Einführung der Verlässlichen Halbtagsgrundschule in Hamburg

Mit Beginn des Schuljahres 1999/2000 hat Hamburg die Verlässliche Halbtagsgrundschule (VHGS) als einziges Bundesland flächendeckend eingeführt.

Ziel der VHGS ist es zum einen, allen Kindern mehr Zeit zum Lernen zu geben und ein neues pädagogisches Konzept umzusetzen.Lernen, Spielen und Bewegung, Fördermaßnahmen und freie Gestaltung finden im Wechsel statt. Das neue Konzept fördert zudem das Lernen von Arbeitstechniken und Arbeitsformen, wie offenen Unterricht. Auch der Entwicklung von Fähigkeiten im bildnerischen und musikalischen Bereich kann durch die VHGS mehr Gewicht eingeräumt werden.So wird die Grundschule darin gestärkt, nicht nur ihrem Bildungsauftrag, sondern auch ihren wachsenden sozialen Aufgaben gerecht zu werden.

Zum anderen werden die Grundschülerinnen und Grundschüler ab der 1. Klasse verlässlich von 8 Uhr bis 13 Uhr betreut. Das ist für alle Eltern ­ nicht nur für berufstätige ­ eine entscheidende Verbesserung. Mit der Einführung der Verlässlichen Halbtagsgrundschule hat Hamburg innerhalb der Bundesrepublik eine Vorreiterfunktion übernommen und schließt als erstes Bundesland an europäische und internationale Standards an.

Nach Abschluss der vierjährigen Einführungsphase ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen und zu überprüfen, ob die pädagogische Arbeit erfolgreich umgesetzt werden kann und die räumliche, personelle und sachliche Ausstattung der VHGS die selbst gesteckten Ziele erfüllt.

Die Hamburger Grundschulreform gilt bundesweit als richtungweisend. Hamburgs Grundschülerinnen und Grundschülern steht die mit deutlichem Abstand meiste Lernzeit im Vergleich der Bundesländer zurVerfügung.Eine flächendeckende Einführung der Halbtagsgrundschule ist außerhalb Hamburgs bisher nur in Rheinland-Pfalz erfolgt. Allerdings ist dort die Stundentafel geringer ausgestattet, da sie für die ersten und zweiten Klassen Unterricht im Umfang von nur täglich vier Zeitstunden vorsieht.

Die zuständige Behörde hat die Einführung der Verlässlichen Halbtagsgrundschule (VHGS) in Hamburg in einem Abschlussbericht dokumentiert. Die umfassende Bilanz wurde am 14. September 2000 der Öffentlichkeit vorgestellt und wird in großer Auflage in Form einer Broschüre den Schulen und allen anderen Interessenten zugänglich gemacht. Die Antworten auf die einzelnen Fragen stützen sich zum größten Teil auf diesen Abschlussbericht „Einführung der Verlässlichen Halbtagsgrundschule in Hamburg" und die wissenschaftliche Begleitung einschließlich einer Stichprobenerhebung von Prof.Dr.Heinz Günter Holtappels von der Hochschule Vechta, deren Ergebnisse zur Schulleitungs-, Lehrer- und Elternperspektive in dem Bericht „Entwicklung von Primarschulen zu Verlässlichen Halbtagsgrundschulen in Hamburg" zusammengefasst worden sind1.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1 Während die Stichproben für die Schulleitungen und Eltern wegen ihrer Größe und Struktur als repräsentativ gelten können, ist dies für die Stichprobe der Lehrkräfte wegen der geringen Rücklaufquote nicht gegeben. Die Prozentangaben beziehen sich jeweils auf die Gesamtheit der gegebenen Antworten.

I. Lernen im kindgerechten Zeitrhythmus

1. Wochenstrukturpläne

Der erweiterte Zeitrahmen der Verlässlichen Halbtagsgrundschule ermöglicht ein Lernen im kindgerechten Zeitrhythmus. In den Schulen wurden in Abstimmung mit dem Elternrat Wochenstrukturpläne erarbeitet. Hierin wurden festgelegt:

­ die Anfangs- und Schlusszeiten für den verbindlichen Unterricht,

­ die Dauer der Unterrichtsphasen und der Pausen,

­ ggf.Zeiten für jahrgangsübergreifende Unterrichtsangebote wie Wahlpflichtbereich „Musische Erziehung", Morgenkreis, gemeinsames Frühstück, Wochenabschlusskreis.

a) Welche Erfahrungen wurden in den Schulen mit der Erstellung der Wochenstrukturpläne gemacht?

