Weitere Vorfälle durch Patienten der Psychiatrie im Klinikum Nord

Nach Angaben von Mitarbeitern des Klinikums Nord ist es in den letzten Jahren zu weiteren bisher noch nicht in der Öffentlichkeit bekannten Übergriffen von Patienten der forensischen Psychiatrie auf andere Patienten oder auf das Personal gekommen. Das notwendige Vertrauen der Bevölkerung in eine verantwortliche Arbeit im Klinikum darf nicht unter mangelnder Informationspolitik leiden. Der Opferschutz sollte eine hohe Priorität bei der Anwendung des Maßregelvollzugs genießen. Die aufgetauchten Vorwürfe sowie die Beantwortung der Schriftlichen Kleinen Anfrage Drucksache 16/6088 durch den Senat geben Anlaß zu Nachfragen.

Im Klinikum Nord werden in vier allgemeinpsychiatrischen Abteilungen und zwei Spezialabteilungen psychisch kranke Hamburgerinnen und Hamburger behandelt. Der überwiegende Teil dieser Patientinnen und Patienten befindet sich freiwillig in klinischer Behandlung. In Einzelfällen werden in diesen Abteilungen ­ wie in allen anderen sektorisiert arbeitenden psychiatrischen Abteilungen auch ­ Unterbringungsbeschlüsse nach den §§8 ff. des Hamburgischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten oder nach §§1906 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vollzogen. Darüber hinaus werden in der forensischen Abteilung des Klinikums Nord Maßregeln nach den §§63 und 64 Strafgesetzbuch bei aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer Suchterkrankung schuldunfähigen oder vermindert schuldfähigen Straftätern vollzogen. Um insbesondere auch im Interesse aller Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Abteilungen eine sachgerechte Diskussion zu gewährleisten, ist es notwendig, bei der Betrachtung die verschiedenen Bereiche psychiatrischer Versorgung zu trennen und keine ungerechtfertigten Vorurteile gegenüber psychisch Kranken zu fördern.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen, zum Teil auf Grundlage von Auskünften des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK Hamburg) ­ Anstalt öffentlichen Rechts -, wie folgt.

1. Ist das Personal angewiesen, jegliche Hinweise von Patienten auf sexuelle Übergriffe zu verfolgen und zu protokollieren?

Ja.

2. Hält es der Senat für sinnvoll, dass die Akutaufnahme der Psychiatrie ausschließlich aus gemischten Stationen besteht?

Es ist anerkannter Standard, dass auch die psychiatrische Akutbehandlung ebenso wie mittel- und längerfristige psychiatrische Behandlungen dem Prinzip der Normalität folgend in der Regel auf gemischtgeschlechtlichen Stationen erfolgen soll. Geschlechtsspezifische Angebote können im Einzelfall sinnvoll sein, wie z. B. die Behandlungseinheit im Klinikum Nord für traumatisierte Frauen.

3. Wie wird gewährleistet, dass ausschließlich qualifiziertes Personal für Tätigkeiten wie Nachtwachen usw. in der Psychiatrie eingesetzt wird?

Der Einsatz qualifizierten Personals wird durch die Personalauswahl, die Dienstplangestaltung und Fortbildungsmaßnahmen sichergestellt.

4. Welche konkreten Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz vor Übergriffen auf andere Patienten und das Personal wurden in den letzten Jahren getroffen?

Notwendige Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von Patientinnen und Patienten und des Personals sind vom Einzelfall abhängig und richten sich nach den individuell abgestimmten Therapiemaßnahmen.

5. Ist es richtig, dass das Personal auf anderen Stationen abends die Fenster schließen soll?

Wenn ja, warum?

Alle Krankenhäuser des LBK Hamburg sind gehalten, besonders nachts im Erdgeschoßbereich die Zugangsmöglichkeiten gegen unbefugtes Eindringen zu sichern, da es vereinzelt zu Diebstählen gekommen war.

6. Fällt die Weitergabe von begangenen oder geplanten Straftaten von Patienten an Dritte unter die ärztliche Schweigepflicht? Wenn ja, gilt dies auch für das übrige Pflegepersonal?

