Zeit zum Lernen ­ Anzahl der Unterrichtsstunden im Ländervergleich

Der PISA-Ländervergleich hat gezeigt, dass sich die Leistungsfähigkeit der Schulen in den untersuchten Lernbereichen von Bundesland zu Bundesland stark unterscheidet. Die Bedingungen, z. B. die finanzielle Ausstattung, die angebotenen Schulformen, Klassengrößen, klaffen ebenso wie die Ergebnisse der jeweiligen Schulsysteme weit auseinander. Auch bei der Anzahl der zu erteilenden Unterrichtsstunden gibt es erhebliche Unterschiede. Für die Altersgruppe der Jugendlichen, die durch die PISA-Studie erfasst wurden, also für die Jahrgänge, die 1991 eingeschult und deren Leistung im Schuljahr 1999/2000 getestet wurde, haben Forscher der Universität Essen eine Differenz von mehr als 10 Prozent errechnet: In den ersten neun Schuljahren sollten Schülerinnen und Schüler in Bayern mehr als 1000 Unterrichtsstunden mehr erhalten haben als in Nordrhein-Westfalen. Auch wenn sich die Qualität der Schule nicht allein an der Zahl der Unterrichtsstunden messen lässt, so bleibt eine derart große Differenz sicherlich nicht ohne Wirkung.

Hamburg liegt in dieser Berechnung bei den Pflichtstunden am unteren Ende der Skala. In den letzten Jahren hat es aber einige Veränderungen gegeben. Seit der flächendeckenden Einführung der Verlässlichen Halbtagsgrundschule wird in den Klassen 1 bis 4 in Hamburg mit 108 Grundstunden der meiste Unterricht erteilt, bei den Schlusslichtern Hessen und Brandenburg waren es bei einer Umfrage im Jahr 1999 nur 86 bzw. 83 Stunden. Am 1. August 1999 trat zudem die Verordnung über die Stundentafel für die Sekundarstufe I in Kraft, in deren Folge sich die Gesamtzahl der Unterrichtsstunden an den Haupt- und Realschulen erhöht hat und die den Schulen durch die Einführung der Flexibilisierungstafel mehr Spielraum bei der Setzung eigener Schwerpunkte lässt.

Das erweiterte Unterrichtsangebot verpflichtender Ganztagsschulen ist nicht in die Essener Berechnungen eingeflossen, über die Pflichtstundenzahl hinausgehende Angebote, z. B. Förderstunden, wurden nicht erfasst.

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat.

Die in der Vorbemerkung der Großen Anfrage zitierte Veröffentlichung (Hovestedt, Gertrud: PISA: 16 deutsche Schulsysteme auf dem Prüfstand Essen, Mai 2002) bezieht sich bei dem Vergleich der Wochenpflichtstunden auf die Situation des 1991 eingeschulten PISA-Jahrgangs. Die zwischenzeitlich in Hamburg vorgenommenen Änderungen sind bei dem Vergleich nicht berücksichtigt worden.

Ungeachtet dessen werden diese Zahlen in der öffentlichen Debatte weiterhin als Bezugspunkt für Vergleiche herangezogen.

In der Anfrage wird daher zu Recht darauf hingewiesen, dass in Hamburg durch die schrittweise Einführung der Verlässlichen Halbtagsgrundschule (VHGS) in den Jahren 1995 bis 2000 die Unterrichtszeit inzwischen erheblich ausgeweitet wurde (von 19 bzw. 23 Stunden auf durchgängig 27 Stunden in den Klassen 1 bis 4) und in der Sekundarstufe I mit der Verordnung über die Stundentafeln für die Sekundarstufe I (STVO-Sek I) zum 1. August 1999 eine Ausweitung der Wochenpflichtstunden vorgenommen wurde, die den Rangplatz Hamburgs im bundesweiten quantitativen Vergleich deutlich verändert hat.

Die Stundentafel ist nur eine, wenn auch unmittelbar zu beeinflussende Größe der schulischen Rahmenbedingungen. Sie ist eingebunden in den Wirkungszusammenhang verschiedener Faktoren, die erst in ihrem Zusammenspiel die Qualität der pädagogischen Arbeit in den Schulen ausmachen. Insbesondere bestimmen klare, verbindliche und anerkannte Lehr- oder Bildungspläne die erreichten Lernstände.

Insoweit geben die Unterschiede in den Stundentafeln der Länder lediglich einen Anhaltspunkt über die Qualität der jeweiligen schulischen Arbeit.