Alle Grundschulen erhielten vor Einführung der VHGS den Auftrag, vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Entwicklung und auf der Grundlage der schulspezifischen Rahmenbedingungen ein eigenes Konzept der VHGS zu entwickeln, es in der Schulkonferenz zu beraten und dort zu beschließen.

Eine der Aufgaben der Schulen in diesem Zusammenhang bestand darin, den vorgegebenen Zeitrahmen zwischen 8 und 13 Uhr durch einen für jede Schule individuell gestalteten Wochenstrukturplan zu gliedern. Der Wochenstrukturplan ist ein wesentliches Element des Schulkonzepts. Er legt die für alle Klassen verbindlichen Unterrichts- und Pausenzeiten fest sowie die Zeiten für klassen- und jahrgangsübergreifende Unterrichtsangebote.Gestaltungselemente derWochenstrukturpläne können sein:offene Eingangs- und/oder Schlussphasen, Unterrichtsblöcke, innerhalb derer ein Wechsel von Lehrgangs-, Übungs- und Förderphasen, von freien und gelenkten Aktivitäten, Klassenunterricht, Arbeit in Gruppen, Partner- und Einzelarbeit erfolgt und außerdem Zeiten für jahrgangsübergreifende Kursangebote im Wahlpflichtbereich, Bewegungszeiten, gemeinsames Frühstück und gemeinsame Spielpausen stattfinden. Innerhalb des Rahmens, den der Wochenstrukturplan vorgibt, sollen die Lehrerinnen und Lehrer den Unterricht flexibel gestalten und ihn an die Aufnahme-, Konzentrations- und Leistungsfähigkeit der Kinder anpassen. Dabei soll auf eine Phase der Anspannung stets eine Phase der Entspannung folgen.

Als positive Erfahrungen nennen die Schulleitungen in diesem Zusammenhang besonders häufig die sich ergebenden Möglichkeiten der „Rhythmisierung" und der Bildung von Unterrichtseinheiten von mehr als 45-minütiger Dauer. Ebenfalls häufig im positiven Sinne genannt wird die Etablierung verbindlicher Strukturen, etwa durch Einführung eines Morgenkreises oder eines gemeinsamen Frühstücks sowie durch Rituale im Wochenablauf. Als weitere positive Elemente des Wochenstrukturplans werden Flexibilität in Bezug auf die Pausenregelung genannt und die Möglichkeit, für mehr Kontinuität im Lehrereinsatz zu sorgen. Einige Schulleitungen sehen in der Einführung des Wochenstrukturplans eine Möglichkeit, den Unterricht zu verändern und Gelegenheit für Ruhe und Entspannung zu schaffen, und einige bewerten die neue Regelung auch als Entlastung für Lehrkräfte, Kinder und/oder Eltern.

Schwierigkeiten mit den Wochenstrukturplänen der Schulen betreffen in erster Linie organisatorische Probleme, z. B. mit der Fachraumnutzung oder dem Fachlehrereinsatz. Etwa jede vierte Schulleitung nennt Probleme, die eine Rhythmisierung erschweren, z. B. die Orientierung am 45-Minuten-Takt im Rahmen der herkömmlichen Definition der Lehrerarbeitszeit.Manche Schulen machten negative Erfahrungen mit bestimmten Pausen, in anderen traten Schwierigkeiten mit besonders kurzen oder langen Unterrichtsblöcken auf, oder der Lehrerwechsel zwischen den Stunden bereitete Schwierigkeiten. In einigen Schulen mit Sekundarstufe kam es zu Schwierigkeiten, die aus unterschiedlichen Zeitrhythmen der Stufen resultieren.

Etwa ein Viertel der Schulen hat deshalb nach ersten Erfahrungen und Überprüfungen Revisionen im Wochenstrukturplan vorgenommen. Überwiegend handelt es sich um Abänderungen der Pausenregelungen sowie um andere Anordnungen der gebildeten Zeitblöcke. Einige Schulen berichten von verändertem Lehrereinsatz, Angleichung des Strukturplans in Primar- und Sekundarstufe oder Änderung der Sporthallenbelegung. Zudem hat eine Reihe von Schulen einen Wechsel in Bezug auf die offenen Phasen (von Anfangs- zu Schlussphase oder umgekehrt) vorgenommen.