Soweit im Krankenhaus von Patienten Straftaten begangen wurden oder geplant werden, hat das Krankenhaus an der Aufklärung bzw. Verhinderung mitzuwirken. Eine damit in Zusammenhang stehende Datenweitergabe ist z. B. im Rahmen des Hamburgischen Krankenhausgesetzes ausdrücklich gestattet (vgl. §11 Absatz 1).

7. Ist es möglich, dass unter Psychopharmaka stehende Frauen Opfer sexueller Übergriffe wurden, dieses aber trotz Meldung vom therapierenden Arzt nicht weitergeleitet wurde?

Wenn Frauen Opfer von sexuellen Übergriffen wurden, wird dieses umgehend intern gemeldet und bei der Polizei angezeigt.

8. Wie viele Mitarbeiter des Klinikums Nord wurden in den letzten fünf Jahren von Patienten der Forensik angegriffen, und welche Verletzungen sind bekannt?

Alle Informationen und Untersuchungen auch aus jüngerer Zeit belegen, dass außerhalb der forensischen Abteilung keine Mitarbeiter des Klinikums Nord von Patienten der Forensik angegriffen wurden.

Innerhalb der forensischen Abteilung kommt es selten zu tätlichen Übergriffen von Patienten gegenüber Mitarbeitern. Sie werden ggf. in der Krankenakte dokumentiert. Eine besondere Statistik wird nicht geführt.

9. Wie viele der Sexualstraftäter, die sich aufgrund einer Verurteilung in der geschlossenen Psychiatrie des Klinikums Nord befinden, waren vorher bereits wegen ähnlicher Auffälligkeiten in psychiatrischer Behandlung?

In der geschlossenen Unterbringung des Klinikums Nord ­ außerhalb des Maßregelvollzuges ­ befinden sich keine verurteilten Sexualstraftäter.

In welchem Umfang in der forensischen Abteilung untergebrachte Personen sich bereits früher in psychiatrischer Behandlung befanden, wird nicht statistisch erfaßt und ließe sich nur durch Auswertung aller Einzelfälle ermitteln. Dies ist in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.

10. Ist dem Personal anderer Stationen bekannt, dass Patienten der Psychiatrie Schlüssel auch zu Räumen anderer Abteilungen hatten bzw. haben?

Psychiatrische Patienten sind regelhaft nicht in Besitz von Schlüsseln zu Räumen anderer Abteilungen. Wenn in Ausnahmefällen (z.B. im Rahmen einer Arbeitstherapie) Schlüssel ausgegeben wurden, ist dies auch bekannt.

11. Ist mittlerweile geklärt, warum Andreas P. einen Universalschlüssel hatte? Wenn ja, aus welchem Grund besaß er ihn? Wenn nein, bis wann soll dies geklärt werden?

12. Kann der Senat ausschließen, dass weitere Patienten der Psychiatrie solche Universalschlüssel hatten oder haben?

Im Rahmen der fortschreitenden Behandlung und Eingliederung zur Erreichung des Vollzugszieles war gegenüber dem Patienten eine Vollzugslockerung in Form einer Arbeitsplatzerprobung vorgenommen worden. In diesem Rahmen war er während seines Einsatzes im Transportdienst zeitweise als Hausarbeiter im somatischen Bettenhaus eingesetzt und mit den dafür erforderlichen Schlüsseln ausgestattet. Über einen Universalschlüssel oder Schlüssel zur forensischen Abteilung verfügte er nicht.

Vor diesem Hintergrund kann auch ausgeschlossen werden, dass andere Patienten der Psychiatrie über Universalschlüssel verfügen.

13. Ist es richtig, dass unbeaufsichtigte Freigänge der Forensik auch deshalb ermöglicht werden, da nicht immer ausreichend Begleitpersonal vorhanden ist?

Nein.

14. Zu welchen genauen Arbeiten und wo wurden Patienten der Forensik in den letzten zehn Jahren eingesetzt?

Im Rahmen der Sozial- und Arbeitstherapie wurden die Patienten zu Hilfs- und Fertigungsarbeiten in folgenden Bereichen des Krankenhauses eingesetzt: Gärtnerei, Buchbinderei, Druckerei, Küche, Holund Bringedienste, Administration, Elektro- und andere Werkstätten, Tischlerei.

