Anonyme Geburt

In Bund und Ländern gibt es vielfältige Bemühungen, notwendige Gesetzesänderungen vorzunehmen, um in Deutschland anonyme Entbindungen zu legalisieren. Die extreme Notlage, in der sich die Schwangeren befinden, an die sich diese Möglichkeit richten soll, sind der Öffentlichkeit und der Fachwelt hinlänglich bekannt. Es besteht weitgehend Einvernehmen darin, dass die konkrete Ausgestaltung der anonymen Geburt keinen weiteren Bedarf an anonymen Entbindungen wecken, sondern ausschließlich Leben und Gesundheit Neugeborener und ihrer Mütter schützen soll.

Der Schutz des Lebens ist das höchste Gut unserer Gesellschaft. Es bedarf der Anstrengung aller, um Frauen in extremen Not- und Konfliktsituationen zu ermöglichen, ihr Kind nicht heimlich und daher unter großen Risiken, sondern sicher auf die Welt zu bringen. Gleichzeitig soll auch verhindert werden, dass Neugeborene von ihren verzweifelten Müttern ausgesetzt werden.

Die Bürgerschaft hat sich in der vergangenen Legislaturperiode mit dem Antrag Anonyme Geburten (Drucksache 16/5742) diesem Anliegen zugewendet. Der Senat hat mit seinem Zwischenbericht (Drucksache 16/6552) einen ersten Einblick in den positiven Beratungsstand in Hamburg zu dieser Frage gegeben.

Inzwischen wurden neben vielen anderen Bundesländern auch in Hamburg Kinder anonym geboren. Die bundesweit über 30 betriebenen Babyklappen, auch Babyfenster oder Moseskörbchen usw. genannt, wurden von verzweifelten Müttern vielfach angenommen.

Bis zum Zeitpunkt eines bundesweit einheitlichen Vorgehens ist es nötig, in Hamburg eine angemessene Begleitung und Finanzierung anonymer Entbindungen und Babyklappen sicherzustellen. Insbesondere müssen die Hilfsangebote der gesundheitlichen und sozialen Vor- und Nachsorge der betroffenen Frauen und ihrer Kinder aufrechterhalten werden.

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:

1. Was ist seit dem Zwischenbericht des hamburgischen Senats an die Hamburgische Bürgerschaft im August 2001 behördlicherseits in dieser Sache geschehen?

Mit den Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen wurden Sondierungsgespräche hinsichtlich der Schaffung und Ausgestaltung zielgruppenspezifischer Angebote geführt.

2. Welche Krankenhäuser in Hamburg führen anonyme Entbindungen durch bzw. geben diese Möglichkeit an?

Anonyme Entbindungen werden derzeit angeboten durch die Krankenhäuser des Landesbetriebes Krankenhäuser (LBK Hamburg) sowie das Krankenhaus Elim, das Kath. Marienkrankenhaus, das Ev. Amalie Sieveking-Krankenhaus, das Albertinen-Krankenhaus, das Krankenhaus Bethesda Allgemeines Krankenhaus Bergedorf und das Krankenhaus Mariahilf.

3. Wie viele Fälle

­ anonymer Entbindungen (bitte unter Angabe der jeweiligen Kostenträger und aufgeschlüsselt nach den Krankenhäusern, in denen Frauen anonym entbunden wurden),

­ anonymer und sicherer Kindsübergaben in eine Babyklappe in Hamburg wurden dem Senat in den Jahren 2000 und 2001 bekannt?

Im Krankenhaus Mariahilf hat es bisher sieben anonyme Geburten gegeben, wobei zwei Frauen im weiteren Verfahren ihre Anonymität aufgehoben haben. Die Entbindungskosten für fünf Frauen sind vom Verein e.V. übernommen worden. Für die zwei Frauen, die ihre Anonymität aufgegeben haben, sind die Kosten von den zuständigen Kostenträgern übernommen worden. Angaben zu Zahl und Kostenträgerschaft von anonymen Geburten in anderen Hamburger Krankenhäusern sowie zur Entwicklung in den vergangenen vier Jahren liegen den zuständigen Behörden nicht vor.

14 Neugeborene wurden dem Verein e.V. über die Babyklappen oder persönlich übergeben.

4. Gab es seit Einrichtung der Babyklappen in Hamburg und der Möglichkeit, in einigen Kliniken anonym zu entbinden, weitere Kindsaussetzungen bzw. Kindstötungen in Hamburg?

