Inhalt und Grenzen der immunitätsrechtlichen Vorabgenehmigung

I. Problemstellung:

In der parlamentarischen Praxis zeigt sich immer wieder, dass Immunitätsangelegenheiten eine publizistische Wirkung zukommt, die sie an sich nicht haben dürften. Denn das Recht der Immunität darf nicht dazu führen, dass Abgeordnete quasi an den Pranger gestellt werden. Die Regelungen zur so genannten Vorabgenehmigung sollen dem Rechnung tragen. Dies kann aber nur gelingen, wenn die darin festgelegten verfahrensrechtlichen Voraussetzungen von den Strafverfolgungsbehörden auch beachtet werden. Dies ist in der Praxis leider nicht immer der Fall.

Die Immunität ist ein Verfahrenshindernis mit Verfassungsrang. Solange sie nicht aufgehoben ist, dürfen gegen einen Abgeordneten keine Ermittlungen aufgenommen werden, auch nicht durch Ermittlungshandlungen bei Dritten. Dazu zählt etwa, dass vor Ablauf der in der jeweiligen Vorabgenehmigung vorgesehenen Frist im Rahmen so genannter Vorermittlungen keine zeugenschaftliche Vernehmung von Personen oder Inaugenscheinnahmen erfolgen dürfen. Dies hat ferner zur Konsequenz, dass qualifizierte Ermittlungshandlungen nur zulässig sind, wenn und so weit ­ etwa für Eilfälle ­ sie von der Vorabgenehmigung ausdrücklich erfasst werden. Sofern in diesen Eilfällen die Vornahme von Durchsuchungen und Beschlagnahmen an die Zustimmung einer parlamentarischen Stelle gebunden ist, kann die Zustimmung nur wirksam erteilt werden, wenn diese Stelle über alle relevanten Aspekte seitens der Strafverfolgungsbehörden informiert worden ist. Denn allein die Stelle, die zur Aufhebung der Immunität befugt ist, bestimmt Umfang und Modalitäten der Aufhebung.

Dabei entscheidet das Parlament nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in allen immunitätsrechtlichen Angelegenheiten in eigener Verantwortung, ob es eine Genehmigung erteilt oder versagt. Darüber hinaus ist das Parlament bei gravierenden Anhaltspunkten, dass eine Strafverfolgung aus sachfremden, insbesondere politischen Motiven erfolgen könnte, sogar zu einer eingehenden Prüfung verpflichtet. Andernfalls würde es sich die sachfremden Motive der Strafverfolgungsbehörden zu Eigen machen und damit selbst willkürlich handeln, so das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 17. Dezember 2001, Az.: 2 2/00, DVBl. 2002, Seite 195 f.)

Schließlich gibt auch die Öffentlichkeitsarbeit mancher Staatsanwaltschaften zu Bedenken Anlass. So wissen Pressevertreter nicht selten vor den zuständigen parlamentarischen Gremien und dem Betroffenen, dass Ermittlungen anstehen oder die Aufhebung der Immunität beantragt wurde. In einem Fall filmte z. B. ein Fernsehteam die Übergabe der Mitteilung der Staatsanwaltschaft an den Bundestag. In anderen Fällen wurden Aussagen des Abgeordneten oder von Zeugen von Strafverfolgungsbehörden noch während des laufenden Ermittlungsverfahrens öffentlich kommentiert. All dies widerspricht dem Grundsatz der Nichtöffentlichkeit oder der Vertraulichkeit, den die Parlamente als Ausfluss des Rechts der informationellen Selbstbestimmung ihren immunitätsrechtlichen Beratungen zugrunde legen. Die hier geschilderte Verfahrensweise verbietet sich aber auch im Hinblick auf das rechtsstaatliche Gebot des fairen Verfahrens und die Wahrung des Ansehens der jeweiligen gesetzgebenden Körperschaft (siehe auch Nummern 23 Absatz 1 und 191 Absatz 6 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren).

II. Beschluss:

1. Die Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente weist darauf hin, dass die Immunität kein Privileg der einzelnen Abgeordneten, sondern ein Instrument zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Parlaments darstellt. Allerdings darf die Immunität auch nicht umgekehrt in dem Sinne zu einer Belastung für Abgeordnete werden, dass diese mehr als andere Bürger unter den Folgen strafrechtlicher Ermittlungen zu leiden haben.

2. Zur Vermeidung unnötiger Publizität ist es daher nach Auffassung der Präsidentenkonferenz auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt, die Immunität von Abgeordneten für die üblichen Ermittlungshandlungen der Strafverfolgungsbehörden zu Beginn einer Wahlperiode generell aufzuheben. Dies macht allerdings nur Sinn, wenn die Staatsanwaltschaften die mit dieser Vorabgenehmigung verknüpften immunitätsrechtlichen Bestimmungen strikt einhalten. Dazu zählt die Beachtung eventueller Fristen vor der Aufnahme von Ermittlungen. Im Falle von Ermittlungsverfahren gegenüber Abgeordneten dürfen vor der Aufhebung der Immunität des Abgeordneten auch keine einschlägigen Ermittlungen, insbesondere Durchsuchungen oder Beschlagnahmen bei Dritten vorgenommen werden. Aufgrund einer Vorabgenehmigung sind solche qualifizierten Ermittlungshandlungen nur insoweit zulässig, wie die Vorabgenehmigung das ausdrücklich vorsieht.

3. Sofern die Vorabgenehmigung bei qualifizierten Ermittlungshandlungen eine Ausnahme für Eilfälle vorsieht, sind den zur Genehmigung zuständigen parlamentarischen Stellen mit dem entsprechenden Antrag die Informationen schriftlich zuzuleiten, die ihnen zumindest eine Plausibilitätsprüfung ermöglichen. Ein weiter gehendes Prüfungsrecht des Parlaments bleibt davon unberührt.

So hat das Parlament insbesondere das Recht, auch die Vorlage der gerichtlichen Anordnung zu verlangen.

4. Die Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente sind ferner der Auffassung, dass Immunitätsangelegenheiten nicht öffentlich oder vertraulich zu behandeln sind. Sie eignen sich nicht zur öffentlichen Erörterung. Parlament und Staatsanwaltschaften haben daher gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass der notwendige Schutz der Betroffenen sichergestellt wird.

Dabei hat nach Auffassung der Präsidentenkonferenz auch die Öffentlichkeitsarbeit der der Freien und Hansestadt Hamburg - 17. Wahlperiode Drucksache 17/990 folgungsbehörden sowohl der Funktionsfähigkeit und dem Ansehen der betreffenden gesetzgebenden Körperschaft als auch dem Grundsatz des fairen Verfahrens in der Praxis hinreichend Rechnung zu tragen. Im Bund und in den Ländern haben Fälle in der Vergangenheit gezeigt, dass hier wieder eine stärkere Sensibilisierung notwendig ist.

5. Die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zulässige Schlüssigkeitsprüfung eines strafrechtlichen Vorwurfes ist nach Auffassung der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente insbesondere dann geboten, wenn sich der strafrechtliche Vorwurf auf eine Handlung eines Abgeordneten stützt, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Ausübung des Mandates steht.

6. Die Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente sind der Auffassung, dass der Indemnitätsschutz von Abgeordneten auch für Äußerungen und Abstimmungsverhalten in Fraktionen gilt.

Brandenburg und Hamburg haben sich im Hinblick auf die in ihren Ländern geltende besondere Verfassungslage der Stimme enthalten.