Was ist los im Hamburger Strafvollzug?

Eine Vielzahl von Vorkommnissen in den Hamburger Haftanstalten gibt Hinweise darauf, daß die unzureichende Ausstattung der Haftanstalten mit Personal wesentlich mitursächlich für die Vorgänge sein könnte. Die innere Sicherheit in den Anstalten hängt wesentlich von der Zahl der Bediensteten sowie deren Einsatzfähigkeit und Einsatzfreudigkeit ab.

Außerordentliche Vorkommnisse im Justizvollzug, insbesondere Übergriffe auf Bedienstete, körperliche Auseinandersetzungen unter Gefangenen, Suizide und Suizidversuche, stehen im Regelfall in einem unmittelbaren ursächlichen Zusammenhang mit der besonderen Konfliktträchtigkeit, die sich aus der Haftsituation und den damit verbundenen Beschränkungen für die Inhaftierten ergeben. Sie entwickeln sich überwiegend aus individuellen Konflikten, die spontan eskalieren. Ein Zusammenhang zwischen den registrierten Vorkommnissen und der tatsächlichen Präsenz von Personal besteht regelmäßig nicht. Die Erfahrungen zeigen, dass Situationen dieser Art auch durch stärkere Personalpräsenz nicht auszuschließen sind.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

I. Entweichungen

1. Am 5. Juni 2000 entwichen elf Abschiebehäftlinge aus der Anstalt Glasmoor.

a) Wie war der genaue Ablauf des Geschehens?

b) Welche Gründe waren ursächlich dafür, dass die Flucht der elf Abschiebehäftlinge möglich war?

c) Wieviel Wachpersonal war während der Flucht in der Anstalt zugegen?

d) War dies die Sollstärke?

Am 4. Juni 2000 versuchten elf Abschiebungshaftgefangene aus dem Abschiebungshafthaus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Glasmoor einen Ausbruch, indem sie an der Außenwand eines Gemeinschaftshaftraumes des in Containerbauweise errichteten Hafthauses mit Hilfsmitteln zunächst die innere Blechummantelung entfernten und anschließend die äußere Blechummantelung aufhebelten.

Einzelheiten des Ablaufs des Ausbruchsversuches können aus Sicherheitsgründen im Rahmen der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage nicht dargestellt werden. Insgesamt zehn Gefangene wurden alsbald durch Polizeikräfte und Mitarbeiter der Anstalt wieder festgenommen.

Der Vorgang wurde sowohl durch die Bauart des für den Vollzug der Abschiebungshaft errichteten Gebäudes als auch durch den Geräuschpegel begünstigt, der von einer für diesen Tag von den zuständigen schleswig-holsteinischen Dienststellen genehmigten Demonstration verschiedener Organisationen vor dem Abschiebungshafthaus ausging.

Zur Zeit des Ausbruchs waren 13 Mitarbeiter zur Wahrnehmung der Aufsicht in der Anstalt anwesend.

Dies entsprach der Sollstärke. Zusätzlich kontrollierten an jenem Tag drei Mitarbeiter der Revisionsgruppe des Strafvollzugsamtes Gefangene, die aus Vollzugslockerungen in die Anstalt zurückkehrten.

I. 1. e) Warum verweigerte die Sprecherin der Justizbehörde einen Kommentar zu dieser Frage, und gab es dazu eine Anordnung der Behördenleitung?

Der Senat sieht in ständiger Praxis davon ab, sich zu Erklärungen einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu äußern. Er weist jedoch darauf hin, dass die zuständige Behörde nach der Sollstärke nicht gefragt wurde.

2. Wie viele Entweichungen waren in den Jahren 1998, 1999 und 2000 zu verzeichnen, aus welchen Anstalten war dies geschehen, und wie viele der Entwichenen sind bislang noch auf der Flucht?

Entweichung ist jede Flucht außerhalb des umfriedeten Bereichs einer geschlossenen Anstalt, z. B. bei einer Ausführung, bei einem Krankenhausaufenthalt oder bei der Außenarbeit, und jede Flucht aus dem offenen Vollzug ohne Anwendung von Gewalt gegen Personen oder Sachen.

II. Lockerungen, insbesondere Freigang

1. Am 31. Oktober 2000 kehrte ein einundzwanzigjähriger Gefangener vom Ausgang aus der JVA Nesselstraße nicht zurück.

a) Sind die Gründe für die Nichtrückkehr bekannt, und welche waren es?

b) Warum wurde dem Gefangenen Ausgang gewährt?

c) Hätte dieser Zweck auch durch eine Ausführung erreicht werden können?

Der Ausgang wurde zur Vorbereitung der Entlassung gewährt. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hamburg hatte die Entlassung des Gefangenen nach Verbüßung von zwei Dritteln der wegen Diebstahls verhängten Freiheitsstrafe für den Fall signalisiert, dass der Gefangene eine Aufnahme in einem Wohnprojekt nachweisen könne. Daher wurde dem Gefangenen sieben Wochen vor der möglichen Entlassung ein Ausgang in Begleitung zur Vorstellung in dem Wohnprojekt genehmigt.

Wegen der Drogenproblematik des Gefangenen hielt die JVA Nesselstraße die Begleitung eines Mitarbeiters zu dem Vorstellungstermin für erforderlich. Alternativ wäre eine gefesselte Ausführung in Betracht gekommen. Aufgrund des Eindrucks, den der Gefangene in der Anstalt bisher hinterlassen hatte, und im Hinblick auf die mögliche Entlassung zum 6. Dezember 2000 waren Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr jedoch nicht erkennbar. Es handelt sich bei der Nichtrückkehr vermutlich um eine spontane Handlung.

