Entwicklung der strafrechtlichen Sanktionierung

Gibt es gesicherte Erkenntnisse über Faktoren, die eine Beendigung oder eine Verfestigung von kriminellen Laufbahnen beeinflussen?

III. Reaktion auf strafbares Verhalten

1. Entwicklung der strafrechtlichen Sanktionierung

Welche Entwicklungen gibt es bezüglich der Entscheidungen, mit denen die Strafverfahren endeten?

a) Entscheidungen der Staatsanwaltschaft:

Wie gestaltet sich seit 1985 die Erledigung der bei den Jugendabteilungen der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg anhängig gewordenen Verfahren durch (1 Anklagen,

(2) Einstellungen gemäß § 45 Absätze 1, 2 und 3 Jugendgerichtsgesetz (JGG)

[a] Wann nimmt die Jugendstaatsanwaltschaft die Einstellung eines Verfahrens aufgrund des Subsidiaritätsprinzips vor?

(b) Erfolgt bei einer Einstellung gemäß § 45 JGG eine Eintragung in das Erziehungsregister?

(c) Bringt die Eintragung in das Erziehungsregister einen Makel für den betroffenen Jugendlichen?

(d) Ist es sinnvoll, § 60 Absatz 1 Nummer 7 BZRG zu streichen?

(e) Wie viele Diversionsentscheidungen der Staatsanwaltschaft liegen seit 1990 bis heute vor?

(f) Welche Rolle spielt die Täterbiographie bei der Diversionsentscheidung?

(g) Erfolgt eine Diversionsentscheidung bei Mehrfachtätern und Bagatelldelikten?

(h) Wie wird die von § 37 JGG geforderte erzieherische Befähigung und Erfahrung der Jugendrichterinnen und -richter und Jugendstaatsanwältinnen und -staats-anwälte konkret sichergestellt? Sind die Jugendstaatsanwältinnen und -staats-anwälte im Umgang mit Jugendlichen ausgebildet? Wie viele haben z. B. das Aufbau- und Kontaktstudium Kriminologie der Universität Hamburg absolviert?

(i) Welche Erfahrungen werden bei der Diversion mit anderen Institutionen (Jugendgerichtshilfe, Eltern, Schule usw.) gemacht?

(3) Einstellungen gemäß §170 Absatz 2 Strafprozeßordnung (4) Einstellungen gemäß §154b im Hinblick auf eine Auslieferung und Ausweisung,

(5) Anträge im vereinfachten Jugendverfahren gemäß § 76 JGG?

b) Entscheidungen der Gerichte:

Wie gestalten sich seit 1985 die Verfahrensabschlüsse in den bei Gerichten anhängig gewordenen Strafverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende bei:

(1) Aburteilungen insgesamt,

(2) Verurteilungen insgesamt zu einer Jugendstrafe, einem Zuchtmittel oder einer Erziehungsmaßregel?

(3) Wie oft wurden Tatverdächtige nach Jugendstrafrecht freigesprochen?

(4) Wie oft wurden Verfahren gemäß § 47 Absatz 1 Sätze 1 und 2 JGG eingestellt?

(5) Wie oft haben die Jugendgerichte nach § 26 Absatz 1 und 2 JGG die Aussetzung von Jugendstrafen widerrufen bzw. von einem Widerruf abgesehen?

(6) Wie hat sich die Anordnung der Untersuchungshaft seit 1985 bei jugendlichen und heranwachsenden Beschuldigten entwickelt, insbesondere im Hinblick auf die Zugänge insgesamt bei Inhaftierung von Vierzehn- bis Siebzehnjährigen und Achtzehn- bis Zwanzigjährigen, die durchschnittliche Verweildauer in Tagen, den Haftgrund und das zugrundeliegende Delikt, die Haftvermeidung und -verschonung und deren Auflagen und Weisungen, die während der Haft durchgeführten oder eingeleiteten Maßnahmen der Jugendgerichtshilfe und die Erledigung des Verfahrens?