15. Waren andere Abteilungen des Klinikums über diese Tätigkeit informiert?

Ja.

16. Ist es richtig, dass im Hamburger Maßregelvollzug Vollzugslockerungen ein fester Bestandteil jeder Therapie sind, da die Soll-Vorschrift den therapierenden Arzt unter Erfolgsdruck setzt? Wenn ja, soll diese Soll-Vorschrift in eine Kann-Vorschrift geändert werden?

Wenn nein, wie bewertet der Senat die Soll-Vorschrift im Vergleich zu den Gesetzeslagen in den anderen Bundesländern?

Vollzugslockerungen sind notwendige Schritte im Rahmen des Maßregelvollzugs, um Patienten und Patientinnen schrittweise und kontrolliert auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten. Vollzugslockerungen werden nur ausgesprochen, sofern diese unter Abwägung aller Gesichtspunkte vor dem Hintergrund der Sicherheit der Bevölkerung verantwortet werden können. Eine solche Entscheidung wird nicht leichtfertig oder unter Erfolgsdruck getroffen.

Die vom Präses der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales eingesetzte unabhängige Sachverständigenkommission hat auch den Auftrag, Anregungen für ggf. notwendige legislative Änderungen vorzuschlagen.

17. Wie viele wegen Sexualdelikten verurteilte Personen befinden sich zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, und in welcher Abteilung befinden sie sich dort?

Zur Zeit befinden sich in den Fuhlsbütteler Anstalten 108 wegen Sexualdelikten verurteilte Personen (§§176, 177, 178 und 183 Strafgesetzbuch): Justizvollzugsanstalt (JVA) Suhrenkamp 12, JVA Am Hasenberge 43, JVA Nesselstraße 53 (davon 14 in der Sozialtherapeutischen Abteilung).

18. Wie viele dieser Täter wurden aus welchen Gründen in den letzten fünf Jahren vor Ablauf ihrer Haftstrafe in das Haus 18 des Klinikums Nord überstellt?

Von den zur Zeit in den drei Fuhlsbütteler Justizvollzugsanstalten befindlichen 108 Sexualstraftätern wurde im Zeitraum 1998 bis 2001 einer zur Begutachtung in das Haus 18, Klinikum Nord ­ Betriebsteil Ochsenzoll -, überstellt.

Die Ein- und Austrittsdaten werden in den Fuhlsbütteler Anstalten erst seit drei Jahren elektronisch erfaßt. Die Erhebung von Daten über einen darüber hinausgehenden Zeitraum hätte die Auswertung von weit über 100 Gefangenenpersonalakten erfordert. Diese ist innerhalb der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich.

19. Wie viele dieser Täter erhielten im Haus 18 des Klinikums Nord in den letzten fünf Jahren Vollzugslockerungen vor Ablauf ihrer Haftstrafe?

Keiner.

20. Wie viele nicht therapierbare Patienten gibt es in Hamburg, und wie wird mit diesen nach Ablauf der Haftstrafe verfahren? Erhalten auch diese Personen Vollzugslockerungen?

Wenn ja, in welcher Form?

Wie viele Sexualstraftäter als nicht therapierbar einzustufen sind, wird statistisch nicht erfaßt. Zur Zeit befinden sich in den Hamburger Justizvollzugsanstalten 46 Sexualstraftäter, für die derzeit keine therapeutischen Maßnahmen im engeren Sinne (Einzel-, Gruppen- oder Sozialtherapie) geplant oder eingeleitet sind. Unter diesen 46 Gefangenen befinden sich Personen, bei denen eine Therapie aus Gründen, die in ihrer Person oder den Tatumständen liegen, nicht notwendig oder erfolgversprechend ist, sowie solche, die eine Therapie abgebrochen haben, eine therapeutische Behandlung ablehnen oder die nicht über die dafür notwendigen Strafzeiten und sprachlichen Voraussetzungen verfügen.

