Einfluß rechtsradikaler Organisationen auf Schülerinnen und Schüler, Jugendliche und Studierende in Hamburg

Nach Aussagen des Leiters des Landesamtes für den Verfassungsschutz gegenüber den Hamburger Medien haben neonazistische Organisationen in Hamburg besonderen Zulauf unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Wir fragen den Senat:

1. Auf welche Beobachtungen und Erkenntnisse stützen sich solche Aussagen?

Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder beobachten seit Anfang der neunziger Jahre bundesweit einen zunehmenden Einfluß neonazistischer Gruppierungen und entsprechender ideologischer Denkmuster insbesondere auf Skinheads. Mit unterschiedlicher Ausprägung und Stärke in den einzelnen Ländern oder Regionen ist daraus eine rechtsextremistische Jugendszene entstanden, die viele Merkmale einer Subkultur aufweist. Sichtbar wird dies insbesondere bei neonazistisch ausgerichteten Demonstrationen und anderen Veranstaltungen sowie bei Skinhead-Konzerten entsprechender Veranstalter oder mit einschlägig bekannten Bands. Neben Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden zu diesem rechtsextremistischen Personenpotential haben auch kriminologische Untersuchungen den hohen Anteil von Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter den Tatverdächtigen bei fremdenfeindlichen Straftaten belegt. Hinweise auf die Verankerung rechtsextremistischer Einstellungen und Verhaltensdispositionen bei jungen Menschen liefern zudem mehrere sozialwissenschaftliche Erhebungen und auch Wahlanalysen zu diesem Themenfeld. Detaillierte Erkenntnisse über die demographische Zusammensetzung und Rekrutierung der Neonazi-Szene liefern diese repräsentativen Studien allerdings nicht.

Die Gesamtzahl von Neonazis und rechtsextremistischen Skinheads ist auch in Hamburg in den letzten Jahren gestiegen, ein massiver Zulauf ist allerdings nicht zu konstatieren. Für das Jahr 2000 werden diesen Bereichen insgesamt 170 Personen (1999: 160; 1998: 150) zugerechnet. Zwischen beiden Bereichen sind deutliche personelle Überschneidungen zu verzeichnen. Das Landesamt für Verfassungsschutz ordnet 120 Personen der Skinhead-Szene und 90 Personen den Neonazis zu. Unter ihnen sind 40 Personen, die beiden Szenen zuzuordnen sind. Entsprechenden Auswertungen des zufolge findet sich unter den Neonazis auch eine Reihe von Personen aus mittleren und höheren Altersgruppen, während die Zusammensetzung der Skinhead-Szene eindeutig von Jugendlichen und jungen Erwachsenen geprägt ist (siehe auch die Antwort zu 10.).

2. Welche Organisationen und Gruppen orientieren sich schwerpunktmäßig auf Jugendliche und Jungerwachsene? In welcher Form und mit welchen Mitteln?

Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden bei ihrer Analyse einerseits zwischen rechtsextremistischen Bestrebungen von Parteien, sonstigen Organisationen bzw. Vereinigungen und andererseits eher lose strukturierten Szenen einschließlich der neonazistischen Kameradschaften.

Insbesondere die Deutsche Volksunion (DVU) und. Die Republikaner (REP) haben nach bundesweiten Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden kaum aktive jugendliche Anhänger oder Mitglieder, dies gilt zumal für die Landesverbände in Hamburg. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) konnte mit ihrer aktionistischen Ausrichtung und auch mit ihrer Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) dagegen bundesweit Teile der rechtsextremistisch orientierten Jugendszene an sich binden, dies gilt allerdings nicht für den Hamburger Landesverband.

Neonazistische Kameradschaften und insbesondere die Skinhead-Szene haben in erkennbarem Umfang Jugendliche und Jungerwachsene in ihre Reihen aufgenommen.

