Korruption und Bestechung bei der Errichtung von Müllverbrennungsanlagen in Hamburg?

Der wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe angeklagte Hamburger Ingenieur Hans Reimer soll zwischen 1994 und 1998 mit der Planung und Ausschreibung von Müllverbrennungsanlagen beauftragt gewesen sein. Dabei hat er sowohl Kommunen als auch Firmen in der Müllentsorgungsbranche gegen Honorare beraten. Solche Honorare bzw. Provisionen soll Reimer auch von der damaligen Hamburger Umweltbehörde und von den HEW bezogen haben. Mit Teilen dieses Geldes behauptet der Unternehmer politische Entscheidungsträger beatmet zu haben.

Die Innenrevision der Behörde für Umwelt und Gesundheit (BUG) prüft zurzeit die Auftragsvergabe einer Studie zum Bau der Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm aus dem Jahr 1994 an das Planungsbüro Goepfert, Reimer und Partner. Mittlerweile wurde bekannt, dass der ehemalige Umweltsenator Fritz Vahrenholt sich am 3. März 1994 und am 22. März 1994 mit Mitarbeitern des o.g. Planungsbüros in der Umweltbehörde getroffen hatte, unter denen mindestens einmal auch Reimer persönlich gewesen ist. Wie Vahrenholt selbst erklärte, fand am 22. März 1994 eine Besprechung zwischen Behördenmitarbeitern und Vertretern der Firma Goepfert, Reimer und Partner in der Umweltbehörde statt, bei der es um die Vergabe eines Gutachtens zum Standort Rugenberger Damm an diese Firma ging.

Unterdessen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Reimer auch wegen Korruptionsverdachts.

Von 1992 bis 1997 wurde die Klärschlammverbrennungs-Anlage VERA Köhlbrandhöft geplant, genehmigt und gebaut.

Daher fragen wir den Senat.

Über das Ergebnis der Prüfung der Auftragsvergabe an das Ingenieurbüro Goepfert, Reimer und Partner (GRP) zu einer Machbarkeitsstudie für die Errichtung einer Müllverbrennungsanlage in Hamburg für 5 Standorte durch die Innenrevision der zuständigen Behörde ist der Umweltausschuss der Bürgerschaft in seiner Sitzung am 18. April 2002 informiert worden. Die Prüfung hat ergeben, dass die Vergabe im Jahr 1994 rechtmäßig erfolgt ist.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen, teilweise auf der Grundlage von Auskünften der Hamburgischen Electricitäts-Werke AG (HEW), der Stadtreinigung Hamburg (SRH) und der Hamburger Stadtentwässerung (HSE), wie folgt.

1. Wie viele Berater sind in den zurückliegenden zehn Jahren auf Honorarbasis für die Umweltbehörde tätig gewesen und welche Honorare bzw. Provisionen wurden aus welchen Haushaltstiteln hierfür jeweils gezahlt (bitte nach jeweiligem Berater und Jahr getrennt ausweisen)? Beratungsleistungen sind von der ehemaligen Umweltbehörde stets als Gutachtenaufträge auf Honorarbasis und auf der Grundlage einer Leistungsbeschreibung vergeben worden. Der Begriff Gutachten umfasst dabei ganz allgemein die begründete Stellungnahme eines Sachverständigen, die in der Regel zur Vorbereitung einer Entscheidung durch erstmalige Aufbereitung und Beurteilung eines Sachverhalts oder zur Überprüfung bereits geleisteter Grundlagenarbeiten eingeholt wird. Provisionen (Vermittlungsgebühren) wurden nicht gezahlt.

