Die Pflege soll auch die Aktivierung des Pflegebedürftigen zum Ziel haben

In einem Leistungskomplexsystem werden Leistungen so zusammengefasst, dass typischerweise im Zusammenhang erforderliche und vom Pflegebedürftigen abgeforderte Leistungen in einem Komplex zusammengefasst werden.

Als Beispiel sei hier die sogenannte Große Morgentoilette genannt, die den Hilfebedarf beim Verlassen des Bettes, bei der Darm- und Blasenentleerung, beim Anziehen und bei der Körperpflege (Waschen/Duschen/Baden, Zahnpflege, Rasieren, Kämmen etc.) umfasst. Der Leistungsumfang der verschiedenen Komplexe wird in einem solchen System von den Vertragsparteien durch eine Punktzahl abgebildet. In Hamburg beträgt beispielsweise die vereinbarte Punktzahl für die genannte Große Morgentoilette 450 Punkte.

Nach dem in 3.9.1 geschilderten Verfahren wird zusätzlich zwischen dem Träger des Pflegedienstes und den Kostenträgern ein einrichtungsspezifischer Punktwert vereinbart. Zur Ermittlung des Preises, den ein Pflegedienst für einen Leistungskomplex berechnen darf, ist dieser Punktwert mit der Punktzahl des jeweiligen Leistungskomplexes zu multiplizieren.

Die Schiedsstelle nach § 76 SGB XI für Hamburg hatte 1999 für diese Punktwerte einen Rahmen (Korridor) von 0,070 bis 0,079 DM je Punkt festgesetzt. Anschließende Vergütungsverhandlungen auf Verbandsebene führten Anfang 2000 zu einer Einigung, nach der die meisten Dienste Punktwerte zwischen 0,0740 und 0,0755 DM erreichen können. Die Staffelung in diesem Bereich richtet sich nach dem Ausmaß seiner Qualitätsmanagement-Anstrengungen, die der Pflegedienst den Vertragspartnern nachweist (vgl. 3.1.3).

Die Vergütungsvereinbarungen, die eine Laufzeit vom 1. April 2000 bis zum 31. März 2001 haben, waren im Übrigen mit einer durchschnittlichen Erhöhung um rund 7 % gegenüber dem bis dahin geltenden Stand verbunden.

Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Punktwerte zwischen dem 1. August 1997 und dem 31. März 2000 konstant waren. Da die Sachleistungen der Pflegeversicherung für die ambulante Pflege und hauswirtschaftliche Versorgung nach § 36 SGB XI auf feste monatliche Höchstbeträge begrenzt sind16), die von den Pflegebedürftigen in der Regel vorher schon ausgeschöpft worden waren, trifft eine solche Erhöhung vorrangig die Pflegebedürftigen selbst und (bei Bedürftigkeit) den Sozialhilfeträger Hamburg.

Die zusätzlichen Ausgaben im Einzelplan 4 hat der Senat mit rund 4,3 Mio. DM jährlich veranschlagt.

Einen Hinweis darauf, ob die vereinbarten Vergütungen leistungsgerecht und wirtschaftlich sind, kann auch ein Regionalvergleich liefern.

Der Senat ist der Auffassung, dass die seit 1. April 2000 für die Hamburger Pflegedienste vereinbarten SGB XI-Vergütungen grundsätzlich leistungsgerecht und wirtschaftlich sind. Die Preis-Staffelung nach Qualitätsindikatoren ist bundesweit bislang einmalig und bietet jedem einzelnen Dienst einen finanziellen Anreiz, seine Qualitätsmanagement-Anstrengungen zu verstärken. Die Pflegebedürftigen, ihre Angehörigen und gesetzlichen Vertreter können sich am breiten Markt der Pflegedienste in Hamburg zwischen rund 400 Diensten verschiedener Preis- und Leistungsniveaus entscheiden, ohne dass sie Abstriche an Grundvoraussetzungen an zugelassene Pflegedienste (§ 80 SGB XI, vgl. 2.1) machen müssten.

Weit verbreitet ist die Behauptung, Mängel in der ambulanten Pflege hätten etwas mit der grundsätzlichen Entscheidung der Vereinbarungspartner für ein Leistungskomplexsystem zu tun. Durch den fehlenden Zeitbezug werde einer fachlich nicht wünschenswerten Orientierung an Geschwindigkeit in der ambulanten Pflege Vorschub geleistet und insbesondere kommunikative Bedürfnisse der Pflegebedürftigen missachtet. Hierzu ist festzustellen:

­ Die Leistungskomplexe bilden die Hilfebedarfe so ab, wie sie sich aus der Pflegebedürftigkeitsdefinition des § 14 Absatz 4 SGB XI ergeben. § 28 Absatz 4 SGB XI ist zu beachten: Die Pflege soll auch die Aktivierung des Pflegebedürftigen zum Ziel haben, um vorhandene Fähigkeiten zu erhalten und, soweit dies möglich ist, verlorene Fähigkeiten zurückzugewinnen. Um der Gefahr einer Vereinsamung des Pflegebedürftigen entgegenzuwirken, sollen bei der Leistungserbringung auch die Bedürfnisse des Pflegebedürftigen nach Kommunikation berücksichtigt werden. Die Leistungskomplexe beinhalten deshalb auch notwendige Prophylaxen und kommunikative Hilfen.