Die Skinhead-Szene ist eine Jugendsubkultur mit eigenen identitätsstiftenden Merkmalen, wie sie auch in anderen Subkulturen üblich sind. Dazu gehören die äußerlichen Formen wie Glatze, Springerstiefel, Bomberjacke, Rituale, Symbole, Tätowierungen, aber auch kulturelle Angebote wie eigene Musikformen, Konzerte und szenetypische Publikationen. Eine gemeinsame Klammer bilden jedoch auch eine erlebnis- und spaßorientierte Lebenseinstellung, ein hoher Alkoholkonsum sowie ein zumeist vages, bei stärker politisierten Skinheads fundierteres rechtsextremistisches Weltbild, das von Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Haß auf politische Gegner und Angehörige anderer Subkulturen geprägt ist. Dieses Weltbild kommt insbesondere in den aggressiven Musiktexten zum Ausdruck.

Durch Musik und die Szenepublikationen werden das Weltbild der Skinheads geformt, ihr Haß und ihre Gewaltbereitschaft gefördert und Teile der Szene politisiert. Es ist zu beobachten, dass in der die Bereitschaft wächst, sich an politischen Aktionen wie Demonstrationen zu beteiligen. Über diese Aktionen und über die Beteiligung an Kameradschaftsabenden, Schulungen und anderem wachsen Teile der Skinhead-Szene in die Neonaziszene hinein. Attraktiv für Jugendliche ist das breite Freizeitangebot der Skinhead-Szene. Dazu gehören unpolitische Aktivitäten wie Treffen in Kneipen, Besuche von Fußballspielen und Volksfesten, gemeinsames Betreiben von Kampfsportarten, aber auch der Besuch von Skinkonzerten und in Verbindung mit der Politisierung die Teilnahme an Demonstrationen und anderen öffentlichen Aktionen von Neonazis. Dieser ständige persönliche Kontakt und die gemeinsamen Aktivitäten bilden einen erheblichen Anteil am Lebensinhalt, fördern das Gemeinschaftsgefühl und erzeugen in der Gruppe das Gefühl von Macht und Stärke. Dieses drückt sich durch Provokationen in der Öffentlichkeit und durch Gewalt aus der Gruppe heraus aus. Skinheads kommen fast ausschließlich über persönliche Kontakte mit Szeneangehörigen in die lokalen Skinheadgruppen. Eine gezielte Werbung um Nachwuchs findet durch Skinheads nicht statt.

Die Neonaziszene besteht weit überwiegend aus jungen Heranwachsenden, teilweise auch Jugendlichen. In den örtlichen, wenig strukturierten Kameradschaften sammeln sich Personen, deren Vorbild der Nationalsozialismus ist, von dem die meisten jedoch nur vage Vorstellungen und geringe Kenntnisse haben. Eine zunehmende Anzahl von Neonazis entstammt der Skinhead-Szene. Insgesamt gibt es deutliche Überschneidungen beider Szenen. Die Attraktivität der Neonaziszene für Jugendliche und junge Heranwachsende liegt im Aktionismus, der ständigen öffentlichen politischen Betätigung.

Nahezu jedes Wochenende finden Demonstrationen, Aktionen und sonstige Veranstaltungen im Bundesgebiet statt, an denen sich politische Aktionisten beteiligen. Neben dem Aufsehen in der Öffentlichkeit und der Provokation vermitteln ihnen diese Aktivitäten das Gefühl der Stärke und der Wichtigkeit. Nach ihren Vorstellungen dokumentieren sie damit, dass sie die einzige aktive nationale Opposition sind und sie über ihre öffentliche Präsenz an Stärke und Macht gewinnen. Sie sehen diese öffentlichen Auftritte in der Nachfolge der Sturmabteilung (SA). Da Neonazis von einer Unterwanderung und Bespitzelung durch staatliche Organe ausgehen, erfolgt der Eintritt in die Neonaziszene ähnlich wie in der Skinhead-Szene zumeist über persönliche Kontakte zu Szenemitgliedern. Es werden jedoch auch Personen oder Personengruppen durch lokale, selbständig agierende Skinheads, die als zuverlässig und brauchbar angesehen werden, für eine Mitarbeit bzw. eine Beteiligung an Aktionen angesprochen. So verfahren auch die beiden Neonaziszenen in Hamburg. In Einzelfällen wenden sich auch einzelne Neonazis direkt mit Propagandamaterialien an Schüler oder Jugendliche, die nicht der Neonazioder Skinhead-Szene angehören. Zur Zeit versenden die Verfasser der in Nordrhein-Westfalen ansässigen, von Neonazis herausgegebenen Schrift Unabhängige Nachrichten Werbematerialien an Schulen in verschiedenen Bundesländern, unter anderem in Hamburg.