Wenn ja, wie viele? Ist der Senat der Auffassung, dass diese Kindsaussetzungen bzw. Kindstötungen durch die Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für anonyme Geburten auf Bundesebene hätten verhindert werden können?

Wenn nein, teilt der Senat die Auffassung, dass diese ­ dann begrüßenswerte ­ Entwicklung auch eine Folge der Einrichtung von Babyklappen und der Möglichkeit anonymer Entbindungen in Hamburg ist?

Seit Inbetriebnahme der Babyklappe im April 2000 wurde in bisher einem Fall wegen des Verdachts der Kindstötung ermittelt. Im Jahr 1999 waren es zwei Fälle.

Kindsaussetzungen werden nicht gesondert in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst.

Es ist nicht auszuschließen, dass die Einrichtung von Babyklappen und die Möglichkeit von anonymen Entbindungen zu einer Verringerung der Zahl von Kindesaussetzungen und Kindestötungen beitragen können. Aufgrund der vielfachen Einflussfaktoren lässt sich darüber allerdings keine gesicherte Aussage treffen.

5. In der Annahme, dass durch die Aufsichtspflicht der Behörden Kenntnisse vorhanden sind, fragen wir den Senat.

Offizielle Angaben liegen nur vor, soweit es sich um Fälle des umgangssprachlich als Babyklappe bekannten Projekts Findelbaby handelt. Der Verein e.V. unterliegt hierzu keiner Berichtspflicht.

Wie viele Schwangere wurden durch den Verein e.V. insgesamt bisher begleitet?

Wie viele Frauen haben sich bisher hilfesuchend an e.V. gewandt oder über andere Institutionen Kontakt zu e.V. aufgenommen?

Wie viele Frauen haben unter der Obhut von e.V. anonym entbunden?

Nach einer Veröffentlichung des Vereins traten insgesamt 40 Frauen mit dem Wunsch nach einer anonymen Geburt an ihn heran. Elf Frauen haben vor der Geburt die Anonymität aufgegeben. 23 Frauen haben anonym entbunden. Sechs Frauen waren zum Berichtszeitpunkt noch schwanger.

Über wie viele Wohnungen verfügen der Verein e.V. und eventuell andere Institutionen, in denen Frauen vor und nach der anonymen Entbindung betreut werden können (bitte die maximale Belegungskapazität und die Auslastung der Räume angeben)?

Der Verein e.V. verfügt nach eigenen Angaben in Hamburg zurzeit über drei Wohnungen zur Untervermietung an schwangere Frauen. Informationen zur Größe und zur Auslastung liegen nicht vor.

Für sieben Wohnungen, in denen schwangere Frauen/Mütter mit ihren Kindern untergebracht und betreut werden sollen, ist eine Betriebserlaubnis beantragt. In diesen Wohnungen können neun Schwangere/Mütter mit neun Kindern leben.

Wie viele Frauen haben sich aufgrund der begleitenden Beratung doch noch zu ihrem Kind bekannt und wie viele nicht?

Siehe Antwort zu 5.1. bis 5.3.

Welche Gründe haben dazu geführt, dass sich Mütter doch noch zu ihrem Kind bekennen konnten, und aus welchen Gründen gelingt dies bei anderen Müttern leider nicht?

Hierzu liegen keine Angaben vor.

Was geschieht nach der Inobhutnahme der Kinder durch den Verein e.V. bis zum Zeitpunkt der Adoption bzw. bis zu dem Zeitpunkt, an dem sich die Mutter zu ihrem Kind bekennt?

Das Projekt Findelbaby verfolgt das Ziel, das Leben der ihm von den Müttern über Babyklappen oder persönlich übergebenen Kinder zu schützen und sie befristet ­ bis zu acht Wochen ­ in einem beschützten privatrechtlichen Betreuungsverhältnis zu versorgen. Durch einen Zuwendungsvertrag wurden die Regularien vereinbart, nach denen der Träger zur Erbringung folgender Leistungen verpflichtet ist:

Der Verein stellt sicher, dass eine sofortige kinderärztliche Untersuchung und ­ soweit erforderlich - fachärztliche Behandlung eines jeden entgegengenommenen Kindes durchgeführt wird. Für den Fall von ärztlichen Maßnahmen, die der Zustimmung von Personensorgeberechtigten bedürfen, ist unverzüglich die Bereitstellung eines Vormundes zu veranlassen.