­ Der einzelne Pflegebedürftige hat dabei keinen individuellen Anspruch auf zeitliche Anwesenheit der Pflegekraft. Ist die Hilfe erbracht, kann die Pflegekraft ihre Einsatztour fortsetzen. Für den Pflegedienst bedeutet dies in der Tat einen Anreiz, die notwendigen Hilfen in kurzer Zeit zu erbringen. Die pflegebedürftige Person kann sich andererseits mit ihrem Pflegevertrag darauf verlassen, dass die typischerweise benötigte Hilfe zu einem konstanten Preis ­ unabhängig von ihrer Tagesform sichergestellt wird. Die Hilfe ist in vollem Umfang zu erbringen, auch wenn sie einmal außergewöhnlich viel Zeit in Anspruch nimmt.

­ Die Strukturierung nach typischen Leistungskomplexen hilft den Angehörigen der Pflegebedürftigen bei der Entscheidung, welche Leistungen von Pflegediensten gezielt eingekauft werden und welche selbst erbracht werden können.

­ Das Leistungskomplexsystem hat da seine Grenzen, wo keine typischen zusammenhängenden Einzelleistungen im Tagesablauf definiert werden können. Nach den Erfahrungen der BAGS ist dies zum Beispiel für die Hilfen bei der Reinigung der Wohnung (Leistungskomplex 12) der Fall. Während dieser Leistungskomplex einerseits z. B. für ein kurzes Säubern der Badewanne nach der Morgentoilette abgerechnet wird, muss er 16) 750 DM für Pflegebedürftige der Pflegestufe I, 1800 DM in Pflegestufe II, 2800 DM in Pflegestufe III, 3750 DM in Härtefällen der Pflegestufe III. andererseits auch zum Abrechnen der üblichen Gesamtreinigung der Wohnung herangezogen werden. Die BAGS wird sich bei den nächsten Vergütungsverhandlungen deshalb dafür einsetzen, dass Reinigungsleistungen zukünftig zeitbezogen vergütet werden können.

Vergütungen in der stationären Pflege in Hamburg, Personalanhaltszahlen

Für die Vergütungen der Pflegeheime galten vom 1. Juli 1996, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der sogenannten zweiten Stufe der Pflegeversicherung, bis zum 31. Dezember 1997 gesetzliche Übergangsregelungen. In Hamburg wurden diese Übergangsregelungen durch die Vereinbarung vom 13. November 1997 über Eckpunkte zur Ermittlung der Pflegesätze und Entgelte für Unterkunft und Verpflegung in der stationären Pflege nach dem Achten Kapitel des Elften Buches Sozialgesetzbuch für 1998 abgelöst. Vereinbarungspartner waren die Landesverbände der Pflegekassen, die Landesverbände der Träger vollstationärer Pflegeeinrichtungen und die FHH als Träger der Sozialhilfe.

Früher als in anderen Bundesländern waren sich die Partner in Hamburg darin einig, die Pflegevergütungen an Personalanhaltszahlen (Personalschlüssel je Bewohner einer bestimmten Pflegestufe) und die Fachkräfteanforderung des Heimgesetzes (vgl. 3.2.2) zu knüpfen. Ziel der getroffenen Regelungen war dabei, die Personalmenge in Pflege und Betreuung zum Übergangszeitraum zu erhalten und sie ­ bei zukünftig steigender Pflegebedürftigkeit der durchschnittlichen Heimbewohnerinnen und Heimbewohner ­ auszuweiten.

