Antisemitische Inhalte in Hamburger Schulbüchern

In Geschichtsbüchern, die an Hamburger Schulen verwendet werden, sind antisemitische und rassistische Inhalte nachgewiesen worden (vgl. hierzu unter anderem „Hamburg macht Schule" und Artikel in der „FR" vom 14. Dezember 2000 und 27. Januar 2001) ­ Elternproteste fanden statt. Bei den antisemitischen Inhalten handelt es sich dabei in erster Linie um die Darstellung von Juden im Mittelalter und daraus resultierende Stereotype von Juden allgemein, die auf heute übertragen werden. Eines dieser Schulbücher („Geschichtliche Weltkunde", Band 1, Diesterweg Verlag) wird deswegen nicht mehr von der Schulbehörde für die Unterrichtsgestaltung empfohlen, ist aber weiterhin an Hamburger Schulen im Unterricht in Gebrauch.

In dem Geschichtsbuch „Geschichtliche Weltkunde, Band 1", Verlag Moritz Diesterweg, Frankfurt am Main, 1979, Seite 197, befindet sich folgende Textpassage über Juden im Mittelalter: „Die Juden in den Städten führten ein Eigenleben, ihr Glaube trennte sie von den Christen. Andererseits standen sie seit den Karolingern unter dem besonderen Schutz der deutschen Könige.

Da sie im Gegensatz zu den Christen für ausgeliehenes Geld Zins nehmen durften (nicht selten bis zu 50 Prozent), wurden viele reich, und das steigerte die Abneigung der Christen, manchmal den Haß, während die Könige, auf Geldanleihen bedacht, den Juden Zugeständnisse machten.

Die kaiserlichen Kammerknechte, wie sie auch hießen, erhielten z. B. Zoll- und Handelsfreiheiten, in Speyer sogar das Recht der eigenen Gerichtsbarkeit.

Die Juden blieben ungeachtet ihres Reichtums gewöhnlich aus der städtischen Gemeinschaft ausgeschlossen. Sie durften keine Christen heiraten und keine städtischen Grundstücke kaufen und mußten in eigenen Stadtvierteln, in Ghettos, wohnen. Hier stand ihre Kirche, die Synagoge, hier predigte der Rabbiner seinen Glaubensgenossen, hier lag auch der Judenfriedhof. Der spitze Hut und die gelbe Kleidung sonderten die Juden auch äußerlich vom christlichen Bürgertum ab. In zahlreichen deutschen Ländern vertrieben die Landesherren im Spätmittelalter die Juden, die größtenteils nach Polen auswanderten."

Im Mai 2000 wurde in einem offenen Brief die Darstellung der Textpassage als mit Klischees und Vorurteilen hantierend kritisiert.

Um die Schulen und die mit Lehreraus- und -fortbildung befassten Stellen (Institut für Lehrerfortbildung ­ IfL und Staatliches Studienseminar) speziell in dem Fall des vorstehend genannten Schulbuchs und darüber hinaus auch allgemeiner zu sensibilisieren, wurde der offene Brief von der zuständigen Behörde in der von ihr herausgegebenen Zeitschrift „Hamburg macht Schule", Heft 4/2000, veröffentlicht, zusammen mit einer Stellungnahme des Landesschulrats (Anlage), in der er die Bedenken gegenüber diesem Buch aufnahm und auf den hohen Stellenwert hinwies, den das Amt für Schule der Sensibilisierung im Umgang mit diesem Buch und der Aufklärung über die Ursachen und die Auswirkungen des Antisemitismus zumisst.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. Warum werden die anderen Schulbücher, in denen ebenfalls antisemitische Inhalte nachgewiesen wurden („Unsere Geschichte", Diesterweg Verlag, und „Anno", Westermann Verlag), weiterhin von der Schulbehörde empfohlen?

2. Warum werden die entsprechenden Schulbücher nicht gänzlich aus dem Verkehr gezogen?

3. Was geschieht generell und speziell in diesem Fall mit Schulbüchern, die antisemitische und/oder rassistische Inhalte aufweisen?

Über die Einführung von Schulbüchern und anderen Unterrichtsmedien an einer Schule entscheidet gemäß §9 Absatz 2 Hamburgisches Schulgesetz (HmbSG) die Lehrerkonferenz im Rahmen der Haushaltsmittel, die der Schule zur Verfügung stehen, unter Berücksichtigung der in §9 Absatz 1 aufgeführten Kriterien. Die zuständige Behörde unterstützt die Schulen bei der Auswahl durch die Zusammenstellung entsprechender Empfehlungslisten. Die Liste für das Fach Geschichte wird im Rahmen der jährlichen Überarbeitung der Lernbuchempfehlungslisten zurzeit revidiert.

Beide genannten Schulbücher sind in die Schulbuchempfehlungsliste der zuständigen Behörde aufgenommen. Das Schulbuch „Unsere Geschichte" (1985), Verlag Moritz Diesterweg, ist von allen Kultusministerien für den Unterricht zugelassen worden. Das Schulbuch „Anno"(1995), Westermann Schulbuchverlag, ist ebenfalls in allen Bundesländern zugelassen, außer in Bayern und Nordrhein-Westfalen, weil es mit den dort geltenden Lehrplänen nicht übereinstimmt. Diese Angaben beruhen auf Auskünften der Verlage.