Die in den zurückliegenden zehn Jahren aus zentral veranschlagten Gutachtenmitteln (Titelnummern 526.50) der ehemaligen Umweltbehörde finanzierten Gutachten sind aus der Anlage ersichtlich (vgl. auch Antworten des Senats auf die Großen Anfragen Vergabe und Verwendung von Gutachten - Drucksachen 16/2578 und 16/6017 ­ vom 6. Juli 1999 und 5. Juni 2001). Die Auflistung erstreckt sich neben der Angabe von Haushaltstitel und Aufwand auch auf den Gegenstand der Gutachten; von einer Mitteilung der Namen der Auftragnehmer wird im Hinblick auf deren schutzwürdige Interessen abgesehen, da hierdurch Geschäftsgeheimnisse offen gelegt würden. Daten der aus gesondert veranschlagten Haushaltstiteln finanzierten Gutachten konnten in dem erfragten Umfang in der für die Beantwortung der Großen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Aufwand nicht vollständig erhoben werden, da dies die Durchsicht einer Vielzahl von Akten der verschiedenen Ämter erfordert und Haushaltsunterlagen zudem nur für die zurückliegenden fünf Jahre aufzubewahren sind.

2. In welcher Höhe wurden Honorare bzw. Provisionen an Hans Reimer bzw. an das Planungsbüro Goepfert, Reimer und Partner gezahlt (bitte nach Jahren getrennt ausweisen)?

3. Worauf erstreckte sich die Beratertätigkeit des Herrn Reimer bei der Umweltbehörde?

Die abgeschlossene Prüfung der verfügbaren Daten über die Mittelbewirtschaftung hat ergeben, dass von der ehemaligen Umweltbehörde in den zurückliegenden zehn Jahren zwei Gutachten an das Ingenieurbüro GRP vergeben wurden.

Im Jahr 1993 wurde ein Gutachten zum Thema Bestimmung des Stromerzeugungspotentials durch Kraft-Wärme-Kopplung bei Errichtung und Betrieb von Blockheizkraftwerken an vorhandenen Heizkraftwerken in Hamburg (Blockheizkraftwerk ­ Programm Hamburg) mit einem Honorarvolumen von 198567,05 DM in Auftrag gegeben.

Im Jahr 1994 wurde das in der Vorbemerkung erwähnte Gutachten mit dem Thema Machbarkeitsstudie für die Errichtung einer Müllverbrennungsanlage in Hamburg für 5 Standorte (Machbarkeitsstudie) mit einem Honorarvolumen von 69000 DM in Auftrag gegeben.

Speziell an Herrn Reimer gerichtete Aufträge sind nicht vergeben worden; zur Frage von Provisionszahlungen siehe Antwort zu 1.

Soweit die heutigen Anstalten öffentlichen Rechts SRH und HSE in den neunziger Jahren vorübergehend der ehemaligen Umweltbehörde als Ämter angegliedert waren, wird auf die Antworten zu 4. und

5. und zu 7. verwiesen.

4. Wie bewertet der Senat die Beratertätigkeit des Herrn Reimer für die Umweltbehörde und für die HEW vor dem Hintergrund der Errichtung der Müllverbrennungsanlagen Rugenberger Damm und Stellinger Moor? Kam es hierbei zu Interessenskollisionen nach Haushalts- und Vergaberecht?

5. Wie bewertet der Senat die Höhe der gezahlten Honorare bzw. Provisionen für Herrn Reimer?

Die Prüfung der internen Unterlagen durch die Innenrevision der zuständigen Behörde zu Auftragsvergaben der ehemaligen Umweltbehörde an die Ingenieurgesellschaft GRP ist abgeschlossen und führte zu folgenden Ergebnissen:

Das Ingenieurbüro GRP war als kompetentes und leistungsfähiges Ingenieurbüro mit einem Schwerpunkt bei der Planung und Projektleitung zur Errichtung von Müllverbrennungsanlagen bekannt. Die Vergabe von Gutachten an GRP durch die ehemalige Umweltbehörde ist daher nicht zu beanstanden.

Bei der den Komplex der Errichtung einer Müllverbrennungsanlage betreffenden Vergabe der Machbarkeitsstudie wurde nach dem Vergaberecht und der internen Dienstanweisung zur Vergabe von Gutachten verfahren. Die Vergabe war ordnungsgemäß. Die Honorare wurden nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieurleistungen (HOAI) ermittelt und entsprechen hinsichtlich Qualität und Umfang der auftragsgemäß erbrachten Leistungen der HOAI.

