Einwohnergewichtung

Auch die Überlegung, die Einwohnergewichtung führe zu einem Bonus für die Stadtstaaten, ist im Ergebnis nicht tragfähig. Richtig ist, dass nur die Stadtstaaten im Rahmen der Ermittlung von Finanzkraftunterschieden unter den Ländern finanzkraftmindernd bestimmte Aspekte geltend machen können. Dies bedeutet aber nicht das Entstehen eines Zugewinns. Vielmehr wird durch das Verfahren allein die Möglichkeit zum Ausgleich festgestellter, nur die Stadtstaaten betreffender Mängel geschaffen, d.h., es erfolgt die Heilung von Defiziten und die Herstellung eines dann erst ausgewogenen Zustands.

Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren aufeinander aufbauenden Entscheidungen die prinzipielle Eignung des Instruments der Einwohnergewichtung zur abstrakten Berücksichtigung der unterschiedlichen Aufgabenbewältigung von Stadtstaaten und Flächenländern und zur Korrektur der Mängel des reinen Einwohnermaßstabs bei der Abbildung von Finanzkraftunterschieden festgestellt.

86, 148 (238 ff.); 72, 330, 415 ff.: Die Berücksichtigung der vorgegebenen strukturellen Eigenart der Stadtstaaten durch die Einwohnerwertung ist dem Grunde nach zumindest zulässig.

Es handelt sich nicht um die Einstellung von Sonderbedarfen dieser Länder, sondern um die Folge einer spezifischen Problematik des deutschen Bundesstaates. Das Bestehen von Stadtstaaten gehört zum historischen Bestand der deutschen Staatsentwicklung. Es ist sachgerecht, die Andersartigkeit der Stadtstaaten gegenüber den Flächenstaaten im Länderfinanzausgleich zu berücksichtigen. Dies kann in Form einer Einwohnerveredelung geschehen, die Auswirkungen auf alle Bundesländer hat. Die Andersartigkeit der Stadtstaaten betrifft nämlich nicht etwa nur deren Nachbarländer, sondern alle Glieder des Bundes. Umfang und Höhe dieser Berücksichtigung dürfen allerdings nicht frei gegriffen werden. Sie müssen sich nach Maßgabe verlässlicher, objektivierbarer Indikatoren als angemessen erweisen, wobei auch die Auswirkungen der Einwohnerwertung gemäß § 9 Abs. 2 FAG - verglichen mit der Wertung der Einwohner einer Durchschnittsgemeinde mit in Ansatz zu bringen sind. Als solche Indikatoren kommen etwa in Betracht: ein schlichter Großstadtvergleich, bei dem die Finanzausstattung von Städten vergleichbarer Größe - unter Einbeziehung der für sie wirksamen staatlichen Sonderleistungen - mit derjenigen der Länder Bremen und Hamburg verglichen wird; das Fehlen der Möglichkeit eines landesinternen Finanzausgleichs in den Ländern Bremen und Hamburg, die beide Ballungszentren ohne Umland sind; die Besonderheit, dass die Länder Bremen und Hamburg Hauptstädte ohne Umland sind. Dabei kann auch ein Blick auf die hanseatische Pendlerproblematik geworfen werden. Diese hat insofern eine stadtstaatenspezifische Komponente, als die beiden Hansestädte für die Wirtschaftsregion, in der sie liegen, Industrie-, Handels- und Dienstleistungszentren darstellen, die zugleich Enklavecharakter haben, d.h. von allen Seiten von Staatsgrenzen umschlossen sind. Der Gesetzgeber hat die Angemessenheit der gegenwärtigen Regelung, die seit dem Rechnungsjahr 1958 (§ 6 des Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern vom Rechnungsjahr 1958 an, BGBl. I 1959, S.73) besteht, unter anderem anhand der genannten Indikatoren für die stadtstaatliche Besonderheit der betreffenden Länder zu überprüfen und ggf. - sei es nach oben oder nach unten - zu korrigieren.

