Koedukation in Hamburg

In einigen Bundesländern sollen Mädchen und Jungen künftig in bestimmten Fächern getrennt unterrichtet werden können, nachdem entsprechende Modellversuche erfolgreich durchgeführt wurden. Andere Bundesländer praktizieren dieses schon länger. Dazu gehören nach Aussage der Schulbehörde auch Hamburger Schulen, insbesondere für die Fächer Informatik, Physik und Chemie.

Das Hamburgische Schulgesetz (§ 3 Absatz 2) eröffnet Schulen die Möglichkeit, Mädchen und Jungen in einzelnen Fächern zeitweise getrennt zu unterrichten, wenn dies einer zielgerechten Förderung dient. Die Entscheidung, in welchen Fächern, zu welchem Zeitpunkt und für welche Zeitspanne der Unterricht in geschlechtshomogenen Gruppen durchgeführt wird, treffen die jeweils zuständigen Gremien vor Ort.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. An welchen Hamburger Schulen werden Mädchen und Jungen in welchen Fächern und Klassenstufen getrennt unterrichtet?

Die zuständige Behörde führt keine Statistik darüber. Eine vollständige Übersicht konnte in der Kürze der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht erstellt werden. Beispielhaft genannt seien folgende Schulen, an denen der Unterricht in einzelnen Fächern zeitweilig in geschlechtshomogenen Gruppen durchgeführt wird:

­ Sport Gesamtschule Öjendorf in Jahrgang 10 (Wahlpflichtbereich) Geschwister-Scholl-Gesamtschule in Jahrgang 7 (Wahlpflichtbereich) Gesamtschule Steilshoop in Jahrgang 9 und 10 (Wahlpflichtbereich) Bruno-Tesch-Gesamtschule und Gesamtschule Bergedorf in Wahlpflichtkursen

­ Physik Otto-Hahn- und Julius-Leber-Schule in Jahrgang 8

­ Chemie Julius-Leber-Schule in Jahrgang 8

­ Informatik Gesamtschule Steilshoop in den Jahrgängen 9 und 10 (Wahlpflichtbereich)

­ Arbeitslehre Jahnschule in Jahrgang 10 (Berufsorientierung) Gesamtschule Bergstedt zeitweise ab Jahrgang 6

Am Gymnasium Ohmoor und am Helene-Lange-Gymnasium werden die Fächer Sport, Informatik und Physik zeitweilig in geschlechtshomogenen Gruppen unterrichtet.

2. Seit wann gibt es diesen getrennten Unterricht?

Bereits Ende der achtziger Jahre wurde an einzelnen Schulen phasenweise getrennter Unterricht, z.B. in den Naturwissenschaften, durchgeführt (vgl. „Hamburg macht Schule", Heft 5/1989). Anlaß dafür waren die beobachtete Dominanz der Jungen im Unterricht der naturwissenschaftlichen Fächer sowie in Informatik auf der einen und die Distanz der Mädchen zu diesen Fächern auf der anderen Seite.

Schriftliche Kleine Anfrage der Abgeordneten Karen Koop (CDU) vom 09.03. und Antwort des Senats

Betreff: Koedukation in Hamburg.

3. Aufgrund welcher Untersuchungen wurde der getrennte Unterricht eingeführt?

1989 gab die zuständige Behörde die Studie „Mädchen und Naturwissenschaften in der Schule" in Auftrag. Aufgabe der Untersuchung war es, Daten zur Leistungsentwicklung und zum Wahlverhalten von Hamburger Schülerinnen und Schülern in mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Fächern zu erheben, Ursachen für die beobachtete Distanz von Mädchen zu Naturwissenschaften und Mathematik herauszufinden und Vorschläge für Maßnahmen zum Abbau geschlechtsspezifischer Benachteiligungen in der Schule zu entwickeln.

Die Untersuchung kam unter anderem zu dem Ergebnis, dass es sinnvoll sein kann, zeitlich begrenzt naturwissenschaftliche Fächer in geschlechtshomogenen Gruppen zu unterrichten (Heinrichs, Ute, Schulz, Thomas: „Mädchen und Naturwissenschaften, Teil I: Geschlechtsspezifische Unterschiede in Zensuren und Wahlverhalten in der Sekundarstufe I und der Sekundarstufe II, Teil II: Einstellung von Mädchen und Jungen zu den Fächern Physik und Geschichte/Politik", Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung, Hamburg 1989).

Inzwischen liegen vielfältige Untersuchungen zur zeitweisen Trennung von Mädchen und Jungen ­ insbesondere in den naturwissenschaftlichen Fächern ­ vor, z. B. ­ Hoffmann, Lore: „Chancengleichheit ­ Veränderung des Anfangsunterrichts Physik/Chemie unter besonderer Berücksichtigung der Kompetenzen und Interessen von Mädchen"; BLK-Modellversuch, Kiel 1995;

­ Horstkemper, Marianne: „Geschlechtsspezifische Sozialisation von Mädchen und Jungen"; Dokumentation des GEW-Kongresses in Magdeburg 1995;

­ „Konfliktbewältigung für Mädchen und Jungen": BLK-Modellversuch, Berlin 1997;

­ Frank, Elisabeth: „Schule der Chancengleichheit, Impulse für eine qualifizierte Koedukation am Beispiel eines Schulversuchs Physik", Landesinstitut für Erziehung und Unterricht, Stuttgart 1997;

­ Frank, Elisabeth, und Jung, Brigitte: „Schulversuch Physik, Mädchen im Physikunterricht", Landesinstitut für Erziehung und Unterricht, Stuttgart 1997;

­ Faulstich-Wieland, Hannelore, und Horstkemper, Marianne: „Trennt uns bitte, bitte nicht ­ Koedukation aus Mädchen- und Jungensicht", Opladen 1995.

4. Wie wird der getrennte Unterricht von Schülern, Eltern und Lehrern angenommen und beurteilt?

Eine systematische Erhebung wurde in Hamburg bisher nicht durchgeführt. Alle Maßnahmen zur phasenweisen Bildung von geschlechtshomogenen Lerngruppen wurden im Einvernehmen mit den Beteiligten eingerichtet (vgl. Vorbemerkung). Bei allen der zuständigen Behörde bekannten Maßnahmen innerhalb und außerhalb Hamburgs sowie bei Modellversuchen zur zeitweisen Trennung von Jungen und Mädchen im Unterricht wurden gleichzeitig auch die didaktisch-methodischen Konzeptionen des Unterrichts verändert. Damit wurde den unterschiedlichen Interessen und Zugängen von Mädchen und Jungen zu den Unterrichtsinhalten Rechnung getragen. Unter diesen Bedingungen liegen bisher überwiegend positive Erfahrungen mit der zeitweisen Trennung vor. Eine dauerhafte Trennung befürworten weder die Schülerinnen und Schüler noch die Lehrkräfte.

5. Unter welchen Voraussetzungen wird an Hamburger Schulen getrennt unterrichtet?

6. Ist eine Ausweitung des getrennten Unterrichts geplant? Wenn ja, wo (d.h. in welchen Schulen für welche Altersstufen und Unterrichtsfächer)? Wenn nein, warum nicht?