c) Um welche Straftatbestände handelte es sich bei den Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und der Gerichte?

d) Wie viele der straffällig gewordenen Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden waren sogenannte Wiederholungstäter?

e) Wie hat sich die Dauer der Jugendstrafverfahren im Hinblick auf die verschiedenen Stadien des Verfahrens nach der Häufigkeit im Zeitablauf verändert?

f) Wie hat sich das Verhältnis der Zahl der Stellen zu der Fallbelastung bei der Jugendstaatsanwaltschaft, den Jugendgerichten, der Jugendbewährungshilfe und der Jugendgerichtshilfe entwickelt?

g) Wie kann die Reaktionszeit auf jugendliches Fehlverhalten insgesamt beschleunigt werden?

Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg ­ 16. Wahlperiode Drucksache 16/38

h) Gibt es Erkenntnisse über das Kosten-Nutzen-Verhältnis zusätzlicher, gezielter Deliktvermeidungsstrategien, wie z. B. erhöhte Sicherungsmaßnahmen gegen Vandalismus und Schwarzfahren im öffentlichen Nahverkehr, gegen Laden-, Kfz-Diebstähle sowie gegen Wohnungseinbrüche?

2. Strafrechtliche Prävention

a) Maßnahmen der Jugendgerichts- und Jugendbewährungshilfe:

(1) Wie hat sich die Angebotsstruktur der Jugendgerichtshilfe (Arbeitsleistungen, Betreuungs- und Projektzuweisungen, Täter-Opfer-Ausgleich usw.) seit 1985 in Hamburg entwickelt?

(2) Wie hat sich die Angebotsstruktur der Jugendbewährungshilfe (Schuldnerberatung, Beschäftigungsprojekte usw.) seit 1985 in Hamburg entwickelt?

(3) Wie hat sich der Umfang des betreuten Wohnangebots zur Vermeidung der Untersuchungshaft seit 1985 in Hamburg entwickelt?

(4) Zu welchem Zeitpunkt des Verfahrens wurde die Jugendgerichtshilfe eingeschaltet, und wann wurden welche Unterstützungsleistungen von der Jugendgerichtshilfe erbracht?

(5) Welche Erfahrungen werden hinsichtlich der Anordnung von Erziehungsmaßregeln gemacht? Gibt es bezüglich der betreuten Wohnformen und der sogenannten Erlebnisreisen Evaluationen?

(6) Wie hat sich das Verhältnis der Zahl der Stellen zu der Fallbelastung bei der Jugendstaatsanwaltschaft, den Jugendgerichten, der Jugendbewährungshilfe und der Jugendgerichtshilfe entwickelt?

b) Kinder- und Jugendpsychiatrie:

(1) Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen der Kinder- und Jugendpsychiatrie und den anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe? Wie ist sie ggf. zu verbessern?

c) Diversion:

(1) Wie sind, vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen, die Erfahrungen mit dem Diversionskonzept zu bewerten? Wie haben sich z. B. die Rückfallquoten bezogen auf die jeweiligen Sanktionsmaßnahmen entwickelt? Wie gestaltet sich die Kooperation der am Strafverfahren beteiligten Instanzen (auch im Hinblick auf eine ausreichende Kontrolle der Erfüllung von Weisungen, Auflagen und anderes), und entsprechen die angebotenen Maßnahmen der Jugendgerichtshilfe und Jugendbewährungshilfe in Quantität und Qualität den praktischen Anforderungen?

(2) Wie kann das Diversionskonzept weiterentwickelt werden? Auf welche Weise könnte z. B. der Täter-Opfer-Ausgleich sinnvoll weiter ausgebaut werden? Ist es beispielsweise denkbar, den Täter-Opfer-Ausgleich als ein vor Strafprozessen obligatorisches Schlichtungsverfahren einzusetzen? Inwieweit könnte die Kommunikation mit jugendlichen Tätern verstärkt werden?

