Durchführung von DNA-Untersuchungen

Betreff: Durchführung von DNA-Untersuchungen § 81g und das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz geben unter bestimmten Voraussetzungen eine Ermächtigung zur Entnahme von Körperzellen von mutmaßlichen Straftätern sowie der molekulargenetischen Untersuchung der Körperzellen zur Feststellung eines DNAIdentifizierungsmusters (genetischer Fingerabdruck), um Täter künftiger Straftaten identifizieren zu können. Die gewonnenen Identifizierungsdaten werden beim Bundeskriminalamt (BKA) gespeichert. Die Anordnung der molekulargenetischen Untersuchung ist gemäß § 81g Absatz 3 in Verbindung mit § 81a Absatz 2 dem Richter vorbehalten.

Erste Voraussetzung für die Anordnung der molekulargenetischen Untersuchung ist das Vorliegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 81g Absatz 1 und der Anlage zu § 2c DNA-IFG. In der Antwort auf die Kleine Anfrage Drucksache 16/6007 hat der Senat ausgeführt, dass in Hamburg die Daten von etwa 32000 Hamburgern überprüft werden, welche wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung in diesem Sinne verurteilt wurden.

Zweite Voraussetzung für die DNA-Identifizierung ist eine auf Tatsachen begründete Annahme, dass der Beschuldigte in Zukunft erneut Straftaten begeht (negative Prognoseentscheidung).

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach festgestellt, dass die Feststellung und Speicherung von DNA-Analysen einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen darstellt. Das hat daher strenge Anforderungen an die Anwendung und Durchführung der gesetzlichen Vorschriften ­ insbesondere der Prognoseentscheidung - durch die zuständigen Behörden statuiert (vgl. z. B. 2 439/01 vom 20. Dezember 2001; 2 1841/00, 2 1876/00, 2 2132/00, 2 2307/00 vom 15. März 2001). Der Senat hat vor diesem Hintergrund a.a.O. zutreffend ausgeführt, dass in jedem Fall eine individuelle Gefährlichkeitsprognose sowie eine Abwägung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme erforderlich ist. Der Polizeipräsident hat in einem Interview mit der Welt vom 24. Januar 2002 beklagt, dass die derzeitige Praxis nicht stimme, und eine Ausweitung der DNA-Tests gefordert.

Der GAL-Fraktion ist ein Fall bekannt, in der ein nach Jugendstrafrecht wegen eines einmaligen Vergehens mit einer richterlichen Weisung belegter Betroffener vom Landeskriminalamt zur Abgabe von Körperzellen vorgeladen wurde, um sich Körperzellen entnehmen zu lassen und die DNA zu analysieren und zu speichern. Der Betroffene war seit der einmaligen Verfehlung strafrechtlich nicht wieder in Erscheinung getreten. Die Aufforderung wurde mit der Behauptung begründet, dass die Voraussetzungen für eine Erfassung in der DNA-Analysedatei vorliegen würden. Bei der Weigerung des Betroffenen würde die Sache der Staatsanwaltschaft vorgelegt, um eine richterliche Anordnung einzuholen. Besondere Anhaltspunkte zur Begründung einer Negativprognose wie z. B. eine besondere Schwere der Tat oder verwerfliches Nachtatverhalten des Betroffenen lagen nicht vor. Nach Widerspruch des Betroffenen nahmen die Ermittlungsbehörden die Aufforderung zur Abgabe von Körperzellen zurück.

Dieser Vorgang wirft Fragen hinsichtlich der Praxis der DNA-Analyse auf, insbesondere ob der Senat das bisherige Vorgehen einer Einzelfallprüfung aufgegeben hat und nunmehr auch ohne Prüfung der Einzelfälle Personen zur Abgabe von DNA-Proben vorlädt, bei denen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine richterliche Anordnung der DNA-Entnahme nicht vorliegen.

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat.