Bezugspunkt für die Standardsicherung war dabei die Allgemeine Pflegesatzvereinbarung zwischen den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege und der FHH, die vor dem 1. Juli 1996 Grundlage für die Vereinbarungen nach § 93 BSHG auch für die Alten- und Pflegeheime war. Sie enthielt im Bereich von Pflege und Betreuung Personalanhaltszahlen für Pflegekräfte nach den damals in Hamburg geltenden Pflegestufen sowie stufenunabhängige Komponenten (Stationshilfen, Therapiepersonal). Im Rahmen der Eckpunktevereinbarung für 1998 wurde für ein durchschnittliches Hamburger Heim hieraus die (Pflege- und Therapie-)Personalmenge ermittelt und so auf die neuen Pflegestufen (nach SGB XI bzw. MDK-Begutachtung in Hamburg) aufgeteilt, dass die Personalmenge insgesamt erhalten blieb. Da beispielsweise vor SGB XI in Hamburg über 50 % der Bewohnerinnen und Bewohner in der damaligen Pflegestufe 3 waren, die Pflegestufe III nach SGB XI aber nur 17 % der Bewohnerinnen und Bewohner (die Schwerst-Pflegebedürftigen) erreichten, wurde der Personalschlüssel für die neue Pflegestufe III deutlich höher festgesetzt als der alte.

Obwohl die Eckpunktevereinbarung am 31. Dezember 1998 ausgelaufen ist und für 1999, 2000 und 2001 keine Anschlussvereinbarungen getroffen wurden, finden die Personalanhaltszahlen für das Pflegepersonal in den Einzelverhandlungen mit den Heimen weiterhin Anwendung.

Sie lauten (eine finanzierte Pflegekraft je x Bewohnerinnen und Bewohner): Pflegestufe 0: 1: 13,04, Pflegestufe 1: 1: 4,30, Pflegestufe 2: 1: 2,53, Pflegestufe 3: 1: 1,79.

Darüber hinaus wird für jede Einrichtung eine Pflegedienstleitung finanziert.

Zum Verständnis dieser Anhaltszahlen ist hinzuzufügen, dass sie bisher nur der Vergütungskalkulation dienen. Der reale Personaleinsatz richtet sich nach den Erfordernissen der Pflegebedürftigen und kann davon ­ nach oben wie nach unten ­ abweichen. Deutliche Abweichungen von diesen Personalanhaltszahlen nach unten können aber im Zusammenhang mit aufgetretenen Mängeln der Heimaufsicht die Handhabe geben, das Einstellen von zusätzlichem Personal anzuordnen (vgl. 5.3). Sollte das SGB XI im Sinne des Entwurfs der Bundesregierung zu einem Pflege-Qualitätssicherungsgesetz geändert werden (vgl. 2.1.3), kann die Personalmenge auch von den Vertragspartnern nach SGB XI im Rahmen von Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen verbindlicher als bisher vereinbart werden.

Als weitere Komponenten zur Vergütungsfindung wurden für 1998 festgesetzt:

­ eine Vergütung je Pflegepersonalstunde von 43 DM (Orientierungswert) bei einer angenommenen Jahresarbeitszeit von rund 1566 Stunden, einem Fachkraftanteil von 50 % und einem Anteil geringfügig Beschäftigter von 10 %,

­ einen Vergütungskorridor für Unterkunft und Verpflegung (gem. § 87 SGB XI) von 30 bis 40 DM täglich.

Diese Komponenten wurden in den folgenden Jahren jeweils angehoben.

Zu betonen ist die qualitätsfördernde Absicht und Wirkung der Regelungen zur Pflegepersonalstunde: Eine Abweichung vom Orientierungssatz erfolgt in den Einzelverhandlungen grundsätzlich nur anhand der Kriterien Fachkräfteanteil der Einrichtung und Anteil geringfügig Beschäftigter. Die Einrichtung kann also sicher sein, eine Steigerung ihres Anteils an sozialversicherungspflichtig beschäftigten, examinierten Fachkräften im Pflegesatz kompensiert zu bekommen. Dies war der BAGS und den Pflegekassen schon 1997 im Hinblick auf die Anforderungen des Heimgesetzes (vgl. 2.4 und 3.2.2) und die absehbaren Defizite bei der Erfüllung dieser Anforderungen in Hamburg wichtig. Wenn Pflegeheime im Jahr 2000/2001 die Fachkraftquote nach Heimgesetz noch immer nicht erfüllen, ist die Ursache hierfür nicht in der Finanzierungssystematik und den Vergütungsvereinbarungen in Hamburg zu suchen.

Wie bereits erwähnt, konnte nach 1998 keine weitere Eckpunktevereinbarung abgeschlossen werden. Bereits anlässlich der Vereinbarung für 1998 hatten die Verbände der Leistungsanbieter zu Protokoll gegeben: Diese Rahmenvereinbarung (...) berücksichtigt nicht die Tatsache, dass durch das Pflegeversicherungsgesetz, den Rahmenvertrag nach § 75 SGB XI und die Qualitätsgrundsätze nach § 80 SGB XI zusätzliche Anforderungen gestellt sind, die einen zukünftigen erhöhten Personalbedarf zur Folge haben. In den Folgejahren wurde von den Trägerverbänden die Erhöhung der Personalanhaltszahlen jeweils zur Voraussetzung für eine Neuauflage der Vereinbarung erhoben.

