten?

Die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Lese- und Rechtschreibschwäche reicht von unterrichtsergänzenden Rechtschreibtrainings über (lern-)therapeutische Maßnahmen bis hin zur sonderpädagogischen Förderung, sei es im Rahmen des Schulversuchs „Integrative Regelklasse", sei es im Rahmen der Sprachheilschulen oder der Förderschulen. Eine Quantifizierung der jeweils ergriffenen Fördermaßnahmen im Sinne der Fragestellung lässt sich nicht vornehmen. Die allein im Rahmen des PLUS bereitgestellten Mittel umfassen insgesamt 163 Stellen, von denen neun Stellen zur Finanzierung außerschulischer (lern-)therapeutischer Maßnahmen dienen.

4. Welche Fördermaßnahmen werden in den anderen Bundesländern angeboten, gibt es insoweit signifikante Unterschiede zur Hamburger Praxis, und, falls ja, welche sind dies?

Eine aktuelle Zusammenstellung der in den anderen Bundesländern bereitgestellten Fördermaßnahmen liegt nicht vor und ist in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht durchführbar gewesen.

5. In der Drucksache 15/1540 erklärt der Senat, der Bürgerschaft über die Erfahrungen mit dem Projekt „PLUS" zu gegebener Zeit berichten zu wollen.

a) Wann ist mit der Vorlage dieses Berichts zu rechnen?

Nach Abschluß der Projektphase und Auswertung der Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung; vgl. Drucksache 15/1540 vom 5. Juli 1994.

5. b) Ist es dem Senat möglich, bereits jetzt über erste Erfahrungen vorab zu berichten?

Nein, zumal die Längsschnittstudie der wissenschaftlichen Begleitung noch nicht abgeschlossen ist.

6. Wird in den Schulen der FHH durch entsprechende besondere Zeugnisvermerke ein „Notenschutz" in den von der Rechtschreibung betroffenen Fächern vorgenommen?

Wenn ja, in welcher Form? Wenn nein, weshalb nicht?

Nein. Angesichts der fehlenden Trennschärfe des Legastheniebegriffs lässt sich ein solcher „Notenschutz" nicht begründen. Gleichwohl wird den spezifischen Lernbedingungen von Schülerinnen und Schülern mit Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten bei der Festsetzung der Noten durch die Zeugniskonferenz im Rahmen der Zeugnis- und Versetzungsordnung bzw. der Ausbildungsordnung der integrierten Gesamtschule Rechnung getragen.