Sicherheit im Hamburger Strafvollzug

Im Juli wurden mehrere Vorfälle im Hamburger Strafvollzug bekannt, bei denen sowohl Justizvollzugsbeamte als auch Strafgefangene verletzt bzw. erheblich gefährdet wurden.

Ich frage den Senat:

1. Welche Vorfälle aus dem Juli 2001 sind dem Senat im einzelnen bekannt, bei denen Mitarbeiter des Justizvollzugs und/oder Strafgefangene im Hamburger Strafvollzug verletzt oder erheblich gefährdet worden sind?

Folgende außerordentliche Vorkommnisse sind aus dem Juli 2001 bekannt geworden, bei denen Bedienstete des Strafvollzuges oder andere Gefangene von Gefangenen verletzt oder erheblich gefährdet wurden:

In der Anstalt I hat am 9. Juli 2001 ein Strafgefangener mit einer Thermoskanne nach einem Bediensteten geschlagen. Der Schlag konnte abgewehrt werden. Bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges trat der Gefangene einem weiteren Bediensteten in den Bauch.

In der Untersuchungshaft- und Vollzugsanstalt Vierlande (Anstalt IX) haben am 10. Juli 2001 zwei Gefangene im Anschluß aufeinander eingeschlagen. Die Auseinandersetzung konnte durch die Bediensteten schnell beendet werden. Ein Gefangener trug eine Schwellung am Kopf davon.

In der Anstalt I ist am 10. Juli 2001 nach Einschluß ein Strafgefangener im Streit von einem Mitgefangenen mit einem angeschliffenen Besteckmesser niedergestochen worden. Die Gefangenen befanden sich in einer Gemeinschaftsunterkunft (Saalbelegung). Die Bediensteten wurden von den anderen Mitgefangenen über das Notsignal alarmiert.

In der Anstalt I ist am 11. Juli 2001 während der Freizeit ein Strafgefangener in seinem Einzelhaftraum von dem späteren Opfer bedroht und geschlagen worden. Während der körperlichen Auseinandersetzung hat der Gefangene zu einem Küchenmesser gegriffen und drei bis vier Mal auf den Angreifer eingestochen, worauf dieser von ihm abließ. In dieser Situation konnten Bedienstete eingreifen und die Kontrahenten trennen.

Im Abschiebungshafthaus der JVA Glasmoor (Anstalt III) hat am 11. Juli 2001 ein Abschiebungshaftgefangener nach einem Bediensteten geschlagen, als der dessen Unterkunftsbereich überprüfen wollte. Der Bedienstete konnte den Gefangenen überwältigen, erlitt aber eine Schürfwunde und ein Hämatom.

In der Anstalt IX hat am 14. Juli 2001 nach dem morgendlichen Aufschluß ein Untersuchungsgefangener einen Bediensteten zur Geisel genommen, indem er ihn in den Schwitzkasten nahm und ihm ein Besteckmesser an den Hals drückte. Der Geiselnehmer verlangte eine Anstaltspsychologin und einen bestimmten Polizeibeamten zu sprechen. Die Geiselnahme konnte nach eindreiviertel Stunden durch die von der Anstaltsleitung sofort unterrichtete Polizei beendet werden. Neben erheblichen psychischen Belastungen erlitt der Bedienstete Kratzwunden am Hals.

In der Untersuchungshaftanstalt Hamburg (Anstalt VI) hat am 16. Juli 2001 ein Untersuchungsgefangener im Wartezimmer der ärztlichen Zugangsuntersuchung randaliert. Als die Bediensteten darauf gegen ihn unmittelbaren Zwang einsetzen mußten, schlug der Gefangene um sich und versuchte, die Bediensteten zu beißen.

In der Anstalt VI hat am 24. Juli 2001 ein Polizeihaftgefangener ohne erkennbaren Grund nach einem Bediensteten geschlagen. Der konnte den Angriff abwehren und den Gefangenen mit Hilfe anwesender Kollegen überwältigen. Der Bedienstete erlitt eine leichte Verletzung am Fingernagel.