2. Am 11. Januar 2001 wurde ein wegen Raubes, Nötigung und Vergewaltigung vorbestrafter, auf Freigang befindlicher Afghane wegen Schutzgelderpressung festgenommen.

a) Wie war der genaue Ablauf des Geschehens?

Im Rahmen eines Einsatzes des Landeskriminalamtes (LKA) gegen eine Tätergruppierung, die unter anderem unter dem Verdacht der Erpressung steht, wurde am 10. Januar 2001, gegen 21.50 Uhr, der Gefangene nach seiner Rückkehr aus dem Freigang in der JVA Vierlande verhaftet. Die Verhaftung erfolgte aufgrund eines am selben Tage vom Amtsgericht Hamburg erlassenen Haftbefehls wegen des Verdachts der räuberischen Erpressung.

2. b) Warum ist bei diesem wegen erheblicher Straftaten Vorbestraften die Unterbringung im offenen Vollzug angeordnet worden?

c) Trifft es zu, dass sich der Gefangene im Freigang befand? Ist der Freigang regelmäßig kontrolliert worden? Wenn nein, warum nicht?

Der Gefangene, der wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und unerlaubten Erwerbes einer Selbstladewaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden war, wurde am 26. Oktober 1999 in den offenen Vollzug der JVA Vierlande eingewiesen. Er war zu früheren Zeitpunkten wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln, Unterschlagung und Körperverletzung jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Eine zu einem früheren Zeitpunkt zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von zwei Jahren wegen schweren Raubes war trotz der neuerlichen Verurteilung nicht vollstreckt worden, weil das Gericht die Bewährung nicht widerrufen hatte. Deshalb und im Hinblick auf die geringere Länge der aktuell verhängten Freiheitsstrafe lagen nach Auffassung der zuständigen Einweisungskommission die Voraussetzungen für den offenen Vollzug vor.

Nachdem der Gefangene sich in der Anstalt beanstandungsfrei verhalten hatte, ist er, wie im offenen Vollzug üblich, nach Ablauf eines Monats in die Urlaubsregelung übernommen worden. Die Vollzugslockerungen verliefen nach den Erkenntnissen der Anstalt im wesentlichen beanstandungsfrei. In der Zeit vom 20. April 2000 bis 9. Juni 2000 erhielt der Gefangene eine Strafunterbrechung im Gnadenwege zur Versorgung seines Sohnes, aus der er ebenfalls pünktlich in die Anstalt zurückkehrte.

Im Rahmen einer von der Stiftung Berufliche Bildung bewilligten Wiedereingliederungsmaßnahme für Langzeitarbeitslose erhielt er ab 1. September 2000 die Gelegenheit, in einem Sportstudio einen Trainerschein zu erwerben. Als die Anstalt anläßlich einer Kontrolle des Freigangs das Sportstudio überprüfte und dort den Gefangenen nicht antraf, weil er sich, wie eine Prüfung ergab, unerlaubterweise in seiner Wohnung aufgehalten hatte, wurde der Freigang zunächst widerrufen. Nach eindringlicher Ermahnung wurde dem Gefangenen im Einvernehmen mit der Stiftung Berufliche Bildung zwei Wochen später gestattet, sich einen neuen Arbeitsplatz zu suchen.

II. 3. In Anlehnung an die Schriftliche Kleine Anfrage des Abgeordneten Ralf-Dieter Fischer (CDU) vom 17. Januar 1997 (Drucksache 15/6760) fragen wir den Senat:

a) Wie viele aller Häftlinge in Hamburg nehmen derzeit an Vollzugslockerungen (Urlaub, Ausgang, Freigang) teil?

Im Januar 2001 nahmen 512 Gefangene an der Urlaubsregelung, 443 Gefangene an der Ausgangsregelung und 174 Gefangene an der Freigangregelung teil. Zahlreiche Gefangene erhalten sowohl Ausgänge und Freigang als auch Urlaub. Die Gesamtsumme der Personen, die an den gesetzlich vorgesehenen Lockerungen teilnahmen, ist daher geringer als die Summe, die sich aus der Addition der genannten Zahlen ergibt.

3. b) Wie vielen Häftlingen (Pro-Kopf-Zahl und getrennt nach Anstalten) wurden 1997, 1998, 1999 und 2000 Lockerungen

­ in Form von Urlaub,

­ in Form von Ausgang,

­ in Form von Freigang gewährt?

In den Jahren 1997 bis 2000 sind insgesamt 13253 Gefangenen Lockerungen gewährt worden. Die Aufschlüsselung ergibt sich aus der folgenden Übersicht. Bei zahlreichen Gefangenen treffen mehrere der gesetzlich vorgesehenen Lockerungsarten zusammen.

3. c) Von wie vielen Häftlingen (bitte Pro-Kopf-Zahl) sind diese Lockerungen durch Lockerungsversagen mißbraucht worden (bitte auflisten nach den Jahren 1997, 1998, 1999 und 2000 sowie nach Lockerungsart und Anstalt)?

Die bundesweit einheitlich geführte Statistik weist keinen Mißbrauch von Lockerungen aus. Als Lockerungsversagen wird sowohl die Nichtrückkehr als auch die ­ oft auch nur kurzfristig ­ verspätete Rückkehr registriert. Von insgesamt 147131 gewährten Lockerungen für die in Antwort II3 b) genannten 13253 Gefangenen in den Jahren 1997 bis 2000 sind 939 Gefangene nicht oder nicht rechtzeitig zurückgekehrt.