Verschuldung

In der Zeit vom 25. bis 26. April 2002 hielt sich der Europaausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft zu einer Informationsreise in Brüssel auf. Der Besuch in Brüssel sollte zu Beginn der Legislaturperiode die vielen neuen Ausschussmitglieder mit den Einrichtungen der Europäischen Union (EU) sowie dem Hanse-Office vertraut machen und ihnen den Einstieg in die Europapolitik und die Herstellung von Kontakten erleichtern. An der Informationsreise nahmen die Abgeordneten Wolfgang Barth-Völkel (Fraktion der Partei Rechtsstaatlicher Offensive), Gunnar Butenschön (Fraktion der Partei Rechtsstaatlicher Offensive), Günter Frank (SPD-Fraktion), Gerd Hardenberg (Fraktion der Partei Rechtsstaatlicher Offensive), Rolf Harlinghausen (CDU-Fraktion), Rolf-Dieter Klooß (SPD-Fraktion), Rolf Kruse (CDU-Fraktion), Carsten Lüdemann (CDU-Fraktion), Farid Müller (Vizepräsident, GAL-Fraktion), Peter Paul Müller (Vizepräsident, Fraktion der Partei Rechtsstaatlicher Offensive), Aydan Özoguz (SPD-Fraktion), Berndt Röder (Erster Vizepräsident, CDU-Fraktion), Ekkehard Rumpf (FDP-Fraktion), Heidemarie (SPD-Fraktion), Frank-Thorsten Schira (CDU-Fraktion), Jürgen Schmidt (SPD-Fraktion) sowie ein Mitarbeiter der Bürgerschaftskanzlei teil. Begleitet wurde die Delegation in Brüssel durch den stellvertretenden Leiter des Hanse-Office, Herrn Lutz Peterscheck, und Mitarbeiter des Hanse-Office.

Nach der Ankunft in Brüssel fuhr die Delegation vom Flughafen Zaventem zum Europäischen Parlament und nahm dort an einer Plenarsitzung teil. Die Abgeordneten hatten Gelegenheit, die gemeinsame Aussprache zur Verschuldung der armen Länder, insbesondere zur Erklärung der EU-Kommission zur Internationalen Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Monterrey und zu dem Bericht des Ausschusses für Entwicklung und Zusammenarbeit bezüglich einer Regelung aller nach voller Anwendung der HIPC-Entschuldungsmechanismen (Heavily Indebted Poor Countries) verbleibenden Rückzahlungen von Sonderdarlehen der am wenigsten entwickelten Länder unter den hoch verschuldeten Ländern unter den AKP-Staaten (Staaten in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean), verfolgen zu können. In den darauffolgenden Abstimmungen konnten unter anderem die Möglichkeiten der elektronischen Erfassung und Auswertung der Voten beobachtet werden.

Anschließend informierte Herr Fabio Ramos, Parlamentarischer Assistent, über Tätigkeit und Arbeitsweise des Europäischen Parlaments und ging auf die Fragen der Ausschussmitglieder, unter anderem zum Abstimmungsverhalten und zur Stellung der Obleute als Anlaufstelle zur Beschaffung von Mehrheiten, ein. Er wies auf die Probleme bei der Arbeit der Parlamentarier an den Standorten Brüssel, Straßburg und Luxemburg hin; eine Zentralisierung an einem Ort sei eher langfristig zu erwarten. Die Europa-Abgeordneten nähmen jeden Monat an einer einwöchigen Plenartagung in Straßburg teil; zusätzliche, kürzere Plenartagungen fänden etwa sechsmal jährlich in Brüssel statt. Auch die Sitzungen der Ausschüsse würden zur Erleichterung der Kontakte mit EU-Kommission und EU-Ministerrat in Brüssel abgehalten. Die Europaabgeordneten erhielten die gleichen Diäten wie die Abgeordneten der nationalen Parlamente.

Danach fand auf Einladung des CDU-Abgeordneten Herrn Dr. Georg Jarzembowski, Mitglied des Europäischen Parlaments, ein Arbeitsessen statt, in dessen Verlauf er über seine parlamentarische Tätigkeit als Mitglied in den Ausschüssen für Regionalpolitik, Verkehr und Fremdenverkehr sowie für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik informierte. Schwerpunkte seiner Arbeit seien die Bereiche Verkehr, Strukturpolitik, Wirtschaft, Landwirtschaft. Er berichtete unter anderem über die Aktivitäten der EU zum Lotswesen und zur Ost-Erweiterung und stellte die Aufgabe des Hanse-Office dar, Hamburgs Interessen in der Europapolitik zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt zu berücksichtigen. Darüber hinaus erklärte er am Beispiel einer möglichen festen Fehmarnbelt-Querung die Bedeutung der Transeuropäischen Netze (TEN) für den grenzüberschreitenden Verkehr. Ferner wies er auf die Bedeutung des Ausschusses der Regionen als begleitendes und beratendes Organ der EU hin. Des Weiteren erläuterte er seine Tätigkeit als Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zu Japan.