2. Welche Maßnahmen unternimmt der Senat zur Erhöhung der Sicherheit im Hamburger Strafvollzug?

Hinsichtlich der aufgeführten Einzelfälle sind die jeweils gebotenen Maßnahmen der Störungsbeseitigung und Gefahrenabwehr von den Anstalten ergriffen worden. Soweit Vorkommnisse auf Schwachstellen oder bislang unbekannte Gefahren hinweisen, ziehen die Anstalten die entsprechenden Konsequenzen.

In den 13 Hamburger Strafvollzugsanstalten befinden sich rund 3000 Gefangene, unter ihnen auch eine Vielzahl hochproblematischer und äußerst aggressiver Gefangener. Ziel der Arbeit in den Anstalten ist es, die Vollzugsaufgaben zu erfüllen, ohne dass die Allgemeinheit, die Gefangenen oder die Bediensteten Schaden nehmen. Dazu bedienen sich die Anstalten unterschiedlicher und ausdifferenzierter Maßnahmen der instrumentellen, administrativen und sozialen Sicherheit, wobei der sozialen Sicherheit nach allen Erfahrungen der Vollzugspraxis ein besonders hoher Stellenwert zukommt. Diese Maßnahmen im einzelnen darzustellen, ist an dieser Stelle nicht möglich. Die Maßnahmen werden fortlaufend auf ihre Zweckmäßigkeit und Zielführung überdacht. Soweit erforderlich, werden sie angepaßt oder ergänzt. In Fragen der Sicherheit stehen die Anstalten und die Justizbehörde ­ Strafvollzugsamt

­ insoweit mit den übrigen Landesjustizverwaltungen, der Polizei und den sonstigen Behörden mit Sicherheitsaufgaben in einem ständigen Erfahrungsaustausch. In der Anstalt I ist außerdem eine Untersuchungskommission eingesetzt worden. Gleichwohl bleibt der Justizvollzug ein gefahrgeneigter Lebens- und Arbeitsbereich.

3. Ist die nach den Messerstechereien in der Justizvollzugsanstalt Suhrenkamp angekündigte Kommission zur Überprüfung der Vorkommnisse und Unterbreitung von Vorschlägen für Maßnahmen bereits eingesetzt worden? Wenn ja, wer gehört dieser Kommission an, wie oft und ggf. mit welchen Ergebnissen hat sie getagt? Wenn nein, warum nicht, zu welchem Zeitpunkt soll die Kommission eingesetzt werden, wer soll ihr angehören und zu welchem Zeitpunkt ist mit Ergebnissen zu rechnen?

Die zuständige Behörde hat die Auseinandersetzungen unter Gefangenen in der Anstalt I vom 10./11. Juli 2001 zum Anlaß genommen, eine Untersuchungskommission einzusetzen, die den Auftrag hat zu prüfen, ob die Häufung gewalttätiger Auseinandersetzungen darauf zurückzuführen ist, dass es in der Anstalt besonders aggressivitätsfördernde Strukturen gibt. Sie soll Vorschläge für Maßnahmen unterbreiten, mit denen über den geplanten Abbau der Saalbelegung hinaus aggressivitätsfördernden Strukturen kurzfristig entgegengewirkt werden kann.

Der Kommission gehören Prof. Dr. Hans-Joachim Plewig (Universität Lüneburg) als Vorsitzender, Leitender Regierungsdirektor Jörg Alisch (Leiter der JVA Neumünster), Psychologiedirektor Thomas Rappat (Niedersächsisches Justizministerium) sowie Robert Savickas, Sicherheitsreferent des Strafvollzugsamtes der Justizbehörde, an.

Die Untersuchungskommission hat sich am 24. Juli 2001 zu ihrer konstituierenden Arbeitssitzung zusammengefunden. Ergebnisse liegen noch nicht vor.

4. Wie bewertet der Senat die Äußerung eines Justizvollzugsbeamten aus den Fuhlsbüttler Justizvollzugsanstalten gegenüber der Presse, jeder dritte bis vierte Häftling dort sei bewaffnet?

Der Senat sieht in ständiger Praxis davon ab, sich zu tatsächlichen oder behaupteten Erklärungen einzelner Mitarbeiter zu äußern.

5. Wie viele Waffen wurden jeweils in den Jahren 1997 bis 2001 in den einzelnen Hamburger Justizvollzugsanstalten aufgefunden (bitte differenziert angeben nach Waffenarten und JVA)?