Durch die Änderung ihrer politischen Strategie ist auch die NPD zunehmend für junge Menschen interessant geworden. Diese Entwicklung gilt nicht für Hamburg. Da der Hamburger Landesverband diesen Kurs der Bundespartei nicht nachvollzogen hat und eine Zusammenarbeit mit Neonazis und Skinheads weitgehend ablehnt, hat sie hier kaum Zuspruch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Die Jugendorganisation der NPD Junge Nationaldemokraten (JN) besteht in Hamburg nur aus Einzelmitgliedern ohne eigene Aktivitäten.

Die Republikanische Jugend (RJ), die Jugendorganisation der Republikaner, von der kaum Aktivitäten ausgehen, ist für Jugendliche und junge Heranwachsende bedeutungslos. Sie ist in Hamburg nicht existent.

3. In welchen Stadtteilen sind besondere Aktivitäten mit neonazistischem und rechtsradikalem Hintergrund feststellbar?

Nach Erkenntnissen des sind die etwa 170 Angehörigen der Hamburger Neonazi- und rechtsextremistischen Skinhead-Szene über weite Teile des Hamburger Stadtgebiets verteilt. Feststellbar sind jedoch zwei größere Gruppierungen, die sich sowohl in ihrer Zusammensetzung und Orientierung als auch in ihrer örtlichen Verankerung unterscheiden.

Bei der ersten Gruppierung handelt es sich um den heute aus etwa 15 Anhängern bestehenden Personenkreis um den ehemaligen Vorsitzenden der verbotenen Nationalen Liste (NL) Thomas WULFF.

Dieser Kreis hat seinen ursprünglichen örtlichen Schwerpunkt (Bergedorf) mittlerweile verlagert bzw. aufgelöst. Seine Anhänger kommen heute aus verschiedenen Hamburger Stadtteilen. Einer von ihnen betreibt das dem Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland angeschlossene Aktionsbüro. Über dieses Aktionsbüro werden eine Vielzahl von Demonstrationen und anderen öffentlichen Aktivitäten organisiert und koordiniert. Weitere Anhänger betreiben das Freie Info-Telefon Hamburg (FIT) und geben die Publikation Zentralorgan heraus.

Ebenfalls aus der verbotenen NL stammt Christian WORCH, er nimmt innerhalb der Hamburger Neonaziszene jedoch mittlerweile eine Sonderstellung ein und ist organisatorisch nicht eingebunden. Ein Großteil der neonazistischen Demonstrationen auch außerhalb Hamburgs wird von ihm angemeldet und auch juristisch begleitet. Darüber hinaus betreibt er Rechtsberatung für andere Rechtsextremisten.

Die zweite größere Gruppierung aus der Neonazi- und rechtsextremistischen Skinhead-Szene hat ihren Schwerpunkt im Stadtteil Bramfeld und den angrenzenden Stadtteilen Rahlstedt, Farmsen, Berne. Ihr Personenpotential ist mittlerweile größer als das des Kreises um Thomas WULFF, weiterhin ist es vergleichsweise stärker von Skinheads geprägt. Insgesamt lassen sich dieser Szene etwa 40 Personen zuordnen, davon sind etwa 20 neonazistisch orientiert. Als Teil dieser Szene wurde die Vereinigung Hamburger Sturm am 11. August 2000 durch die Behörde für Inneres verboten. Angehörige der Bramfelder Neonazi- und Skinhead-Gruppierung treten als Veranstalter von Skinkonzerten, von Demonstrationen und von örtlichen Flugblatt- und Plakataktionen auf.

Auch in einer Reihe weiterer Stadtteile gibt es personell zum Teil beachtliche, insgesamt jedoch locker strukturierte Szenen von Neonazis und Skinheads. Diese Cliquen arbeiten häufig länderübergreifend mit entsprechenden Szenen im Süden Schleswig-Holsteins und Nord-Niedersachsens zusammen (siehe auch Antwort zu 12.). Die quantitativ größte Szene hat ihren Schwerpunkt im Bereich Bergedorf/Lohbrügge, sie besteht überwiegend aus Skinheads, aber auch einigen Neonazis. Kennzeichnend für sie ist eine zum Teil erhebliche Gewaltbereitschaft, weiterhin betreibt sie eine intensive d.h. die Ausforschung politischer Gegner. Neben örtlichen Plakat- und Flugblattaktionen wurden Drohschreiben an politische Gegner versandt, deren Veranstaltungen aufgesucht bzw. gestört und direkte Angriffe auf Personen verübt.

