Ärztliche Versorgung in der Abschiebehaftanstalt Glasmoor

Die ärztliche Versorgung von Flüchtlingen in der Abschiebungshaft sowie die ärztliche Begutachtung der Reisefähigkeit im Falle bevorstehender Abschiebungen erscheint problematisch.

Da Flüchtlinge in Abschiebehaft die Ärzt/innen ihres Vertrauens nicht frei wählen können, sind sie auf die Beurteilungen behördlich bestellter Ärzt/innen angewiesen. Gleichzeitig scheinen Amtsärzt/innen, die bei anderen Abschiebefällen als unabhängige Instanz zwingend vorgeschrieben sind, wenn zwischen ärztlichem Attest und Auffassung der Ausländerbehörde Differenzen vorliegen, für Abschiebehäftlinge nicht zur Verfügung zu stehen.

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat.

Der Senat hat bereits in seiner Antwort auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drucksache 16/4963 darauf hingewiesen, dass nach §8 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen in Verbindung mit §171 Strafvollzugsgesetz für den Vollzug von Abschiebungshaft, der im Wege der Amtshilfe in Justizvollzugsanstalten durchgeführt wird, die Vorschriften über Ordnungs-, Sicherungs-, Zwangs- und Erzwingungshaft entsprechend gelten. Hiernach hat die Justizbehörde eine angemessene Gesundheitsfürsorge sicherzustellen (§56 ff. Die ärztliche Versorgung der Abschiebungshaftgefangenen entspricht daher der Versorgung aller in Justizvollzugsanstalten inhaftierten Menschen.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. a) Welche Ärzte sind zur Zeit mit der medizinischen Betreuung von Gefangenen in Abschiebehaft befaßt? Ggf. aufschlüsseln nach Haftanstalten und Krankheitsart (insbesondere bei psychischen Störungen)?

Die medizinische Betreuung der Abschiebungshaftgefangenen obliegt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Glasmoor einem mit einem Honorarvertrag als Anstaltsarzt verpflichteten niedergelassenen Facharzt für Innere Medizin, in der Jugend- und Frauenvollzugsanstalt Hahnöfersand ebenfalls einem mit einem Honorarvertrag verpflichteten Arzt für Allgemeinmedizin und in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg mit Zentralkrankenhaus (UHA) den dort tätigen Ärztinnen und Ärzten. Im Falle psychischer Störungen werden die Gefangenen einem Facharzt für Psychiatrie vorgestellt.

1. b) Wie viele Patient/innen sind in den letzten zwei Jahren in Abschiebehaft von diesen Ärzt/innen jeweils behandelt worden? Bitte nach Männern und Frauen differenzieren.

2. a) Wie viele Abschiebegefangene wurden in den letzten drei Jahren vom stellvertretenden Chefarzt der forensischen Psychiatrie im Klinikum Nord, Dr. Pinski, untersucht?

Bitte nach Männern und Frauen differenzieren.

Die Zahl der in der UHA ärztlich und fachärztlich behandelten Abschiebungshaftgefangenen wird statistisch nicht erfaßt. Sie ist für einen Zeitraum von zwei Jahren nur über die Auswertung der Gesundheitsakten aller in diesem Zeitraum in der UHA behandelten Inhaftierten zu ermitteln. Dies ist auch innerhalb der für die Beantwortung einer Großen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht leistbar.

In der JVA Glasmoor, in der weibliche Abschiebungshaftgefangene nicht untergebracht sind, wurden nach Auswertung der mit dem dort tätigen Honorararzt vereinbarten Einzelabrechnungen im Jahre 1999 1248 Abschiebungshaftgefangene und im Jahre 2000 881 Abschiebungshaftgefangene aus unterschiedlichen Gründen ärztlich behandelt. Von den im Jahre 2000 behandelten Abschiebungshaftgefangenen wurden acht Gefangene in insgesamt 14 Terminen dem Facharzt für Psychiatrie Dr. P. vorgestellt. Im übrigen siehe Antwort des Senats zu 5. a) auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drucksache 16/4963.

2. b) In wie vielen Fällen wurde Dr. Pinski in den letzten drei Jahren zur Einschätzung der Reisefähigkeit von Abschiebegefangenen hinzugezogen?