Eine Vielzahl von beweglichen Gegenständen wird in einer Justizvollzugsanstalt als Waffe oder gefährliches Werkzeug angesehen, so auch Alltagsgegenstände. Wenn Waffen oder gefährliche Werkzeuge bzw. ein zum gefährlichen Werkzeug umfunktionierter Alltagsgegenstand zum Einsatz gekommen sind, wird hierüber berichtet. Eine gesonderte Statistik über Waffen gibt es nicht.

6. a) Welche Maßnahmen unternimmt der Senat, um die Einbringungswege von Waffen in den Hamburger Strafvollzug zu minimieren?

In den seltensten Fällen werden Waffen von außen in die Anstalten eingebracht. Dagegen schützen sich die Anstalten durch intensive Kontrollen des Waren- und Personenverkehrs mit der Außenwelt, wobei unter anderem elektronische Systeme wie Metallsuchgeräte zum Einsatz kommen. Soweit einzelne Anstalten aufgrund ihrer innerstädtischen Lage mit Mauerüberwürfen konfrontiert sind, werden die Gefahren durch ein Bündel an Einzelmaßnahmen minimiert. Dazu gehören unter anderem größere Sicherheitsbereiche innerhalb und außerhalb der Anstalt oder Abfangnetze an besonders gefährdeten Bereichen.

6. b) Hält der Senat diese Maßnahmen für ausreichend? Wenn nein, welche weiteren Maßnahmen erwägt der Senat zum Schutz von Mitarbeitern im Justizvollzugsdienst und Strafgefangenen im Hamburger Strafvollzug vor Waffengebrauch durch einzelne Strafgefangene?

Ja. Wann immer es notwendig ist, werden die Sicherheitsmaßnahmen weiterentwickelt und angepaßt.

Das gilt z. B. dann, wenn neue Gefahren entstanden sind, Störungen auf Schwachstellen hingedeutet haben oder Verbesserungen z. B. durch technischen Fortschritt möglich werden.

7. Welche Maßnahmen sind vom Senat zur Abschaffung der Saalbelegung bzw. Verringerung der Belegungsdichte im Hamburger Strafvollzug bis zur Fertigstellung der neuen JVA Hahnöfersand geplant?

Die zuständige Behörde plant und vollzieht bauliche Maßnahmen zur Abschaffung der Saalbelegung und zur Verringerung der Belegungsdichte. Dazu gehören der Neubau der Justizvollzugsanstalt Billwerder sowie Umbauten in der Justizvollzugsanstalt Glasmoor, in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg und in der Frauenteilanstalt Hahnöfersand. In der Justizvollzugsanstalt Nesselstraße, der Justizvollzugsanstalt Suhrenkamp, in der Jugendvollzugsanstalt Hahnöfersand und den Sozialtherapeutischen Anstalten Bergedorf und Altengamme sind Baumaßnahmen zur Verringerung der Belegungsdichte oder Saalbelegung bereits umgesetzt.

8. Hält der Senat die Ausbildung der Mitarbeiter im Justizvollzug im Umgang mit Schwer- und Schwerstkriminellen in Krisensituationen für ausreichend? Wenn nein, sind Aus- und Fortbildungsmaßnahmen auf diesem Gebiet geplant, um welche handelt es sich?

Ja. Während der zweijährigen Ausbildung werden die Beamtenanwärterinnen und Beamtenanwärter für den Hamburger Justizvollzug im theoretischen und praktischen Ausbildungsteil auf kritische Situationen im Umgang mit Gefangenen vorbereitet. Neben der Vermittlung der rechtlichen Vorschriften für die Anwendung unmittelbaren Zwanges nehmen das Erkennen und der Umgang mit kritischen Situationen in der Alltagsarbeit mit Gefangenen und die Ausbildung in Selbstverteidigung breiten Raum ein.

Dabei wird auch das Verhalten in gefährlichen Situationen, wie der überraschende Angriff auf eine Beamtin bzw. einen Beamten, trainiert.

Ferner gibt es zahlreiche Fortbildungsangebote für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu den Themen Realistische Selbstverteidigung, Umgang mit aggressiven Gefangenen und Deeskalationstraining.