... Die zulässige Berücksichtigung stadtstaatlicher Besonderheiten kann nicht die Bedeutung einer finanziellen Status- oder Besitzstandsgarantie haben; sie ist weder eine Absicherung gegenüber allgemeinen wirtschaftlichen Strukturveränderungen, die nicht zuletzt durch technologische und weltwirtschaftliche Entwicklungen bedingt sind und die Hansestädte härter treffen mögen, noch gegenüber Verschiebungen des Wohlstandsniveaus zwischen den Bundesländern. Gegenüber solchen Veränderungen und Wandlungen kann der Länderfinanzausgleich keine Abhilfe bieten. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg Anlage IV - Drucksache 16/6000

IV. Verhältnismäßigkeit der Einwohnergewichtung: Gibt es andere Instrumente, die besser die Mängel des reinen Einwohnermaßstabs ausgleichen?

Die festgestellte Korrekturbedürftigkeit des Einwohnermaßstabs bei der Beurteilung der Finanzkraft der Stadtstaaten besagt noch nicht, mit welchem Instrument diese Korrektur am besten zu bewerkstelligen ist. Auch steht mit der grundsätzlichen Eignung des Instruments der Einwohnergewichtung nicht fest, ob es sich hierbei um das am besten geeignete Instrument handelt. Nicht auszuschließen ist, dass andere Instrumente gefunden werden könnten, die sich als besser und effizienter für die Beurteilung der Finanzkraft der Stadtstaaten erweisen, als die Einwohnergewichtung.

1. Andere Instrumente Abgesehen von weiteren Variationen des Instruments der Einwohnergewichtung selbst25 werden Modelle diskutiert, die den Einwohnermaßstab im eigentlichen Sinne unangetastet lassen und die Lösungen auf ganz anderen Ebenen im System der Finanzbeziehungen suchen. Der als korrekturbedürftig erkannte Einwohnermaßstab ist nur noch Ausgangspunkt für die Entwicklung alternativer Modelle.

Erörtert werden insoweit:

a. Änderung in der Aufteilung der Einkommensteuer zwischen Wohnsitzland und Betriebsstätte26

Das Bundesverfassungsgericht hatte 1986, als die Länder Bremen und Hamburg in einem Normenkontrollverfahren auch die in § 5 Zerlegungsgesetz geregelte Lohnsteuerzerlegung kritisiert hatten, die gesetzgeberische Entscheidung mit der Selbst das Bundesverfassungsgericht geht in seiner Entscheidung vom 11.11.1999 davon aus, dass dieses Verfahren nicht das einzige ist, was zur Korrektur angewendet werden kann: Soweit der Einwohnermaßstab auch in Zukunft modifiziert werden soll..., 101, 158 (231); RWIGutachten Zur finanzwissenschaftlichen Beurteilung der Einwohnerwertung der Stadtstaaten im Länderfinanzausgleich, S. 40.

Vgl. Kitterer, Finanzausgleich im vereinten Deutschland, S. 22 ff., der ein Modell der wertschöpfungsbezogenen Einwohnerwertung favorisiert, in dem die Unterschiede der Bruttoinlandsprodukte der Länder zum Orientierungspunkt der Einwohnerwertung werden.

Begründung gebilligt, sie liege innerhalb des Gestaltungsspielraums des Art. 107 Abs. 1 GG. 27 72, 330 (391 f.): Nach welchen Kriterien die Erträge der einzelnen Steuern zur wirklichen Steuerkraft eines Landes gehören, sagt die Verfassung nicht. Die Steuerverteilung nach der wirklichen Steuerkraft liegt der horizontalen Steuerverteilung zwar als gerechtigkeitsbezogene Leitidee zugrunde, sie ist aber vom Grundgesetz nicht näher bestimmt oder definiert. Die wirkliche Steuerkraft kann in dem Sinne verstanden werden, dass die Steuerkraft dort entsteht, wo die steuerzahlenden Bürger wohnen; sie kann aber auch dahin verstanden werden, dass für sie der Ort der wirtschaftlichen Wertschöpfung maßgebend ist. Die landeseigene wirkliche Steuerkraft lässt sich nicht allein entweder nach dem Erarbeitungsort oder nach dem Wohnsitzprinzip bestimmen; über das Gewicht des einen oder anderen Anknüpfungspunktes hat die Verfassung nicht vorentschieden. Beide Anknüpfungspunkte haben einen sachlichen Bezug; in einer in hohem Maße arbeitsteiligen Gesellschaft bedingen sich wirtschaftliche Wertschöpfung an der Betriebsstätte und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der dort tätigen Lohnsteuerpflichtigen gegenseitig. Zudem haben die staatlichen Gemeinwesen einen allgemein anerkannten Doppelcharakter als Gebietskörperschaft und Personenverband. Wird der Staat primär als Gebietskörperschaft gesehen, erscheint als eigener Steuerertrag dasjenige Aufkommen, welches in seinem Gebiet erwirtschaftet wird, ohne Rücksicht darauf, durch welche Personen dies geschieht. Wird er hingegen primär als Personenverband gesehen, erscheint als eigener Steuerertrag dasjenige Aufkommen, das durch seine (grundsätzlich nach Wohnsitz und Zugehörigkeit bestimmten) Mitglieder, d.h. die Bürger, erwirtschaftet wird, unabhängig davon, ob dies innerhalb oder außerhalb des eigenen Hoheitsgebietes geschieht. Der Gesetzgeber bewegt sich daher im Rahmen seines Handlungsspielraums, wenn er