[a] Welche Rolle spielt im Rahmen des § 45 Absatz 2 JGG der Gesichtspunkt (b) Wird Täter-Opfer-Ausgleich als erzieherische Maßnahme angewandt?

(c) Wie oft und in welchem Deliktbereich wird Täter-Opfer-Ausgleich durchgeführt?

(d) Welche Probleme ergeben sich bei der Durchführung vom Täter-Opfer-Ausgleich mit anderen Institutionen (Jugendgerichtshilfe, Staatsanwaltschaft, Schule)? (e) Wann werden Jugendgerichtshilfe und Jugendämter bei einem Jugendverfahren eingeschaltet?

(3) Welche Erfahrungswerte gibt es in anderen europäischen Ländern, insbesondere in Holland, mit der Sanktionierung von Jugendkriminalität, und sind diese Erfahrungen auf Hamburg übertragbar?

(4) Änderung straf- und strafprozeßlicher Normen

[a] Ist in diesem Zusammenhang eine Übertragung der Verwarnungskompetenz auf die Polizei, also Einführung einer gelben Karte durch Polizisten, der ggf. die rote Karte durch die Gerichte folgt, als sinnvoll zu werten?

(b) Reicht das vereinfachte Jugendverfahren nach § 76 ff. JGG als Maßnahme der Beschleunigung aus? Welche Konsequenzen hätte eine Anwendung des Strafbefehlsverfahrens (§ 407 ff. im Jugendstrafrecht und die Ermöglichung des sogenannten beschleunigten Verfahrens (§ 417 und der Hauptverhandlungshaft im JGG?

(c) Ist eine Verschärfung des Jugendstrafrechts als angemessene Reaktion auf einen Anstieg der Jugendkriminalität zu werten?

(d) Zusammenarbeit der Polizei mit anderen Institutionen:

(1) Wann setzt die Zusammenarbeit von Polizei, Jugendhilfe und Justiz ein? Wie gestaltet sie sich in den unterschiedlichen Bereichen im einzelnen? Kann sie ggf. weiterentwickelt oder verbessert werden? Wo liegen die rechtlichen, fachlichen oder faktischen Grenzen einer Zusammenarbeit?

(2) Wie sieht die Zusammenarbeit des Kinder- und Jugendnotdienstes mit der Polizei aus?

Drucksache 16/38 Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg ­ 16. Wahlperiode

(3) Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen der Polizei und den Eltern von jugendlichen Ersttätern, sofern diese Bagatelldelikte begingen? Sollte der direkte Kontakt zwischen Polizei und Eltern verstärkt werden?

(4) Welche Erfahrungswerte gibt es in anderen europäischen Ländern, insbesondere in Holland, mit gezielten Präventionsstrategien, und sind diese Ansätze auf Hamburg übertragbar?

IV. Strategien, die zur Reduzierung der Jugendkriminalität beitragen

1. Strategien gegenüber bestimmten Tätergruppen

a) Drogen- und Beschaffungskriminalität:

Wie hat sich der Ausbau des Methadon-Programms in Hamburg auf die Entwicklung der Jugendkriminalität ausgewirkt? Ist eine ärztlich kontrollierte Abgabe von Heroin und/oder die Einrichtung einer größeren Zahl von sogenannten Fixerräumen geeignet, die Zahl der Straftaten durch junge Menschen zu verringern? Gibt es andere Ansätze zur Verringerung der Drogenkriminalität junger Menschen, die auf landesgesetzlicher Ebene realisiert werden könnten?

b) Gruppen, bei denen die Kriminalitätsentwicklung eine Rolle spielen könnte (z.B. minderjährige unbegleitete Flüchtlinge, Asylbewerber oder Aussiedler):

Haben staatliche oder nichtstaatliche Einrichtungen Zugang zu Gruppen von jungen Aussiedlern, minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen und jungen Asylbewerbern, oder gestaltet sich die Präventionsarbeit hier schwieriger als mit anderen Jugendlichen? Wenn ja, weshalb?

