Hamburgische Gnadenpraxis bei rechtskräftig verurteilten Straftätern

Der Fall Nana Kwame Abrokwa hat eine öffentliche Diskussion über die hamburgische Gnadenpraxis ausgelöst.

Das Begnadigungsrecht steht nach Artikel 44 Absatz 1 der Hamburger Verfassung (HmbVerf) dem Senat zu. Es unterliegt nicht der parlamentarischen Kontrolle. Der Senat hat im Rahmen der Anordnung über die Ausübung des Begnadigungsrechts aus dem Jahr 1979 (MittVerw 1979, 34) Entscheidungen über Gnadengesuche im wesentlichen der Senatskommission für das Gnadenwesen übertragen, die ihrerseits die Justizbehörde ermächtigt hat, über Gnadengesuche zu entscheiden.

Im Gnadenwege werden keine Gerichtsentscheidungen abgeändert oder aufgehoben. Die Urteilsfeststellungen und das Strafmaß sind bindend. Vom Begnadigungsrecht werden lediglich die Rechtsfolgen umfaßt. Gnadenerweise sollen Unbilligkeiten bei besonderen, über das übliche Maß hinausgehenden und vom Gesetzgeber nicht gewollten Härten im Einzelfall ausgleichen.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. Mit wie vielen Gnadengesuchen war die Justizbehörde in den Jahren 1996 und 1997 befaßt?

4814.

1. a) Wie vielen Gnadengesuchen wurde davon stattgegeben, wie viele wurden abgelehnt?

b) Wie viele Gnadengesuche wurden jeweils 1996 und 1997

­ vor Antritt der Freiheitsstrafe,

­ während der Freiheitsstrafe gestellt?

c) In wie vielen Fällen hat die Einleitung des Gnadenverfahrens dazu geführt, dass vor der endgültigen Entscheidung über den Antrag die Strafe nicht angetreten werden mußte?

2. Bei wie vielen der abgelehnten Entscheidungen erfolgte eine Gegenvorstellung gegenüber der für das Gnadenwesen zuständigen Gnadenkommission, jeweils in der oben genannten Zeit?

Hierzu werden Statistiken nicht geführt. Die Beantwortung dieser Fragen ist in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Aufwand nicht möglich. Im übrigen siehe Vorbemerkung.

Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Ole von Beust (CDU) vom 09.04. und Antwort des Senats

Betreff: Hamburgische Gnadenpraxis bei rechtskräftig verurteilten Straftätern.

2. a) Wie vielen Gnadengesuchen hat die Senatskommission abschließend stattgegeben bzw. wie viele verworfen?

b) In wie vielen Fällen hat das Stattgeben dazu geführt, dass die Freiheitsstrafe gar nicht erst angetreten wurde?

In der Annahme, dass sich die Fragestellung allein auf Verurteilungen zu Freiheitsstrafen bezieht, hat die Senatskommission in den Jahren 1996 und 1997 fünf Gnadengesuchen stattgegeben und 29

Gnadengesuche abgelehnt. In den Fällen, bei denen die Senatskommission den Gnadengesuchen stattgegeben hat, wurde die Freiheitsstrafe nicht angetreten. In vier dieser Fälle hatten die Verurteilten jedoch teilweise erhebliche Zeiten in Untersuchungshaft verbracht.

3. Gibt es objektive Kriterien, anhand derer die Gnadenkommission bzw. die Justizbehörde über die Gnadengesuche entscheidet? Wenn ja: Welches sind diese, und werden insbesondere auch Umstände miteinbezogen, die bereits vor der rechtskräftigen Verurteilung bekannt waren und vom Gericht gewichtet wurden bzw. hätten gewichtet werden müssen?

Siehe Vorbemerkung! Als objektive Gnadengründe kommen regelmäßig solche Umstände in Betracht, die nach Rechtskraft eines Urteils eingetreten sind und die in der Person des Verurteilten liegen, wobei besonders die soziale Integration (Resozialisierung), beispielsweise durch Arbeit, familiäre Einbindung und Therapie, hervorzuheben ist, die durch eine Strafverbüßung erheblich gestört oder gar zunichte gemacht würde. Letztlich entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalles.

4. Trifft es zu, dass in diversen Fällen bei Verurteilungen zu Geldstrafen, bei denen die Freiheitsstrafe nur ersatzweise ausgesprochen wird, für den Fall, dass die Geldstrafe nicht bezahlt wurde, ohne Antrag von Amts wegen „Gnade" gewährt wurde? Wenn ja: In wie vielen Fällen ist dieses erfolgt, und wo liegt die Grenze der Höhe der Geldstrafe bzw. Freiheitsstrafe, bei der von Amts wegen die Gnadengewährung erfolgt?

Seit Januar 1997 prüft die Gnadenabteilung im Zusammenwirken mit der Staatsanwaltschaft und den Justizvollzugsanstalten von Amts wegen, ob eine angeordnete Ersatzfreiheitsstrafe nach Verbüßung der Hälfte bzw. zum Zweidrittelzeitpunkt im Einzelfall erlassen werden kann. Dabei werden sowohl die abgeurteilte Straftat als auch die soziale Situation des Verurteilten und die Anzahl der Tagessätze gewürdigt.

Eine statistische Auswertung für den Zeitraum vom 15. Januar 1997 bis 15. Oktober 1997 ergibt, daß 799 Verurteilte, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßten, einer Prüfung unterzogen wurden. 343 Verurteilten wurde ein gnadenweiser Erlaß der restlichen Ersatzfreiheitsstrafe gewährt.

Nach § 40 Absatz 1 Satz 2 StGB beträgt das Höchstmaß einer Geldstrafe 360 Tagessätze; im Falle der Bildung einer Gesamtstrafe darf die Geldstrafe nach § 54 Absatz 2 Satz 1 StGB 720 Tagessätze nicht überschreiten. Dementsprechend kann der gnadenweise Erlaß der Verbüßung des Restes einer Ersatzfreiheitsstrafe auch nur innerhalb dieses Rahmens erfolgen.