- ohne den anderen ganz zu vernachlässigen - auf einen der beiden Anknüpfungspunkte das stärkere Gewicht legt. 72, 330 (394 f.): Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich, dass Art. 107 Abs. 1 Satz 2 GG das Ziel verfolgt, erhebungstechnisch bedingte Differenzen zwischen der örtlichen Vereinnahmung der Lohnsteuer und der Körperschaftsteuer und der tatsächlich vorhandenen Wirtschaftskraft abzubauen. Auf dieses Ziel muss die Zerlegung ausgerichtet sein. Diese Korrektur der Verteilung des Steueraufkommens durch die zwingend vorgeschriebene Zerlegung berücksichtigt in gewissem Umfang die Bedenken der finanzschwachen Länder gegen das Verteilungsprinzip der örtlichen Vereinnahmung. Wenn schon die Verteilung von Körperschaft- und Lohnsteuer nicht nach Bedarfsgesichtspunkten erfolgt, sollen doch wenigstens die Verzerrungen, die aus der örtlichen Vereinnahmung entstehen, korrigiert werden... Der Gesetzgeber muss die Lohn- und die Körperschaftsteuer so zerlegen, dass vereinnahmungsbedingte Verzerrungen abgebaut werden, die einer Verteilung des Steueraufkommens nach der wirklichen Steuerkraft entgegenwirken. Indem Art. 107 Abs. 1 Satz 2 GG es dem Gesetzgeber überläßt, Art und Umfang der Zerlegung bei den einzelnen Steuern zu bestimmen, schreibt er nicht die volle Beseitigung jedweder Verzerrung vor, sondern räumt im Hinblick auf das Ausmaß und die Maßstäbe der Zerlegung einen eigenen Gestaltungsspielraum ein. Dieser Gestaltungsspielraum ist dadurch begrenzt, dass die vom Gesetzgeber gewählte Regelung das Ziel und die Wirkung haben muß, die Verzerrungen nicht nur marginal, sondern in relevanter Weise zu vermindern. Entsprechen die vom Gesetzgeber gewählten Zerlegungsmaßstäbe und der Umfang der Zerlegung diesen Anforderungen, ist Art. 107 Abs. 1 Satz 2 GG Genüge getan. Die Vorschrift gibt dem Gesetzgeber, wie andere Regelungen der grundgesetzlichen Finanzverfassung auch, nur einen normativen Rahmen vor, innerhalb dessen er verschiedene Gestaltungen wählen darf. 72, 330 (406 f.): Die Lohn- und Einkommensteuer ist eine personenbezogene Steuer, die an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit natürlicher Personen anknüpft und diese - unter Berücksichtigung der persönlichen und familiären Verhältnisse des Steuerpflichtigen - abschöpft. Aus der Gesamtheit der vom Gesetzgeber getroffenen Zerlegungsregelungen, die wegen ihres sachlichen Zusammenhangs bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung einer einzelnen Regelung mit in Betracht zu ziehen sind, ergibt sich ferner, dass der Gesichtspunkt der örtlichen Wertschöpfung vom Gesetzgeber keineswegs vernachlässigt worden ist. Denn die Körperschaftsteuer - als die Einkommensteuer juristischer Personen - wie auch die Gewerbesteuer - fließen nach dem Betriebsstättenprinzip zu bzw. werden danach zerlegt. Ihr Volumen ist im Verhältnis zu dem der Lohnsteuer zwar geringer, aber keineswegs nur marginal. Für die Verteilung der Einkommensteuer sieht auch das Grundgesetz den Wohnsitz als sachgerechtes Kriterium an.