Zahlen über Anfragen der Ausländerbehörde bei dem Facharzt für Psychiatrie Dr. P. zur Einschätzung der Reisefähigkeit werden statistisch nicht erfaßt. Nach Auskunft des Arztes stellt sich die Frage der Reisefähigkeit durchschnittlich ein- bis zweimal im Jahr. Atteste über die Reisefähigkeit werden von ihm nicht erstellt, da es nicht Aufgabe des psychiatrischen Konsiliararztes ist, sich eingehender mit der Problematik, die mit einer Abschiebung zusammenhängt, auseinanderzusetzen. Es wird lediglich der aktuelle Gesundheitszustand beurteilt und in der Gesundheitsakte dokumentiert.

3. a) In welchen Fällen wird die Reisefähigkeit der Gefangenen überprüft? Auf wessen Veranlassung?

b) Auf wessen Initiative kann prinzipiell bei kranken Gefangenen in Abschiebehaft die Reisefähigkeit geprüft bzw. festgestellt werden? Auf Antrag der Ausländerbehörde? Auf Veranlassung von Gerichten oder auch und Rechtsanwält/innen?

Begründet der Gesundheitszustand eines Abschiebungshaftgefangenen Zweifel an seiner Reisefähigkeit, ist dem auf Veranlassung der für die Feststellung etwaiger Abschiebungshindernisse gemäß §§55 Absatz 2, 63 Absatz 1 Ausländergesetz zuständigen Ausländerbehörde nachzugehen, vgl. Vorbemerkung und Antwort des Senats zu 6. a) auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drucksache 16/4963.

Darüber hinaus kann die Überprüfung der Reisefähigkeit von Gerichten veranlaßt werden, soweit dies im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten über die Zulässigkeit einer Abschiebung entscheidungserheblich ist (vgl. §§86, 87 Absatz 1 Nummer 3, 96 und 99 Verwaltungsgerichtsordnung). Den Rechtsbeiständen von Abschiebungshaftgefangenen ist es unbenommen, eine Reiseunfähigkeit ihrer Mandanten als Abschiebungshindernis geltend zu machen.

3. c) In wieviel Fällen erfragten in den letzten drei Jahren die Ausländerbehörde, ein Gericht oder Rechtsanwält/innen die Reisefähigkeit der zur Abschiebung vorgesehenen Personen von den behandelnden Ärzt/innen?

Da hierüber keine gesonderte Statistik geführt wird, müßten über 3000 Fälle von Personen, die in den letzten drei Jahren aus Abschiebungshaft abgeschoben wurden, nachrecherchiert und die entsprechenden ­ größtenteils bereits archivierten und häufig mehrbändigen ­ Akten durchgesehen werden.

Dies ist mit vertretbarem Verwaltungsaufwand auch in der für die Beantwortung einer Großen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht leistbar.

4. a) Wie oft in den letzten zwei Jahren wurden Abschiebegefangene aus der Haft in ein Krankenhaus verlegt bzw. dort behandelt? (Bitte nach Männern und Frauen aufschlüsseln.)

b) In wieviel Fällen handelte es sich hierbei um physische, in wieviel Fällen und psychische Erkrankungen? (Bitte nach Männern und Frauen aufschlüsseln.)

5. Wie oft wurden in den letzten zwei Jahren Abschiebegefangene aus dem UG Holstenglacis ins Klinikum Nord für eine ambulante Behandlung gebracht und danach wieder zurück ins UG gefahren?

Aus der UHA wurden in keinem Fall Abschiebungshaftgefangene in externe Krankenhäuser verlegt bzw. dort behandelt.

Aus der JVA Glasmoor sind nach den dort geführten Unterlagen im Jahre 1999 insgesamt drei und im Jahre 2000 insgesamt zehn Abschiebungshaftgefangene in öffentliche Krankenhäuser verlegt bzw. dort behandelt worden, davon in beiden Jahren in jeweils einem Fall aufgrund psychischer Auffälligkeiten.

6. a) Gibt es amtsärztliche Untersuchungen von Abschiebegefangenen? Wenn ja, auf wessen Veranlassung und wie viele in den letzten fünf Jahren?

b) Wenn nein: Wieso wird entgegen der Politischen Vereinbarung zwischen SPD und GAL vom 9. Juli 2000 bei Gefangenen in Abschiebehaft kein/e Amtsärzt/in zur Feststellung der Reisefähigkeit hinzugezogen?