Nach Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen hat die Hamburger Polizei vom Bundeszentralregister (BZR) die Daten von ca. 30000 wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung verurteilten Straf tätern zur Prüfung der nachträglichen Erfassung des DNA-Identifizierungsmusters übermittelt bekommen (siehe auch Antwort des Senats auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drucksache 16/6007). Dabei handelt es sich um Straftäter, die in Hamburg verurteilt wurden, nicht um Straftäter, die in Hamburg ihren Wohnsitz haben.

Die Polizei führt neben DNA-Analyse-Verfahren in den o.a. Fällen zurückliegender Verurteilungen (retrograde Erfassung) solche Untersuchungen auch in aktuellen Ermittlungsverfahren durch. Bezüglich der aktuellen Ermittlungsverfahren werden keine Statistiken hinsichtlich der Anordnung zur Gewinnung von DNA-Material geführt.

Das im einzelnen Verfahren erlangte DNA-Identifizierungsmuster ist ein Zahlencode, der sich aus der Häufigkeit bestimmter DNA-Bestandteile ergibt, deren Verteilung hinreichend individuell ist. Im Vergleich von zwei so codierten Datensätzen ist eine Aussage möglich, mit welcher Wahrscheinlichkeit die zugrundeliegenden DNA-Muster von derselben Person stammen.

Der in der Einleitung der Großen Anfrage genannte Fall konnte aufgrund fehlender Detailangaben bei der Polizei nicht verifiziert werden.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

I. Richterliche Anordnungen der DNA-Untersuchung

1. Wie viele Anträge auf richterliche Anordnungen der Entnahme von Körperzellen zum Zweck der DNA-Analyse auf der Grundlage des DNA-IFG hat es in Hamburg in den vergangenen drei Jahren und dem ersten Halbjahr 2002 gegeben?

2. Wie oft wurde den Anträgen stattgegeben, wie oft wurden sie vom Gericht abgelehnt?

3. Wie oft war eine Ablehnung des Antrags auf Anordnung durch das Gericht mit dem Fehlen der materiellen Voraussetzungen des § 81g oder des DNA-IFG begründet und wie oft wegen Unzulässigkeit des Antrags aufgrund einer Einwilligung des Betroffenen?

Vor Einrichtung der Arbeitsgruppe DNA (AG-DNA) am 9. November 2000 beim LKA erfolgte keine statistische Erfassung bezüglich bearbeiteter DNA-Analyse-Verfahren. Seither sind bis zum 18. Juli 2002 den Amtsgerichten 1420 Anträge auf richterliche Anordnung zur retrograden Erfassung vorgelegt worden. Den Anträgen wurde in 985 Fällen zugestimmt. Es erfolgten bislang 191 Ablehnungen, jeweils aus materiellen Gründen. Zu den übrigen Anträgen liegen noch keine Entscheidungen vor.

Einzelne Zeiträume werden durch die vorhandene Statistik nicht erfasst. Eine Beantwortung der Fragen, die den davor liegenden Zeitraum einbezieht, würde die Durchsicht sämtlicher einschlägiger Ermittlungsakten erfordern. Dies ist mit vertretbarem Verwaltungsaufwand auch in der für die Beantwortung einer Großen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht leistbar.

4. Nach welchen Kriterien und Richtlinien bestimmt die Staatsanwaltschaft, ob gerichtliche Anordnungen zur DNA-Entnahme zur Straftatsvorbeugung beantragt werden sollen (insbesondere hinsichtlich der negativen Sozialprognose)?

