Strafvollzug
Die Verhältnisse im Strafvollzug der Freien und Hansestadt Hamburg, insbesondere die angespannte Belegungssituation und die unzureichende Ausstattung des Vollzuges mit Haftplätzen des geschlossenen Vollzuges, machen es erforderlich, die baulichen, personellen und organisatorischen Maßnahmen gegen kriminelle Strukturen im Strafvollzug zu verbessern, Straftäter aus den Bereichen Organisierte Kriminalität und Drogendelikte getrennt unterzubringen und damit zugleich schwache Gefangene in den Vollzugsanstalten zu schützen und schließlich den Neubau der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder bedarfsgerecht durchzuführen (vgl. Bürgerschaftsdrucksachen 13/6048 und 14/3875).
2. Veränderte Sicherheitsanforderungen im geschlossenen und offenen Vollzug
Die Situation in den Justizvollzugsanstalten ist seit Jahren geprägt durch die Verwaltung vorhandener Mängel. Die bestehenden Verhältnisse im geschlossenen Vollzug führen zu einem Anstieg aggressiver Übergriffe und weiterer Verrohung der Gefangenen mit der Folge einer Verringerung der Lebenstüchtigkeit und Verstärkung krimineller Orientierungen der Gefangenen, wodurch nach der Entlassung die Gefährdung der Öffentlichkeit zunimmt.
Um die Sicherheit zu erhöhen, werden die in den Anstalten geltenden Standards überprüft. Darüber hinaus ist eine konsequente Binnendifferenzierung, insbesondere im geschlossenen Vollzug, geeignet und notwendig, um kriminalitätsfördernde Strukturen im Strafvollzug zu unterbinden. Die getrennte Unterbringung von Gefangenen mit unterschiedlichen Problemlagen, Behandlungs- und Sicherheitserfordernissen ist unter den herrschenden Bedingungen der Überbelegung aber nicht oder nur sehr eingeschränkt zu realisieren. Bundesweit wird im Justizvollzug daher in den Planungen eine Dispositionsreserve (darunter versteht man die Zahl der Haftplätze, die erforderlich sind, um kurzfristig auf aktuelle Krisensituationen, auf bauliche Sachzwänge oder auf Behandlungsnotwendigkeiten reagieren zu können) von 10 % des Haftplatzbestandes veranschlagt, um den gebotenen Differenzierungserfordernissen Rechnung zu tragen. Ohne Einräumung dieser Dispositionsreserve lassen sich unverzichtbare Sicherheitsmaßnahmen wie die Separierung von Straftätern der Organisierten Kriminalität und eine angemessene Behandlung von Sexualstraftätern, drogenabhängigen, gewaltbereiten und psychisch schwachen Gefangenen nicht oder nur sehr eingeschränkt umsetzen. Für alle Unterbringungsbedarfe gilt, dass die Belegung von Einzelhaftplatzräumen mit zwei oder mehr Gefangenen gemäß der aktuellen Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes im Regelfall nicht mit der Menschenwürde vereinbar ist. Vor diesem Hintergrund hat die Berücksichtigung einer Dispositionsreserve bei der Bemessung von 07.05.0217.Wahlperiode Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft Haushaltsplan 2002
Einzelplan 2
Titel 2300.710.02 Neubau der Justizvollzugsanstalt XII und 2300.812.03 Beschaffungen im Zusammenhang mit dem Neubau der Justizvollzugsanstalt XII hier: Neukonzeption und Erweiterung des Neubaus der JVA Billwerder; Erhöhung der Bauund Einrichtungskosten um 42,8 Mio. Euro sowie der Verpflichtungsermächtigungen um 14,0 Mio. Euro für den 1. Bauabschnitt zen eine erhebliche Bedeutung. Angesichts der aktuell bundesweit bestehenden überaus angespannten Belegungssituation verfügt derzeit kein Bundesland über eine solche Reserve.
Dem Problem der Überbelegung im geschlossenen Vollzug wurde in der Vergangenheit durch eine stärkere Belegung des offenen Vollzuges entgegengewirkt. Dort nahmen die Belegungszahlen von 1991 bis 1995 stark zu (Jahresdurchschnittsbelegung 1991: 488 Gefangene; 1995: 639 Gefangene). In der Folge erhöhte sich die Zahl der Entweichungen und der Nichtrückkehrer aus Ausgang und Urlaub in den großen offenen Anstalten deutlich. Die Zahl der Lockerungsmissbräuche und Entweichungen im offenen Vollzug ist im Wesentlichen auf die große Zahl drogenabhängiger und -gefährdeter Gefangener und die gestiegene Zahl gewaltbereiter und psychisch beeinträchtigter Gefangener zurückzuführen, für die in der Summe ihrer Defizite eine Unterbringung im geschlossenen Vollzug angemessener wäre.
3. Entwicklung der Gefangenenzahlen und Haftplatzbedarf
Entwicklung der Belegungsfähigkeit
Die festgesetzte Belegungsfähigkeit der Hamburger Justizvollzugsanstalten umfasst zur Zeit 3118 Haftplätze, davon entfallen 2388 Plätze auf den geschlossenen und 730 Plätze auf den offenen Vollzug. Die festgesetzte Belegungsfähigkeit ist von der tatsächlichen Belegungsfähigkeit zu unterscheiden, wie sie u. a. in der Produktinformation zum Haushaltsplan verwendet wird. Die zahlreichen vorübergehenden Belegungsabsenkungen, die insbesondere aus laufenden Umbaumaßnahmen erfolgen und zu einer manchmal auch längerfristig verringerten tatsächlichen Belegungsfähigkeit führen, werden mit der festgesetzten Belegungsfähigkeit nicht berücksichtigt. Angaben zur Haftplatzkapazität beziehen sich im Folgenden immer auf die festgesetzte Belegungsfähigkeit.
