Strukturwandel

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg Anlage XIV.1 - Drucksache 16/6000

Zwar ist das Geheime im 18. Jahrhundert - im Absolutismus - auch noch Inbegriff der staatlichen Sphäre. Dagegen formuliert die Philosophie der Aufklärung jedoch ihren Glauben an Gerechtigkeit und Wahrheit und verbindet diesen optimistisch mit dem Wertbegriff Öffentlichkeit. Im 19. Jahrhundert nimmt der Begriff Öffentlichkeit schließlich die Bedeutung von Publikum auf, der sich vor allem auf die bürgerliche, zunehmend politisch bewusstwerdende Gesellschaft bezieht.

In den Sozial- und Politikwissenschaften des 20. Jahrhunderts, insbesondere von Habermas, ist den Formen repräsentativer Öffentlichkeit10 der Begriff und ein System der bürgerlichen Öffentlichkeit gegenübergestellt worden.

Im liberalen Modell bürgerlicher Öffentlichkeit umfasst diese die Sphäre der zum Publikum versammelten Privatleute. Im Zentrum der politischen Aspekte des bürgerlichen Öffentlichkeitsbegriffes steht dabei die öffentliche Meinung. Denn sie verbinde den Staat mit den Bedürfnissen der Gesellschaft. Gewaltfreie, öffentliche Auseinandersetzungen über die Argumente von Privatpersonen sollen Konsens über das im allgemeinen Interesse praktisch Notwendige herbeiführen. Die Form der daraus resultierenden Vernünftigkeit soll das abstrakte und generelle Gesetz sein. Im Parlament habe der bürgerliche, demokratisch-organisierte Staat die politisch fungierende

Man denke nur an Geheimrat Goethe.

Vgl. Görres-Staatslexikon, Bd. 4, zum Stichwort Öffentlichkeit mit Hinweis auf Kants transzendentale Formel des öffentlichen Rechts; vgl. auch Martens, Öffentlich, S. 50 ff. Näher zur Publizität als Prinzip der Vermittlung von Politik und Moral bei Kant vgl. Habermas, Strukturwandel, S. 178 ff.

Wefing, Parlamentsarchitektur, S. 121, betont den Öffentlichkeits-Optimismus der Aufklärung wie folgt: Das Öffentlichkeitsprinzip, (...), ist entstanden als Reaktion auf das Arkanverhalten, die Geheimpolitik des Absolutismus: (...). Vor allem (...) beruhte die Forderung nach Öffentlichkeit (...) darauf, dass Öffentlichkeit sich zu einem Wertbegriff entwickelte. Der Gedanke, Publizität führte zu mehr Wahrheit und größerer Gerechtigkeit im Staate, fand breiten Eingang in die staatstheoretische und politische Publizistik. Dieser Öffentlichkeitsmythos lässt sich schon in der Antike nachweisen; in der Aufklärung aber gewann der liberale Öffentlichkeits-Optimismus seine volle Durchschlagskraft.

Habermas, Strukturwandel; zur Genese der bürgerlichen Öffentlichkeit als Element einer neuen Gesellschaftsordnung näher Habermas, a.a.O., S. 69 ff.

Der Begriff bezieht sich auf die o.g. begriffliche Ausgestaltung von Öffentlichkeit im 17. und 18.

Jahrhundert.

Von den Analytikern der bürgerlichen Öffentlichkeit wird allerdings auch festgehalten, wie im 19.

Jahrhundert die Gemeinwohldimension des Begriffs von der konservativen Staatslehre im wilhelminischen Obrigkeitsstaat jedoch gebraucht worden sei, um den Öffentlichkeitsbegriff - durchaus auch mit antidemokratischer Tendenz - zu verstaatlichen, also für den Staat zu gebrauchen. Öffentlichkeit sei im Rahmen eines positivistisch-formalistischen Konzepts zur transzendenten Legitimierung von Recht und Staat herangezogen worden. Das liberale Modell (s.o.) umfasst jedoch mehr.

Vgl. Görres-Staatslexikon, Bd. 4, zum Stichwort Öffentlichkeit; zur diesbezüglichen Behandlung in der Philosophie bei Kant, Hegel und Marx, insbesondere zur Dialektik der Öffentlichkeit vgl. Habermas, Strukturwandel, S. 195 ff.

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Öffentlichkeit als Staatsorgan etabliert, um den Zusammenhang von öffentlicher Meinung und Gesetz institutionell zu sichern.

Diese Betrachtung des Öffentlichen als Schlüsselbegriff in den Sozial- und Staatswissenschaften ist aber auch in die Kritik geraten. So wurde sie der Absicht verdächtigt, einen Bereich des Öffentlichen mit bestimmten Privilegierungs- oder Sonderbindungsabsichten über den staatlichen Bereich hinaus nachweisen zu wollen.