Die Voraussetzungen für einen Antrag auf gerichtliche Anordnung der Entnahme von Körperzellen und deren molekulargenetische Untersuchung ergeben sich zunächst aus § 81g Absatz 1 Die in § 81g Absatz 1 aufgeführten Voraussetzungen, insbesondere die Anforderungen zur so genannten Negativprognose, sind durch Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 7. August 2000 für die Dezernenten wie folgt weiter konkretisiert worden: Voraussetzung ist weiterhin die aufgrund bestimmter Umstände bestehende Erwartung, dass der Beschuldigte zukünftig erneut einschlägige Straftaten begehen wird (Negativprognose). Dies bedeutet, dass der anlässlich des gegen den Beschuldigten gerichteten Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ­ insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der Tat, der Täterpersönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, während dessen der Beschuldigte strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist ­ Anhaltspunkte dafür bieten muss, dass der Betroffene künftig oder anderwärts gegenwärtig mit nachvollziehbaren Gründen als Verdächtiger in den Kreis potenzieller Beteiligter an einer noch aufzuklärenden strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass das Ergebnis der DNA-Analyse den Betroffenen im Rahmen der dann zu führenden Ermittlungen schließlich überführen oder entlasten kann. Der Schwere der Tat und der Rückfallhäufigkeit des Beschuldigten kommen hierbei große Bedeutung zu. Im Rahmen der vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung ist zugleich zu bedenken, dass dem beim Betroffenen vorzunehmenden Eingriff nur geringes Gewicht zukommt.

Als Orientierungshilfe für die kriminalpolizeilichen Sachbearbeiter bei Beurteilung der Voraussetzungen für eine Negativprognose sind mit der Polizei folgende grundsätzliche Erwägungen abgestimmt worden: Handelt es sich bei der Anlasstat um ein Verbrechen und liegt dem ein eindeutiger Sachverhalt zugrunde, der einen dringenden Tatverdacht gegen einen Beschuldigten begründet, kann grundsätzlich eine Negativprognose bejaht werden, auch wenn weitere kriminalpolizeiliche Erkenntnisse nicht vorliegen. Handelt es sich bei der Anlasstat hingegen um einen Vergehenstatbestand, ist von einer Negativprognose regelmäßig nur dann auszugehen, wenn für den Beschuldigten in den letzten zwölf Monaten vor der Anlasstat mindestens zwei oder in den letzten 36 Monaten mindestens vier Einträge in der Kriminalakte wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung verzeichnet worden sind.

Die vorbezeichneten Grundsätze entbinden den Dezernenten nicht, eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, die im Ergebnis aufgrund weiterer Erkenntnisse auch zu einer von der kriminalpolizeilichen Prognoseeinschätzung abweichenden Entscheidung führen kann.

I. 5. Welche Akten und Datenbestände werden dabei regelmäßig herangezogen?

Grundsätzlich werden die zur Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen erforderlichen Akten und Datenbestände beigezogen. Dabei kann es sich im Einzelfall handeln um aktuelle Auszüge aus:

a) den polizeilichen Auskunftssystemen POLAS/INPOL

b) dem Bundeszentralregister

c) dem staatsanwaltschaftlichen Zentralregister MESTA.

Darüber hinaus kann die Beiziehung erforderlich sein von:

a) Urteilen

b) Strafakten

c) Bewährungs- und Vollstreckungsheften

d) Gutachten.

II. Kriterien und Praxis der Aufforderung zur freiwilligen Abgabe von Körperzellen zur DNA-Identifizierung

Der alte Senat war wie die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder der Auffassung, dass für die molekulargenetische Untersuchung ein strikter Richtervorbehalt gilt, der auch bei Einwilligung des Betroffenen zu beachten ist (Drucksache 16/3157, Antwort zu Frage 9). In der Literatur und der Praxis wird teilweise eine andere Rechtsauffassung vertreten, die anscheinend der neue Senat teilt.

6. Haben in der Vergangenheit Polizei oder Staatsanwaltschaft bestimmte Personen ohne richterliche Anordnung dazu aufgefordert, Körperzellen zum Zweck der DNAAnalyse und -Speicherung abzugeben?