Bei therapiebedürftigen Sexualstraftätern wird im Rahmen der Vollzugsplanung regelmäßig überprüft, ob die Voraussetzungen für eine Therapie gegeben sind.

Sexualstraftäter, die sich trotz einer vorhandenen Behandlungsnotwendigkeit nicht an Therapiemaßnahmen beteiligen, die therapieunfähig sind oder bei denen die Maßnahmen keinen Erfolg zeigen, müssen von seiten der Anstalt mit einer schlechten Prognose rechnen, sofern bei ihnen eine anhaltende Gefährdung der Öffentlichkeit auszumachen ist. Demzufolge kommen bei ihnen weder Vollzugslockerungen noch eine vorzeitige Entlassung in Betracht.

Bei einer Entlassung zum Strafende kann unter bestimmten Voraussetzungen Führungsaufsicht angeordnet werden, die mit einzelnen Weisungen einhergehen kann. Hierzu kann erneut eine Therapieauflage gehören (siehe auch Antwort des Senats auf die Große Anfrage Drucksache 16/1623, dort Antworten zu 6.c und 6.d).

21. Wie oft hat es in den letzten zehn Jahren Mißbrauch von Drogen im Klinikum Nord bei auf Entzug befindlichen Patienten gegeben?

Der Mißbrauch von Drogen, also die Rückfälligkeit der Patienten, wird nicht statistisch, sondern als Krankheitssymptom in der individuellen Patientendokumentation erfaßt. Ausgehend von der Zahl der disziplinarischen Entlassungen und der klinischen Erfahrung kommt es in etwa 5 Prozent der Behandlungsfälle der Suchtabteilung zu Rückfällen. Dieser Wert ist im internationalen Vergleich als eher niedrig anzusehen.

22. Gibt es Erkenntnisse, dass auch Drogen von Patienten mit auf das Gelände des Klinikums Nord genommen wurden? Wenn ja, wie häufig wurden diese Vorfälle bekannt, welche Konsequenz zog man aus den Vorfällen?

Die Einbringung jeder Art von Drogen, einschließlich Alkohol, auf die Station wird in der Regel bekannt.

Patienten, die Drogen auf die Station einbringen, werden grundsätzlich aus disziplinarischen Gründen entlassen. Eine statistische Erfassung erfolgt nicht.

23. Wie oft waren in den letzten zehn Jahren andere Einsatzkräfte wegen entwichener Patienten im Einsatz? (Bitte Angabe des Datums, Grund und Ergebnis.)

Die Polizei führt darüber keine Statistiken. Eine Auswertung von Tätigkeitsnachweisen der Polizeikommissariate/Polizeireviere und Ermittlungsvorgängen des Landeskriminalamtes, die zur Beantwortung herangezogen werden könnten, ist mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich. Im übrigen besteht für dieses Schriftgut eine Aufbewahrungsfrist von drei bzw. fünf Jahren. In der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit können folgende Einzelfälle benannt werden:

­ 28. September 1995: Flucht aus Haus 18, mit Hilfe einer Therapeutin, Festnahme 31. Dezember 1995;

­ 3. September 1997: Entweichung bei therapeutischem Ausgang in Begleitung, Festnahme

5. September 1997;

­ 19. Januar 1998: Entweichung aus unbegleitetem Ausgang, Rückführung 21. Januar 1998;

­ 14. Juli 1999: Entweichung aus unbegleitetem Ausgang auf dem Gelände, Erkenntnisse über Aufenthalt in Serbien;

­ 1. Juni 2001: Entweichung aus der Allgemeinpsychiatrie bei Ausgang auf dem Gelände, Festnahme 3. Juni 2001.

Im übrigen siehe Drucksache 16/2782.

24. Wann wird der Bericht 1998/99 der Aufsichtskommission der Bürgerschaft vorliegen?

Der Bericht der Aufsichtskommission nach § 23 des Hamburgischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten über ihre Tätigkeit in den Jahren 1998 und 1999 liegt der Bürgerschaft mit der Drucksache 16/5929 bereits vor. Zum Bericht der Aufsichtskommission nach §38 des Gesetzes über den Vollzug von Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt wird auf die Antwort des Senats auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drucksache 16/6161 verwiesen.