Nach Einschätzung der Schulleitungen hat sich der Wochenstrukturplan als Organisationsgrundlage bewährt. Auch die Befragung der Lehrkräfte ergibt eine überwiegend positive Einschätzung dieses Elements des VHGS-Konzepts.Von Elternseite wird der zeitliche Rhythmus des Schulvormittags überwiegend positiv beurteilt: 82 Prozent sind mit ihm „voll und ganz" bzw. „überwiegend" zufrieden.

1. b) Wie wirkt sich die Anwendung der Wochenstrukturpläne auf das Lernverhalten und die Lernergebnisse aus?

c) Haben sich die erwarteten positiven Einflüsse eines kindgerechten Zeitrhythmus beim Lernen in der Grundschule bestätigt?

Systematische Erhebungen zu den Auswirkungen der erweiterten Lernzeit und der neuen Gestaltungselemente auf die Lern- und Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler liegen angesichts des kurzen Beobachtungszeitraums noch nicht vor. Die Überprüfung der Lernförderlichkeit der pädagogischen Schwerpunktsetzungen wird eine wichtige Aufgabe der Schulen sein, die im Zusammenhang mit der Umsetzung der Schulprogramme in den kommenden Schuljahren zu leisten ist. Nach überwiegender Einschätzung der Schulleitungen wird das Ziel eines kind- und lerngerechten Tagesrhythmus gut bis sehr gut erreicht. Nach den Beobachtungen der Eltern und Lehrkräfte zeigen die Kinder mehr Lernfreude und gutes Arbeitsverhalten.

2. Offene Eingangs- und Schlussphasen in den 1. und 2. Klassen (nach Regionen aufgeschlüsselt)

a) Wie wird die offene Eingangs- und Schlussphase genutzt?

Vier der insgesamt 27 Unterrichtsstunden sind in den Klassen 1 und 2 für die Gestaltung offener Eingangs- und/oder Schlussphasen vorgesehen. Die Teilnahme daran ist freiwillig. Die offenen Phasen gewährleisten, dass auch die Erst- und Zweitklässler täglich von 8 bis 13 Uhr pädagogisch betreut werden. Nach Auskunft der Lehrkräfte steht dabei das Spielen eindeutig im Vordergrund; relativ verbreitet ist zudem, dass der offene Anfang bzw. Schluss auch für freie Arbeit und für das Ausüben von Klassenämtern verwendet wird. Weniger häufig werden damit Übungszeiten oder Wochenplanarbeit verbunden. Die offenen Phasen werden oft oder gelegentlich dazu verwendet, Kindern Bewegungsmöglichkeiten zu verschaffen. In didaktisch-methodischer Hinsicht stehen sozialerzieherische Ziele und Aktivitäten häufig im Mittelpunkt. Festzustellen ist in methodischer Hinsicht, dass die offenen Phasen in erster Linie den von Schülerinnen und Schülern selbstbestimmten Aktivitäten vorbehalten sind.

I. 2. b) Wie viele Schulen bieten eine offene Eingangsphase an?

c) Wie viele Schulen bieten eine offene Schlussphase an?

d) Wie viele Schulen bieten sowohl eine offene Eingangs- als auch Schlussphase an?

e) Wie viele Kinder nutzen jeweils dieses Angebot?

Die Angaben können der Anlage 1 entnommen werden.

2. f) Welche Erfahrungen haben die Schulen mit ihrem Angebot gemacht?

Sofern alle Kinder einer Schulklasse von dem Angebot einer offenen Anfangs- und/oder Schlussphase Gebrauch machen, können die hierfür vorgesehenen Zeiten in den Unterrichtsvormittag integriert werden. Dadurch werden die Möglichkeiten für eine kindgerechte Rhythmisierung des Unterrichtsvormittags erheblich erweitert.