Der Träger hat die Pflicht, bei von Müttern über die Babyklappe oder persönlich zur Pflege und zur Betreuung übergebenem Kind folgende Institutionen einzuschalten:

­ Das Vormundschaftsgericht zum Zwecke der Einrichtung einer Vormundschaft (§1773 Absatz 2 BGB); Aufgabe des Vormunds ist es, für die Person des Mündels zu sorgen und insbesondere das Mündel zu vertreten (§1793 BGB). Ein Einzelvormund vertritt ausschließlich die Interessen des Mündels. Ist keine geeignete Einzelperson vorhanden, wird das zuständige bezirkliche Jugendamt zum Vormund bestellt (§1791b BGB). Der Vormund erteilt als gesetzlicher Vertreter die Einwilligung zur Adoption (§1746 Absatz 1 Satz 2 BGB);

­ das zuständige bezirkliche Jugendamt sowie

­ eine zur Adoptionsvermittlung nach §§1 bis 9 befugte Stelle.

Beim Projekt Findelbaby wird davon ausgegangen, dass die Mütter nicht bekannt sind und sich dadurch auch kein Betreuungsbedarf für die Mütter ergibt. In den seltenen Fällen, in denen es zu einer persönlichen Übergabe und einer sich anschließenden Betreuung durch e.V. kommt, benachrichtigt der Träger die zuständige Behörde, damit diese ihre Aufgaben nach dem Personenstandsgesetz erfüllen kann, sobald sich herausstellt, dass eine Mutter nicht in der Lage oder bereit ist, die elterliche Verantwortung für ihr Kind zu übernehmen.

Die Adoptionsvermittlung wird durch eine Adoptionsvermittlungsstelle durchgeführt. Entscheidenden Einfluss bei der Adoptionsvermittlung hat der Vormund des Kindes, sofern bereits bestellt.

Wenn die Mutter nach einem Beratungsprozess bereit und in der Lage ist, das Kind zu versorgen und zu erziehen, übergibt ihr der Träger das Kind.

Der Sachbericht für das Zuwendungsjahr 2001 liegt noch nicht vor. Die zuständige Fachbehörde geht davon aus, dass die Praxis des Trägers nach den Grundsätzen des Zuwendungsvertrages erfolgt.

Welche Qualifikation haben die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Babyklappen?

Welche Qualifikation sollten sie haben? Entsprechen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von e.V. diesen Anforderungen?

Die übergebenen Kinder werden von ehrenamtlichen Bürgerinnen und Bürgern oder von Angestellten/Mitgliedern des Vereins außerhalb ihrer Arbeitszeit betreut. Die Erstversorgung wird von Betreuerinnen und Betreuern mit professioneller Ausbildung (Hebammen, Kinderkrankenschwestern und Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen) vorgenommen.

Sieht der Senat über die bestehende Gesetzeslage hinaus weiteren Regelungsbedarf hinsichtlich der Vormundschaften bzw. Pflegschaften für die Kinder nach der Geburt?

Der Senat hat sich mit diesen Fragen nicht befasst.

6. Auch vor der öffentlich geführten Diskussion um die rechtliche Absicherung anonymer Entbindungen gab es Fälle quasi anonymer Entbindungen, wenn Mütter ohne oder unter Angabe falscher Personalien ihre Kinder in Kliniken entbanden oder sie gar aussetzten.

Wer hat die Kosten dieser Entbindungen getragen?

Kam es in Hamburg in den vergangenen vier Jahren insgesamt zu einem Anstieg an anonymen Entbindungen?

Siehe Antwort zu 3.

7. Nach Aussage von Fachleuten aus der Jugend- und Gesundheitshilfe handelt es sich bei den Frauen, die die Möglichkeit einer anonymen Entbindung bzw. einer Babyklappe in Anspruch nehmen würden, vorrangig um

­ Minderjährige,

­ von Gewalt im häuslichen Bereich bedrohte Frauen,

­ Migrantinnen (zum Teil ohne legalen Aufenthaltsstatus) und

­ Drogenabhängige.

Bestätigen ­ soweit nachvollziehbar ­ die in Hamburg bekannt gewordenen Fälle von Kindsaussetzungen, anonymen Entbindungen und von in den Babyklappen abgegebenen Neugeborenen diese Aussagen?

Die Zahlen in Hamburg lassen keine allgemeinen Schlussfolgerungen im Sinne der Fragestellung zu.