In verschiedenen Stadtteilen des Bezirks Wandsbek ­ in Rahlstedt, Volksdorf, Poppenbüttel ­ gibt es kleine, lose Skinhead-Szenen, die durch zumeist rechtsextremistische Straftaten wie Propagandadelikte aufgefallen sind. Lokale Skinhead-Szenen gibt es weiterhin in den Stadtteilen Niendorf, Eidelstedt, Schnelsen, Langenhorn, ihre Aktivitäten erstrecken sich auch auf das benachbarte Schleswig-Holstein.

Sie beteiligen sich unter anderem an von der neonazistischen Kameradschaft Pinneberg organisierten Aktionen und Treffen.

Im Bezirk Harburg gibt es in den Stadtteilen Marmstorf und Neugraben kleinere Skinszenen mit Kontakten ins nördliche Niedersachsen. In anderen Hamburger Stadtteilen fallen nur sporadisch Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden über Skinheads bzw. von ihnen begangene rechtsextremistische Straftaten an. Eine Häufung derartiger Straftaten steht nicht immer im Zusammenhang mit einer örtlich vorhandenen Skinhead-Szene. Beispiel dafür ist der Stadtteil St.Pauli, wo mehrere rechtsextremistisch motivierte Straftaten im Anschluß an Besuche von Fußballspielen des HSV, des FC St.Pauli oder des Hamburger Doms verübt wurden.

4. Gibt es Hamburger Schulen, in denen es in den letzten vier Jahren Vorfälle mit rechtsradikalem Hintergrund gegeben hat, und was wurde in diesen Fällen konkret getan, wie wurde darauf reagiert?

Der Polizei werden rechtsextremistisch motivierte Taten in der Regel durch Anzeigenerstattung bekannt und wie alle politisch motivierten Delikte in Hamburg von der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes (LKA 8) bearbeitet.

Die folgende Tabelle gibt die Anzahl der im Zeitraum 1997 bis 2000 angezeigten und im LKA 8 bearbeiteten Vorgänge mit rechtsextremistischem oder fremdenfeindlichem Hintergrund und dem Tatort Schule wieder. Sie unterscheidet nicht, ob die Taten in, an oder aus den Schulen heraus begangen worden sind.

§ 130 Volksverhetzung 8 davon durch Briefe 3

§ 86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen 22

§ 224 Gefährliche Körperverletzung 1

§ 303 Sachbeschädigung 1

§ 304 Gemeinschädliche Sachbeschädigung 1

Gesamt 33

Davon aufgeklärt 7

Bei allen 22 Fällen des §86a schmierten die überwiegend unbekannt gebliebenen Täter Parolen oder Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in der Regel an die Außenwände der Schulen. Zu den Delikten §130 (Briefeschreiber) ist anzumerken, dass es sich um Vielfachbriefeschreiber handelt, die ihre Briefe, mit strafrechtlich relevantem Inhalt, außer an Schulen auch an andere Behörden oder an Politiker senden. Nach Abschluß der Ermittlungen erfolgte die Abgabe an die ebenfalls zentral zuständige Abteilung 71 der Staatsanwaltschaft Hamburg. Bezüglich präventiver Maßnahmen wird auf die Beantwortung der Frage 6 verwiesen.

5. Gibt es bei der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung Handreichungen, Vorschläge und Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer, wie in Fällen von Gewalt und von Aktivitäten mit rassistischem bzw. rechtsradikalem Hintergrund zu reagieren ist, und wie sehen diese konkret aus? Wird dabei nach Schulformen unterschieden?

Von der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung (BSJB) werden verschiedene Materialien Lehrerinnen und Lehrern zur Verfügung gestellt wie z. B. Störenfriede ­ ein Medienverbundprogramm zur Prävention gegen rechtsextremistische Aktivitäten, herausgegeben vom Bundesministerium für Fami3