Die Kostenträger lehnten diese jedoch als im Hinblick auf überregionale Vergleiche nicht erforderlich (s. u.) und im Übrigen nicht finanzierbar ab.

Bei dem angeführten Regionalvergleich ist allerdings zu berücksichtigen, dass nicht alle Angaben auf platzzahlgewichteten Durchschnitten beruhen und (teurere) Spezialeinrichtungen, etwa für Wachkoma-Patienten, unterschiedlich in die Betrachtung eingegangen sind.

Eine Arbeitsgruppe Bundesweiter Pflegesatzvergleich des Landespflegeausschusses Hamburg kam deshalb zu dem Ergebnis, dass mit dem vorliegenden Zahlenmaterial höchstens Trendaussagen getroffen werden können, jedoch kein eindeutiger Pflegesatzvergleich anzustellen ist.

Die BAGS ist jedoch der Auffassung, dass sich im für Hamburg besonders bedeutsamen Vergleich zum nördlichen Umland in Schleswig-Holstein zumindest die Trendaussage treffen lässt, dass die dortigen Pflegeeinrichtungen für Pflegebedürftige derselben SGB XI-Pflegestufe um 10 % bis 30 % niedrigere Pflegesätze erhalten als Hamburger Heime. Dieser Umstand ist insbesondere im Hinblick auf eine Abwanderung von Hamburger Pflegebedürftigen ins Umland und damit auf wohnortnahe Versorgung und Arbeitsplatzsicherung in Hamburg von Bedeutung.

Insgesamt ist im Hinblick auf die mit den geltenden Vergütungen und Personalanhaltszahlen mögliche Qualität aus Sicht der BAGS Folgendes festzuhalten:

1. Bei einheitlichen Personalanhaltszahlen und gleichen Vergütungsgrundsätzen in Hamburg ist die von den Pflegeheimen gelieferte Leistungsqualität nach übereinstimmender Darstellung der Heimaufsicht und des MDK sehr unterschiedlich. Auch bundesweit hängt die Zufriedenheit von Pflegeheimbewohnern nach vorliegenden Erkenntnissen weder systematisch mit der qualitativen noch mit der quantitativen Personalausstattung in der Pflege zusammen.19) Zunächst ist demnach ein learning from best practice zu fordern, das in den Verbänden und der HPG organisiert werden kann (und

­ am Beispiel der Dekubitusprophylaxe, vgl. 6.1.3 ­ auch bereits ansatzweise durchgeführt wird).

2. Richtig ist allerdings, dass die derzeitigen Personalanhaltszahlen unter bestimmten, zwischen den Vereinbarungspartnern einvernehmlichen, Annahmen rein rechnerisch aus den BSHG-Personalschlüsseln vor Bestehen der Pflegeversicherung abgeleitet wurden. Sie stellen demnach fachlich eine gewisse black box dar. Möglicherweise fachlich bessere und bundesweit einsetzbare Verfahren der Personalbedarfsermittlung sind vom Bundesgesetzgeber für die Zukunft gefordert (§ 75 Absatz 3 und 6 in der Fassung des befinden sich aber noch in der praktischen Erprobung. Der Senat wird diese Entwicklung aufmerksam verfolgen und durch geeignete Maßnahmen (z. B. Modellerprobung in einzelnen Heimen) unterstützen.

Finanzierung der Behandlungspflege

Im Zusammenhang mit dem Ersten SGB XI-Änderungsgesetz (1. SGB vom 14. Juni 1996 wurde festgelegt, dass bei vollstationärer Pflege die Kosten der Behandlungspflege nicht durch die Krankenversicherung (SGB V) sondern von der Pflegeversicherung (SGB XI) zu übernehmen sind. Da die leistungsrechtliche Zuordnung der medizinischen Behandlungspflege zur Pflegeversicherung im Gesetzgebungsverfahren nicht unumstritten war, wurde diese Regelung zunächst vom 1. Juli 1996 bis zum 31. Dezember 1999 befristet. Diese Befristung wurde im Rahmen des GKV-Gesundheitsreform 2000 vom 22. Dezember 1999 um zwei Jahre bis zum 31. Dezember 2001 verlängert.

Dies bedeutet, dass nach derzeitiger Rechtslage die medizinische Behandlungspflege im stationären Bereich im Leistungsumfang der sozialen Pflegeversicherung inbegriffen (§ 43 Absatz 2 SGB XI) ist. Es werden daher neben den pflegerischen Aufwendungen für allgemeine Pflegeleistungen auch die Aufwendungen für Leistungen wie z. B. das Setzen von Spritzen, Dekubitus-Behandlungen oder Katheterisierungen vom Personal der Pflegeeinrichtungen erbracht.