So genannte niedrigschwellige, akzeptierende und ausstiegsorientierte Hilfe in der Drogen- und Suchtarbeit

Im Rahmen der Haushaltsberatungen wurde die Ausstiegsorientierung vom Senat bzw. der zuständigen Behörde als ein wesentliches Kriterium dafür genannt, Hilfen für Drogenabhängige von Kürzungen auszunehmen. Zugleich wurde immer wieder der Begriff niedrigschwellig angeführt, um Kürzungen im Drogen- und Suchthilfebereich zu begründen.

Ich frage deshalb den Senat.

Die Ausstiegsorientierung ist das zentrale, konstitutive Element der Drogen- und Suchthilfe, das grundsätzlich bei allen Angeboten und Maßnahmen oberstes Gebot ist.

Demgegenüber stellen methodische Ansätze wie Niedrigschwelligkeit und akzeptierende Hilfen lediglich Mittel zum Zweck dar, mit denen der schwierige individuelle Veränderungsprozess bei Süchtigen vorbereitet und eingeleitet werden kann. Diese Hilfen dürfen in der Praxis aber keinesfalls so angelegt sein, dass sie als Selbstzweck missverstanden werden und zu einer Verfestigung der Sucht beitragen. In diesem Sinne wird der Senat die fachbehördliche Steuerung intensivieren.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. Wie definiert der Senat die Begriffe Niedrigschwelligkeit, akzeptierende Hilfe und Ausstiegsorientierung bzw. therapeutische Ausstiegsorientierung und worin bestehen konkret die Unterschiede?

Unter niedrigschwelligen Hilfen sind Angebote zur Überlebenshilfe zu verstehen, die nicht an die Vorbedingung einer konkreten Absicht des Klienten zur Aufnahme einer Entzugs- und anschließenden Entwöhnungsbehandlung gebunden sind. Dazu gehören Spritzentausch, Konsummöglichkeit unter hygienischen Bedingungen, medizinische Grundversorgung, Wasch- und Essensmöglichkeit, usw. Diese Unterstützung erhalten Süchtige in der Phase, in der sie noch Suchtmittel konsumieren und aktuell noch nicht für die Aufnahme einer Entwöhnungsbehandlung zu gewinnen sind. Die lebenspraktischen Hilfen zielen darauf ab, die Chronifizierung bzw. Verschlechterung der gesundheitlichen (z.B. HIV-Infektion) und sozialen Verfassung der Abhängigen zu vermeiden, sie dabei schrittweise zu Verhaltensänderungen zu veranlassen und schließlich zum Ausstieg aus der Sucht durch Aufnahme einer Therapie zu motivieren. Das Angebot von Überlebenshilfemaßnahmen ist oftmals die Voraussetzung dafür, dass Beratung zur Vorbereitung einer Abstinenztherapie und Vermittlung in eine geeignete Einrichtung stattfinden kann.

Der Begriff akzeptierende Hilfe entstand gegen Ende der achtziger Jahre, als sich angesichts der Aids-Gefahr und der Erkenntnis, dass die traditionellen Abstinenztherapieangebote einen erheblichen Teil der Drogenabhängigen erst zu einem späten Zeitpunkt der Chronifizierung erreichen, eine zunehmende Anzahl von Fachleuten dafür aussprach, neue Strategien zu entwickeln. Der Drogenkonsum wird in diesem Konzept zunächst hingenommen (akzeptiert), da es vorrangig darauf ankommt, so viele Drogenabhängige wie möglich vor irreversiblen Infektionen und Todesfällen zu schützen sowie einer umfassenden Verelendung vorzubeugen.

Als ausstiegsorientiert werden die sozialpädagogischen, medizinischen und psychotherapeutischen Maßnahmen bezeichnet, die systematisch und unmittelbar auf die Beendigung der chronischen Drogeneinnahme abzielen.

Im Übrigen siehe Vorbemerkung.

2. Schließen nach Auffassung des Senats Hilfsangebote, die gegenüber den Betroffenen niedrigschwellig und/oder akzeptierend sind, eine Ausstiegsorientierung aus? Wenn ja, in welcher Hinsicht und wie begründet der Senat dies konkret?

Nein. Siehe Vorbemerkung.

3. Hält der Senat niedrigschwellige und akzeptierende Hilfsangebote für sinnvolle und notwendige Maßnahmen auch im Sinne seines Koalitions-Grundsatzes Alle Hilfe für Süchtige? Wenn nein, in welcher Hinsicht und warum konkret nicht?

Ja, im Sinne der Vorbemerkung.

4. Gelten die Aussagen des Senats zur niedrigschwelligen und akzeptierenden Arbeit auch für andere Bereiche der Hilfe und Beratung, insbesondere für die Jugendhilfe? Wenn nein, in welcher Hinsicht und warum konkret nicht?

Ja. Das Prinzip der Niedrigschwelligkeit von Hilfeangeboten gilt auch in der Jugendhilfe. Unter dem Gedanken der Erziehungsverantwortung gegenüber Kindern und Jugendlichen fühlt sich die Jugendhilfe jedoch einer unmittelbaren Ausstiegsorientierung verpflichtet, so dass der Ansatz der akzeptierenden Hilfen dort nicht zum Tragen kommt.

Dies folgt aus dem Umstand, dass Unterschiede bei Lebensalter, Dauer der Suchtkarriere und Konsummustern eine am jeweiligen Bedarf orientierte Prioritätensetzung erfordern und die diesbezüglichen Prämissen für Jugendliche, Heranwachsende und Erwachsene insoweit zu differenzieren sind.

5. Ist der Senat gemäß dem Mitte letzten Jahres von der Bürgerschaft beschlossenen Gesetz über den Öffentlichen Gesundheitsdienst in Hamburg der Auffassung, dass die Beratungs- und Betreuungsangebote des Öffentlichen Gesundheitsdienstes zielgruppenorientiert, möglichst dezentral und niedrigschwellig anzubieten (sind)? Wenn nein, in welcher Hinsicht konkret nicht und beabsichtigt er ggf. eine Änderung des ÖGD? Ja.