Danach fand im Gebäude des Ausschusses der Regionen die Begrüßung durch dessen Direktor, Herrn Hellmut Müllers, und seinen Referenten, Herrn Christian Gsodann, statt. Sie berichteten über die Tätigkeit und die Entstehung des Ausschusses der Regionen, der 1993 durch den Vertrag von Maastricht geschaffen worden sei, um die Bundesländer, Städte und Gemeinden an der Gestaltung der sie betreffenden Maßnahmen der EU zu beteiligen. Die 222 Mitglieder erarbeiteten in sechs Fachkommissionen Stellungnahmen zu Fragen, die die Befugnisse der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften unmittelbar berührten. Die Stellungnahmen würden vom Plenum verabschiedet und anschließend der Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament übermittelt. Jährlich fänden fünf Plenarsitzungen in Brüssel statt, die durch die Fachkommissionen vorbereitet würden. Sie informierten über Bestrebungen, die Geschäftsordnung zu reformieren, um die Kooperation und den Informationstransfer mit dem Europäischen Parlament zu verbessern. Der Ausschuss der Regionen strebe eine Stärkung seines Einflusses auf den politischen Entscheidungsprozess in der EU an.

Anschließend folgte ein Gespräch mit Herrn Johannes Laitenberger aus dem Kabinett der Kommissarin Viviane Reding über die Aspekte europäischer Medienpolitik. Um die kulturellen Aspekte bei der Binnenmarktförderung angemessen zu berücksichtigen, sei als Herzstück der Europäischen Medienordnung die Richtlinie Fernsehen ohne Grenzen geschaffen worden, in der allgemein gültige Mindeststandards unter anderem zum Jugendschutz und zur Werbung festgeschrieben worden seien. Da die Regelungen nur auf den Bereich des Rundfunks beschränkt seien, würden derzeit Änderungsvorschläge im Hinblick auf technologische und kommerzielle Entwicklungen überprüft. Überlegt werde eine Übertragung der Richtlinien auf den gesamten Medienbereich, um beispielsweise auch die Möglichkeiten der Werbung im Internet, die bisher kaum reguliert sei, einzubeziehen. Da etwa 80 bis 90 Prozent der Internet-Nutzer über europäische Netze Zugang in das World Wide Web erhielten, sei die Chance einer Regulierung gegeben, indem Gespräche mit den USA und amerikanischen Anbietern geführt würden. Darüber hinaus werde vor dem Hintergrund der Kirch-Pleite eine europäische Medienkonzentrationskontrolle angestrebt.

Danach fand ein Gespräch mit der SPD-Abgeordneten Frau Dr. h.c. Christa Randzio-Plath, Mitglied des Europäischen Parlaments, statt. Sie berichtete über ihre Arbeit als Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Währung, der für die Bereiche Wettbewerb, Beihilfen- und Steuerpolitik, Finanzmärkte und Finanzdienstleistungen zuständig sei. Darüber hinaus sei sie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Industrie, Außenhandel, Forschung und Energie sowie im Ausschuss für die Rechte der Frau und Chancengleichheit und Mitglied der Delegation für die Beziehungen zu den Mitgliedstaaten der ASEAN, Südostasien und der Republik Korea. Die derzeitige wirtschaftliche Entwicklung in der EU erschwere trotz vorhandener Mittelstandsförderungsprogramme die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die EU wolle die Zusammenarbeit bei Forschung und Entwicklung intensivieren und mehr in Fort- und Weiterbildung investieren. Sie informierte dann über das Nominierungsverfahren für den Präsidenten der Europäischen Zentralbank. Nach der Einführung des Euro sei in Dänemark, Großbritannien und Schweden eine tendenzielle Entwicklung hin zum Euro zu verzeichnen. Die nach der Euro-Einführung festgestellten Preisanhebungen seien auf Öl- und Gaspreiserhöhungen sowie auf witterungsbedingte und durch die Folgen der Maul- und Klauenseuche entstandene Kosten zurückzuführen. Selbstverständlich gebe es Mitnahmeeffekte wie stets bei Erhöhungen der Mehrwertsteuer. Es sei notwendig, eurobedingte Preiserhöhungen öffentlich anzuprangern und der Hamburger Verbraucher-Zentrale, die hier gute Arbeit leiste, zu melden. Die Krisen in Asien, Russland und Argentinien sowie die Ölkrise hätten ihrer Ansicht nach ohne Einführung des Euro größere negative Auswirkungen z. B. auf Spanien und die EU insgesamt gehabt. Sie machte deutlich, dass Bestrebungen, so genannte Steueroasen auszutrocknen, wegen erforderlicher einstimmiger Entscheidungen kaum Aussicht auf Erfolg hätten. Ferner bemängelte sie, dass die meisten US-Banken nicht den Basel-II-Richtlinien unterworfen seien.