Was passiert, wenn bei den straffällig gewordenen minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen die hiesigen, sonst meist erfolgreichen sozialpädagogischen Ansätze nicht greifen?

c) Gewalttätige politische Extremisten:

Ist eine weitere Entwicklung hin zu einer gewalttätigen politischen Extremisierung erkennbar, und sind soweit verstärkte Präventionsbemühungen erforderlich? Wie könnten diese aussehen?

2. Polizeistrategien

a) Inwieweit nehmen betroffene Bürgerinnen und Bürger, Initiativen und Träger an Sicherheitspartnerschaften teil, um Probleme vor Ort zu lösen? Reicht die offenbar zur Zeit dominierende Bereitschaft zur Mitarbeit vor allem bei akuten Problemen aus? Trägt sie zu einer langfristig verbesserten Vertrauensbildung und Zusammenarbeit bei?

b) Wie kann die angeblich teilweise bestehende Hemmschwelle der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Polizei ggf. weiter abgebaut und dadurch die Anzeigebereitschaft gefördert werden?

c) Ist die aktuelle Strategie der Polizei, Kriminalität (auch) durch eine verstärkt sichtbare Präsenz vorzubeugen, erfolgreich? Kann ein höheres Risiko, ertappt und bestraft zu werden, Straftaten verhindern?

d) Stellt die Jugendkriminalität einen Schwerpunkt der Verbrechensbekämpfung durch die Polizei dar, und wie wirkt sich dieses aus?

e) Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Schule und Polizei, und welche Maßnahmen bzw. Aktivitäten wurden bereits ergriffen, um der Problematik Gewalt von Kindern und Jugendlichen zu begegnen? Was könnte ggf. verbessert werden, ist eine Ausweitung der Programme erforderlich?

f) Wie ist die Zusammenarbeit der innerhalb der Polizei betroffenen Dienststellen untereinander konkret ausgestaltet ­ gibt es Überschneidungen von Kompetenzbereichen und nicht abgedeckte Bereiche (Polizeilicher Jugendschutz in den Polizeidirektionen, Jugendbeauftragte in Polizeidirektionen und im Landeskriminalamt, Fachkommissariat LKA 244, Bürgernahe Beamtinnen und Beamte, Projekt Graffiti, Drogen- und Suchtprävention, Kriminalprävention)?

g) Inwieweit hat sich das Intensivtäterkonzept der Polizei, nach dem Täter spätestens nach der vierten Tat zentral von bestimmten Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern der Polizei verfolgt und betreut werden, bewährt? Kann/soll es weiter effektiviert werden?

Wie informieren sich die spezialisierten Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter über soziales Umfeld und andere Hintergründe der Mehrfachtäter?

3. Wie kann die Reaktionszeit auf jugendliches Fehlverhalten insgesamt beschleunigt werden?

4. Gibt es Erkenntnisse über das Kosten-Nutzen-Verhältnis zusätzlicher, gezielter Deliktsvermeidungsstrategien, wie z. B. erhöhter Sicherungsmaßnahmen gegen Vandalismus und Schwarzfahren im öffentlichen Nahverkehr, gegen Laden-, Kfz-Diebstähle sowie gegen Wohnungseinbrüche?

C. Das Ergebnis der Beratung der Enquete-Kommission ist der Bürgerschaft in schriftlicher Form spätestens bis zum 1.... 1998 zuzuleiten.

D. Die Enquete-Kommission besteht aus:

­ neun Sachverständigen (4 : 3 : 2) und

­ acht Mitgliedern der Hamburgischen Bürgerschaft (4 : 3 : 1).

Der Senat wird ersucht, die zur Unterstützung der Enquete-Kommission erforderlichen und von ihr ausgewählten Bediensteten zur Verfügung zu stellen.