Aufgrund der Vergabe der Machbarkeitsstudie und der späteren Beteiligung von GRP an der Errichtung der Müllverwertungsanlage Rugenberger Damm (MVR) im Auftrag der HEW-Entsorgung haben sich keine Interessenkonflikte ergeben. Für die HEW war Herr Reimer zu keiner Zeit als Berater tätig. GRP war erst nach seinem Ausscheiden aus dem Ingenieurbüro während der Planungsphase der MVR mit der Konzeption der Anlage und dem Erstellen von Leistungsverzeichnissen beauftragt.

Die Vergabe der Aufträge zum Bau von Großkomponenten der MVR ­ Kessel, Turbine und Rauchgasreinigungsanlage ­ ist allein durch HEW-Mitarbeiter erfolgt. Soweit das Büro GRP bei der Vergabe von Kleinkomponenten mitgewirkt hat, geschah dies nach den HEW-Beschaffungsrichtlinien.

Die Arbeiten, die von GRP im Auftrag der SRH in den neunziger Jahren im Rahmen der Ertüchtigung der Müllverbrennungsanlage (MVA) Stellinger Moor durchgeführt wurden, stehen in keinem Zusammenhang mit der von der ehemaligen Umweltbehörde in Auftrag gegebenen Machbarkeitsstudie. Für die MVA Stellinger Moor der SRH hat GRP des Öfteren Planungsleistungen erbracht, unter anderem Planungsleistungen zur Erweiterung der MVA, insbesondere im Bereich der Abgasreinigung.

So erstellte GRP Ende der achtziger Jahre eine Vorstudie für die Anpassung der Abgasreinigung an die gesetzlichen Rahmenbedingungen der 17. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immis2 sionsschutzgesetzes und führte die zur Umsetzung erforderlichen Planungsleistungen in den nachfolgenden Jahren im Auftrag der SRH aus. Die dabei erbrachten Leistungsphasen waren:

­ Grundlagenermittlung,

­ Entwurfs- und Ausführungsplanung,

­ Mitwirkung bei der Vergabe (Erstellung von Ausschreibungsunterlagen, Begleitung und Auswertung der Ausschreibung),

­ Bauüberwachung und Bauoberleitung sowie Dokumentation.

Das nach Vergaberecht erforderliche Ausschreibungsverfahren für die Abgasnachreinigung wurde von der Fachabteilung der SRH durchgeführt. Die technische Bewertung der Angebote erfolgte durch GRP zusammen mit dem maßgeblichen Projektverantwortlichen der SRH. Alle Verhandlungen mit Anbietern wurden im Beisein der SRH geführt.

6. Hat die Stadt auch in anderen Belangen mit Herrn Reimer zusammengearbeitet und, wenn ja, in welchen?

Soweit durch eine Umfrage in der für die Beantwortung der Großen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Aufwand ermittelt werden konnte, sind dem Ingenieurbüro GRP von anderen Dienststellen der Stadt folgende Aufträge erteilt worden:

Von der Justizbehörde wurde GRP im Jahre 1992 mit Planungsleistungen (Gebäudetechnik) für die Maßnahme EDV-Planung bzw. EDV-gerechte Beleuchtung im Bereich der Fuhlsbütteler Anstalten (Anstalt I) beauftragt. Etwa ab dem Jahre 1994 hat die Sprinkenhof AG mit GRP den Neubau des Hauses V der Jugend- und Frauenvollzugsanstalt Hahnöfersand (Anstalt IV) durchgeführt (Gebäude- und Sicherheitstechnik).

Das Hochbauamt der ehemaligen Baubehörde hatte seinerzeit (zuletzt 1993) Ingenieurverträge mit GRP über Leistungen der technischen Gebäudeausrüstung nach der HOAI geschlossen. Zwischen dem Tiefbauamt und GRP bestand von 1986 bis 2001 ein Vertragsverhältnis; gemeinsam mit den beiden Ingenieurbüros Heusch/Boesefeld und Consulectra erstellte GRP die Planung der technischen Ausrüstung der vierten Röhre Elbtunnel.