Zum Verhältnis von Öffentlichkeit und Politik hat die Enquete-Kommission Parlamentsreform der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg noch 1992 festgehalten: Seit Mitte bis Ende der 70er Jahre hat sich das Verhältnis von Öffentlichkeit und Politik im Vergleich zu dem der Nachkriegszeit erheblich gewandelt. Teile der Bevölkerung haben ihr Vertrauen in die Kompetenz etablierter politischer Institutionen verloren, die sozialen, ökonomischen und ökologischen Folgeprobleme der modernen Industriegesellschaft lösen zu können. Gleichzeitig ist ein von den Medien aufgegriffenes und durch Umfragen bestätigtes Misstrauen gegenüber bestimmten Ausformungen des politischen Systems wie der Allmacht der Parteien und der Selbstbedienungsmentalität der Politiker und Politikerinnen zu beobachten. Je weniger das politische System in der Lage ist Probleme zu lösen, je mehr sich auch die Furcht vor Wohlstandsverlusten verbreitet, desto mehr sind die Mitglieder politischer Institutionen Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung und Kritik.

2. Transparenz im Sinne von Durchschaubarkeit überhaupt

Der Begriff der Transparenz ist hinsichtlich seiner Synonyme nicht auf den Begriff der Öffentlichkeit beschränkt. Sucht man für dieses aus dem Lateinischen geformte Lehnwort eine deutsche Übersetzung, so meint Transparenz Durchschaubarkeit oder Durchsichtigkeit.

Vgl. Habermas, Strukturwandel, S. 43: Der normative Gehalt eines Demokratiebegriffs, der auf diskursförmige Wert- und Normbildungsprozesse in öffentlichen Kommunikationen bezogen ist, erschöpft sich freilich nicht in geeigneten Arrangements auf der Ebene des demokratischen Rechtsstaates. Er weist vielmehr über die formal verfaßten Kommunikations- und Entscheidungsprozesse hinaus. Die in Körperschaften organisierte Meinungsbildung, die zu verantwortlichen Entscheidungen führt, kann dem Ziel der kooperativen Wahrheitssuche nur in dem Maße gerecht werden, wie sie durchlässig bleibt für frei flottierende Werte, Themen, Beiträge und Argumente einer sie umgebenden politischen Kommunikation.

Herzog, Staatslehre, S. 30 f., Fn 29.

Vgl. Bericht der Enquete-Kommission Parlamentsreform, HBü-Drs. 14/2600, S. 24.

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Bezieht man Durchschaubarkeit nun auf Verfahren, ist der Korrespondenzbegriff in der Tat jener der Öffentlichkeit. Bezogen auf ein Verfahren kann Durchschaubarkeit zusätzlich aber auch meinen: das Verfahren ist rational, logisch, frei von Missverständnissen, d.h. überhaupt dem Verstand erschließbar, also verständlich. Damit sind aber auch schon Überschneidungen zum vielschichtigen Öffentlichkeitsbegriff sichtbar.

Allerdings lässt sich das Verständnis von Transparenz als Durchschaubarkeit auch auf Gegenstände (und nicht auf Verfahren) beziehen. In dieser Facette wird der Begriff etwa in der Architektur verwendet und dort häufig um den Baustoff Glas gerankt. Darauf soll in diesem Kontext verständlicherweise nicht weiter eingegangen werden.

Mit einer tendenziell negativen Assoziation wird der Begriff schließlich auch in Bezug auf Personen gebraucht (Stichworte: gläserner Mensch), nicht zuletzt zur Beschreibung von Folgen der Informationstechnologie. Auch in dieser Facette werden wiederum die o.a. Verbindungen zum vielschichtigen Öffentlichkeitsbegriff deutlich.

II. Aussagen aus der Rechtswissenschaft, insbesondere der allgemeinen Staatslehre - rechtliche Grundlagen

Die Rechtswissenschaft beschäftigt sich mit dem Begriff der Transparenz, insbesondere der Bedeutung der Öffentlichkeit, sowohl in Verbindung mit dem Demokratieprinzip als auch mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit.

1. Der Transparenzbegriff und das Demokratieprinzip Bezogen auf das demokratische Prinzip (Art. 20 GG) ist der Transparenzbegriff wesentlich durch Vorstellungen der allgemeinen Staatslehre geprägt. Hier wiederho16

Zu dessen Bezügen vgl. etwa Wefing, Parlamentsarchitektur, S. 122 ff.

Zu den Problemen der Transparenz personenbezogener Informationen vgl. nur Simitis, Mahrenholz-FS, S. 573 ff.

Martens, Öffentlich, S. 53 spricht - bezogen auf den Bedeutungsgehalt der Transparenz im Sinne von Öffentlich - davon, dass aus den Begriffen der Demokratie und des Rechtsstaates das Postulat der Publizität deduziert werde. Nur der Vollständigkeit halber ist an dieser Stelle festzuhalten, dass transparenzbezogene Gesichtspunkte - insbesondere über den Begriff der Öffentlichkeit nicht nur im Verfassungsrecht, sondern auch im besonderen Verwaltungsrecht verwendet werden bzw. mit unterschiedlichem Verständnis ausgestaltet worden sind. Auf die diesbezüglichen Begriffsprägungen soll im Hinblick auf die notwendige Beschränkung im Kontext des Enqueteauftrages jedoch nicht eingegangen werden.