Die Ergebnisse der PISA-Studie machen deutlich, dass zusätzlich zu einer ausgewogenen Stundentafel die intensivere Nutzung der Lernzeiten in der Schule und eine generelle Stärkung der professionellen Verantwortung von der Grundschule bis zur Sekundarstufe II erforderlich ist, um die Qualität der schulischen Arbeit nachhaltig zu verbessern. Mit Blick auf die Ergebnisse der PISA-Studie gehört insbesondere die Stärkung der Lesekompetenz junger Menschen dazu und die Verbesserung der bisherigen Förderkonzepte für Schülerinnen und Schüler aus bildungsferneren Elternhäusern bzw. aus Familien mit Migrationshintergrund.

In der Antwort des Senats auf die Große Anfrage zur PISA-Studie (Drucksache 17/1008 vom 12. Juni 2002) sind die vielschichtigen Maßnahmen ausführlich dargelegt, mit denen der Senat und die Bürgerschaft ihrer Verantwortung für die qualitative Weiterentwicklung des hamburgischen Schulwesens entsprechen werden.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. Wie viele Unterrichtsstunden haben Schülerinnen und Schüler in Hamburg und in anderen Bundesländern durchschnittlich erhalten, wenn sie folgenden Schulabschluss erreicht haben:

a) einen Hauptschulabschluss an einer Hauptschule, einer Integrierten Haupt- und Realschule, einer Regionalschule, Regelschule, Sekundarschule oder Gesamtschule, einem Gymnasium?

b) einen Realschulabschluss an einer Realschule, einer Integrierten Haupt- und Realschule, einer Regionalschule, Regelschule, Sekundarschule oder Gesamtschule, einem Gymnsium?

Die Anzahl der Unterrichtsstunden, die Schüler und Schülerinnen bis zum Erreichen eines bestimmten Abschlusses erhalten, ergibt sich aus den Wochenpflichtstunden in den Schulen der Primarstufe, der Sekundarstufe I (SEK I) und Sekundarstufe II (SEK II).

Unter Wochenpflichtstunden werden nach der Definition der Kultusministerkonferenz (KMK) die je Klasse wöchentlich zu erteilenden Unterrichtsstunden verstanden, die für alle Schülerinnen und Schüler einer Klasse Pflicht sind, jedoch ohne Förderstunden, Wahlunterricht und Teilungsstunden. Sie ergeben sich aus den Stundentafeln für die einzelnen Schulformen.

Über die Anzahl der Wochenpflichtstunden informiert die Tabelle in Anlage 1, die einer aktuellen Veröffentlichung des Sekretariats der KMK entnommen ist (vgl. Anlage 1: Wochenpflichtstunden der Schüler nach KMK).

In der Grundschule reicht die Bandbreite der Gesamt-Wochenpflichtstunden im Jahre 2002 von 86 Stunden (Berlin) bis zu 108 Stunden (Hamburg). Das heißt, ein Grundschüler in Berlin erhält in den Jahrgangsstufen 1 bis 4 insgesamt 86 Wochenpflichtstunden. Dies ergibt je Klassenstufe einen Durchschnittswert von 21,5 Stunden. Die Schülerinnen und Schüler in Hamburg erhalten insgesamt 108 Stunden Unterricht, d.h. je Klassenstufe durchschnittlich 27 Wochenpflichtstunden. Das ist mit Abstand die höchste Anzahl.

Der über die Wochenpflichtstunden hinausgehende Förderunterricht, der Wahlunterricht sowie eventuelle Teilungsstunden werden in dieser KMK-Statistik nicht erfasst. Sie gehen in der Systematik der von der KMK aggregierten Daten in die Kennziffer Erteilter Unterricht je Klasse ein, die näherungsweise dem Unterrichtsangebot entspricht, das jedem einzelnen Schüler bzw. jeder einzelnen Schülerin zur Verfügung steht (vgl. Antwort zu 14.).

1. c) die Fachhochschulreife an den allgemein bildenden Schulen?

In Hamburg: Zusätzlich zu den Wochenpflichtstunden der SEK I (Gymnasium 178, integrierte Gesamtschule 184) mindestens 30 Wochenpflichtstunden in Jahrgangsstufe 11 und mindestens 29 Wochenpflichtstunden in Jahrgangsstufe 12 (vgl. §19 Ausbildungs- und Prüfungsordnung der gymnasialen Oberstufe In anderen Bundesländern: In der Regel je 30 Wochenpflichtstunden in den Jahrgangsstufen 11 und 12 (entsprechend der Übereinkunft zum Erwerb der Fachhochschulreife [schulischer Teil] in der gymnasialen Oberstufe zwischen den Ländern Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein vom 2. Juli 1998).

1. d) die Hochschulreife an einem Gymnasium oder einer Gesamtschule?