Die Schulleitungen wurden in offener Form befragt, welche von ihrer Schule gewählte Organisationslösung bzw. Gestaltungsform sich bei den offenen Phasen bewährt bzw. nicht bewährt hat. Die offenen Phasen werden nach diesen Erfahrungen sehr unterschiedlich bewertet. 34 Prozent bewerten offene Anfangsphasen und 20 Prozent offene Schlussphasen positiv (die übrigen Befragten haben sehr unterschiedliche Antworten gegeben, die sich nicht diesen Bewertungen zuordnen lassen). Ihre Aussagen zu den Vorteilen decken sich weitgehend mit denen der Lehrkräfte. Sie sehen eine Chance darin, dass durch offene Phasen mehr Ruhe und Entspannung eintreten, und haben den Eindruck, dass die offenen Phasen zu mehr Konzentration und Lernbereitschaft geführt haben und Lehrkräfte und/oder Eltern entlasten. Die erweiterten Möglichkeiten für Zuwendung und soziale Kontakte werden ebenso positiv hervorgehoben wie die Möglichkeiten für Spiele und individuelle Beschäftigung. Innerhalb der Elternschaft finden die offenen Phasen deutlichen Zuspruch: Zwei Drittel der Eltern äußern sich zufrieden.

Nicht bewährt hat sich aus Sicht von 22 Prozent der Schulleitungen der offene Schluss. Kritisiert wird, dass er Unruhe bringe, von zu wenig Eltern genutzt werde, Freiwilligkeit störe oder der Rhythmisierung im Wege stehe. Im Vergleich dazu wird der offene Anfang kaum kritisiert (7 Prozent).

Die Befragung der Schulleitungen hat des Weiteren ergeben, dass 80 Prozent der Schulen, die nur offene Anfangsphasen anbieten und 65 Prozent der Schulen, die einen überwiegend offenen Anfang anbieten, in deutlich stärkerem Maße Abschied vom 45-Minuten-Rhythmus nehmen als die übrigen Schulen.

Einige Antworten legen den Schluss nahe, dass die offenen Phasen von den Schulen konzeptionell stärker durchdacht gestaltet werden müssen, um die Attraktivität für Kinder und Eltern erfahrbar zu machen und die Chancen im Zusammenhang mit anderen Unterrichtsphasen besser auszuschöpfen.

Insgesamt zeigen die Antworten, dass die Schulen die Einführung der VHGS als einen erfahrungsoffenen Prozess gestaltet haben, in dessen Verlauf Revisionen erfolgten, um die optimale Struktur zu finden.

3. Der erweiterte Bereich „Freie Gestaltung"

a) Mit welchen Inhalten wurde der Bereich „Freie Gestaltung" ausgefüllt?

Die klassischen Unterrichtsfächer sind bei der Erweiterung der Stundentafel im Zuge der Einführung der VHGS durch Aufgabengebiete ergänzt worden, die der Grundschule im Laufe der Zeit zugewachsen sind. Dazu gehören: Umwelterziehung, Gesundheitsförderung, Sexualerziehung, Sozial- und Rechtserziehung, interkulturelle Erziehung, Verkehrserziehung und Medienerziehung. Für die Wahrnehmung dieser mit neuem Gewicht versehenen Aufgaben weist die Stundentafel frei gestaltbare Unterrichtszeiten aus. Sie erhöhen die Flexibilität bei der Gestaltung des Unterrichts und erweitern die Möglichkeiten zur Durchführung besonderer Unterrichtsvorhaben.

In der Praxis finden sich nach Auskunft der Lehrkräfte die vorgeschlagenen Möglichkeiten zur Gestaltung dieses Bereichs wieder. Genannt werden Aktivitäten aus dem Bereich Kommunikation und Sprache (z.B. Theaterspiel), die Behandlung von Themen der Umwelt-, Gesundheits-, Medien- und Bewegungserziehung sowie Konzentrations- und Stilleübungen. Schwerpunkte der didaktischen Zielsetzungen liegen im sozialerzieherischen Bereich. Gefördert werden sollen das Gemeinschaftserleben, das soziale und interkulturelle Lernen sowie das Lernen mit allen Sinnen. Die individuelle Förderung steht dagegen weniger im Mittelpunkt dieses Lernbereichs. Selbstbestimmte Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler erhalten ebenso wie gemeinsame Aktivitäten von Lehrkräten und Schülerinnen und Schülern eindeutig den Vorzug. Organisatorisch gesehen fällt auf, dass die meisten Lehrkräfte „Freie Gestaltung" im Klassenverband durchführen und den Schülerinnen und Schülern Wahlmöglichkeiten für Aktivitäten innerhalb der Klasse einräumen.

3. b) Welche Erfahrungen wurden im Bereich „Freie Gestaltung" gemacht?

58 Prozent der Lehrkräfte, die geantwortet haben, äußern sich in Bezug auf dieses neue Element zufrieden gegenüber 12 Prozent, die unzufrieden sind. Die Lehrkräfte heben in ihrer Einschätzung insbe3