Ja. In Hamburg ist von den Strafverfolgungsbehörden im August 2000 mit Blick auf mehrere Entscheidungen unterschiedlicher Strafkammern des Landgerichts Hamburg zu der Frage, ob eine richterliche Anordnung für die molekulargenetische Untersuchung entnommener Körperzellen zum Zwecke der Speicherung auch dann erforderlich ist, wenn der Betroffene freiwillig in diese Maßnahme einwilligt (Geschäfts-Nr.: 612 Qs 81/99; 628 Qs 46/99; 611 Qs 102/99, 621 Qs 20/99 sowie 614 KLs 20/00), die Verfahrensweise dahin gehend abgestimmt worden, dass ein gerichtlicher Beschluss in den Fällen nicht mehr erforderlich ist, in denen der Betroffene über die Entnahme von Körperzellen und die sich daran anschließende molekulargenetische Untersuchung zum Zwecke der Speicherung umfassend belehrt worden ist und in Kenntnis dessen schriftlich in die angestrebten DNA-Maßnahmen einwilligt. Für diese Verfahrensweise sind im Zusammenwirken von Justizbehörde, Behörde für Inneres, Staatsanwaltschaft und Hamburgischen Datenschutzbeauftragten Aufklärungsmaterialien und formalisierte Einwilligungserklärungen erarbeitet worden.

7. Wer trifft die Entscheidung, ob eine Person zur freiwilligen Abgabe von Körperzellen aufgefordert werden soll, und wer spricht die Aufforderung aus?

Soweit es die bei der AG-DNA bearbeiteten Vorgänge betrifft, entscheidet die Staatsanwaltschaft darüber, ob ein Betroffener zur freiwilligen Abgabe von Körperzellen aufgefordert werden soll. Die Aufforderung zur freiwilligen Abgabe von Körperzellen erfolgt anschließend durch den jeweiligen polizeilichen Sachbearbeiter der AG-DNA.

Im Übrigen wird die Entscheidung über die freiwillige Abgabe von Körperzellen als auch deren Durchführung von der Polizei vorgenommen. Allerdings wird die Staatsanwaltschaft über sämtliche Fälle zwecks abschließender Prüfung in Kenntnis gesetzt, so dass Identifizierungsmuster eines Betroffenen in die DNA-Analyse-Datei beim Bundeskriminalamt (BKA) nur eingestellt werden, wenn die Staatsanwaltschaft diese Maßnahme genehmigt hat. Verweigert die Staatsanwaltschaft im Einzelfall die Genehmigung einer von der Polizei veranlassten DNA-Maßnahme, wird das erlangte Untersuchungsmaterial vernichtet.

8. Nach welchen Kriterien und Richtlinien werden DNA-Proben eingefordert, insbesondere: Wird eine Prognoseentscheidung hinsichtlich des weiteren Sozialverhaltens getroffen und findet eine Abwägung der Verhältnismäßigkeit statt?

Auch bei einer freiwilligen Abgabe der Probe erfolgen Negativprognose und Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Im Übrigen siehe Antwort zu II.4.

9. Werden auch Jugendliche und Heranwachsende, die lediglich ein einziges Mal strafrechtlich wegen eines Vergehens in Erscheinung getreten sind, zur Abgabe von DNAProben aufgefordert bzw. solche Personen, die zum Tatzeitpunkt Jugendliche oder Heranwachsende waren? Wenn ja, um wie viele Personen handelte es sich?

10. Wird nach dem Maß der Verurteilung differenziert und werden insbesondere auch solche Jugendliche oder Heranwachsende zur Abgabe von DNA-Proben aufgefordert, die lediglich einmalig mit einer Erziehungsmaßregel belegt wurden und die weder in ihrer Person noch aufgrund der Schwere der Tat oder im Tatverhalten oder dem Vorund Nachtatverhalten negativ aufgefallen sind?

11. Welche Tatsachen können nach Ansicht des Senats in derartigen Fällen eine negative Prognose hinsichtlich des zukünftigen Sozialverhaltens begründen?

Grundsätzlich gelten für Jugendliche und Heranwachsende dieselben rechtlichen Voraussetzungen wie für Erwachsene (siehe auch Antworten zu II.4. und zu II.8.). Im Übrigen erfolgt weder bei der Polizei noch bei der Staatsanwaltschaft eine statistische Auswertung nach Altersgruppen. Eine Beantwortung