In Hamburg: Zusätzlich zu den Wochenpflichtstunden der SEK I (Gymnasium 178, integrierte Gesamtschule 184) mindestens 30 Wochenpflichtstunden in Jahrgangsstufe 11 und mindestens 57 Wochenpflichtstunden in den Jahrgangsstufen 12 und 13 (vgl. § 10 Absatz 1 In der Regel belegt jede Schülerin und jeder Schüler sowohl in der Vorstufe (Jahrgangsstufe 11) als auch in der Studienstufe (Jahrgangsstufen 12 und 13) im Schnitt zwei bis drei Wochenpflichtstunden mehr, als als Minimum vorgeschrieben ist.

In den anderen Bundesländern gelten die Vorgaben der KMK-Vereinbarung über die gymnasiale Oberstufe gleichermaßen.

2. Welche Vorgaben der Kultusministerkonferenz zu erteilenden Mindestunterrichtsstunden zur Erreichung der folgenden Abschlüsse gibt es für:

a) den Hauptschulabschluss?

b) den Realschulabschluss?

Entsprechend der Vereinbarung über die Schularten und Bildungsgänge im Sekundarbereich I (Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 3. Dezember 1993 in der Fassung vom 27. September 1996) ist vorgegeben:

Die Wochenpflichtstundenzahl beträgt für den Durchgang der Jahrgangsstufen 5 bis 10 ­ in Klammern für die Jahrgangsstufen 5 bis 9 ­ insgesamt in der Regel: Deutsch 22 (19) Stunden, Mathematik 22 (19) Stunden, der ersten Fremdsprache 22 (16) Stunden, Naturwissenschaften 16 (13) Stunden, Gesellschaftswissenschaften 16 (13) Stunden.

2. c) die Fachhochschulreife?

Es gibt keine KMK-Vereinbarung zu den Mindestunterrichtsstunden, sondern eine Übereinkunft zum Erwerb der Fachhochschulreife (siehe Antwort zu 1.c). Diese Übereinkunft setzt die Regelungen und damit auch die verpflichtenden Wochenstunden der KMK-Vereinbarung über die Gestaltung der gymnasialen Oberstufe (vgl. Antwort zu 2.d) voraus.

2. d) das Abitur?

Entsprechend der Vereinbarung über die Gestaltung der gymnasialen Oberstufe vom 7. Juli 1972 in der Fassung vom 16. Juni 2000, Ziffer 3.2, sollen die Schülerinnen und Schüler in den drei Jahren der gymnasialen Oberstufe jeweils in der Regel 30 Wochenpflichtstunden Unterricht erhalten.

2. e) Hält der Senat diese Vorgaben für ausreichend? Wenn nein, welche Veränderungen erachtet er für notwendig und durch welches Gremium sollen diese umgesetzt werden?

Für die SEK I werden mit den KMK-Vorgaben lediglich der gemeinsame Kernbereich für alle Schularten und Bildungsgänge der SEK I gesichert. Für die der SEK II werden mit den Vereinbarungen der KMK die Untergrenzen der erforderlichen Wochenpflichtstunden beschrieben.

Im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die Schulpolitik verbleibt den Ländern Freiraum zur eigenen Gestaltung.

3. Wie bewertet der Senat die großen Unterschiede zwischen den Bundesländern bei der Anzahl der zu erteilenden Unterrichtsstunden?

a) Welchen Stellenwert unter anderem für den Bildungsweg von Kindern misst der Senat den erteilten Unterrichtsstunden von Kindern bei?

Die zuständige Behörde misst dem Gesamtvolumen des in den verschiedenen Fächern erteilten Unterrichts und einer ausgewogenen Stundentafel eine hohe Bedeutung zu (vgl. Vorbemerkung).

3. b) Welchen Zusammenhang sieht der Senat zwischen der Menge des erteilten Unterrichts zu den Ergebnissen des PISA-Ländervergleichs?

Bisherige Analysen des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung Berlin zeigen für die Ergebnisse der PISA-E-Studie, dass mit einem steigenden nominellen Unterrichtsaufkommen, das für die gesamte Schulzeit von der 1. bis zur 9. Jahrgangsstufe erfasst wurde (...), sich auch die mittleren Leistungen in allen drei Kompetenzbereichen verbessern (vgl. Deutsches PISA-Konsortium [Hrsg.]: PISA 2000 ­ Die Länder der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. Opladen. Leske+Budrich. 2002, Seite 233).

4. Wie viele Grundstunden sind derzeit in den Stundentafeln der Grundschulen für die Klassen 1 bis 4 in Hamburg und in den anderen Bundesländern vorgesehen?

Vgl. die Übersicht in Anlage 1, im Übrigen siehe Antwort zu 1.

4. a) Wie viele Unterrichtsstunden sind für die Fächer Deutsch und Mathematik vorgesehen?

Die Erhebung der gewünschten Daten aus allen Bundesländern konnte in der für die Beantwortung einer Großen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit und unter Berücksichtigung der Ferien in allen Bundesländern nicht durchgeführt werden.