Die zuständige Behörde wird eine externe Überprüfung der beiden genannten Schulbücher veranlassen.

4. Weshalb werden die entsprechenden Lehrbücher weiterhin beim Institut für Lehrerfortbildung verwendet und wie und wann soll dies geändert werden?

Das Buch „Geschichtliche Weltkunde" wird nicht in der Lehrerfortbildung verwendet. In der im Gebäude des IfL angesiedelten Lehrerbibliothek sind sämtliche Geschichtsbücher der jeweils aktuellen Hamburger Lernbuchempfehlungsliste im Bestand. Für wissenschaftliche Zwecke stellt sie auch alte Bücher aus ihrer deutschlandweit umfassendsten Lernbuchsammlung zur Verfügung.

5. In welcher Weise und in welchen Ausbildungsabschnitten werden Hamburger Lehrer/innen (nicht nur Geschichtslehrer/innen) zum Thema Geschichte des Judentums und des Antisemitismus ­ speziell auch jenseits der Zeit des Holocaust ­ zukünftig systematisch und umfassend fachlich ausgebildet?

6. In welcher Weise werden Hamburger Lehrer/innen (nicht nur Geschichtslehrer/innen) zum Thema Geschichte des Judentums und des Antisemitismus ­ speziell auch jenseits der Zeit des Holocaust ­ zukünftig systematisch und umfassend fachlich weitergebildet?

Eine umfassende und für alle Lehrerinnen und Lehrer verbindliche Aus- und Weiterbildung zu einem bestimmten geschichtlichen Thema ist nicht Aufgabe der Lehreraus- und -fortbildung. Die Bereitschaft und Fähigkeit von Lehrerinnen und Lehrern, sich mit der gesellschaftlichen Heterogenität im Sinne der Werte einer der Humanität verpflichteten Gesellschaft auseinander zu setzen und dies persönlich wie sachlich überzeugend in Unterricht und Schulleben zu vermitteln, muss aber in allen Phasen der Aus- und Weiterbildung gestärkt und unterstützt werden. Deshalb hat die Hamburger Kommission Lehrerbildung in ihrem Abschlussbericht empfohlen, interkulturelle Bildung als Querschnittsaufgabe in das Kerncurriculum der Lehrerbildung aufzunehmen. Der Senat hat diese Empfehlung übernommen und die Institutionen der Lehrerbildung mit der Umsetzung beauftragt.

Im Sinne der genannten Zielsetzung arbeiten der Arbeitskreis „Gesellschaft" sowie die im Aufbau befindliche Agentur „Pro Demokratie" am IfL.

7. Wurde das Thema Antisemitismus und Judentum jenseits der Zeit des Holocaust bei der Entwicklung der jetzigen Bildungspläne berücksichtigt? Wenn ja, in welcher Weise? Wenn nein, weshalb nicht?

Die Entwicklung der neuen Rahmenpläne ist noch nicht abgeschlossen. Als verbindliche Themen sind in den Entwürfen der Rahmenpläne der Fächer Geschichte/Politik (Haupt- und Realschule), Geschichte (Gymnasium) und Politik (Gesamtschule) die Themen Holocaust und die Geschichte der Juden in Deutschland vorgesehen.

8. Die Verlage Diesterweg, Westermann und Cornelsen gestehen Versäumnisse und überalterte Darstellungen ein und sind zu Neuauflagen bereit (vgl. o.g. Artikel in der „FR"), warten aber auf das Signal der Schulen, welche neue Bücher anfordern müssten. Wie stellt sich der Senat einen solchen Impuls seitens der Schulen vor, wenn er gleichzeitig die Ausgaben für Lehr- und Lernmittel/Unterrichtsmittel für das Jahr 2001 insgesamt um 3174 TDM senkt?

Neue Lernbücher werden von Verlagen angeboten und entwickelt. Der Hamburger Markt ist allein nicht groß genug, um dafür genügend wirtschaftliche Anreize zu bieten.

Beim Titel 3100­3150.525.78 „Unterrichtsmittel und sonstige schulbezogene Ausgaben" ändern sich die Sätze je Schüler, die die Schulen erhalten, in 2001 gegenüber 2000 nicht. Der Gesamtansatz bei diesem Titel steigt von 44872 TDM auf 45144 TDM.

9. Welche a) bildungspolitischen, b) fachlichen und c) didaktischen Maßnahmen wird der Senat ergreifen, um dem Sachverhalt, dass an Hamburger Schulen mit antisemitischen/rassistischen Lehrmaterialien unterrichtet wird, Abhilfe zu verschaffen?

Vgl. die Antworten zu 1. bis 3., zu 5. und 6. und zu 7.

10. Das Fach Geschichte wird an verschiedenen Schulen nicht von Fachlehrer/innen unterrichtet. Wie hoch ist der Anteil am Geschichtsunterricht, der nicht von fachlich ausgebildeten Geschichtslehrer/innen unterrichtet wird (bitte nach Schulformen getrennt und in Prozent aufführen)?

Darüber führt die zuständige Behörde keine Statistik.