Die Dienststelle Hochschulbau der Behörde für Wissenschaft und Forschung bzw. ihre zur damaligen Baubehörde gehörenden Vorgängerstellen haben GRP mit Leistungen der technischen Gebäudeausrüstung beauftragt. Für die Baumaßnahme Technische Universität Hamburg-Harburg hat GRP ab 1979 zunächst ein Energiegrundkonzept erarbeitet, auf dessen Basis anschließend ein Ingenieurvertrag nach HOAI folgte, der in mehreren Teilschritten bzw. Folgeverträgen bis zum 3. Bauabschnitt im Jahr 1991 abgewickelt wurde. Zur Ausführung gelangte ein gasbetriebenes Kraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung. Die Honorarsumme betrug insgesamt ca. 1,2 Millionen DM. Die Baumaßnahme Technische Molekularchemie der Universität Hamburg wurde im Zeitraum von 1980 bis 1986 durchgeführt. Die Honorarsumme betrug ca. 0,54 Millionen DM.

Von der damaligen Wirtschaftsbehörde hat GRP am 7. Februar 1997 einen Auftrag über die Untersuchung der Preisangemessenheit von Elbschlickeinlagerungen in den Dow-Kavernen erhalten.

Bezirkliche Dienststellen haben in der ersten Hälfte der neunziger Jahre bei dem Projekt Rückbau des Schutzpolizeitraktes des ehemaligen Polizeipräsidiums eine vertragliche Beziehung zu GRP gehabt.

Im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Bauanträge für die Erweiterung der Firmenräume von GRP im Gebäude Bramfelder Straße/Ecke Krausestraße haben Kontakte mit Herrn Reimer als Vertreter der Firma GRP stattgefunden.

Ingenieur-, Berater- bzw. Gutachterverträge sind nicht mit Herrn Reimer als Vertragspartner vereinbart worden; eine unmittelbare Zusammenarbeit hat insoweit nicht stattgefunden. Mit Herrn Reimer hat die Stadt Hamburg in seiner Funktion als Stifter und Vorstandsmitglied der Aby-Warburg-Stiftung zusammengearbeitet.

7. War das Planungsbüro Goepfert, Reimer und Partner oder Hans Reimer bei Planung, Genehmigung und Bau der Klärschlammverbrennungs-Anlage VERA Köhlbrandhöft involviert? Wenn ja, in welcher Weise und in welchem Umfang?

Das Ingenieurbüro GRP war von HSE in den Jahren 1994 bis 1995 mit der Grundlagenermittlung, dem Vorentwurf, der Erstellung der Ausschreibungsunterlagen und der technischen Prüfung der Angebote für die Klärschlammverbrennungsanlage VERA beauftragt; zur kommerziellen Prüfung der Angebote wurde ein externer Dritter, Prof. Dr. Dr. Rudolf, hinzugezogen. Nach Abschluss des Bauvertrages wurde ein zweiter Vertrag mit GRP zur Unterstützung der HSE bei der Freigabe der Ausführungsplanungen geschlossen. Das Auftragsvolumen der beiden Verträge betrug auf Basis der HOAI insgesamt rund 2 Millionen DM.

8. Stehen nach Erkenntnissen des Senats Mitarbeiter der damaligen Umweltbehörde im Verdacht, bestechlich gewesen zu sein?

Nein, Anhaltspunkte für Bestechlichkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der ehemaligen Umweltbehörde oder für andere Delikte, die im Zusammenhang mit korruptiven Handlungen auftreten, haben sich nicht ergeben.

9. Zu welchen (vorläufigen) Erkenntnissen ist die Innenrevision der BUG bei der Überprüfung der Auftragsvergabe der Studie zum Bau der Müllverbrennungsanlage Rugenberger Damm aus dem Jahr 1994 gekommen? In welche Richtungen wird ermittelt?

Siehe Antwort zu 4. und 5.