Nach einem kurzen Aufenthalt im Hotel nahmen die Delegationsmitglieder dann an einem Empfang im Hanse-Office teil, in dessen Verlauf zahlreiche Gespräche mit den Referenten des Hanse-Office, Vertretern anderer deutscher und europäischer Regionalbüros und anderen Gästen des Hanse-Office geführt werden konnten.

Am Freitag, dem 26. April 2002, fand im Hanse-Office zunächst ein Gespräch mit der Leiterin des Büros der Handelskammer Hamburg bei der Europäischen Union, Frau Dr. Mary Papaschinopoulou, statt.

Die Handelskammer sei seit 1958 in Brüssel vertreten und versuche, das Gesamtinteresse der hamburgischen Wirtschaft in Brüsseler Denk-Kategorien zu übersetzen und ihm zum Durchbruch zu verhelfen. Schwerpunkte bildeten die Bereiche Außenwirtschaft und Verkehr. Ihre Aufgaben lägen darin, Gesetzgebungsverfahren zu beobachten, Brüsseler Vorgänge in Hamburg unternehmensgerecht darzustellen und hamburgische Interessen vor Ort durch Schaffung und Nutzung von Einflussmöglichkeiten bei Institutionen und Verbänden zu vertreten. Zu diesem Zweck würden Beobachtungsinstrumente aufgebaut und Informationskanäle geschaffen, beispielsweise über Medien und die Organisation von Veranstaltungen und Ad-hoc-Briefings oder Seminaren in Brüssel. Um das Feedback der Handelskammer und hamburgischen Unternehmen sicherzustellen, würden Europa-Sprechtage und Besuche in Gremien und Verbänden der Unternehmer durchgeführt und Vorträge gehalten und Anträge von Fördergeldern aus Hamburg bearbeitet. Wirksam gemacht werde die Interessenvertretung durch Kontaktpflege zu Institutionen und Verbänden, Gremienarbeit, Vertretung der Ländervereine usw. Auf diese Weise werde versucht, frühzeitig mögliche Auswirkungen durch vorliegende Gesetzentwürfe und Gesetzesänderungen auf Hamburger Unternehmen zu beobachten, um ggf. Einfluss auf das Verfahren nehmen zu können.

Anschließend erfolgte ein Briefing von Frau Dr. Renate Dörr ­ Hanse-Office ­ zum Thema Bildungspolitik. Die EU dürfe aufgrund des Subsidiaritätsprinzips gemäß Artikel 149 und 150 des EG-Vertrages nur eine Politik durchführen, die die Maßnahmen der Mitgliedstaaten unterstütze und ergänze. Die Gestaltung der Bildungssysteme liege ausschließlich bei den EU-Mitgliedstaaten. Gleichwohl sei eine Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in den Bereichen Bildung, Aus- und Weiterbildung sinnvoll.

Durch offene Koordination könnten Leistungsvergleiche europaweit durchgeführt werden. So könnten z. B. noch in 2002 alle Schulen mit Computern ausgestattet, in 2004 alle Lehrer fortgebildet werden.

Diese Idee sei allerdings bisher nicht durch europäische Verträge abgedeckt und die deutschen Länder beharrten hier auf Autonomie.