Eine amtsärztliche Begutachtung wird von der Ausländerbehörde nur bei verbleibenden Zweifeln bzw. Meinungsverschiedenheiten über die Reise(un-)fähigkeit veranlaßt, vgl. Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft Drucksache 16/4911 zu 2.2., im übrigen Antwort zu 3. a) und b) sowie zu 3.c).

7. a) Wie viele Gefangene in der Abschiebehaft in Glasmoor erhielten in den letzten fünf Jahren Psychopharmaka?

b) Welche Medikamente wurden dabei in welcher Häufigkeit bei welcher Diagnose verschrieben?

c) Gibt es außer der Medikation bei psychisch kranken Gefangenen weitere Behandlungsarten? Wenn ja, welche?

d) Wie häufig, in welchen Abständen und von wem werden die Kontrolluntersuchungen durchgeführt? Werden dabei auch unerwünschte Nebenwirkungen der Behandlung untersucht?

Der für die JVA Glasmoor tätige Facharzt für Inneres verordnet keine Psychopharmaka. Statistische Aufzeichnungen über Verordnungen des in Einzelfällen konsiliarisch tätigen Psychiaters liegen nur für die Jahre 1998 bis 2000 vor. Nach diesen Unterlagen wurden 1998 in einem Fall, in 1999 in vier Fällen und in 2000 in einem Fall Psychopharmaka verordnet. In einem Fall wurde wegen einer depressiven Verstimmung das Medikament Diazepam für die Dauer einer Woche zur Einnahme einmal täglich verordnet, in fünf Fällen wegen Schlafstörungen und Entzugserscheinungen das Medikament Aponal für jeweils eine Woche zur Einnahme einmal täglich. Weitere Behandlungsmöglichkeiten bestehen in der JVA Glasmoor nicht. Die notwendigen Kontrolluntersuchungen obliegen sowohl dem Anstaltsarzt als auch dem verordnenden Arzt, dem der Patient ggf. zum Zwecke der Verlaufskontrolle erneut vorgestellt wird; vgl. im übrigen Antwort des Senats zu 6.e) auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drucksache 16/4963.

8. a) Wie wird eine Transparenz der medizinischen Behandlung für eine eventuelle Fortbehandlung oder spätere Behandlung nach der Abschiebung bzw. Freilassung gewährleistet?

b) Wie wird gewährleistet, dass bei Abschiebung oder Entlassung die Patient/innen und weiterbehandelnden Ärzte ausreichend über das Krankheitsbild und die Medikation informiert werden?

c) Wie wird gewährleistet, dass diese Informationen in die Sprachen der Länder übersetzt werden, in die die kranken Gefangenen abgeschoben werden?

d) Wie wird die Kommunikation zwischen Gefangenen und behandelnden Ärzten ermöglicht, wenn es weder Dolmetscher/innen noch übersetzte Beipackzettel für Medikamente gibt?

e) Werden die Gefangenen über mögliche Nebenwirkungen von verabreichten Medikamenten informiert? Wenn ja, wie geschieht dies und wie wird sichergestellt, dass die Information auch verstanden wird?

Die Fortsetzung der medizinischen Behandlung eines Abschiebungshaftgefangenen im Anschluß an die Haft wird über einen sogenannten Weiterbehandlungsschein gewährleistet, aus dem die erforderlichen Informationen für den zukünftig behandelnden Arzt hervorgehen, insbesondere diagnostische Hinweise und die Bezeichnungen ggf. verordneter Medikamente sowie die darin enthaltenen Wirkstoffe. Diese Information erfolgt in deutscher Sprache. Aufgrund der Nennung der Wirkstoffe eines Medikaments ist die Präparatgruppe jedoch eindeutig beschrieben und identifizierbar. Die Patienten erhalten im Bedarfsfall eine ausreichende Menge der verordneten Medikamente zur Überbrückung der Zeit bis zur Fortsetzung der Behandlung außerhalb der Haft. Im übrigen siehe Antworten des Senats auf die Schriftlichen Kleinen Anfragen Drucksachen 16/2743 Vorbemerkung und Antwort zu 1. und 16/4963 zu 6.

9. a) Wie viele Suizidversuche gab es von Menschen in Abschiebehaft in Hamburger Gefängnissen seit 1995? Wieviel Männer, wieviel Frauen?

b) Wie viele führten davon zum Tode der Gefangenen?