Die Haftplatzkapazität der unter einem besonderen Belegungsdruck stehenden Vollzugseinrichtungen für erwach sene Männer in Hamburg weist für den geschlossenen Vollzug seit 1999 einen Zuwachs durch Neu- und Umbaumaßnahmen von lediglich 58 Haftplätzen aus. Im offenen Vollzug verringerte sich die Belegungsfähigkeit durch Umbaumaßnahmen um 16 Plätze.
Entwicklung der Belegung
Während noch bis in die frühen 90iger Jahre hinein in einigen Anstalten freie Kapazitäten vorhanden waren und insbesondere der offene Vollzug über längere Zeiträume nicht voll belegt war, hat der Anstieg der Belegungszahlen seit 1992 zu einer bedrohlichen Überbelegungssituation geführt. Ende 1999 hatten die Gefangenenzahlen einen seit über 30 Jahren nicht mehr beobachteten Höchststand erreicht. Ein leichter Rückgang der Belegung im Jahr 2000 flachte 2001 wieder deutlich ab. Seit November 2001 ist ein starker Anstieg der Gefangenenzahlen zu verzeichnen.
In der zweiten Hälfte des Jahres 2001 und insbesondere im ersten Quartal 2002 haben die Gefangenenzahlen deutlich zugenommen. Die Anstalten waren am 1. April 2002 mit 3052 Gefangenen belegt. Ihre Belegungsfähigkeit war damit zu 98 % ausgelastet. Besonders groß ist der Belegungsdruck im geschlossenen Männervollzug mit einer 100 %en Auslastung der Haftplätze. Aufgrund der fehlenden Dispositionsreserve liegt tatsächlich bereits eine andauernden strukturelle Überbelegung vor.
Die Belegung der Vollzugsanstalten lag am 1. April 2002 um 153 Gefangene über der Durchschnittsbelegung des Jahres 2001 und um 201 Gefangene über der vom 1. November 2001. Die Zunahme bei den Gefangenenzahlen hat sich insbesondere im ersten Vierteljahr 2002 dramatisch beschleunigt. Von Januar bis März 2002 ist die Belegung um 246 Gefangene gestiegen. Der Anstieg der Gefangenenzahlen ist zum Einen auf eine veränderte Strafverfolgungspraxis zurückzuführen. So stiegen im Jahr 2001 beim AG Hamburg-Mitte die Schöffensachen im Vergleich zum Vorjahr um 33 %. Zum Anderen ist er die Folge einer Intensivierung polizeilicher Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen der Bekämpfung der Drogenkriminalität. Hier hat sich im ersten Quartal 2002 (54,7 Zuführungen/Monat) die Zahl der Zuführungen im Vergleich zum Durchschnitt der Monate Januar bis November 2001 (17,1 Zuführungen/Monat) mehr als verdreifacht.
Der Anstieg der Gefangenenzahlen geht vor allem zu Lasten der Haftplätze des geschlossenen Männervollzuges.
Exemplarisch werden die Untersuchungshaft- und Vollzugsanstalt Vierlande (Anstalt IX) und die JVA Suhrenkamp (Anstalt I) genannt. Die Belegung dieser Anstalten ist vom 1. November 2001 bis 1. April 2002 um 34 % (Anstalt IX: plus 65 Gefangene) bzw. 12 % (Anstalt I: plus 47 Gefangene) gestiegen.
Für die Zukunft ist mit einem weiterhin starken Anstieg der Gefangenenzahlen zu rechnen, der nicht auf demographische Entwicklungen zurückzuführen ist, sondern in einem Zusammenhang mit einer Intensivierung der Strafverfolgung und der Verhängung von mehr und längeren Haftstrafen steht, die zudem seltener oder später zur Bewährung ausgesetzt werden.
Zusätzlicher Haftplatzbedarf Wenngleich nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Belegung weiter in einem Maße linear ansteigt, wie in den ersten Monaten des Jahres 2002 und eine Abflachung des dramatischen Anstiegs der letzten Monate wahrscheinlich ist, entsteht durch die im Umfeld des Justizvollzuges ergriffenen und wirksam gewordenen Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung ein größerer zusätzlicher Haftplatzbedarf als in früheren Prognosen angenommen. Eine im Jahr 2000 vorgenommene Bedarfsberechnung ist für Hamburg von einer Steigerung der Gefangenenzahlen um jährlich 1 % bis 2004 ausgegangen. Diese Prognose lag im Übrigen erheblich unterhalb der jährlichen durchschnittlichen Steigerungsrate des Zeitraums 1990 bis 1999 von 1,74 %. Unter Zugrundelegung aller Faktoren, die auf die Belegung der Vollzugsanstalten Einfluss haben (u. a. Strafverfolgung, Gesetzgebung, richterliche Spruchpraxis) muss jetzt vielmehr davon ausgegangen werden, dass die Gefangenenzahlen im Jahr 2002 um 7 % (1. Quartal 2002: plus 9 %) und in den Folgejahren um jeweils 5 % ansteigen.
Ausgehend von der Belegung am 1. April 2002 ergibt sich daraus für das Jahr 2004 eine Belegung mit rund 3600 Gefangenen.