Herr Werner Kloss ­ Hanse-Office ­ erläuterte dann die Grundstrukturen der EU-Verkehrspolitik. Im Weißbuch Verkehr sei die politische Ausrichtung der Kommission, z. B. hinsichtlich der Verlagerung der Verkehrswege von der Straße auf die Schiene, bis zum Jahr 2010 beschrieben. Am Beispiel der Mautgebühr für Lkws erklärte er die Tarifierungspolitik der EU. Derzeit werde über eine Revision der TEN-Leitlinien nachgedacht, um durch Beseitigung von Verkehrsengpässen ­ Beispiel feste Fehmarnbelt-Querung ­ die Verkehrsnetze ausbauen zu können. Außerdem solle die Liberalisierung des Binnenmarktes im Bereich des ÖPNV und der Hafendienstleistungen ­ Vergabe von Beihilfen ­ vorangetrieben werden.

Herr Ministerialrat Stefan Schimmig, Leiter des Referats Verkehr in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU, wies zunächst auf die Notwendigkeit seiner Dienststelle hin, auch die Zwischentöne aus den Bundesländern wahr- und aufzunehmen. Da die international tätigen deutschen Vertretungen mit einem zu kleinen Personalkörper ausgestattet seien, sei Sachpolitik nur in begrenztem Rahmen möglich. Ausgehend von einer steigenden Verkehrsnachfrage und zu erwartenden hohen Wachstumsraten, insbesondere im Straßenverkehr, müsse ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Verkehrsträgern hergestellt werden. Die Begrenzung der Zuwächse im Straßenverkehr solle unter anderem durch eine Liberalisierung des Schienenverkehrs, Förderung der Schifffahrt und Ausbau des intermodalen Verkehrs von der Schiene auf andere Verkehrsträger erreicht werden. Er schilderte die Schwierigkeiten beim Verfahren, eine Einigung im Europäischen Parlament herzustellen. Das Hauptproblem beim grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr läge in der Existenz von 13 verschiedenen Signalsystemen. Wegen nationaler Interessen Frankreichs und Belgiens sei hier keine Einigung zu erwarten. Im Bereich Binnenschifffahrt seien zurzeit keine Aktivitäten zu verzeichnen. Initiativen zur See- und zur Luftfahrtsicherheit würden erst nach schweren Unfällen oder Ereignissen eingeleitet. Bei der Behebung der nach dem 11. September 2001 festgestellten gravierenden Sicherheitsmängel auf Flughäfen sei die EU auf die Unterstützung internationaler Organisationen angewiesen. Die EU-Kommission habe das ausschließliche Interventionsrecht. Vorschläge der Kommission würden gleichzeitig dem Europäischen Rat und dem EU-Parlament zur Beschlussfassung zugeleitet.

Daran anschließend erklärte Herr Hans-Joachim Schild, Europäische Kommission, die Bedeutung des lebenslangen Lernens als Schlüsselelement zur Erreichung des in Lissabon geforderten strategischen Ziels, Europa zu einer wettbewerbsfähigen und dynamischen Wissensgesellschaft zu machen. Der Begriff des lebenslangen Lernens beinhalte nach einer Mitteilung der Europäischen Kommission alles Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen bzw. beschäftigungspolitischen Perspektive erfolgt. Angesichts der wirtschaftlichen Globalisierung, der Überalterung der europäischen Bevölkerung und der Entwicklung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sei es von grundlegender Bedeutung, Bürger in die Lage zu versetzen, zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens neue Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben. Der Aufbau eines europäischen Raumes des lebenslangen Lernens solle die Menschen daher befähigen, frei zwischen Lernumgebungen, Arbeitsstellen, Regionen und Ländern zu wählen, um ihre Kenntnisse und Kompetenzen optimal einzusetzen, und gleichzeitig die Zielvorstellungen der EU nach mehr Wohlstand, Integration, Toleranz und Demokratie verwirklichen helfen. Formales und informelles Lernen solle gestärkt, Gelerntes durch Entwicklung geeigneter Instrumente messbar gemacht und die Information über Bildungsangebote verstärkt werden. Künftig solle mehr Zeit und mehr Geld investiert werden, um Lernmöglichkeiten und Lernende besser zusammenzubringen. Dies habe zur Folge, dass die Mitgliedstaaten ihre Bildungssysteme grundlegend umgestalten und neue Konzepte entwickeln müssten, um allen Bürgern kontinuierlich qualitativ hochwertige Bildungsangebote zugänglich zu machen.

Der Besuch des Europaausschusses endete mit einem gemeinsamen Mittagessen im Park-Hotel mit dem Gesandten der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU, Herrn Dr. Claas Knoop, Vertretern von regionalen und kommunalen Vertretungen aus dem Ostseeraum und Referenten des Hanse-Office.

Der Europaausschuss ersucht die Bürgerschaft, von vorstehendem Bericht Kenntnis zu nehmen.