Krankenhaus

Der Wissenschaftsausschuss beschloss in seiner Sitzung vom 14. Februar 2002 gemäß § 53 Absatz 2 der Geschäftsordnung der Hamburgischen Bürgerschaft einstimmig die Selbstbefassung mit dem Thema Vorfälle in der Herzchirurgie des UKE. Der Ausschuss befasste sich in derselben Sitzung - Widerspruch einer Fraktion erhob sich dagegen nicht ­ sowie abschließend in der Sitzung vom 11. April 2002 mit der Angelegenheit.

II. Beratung am 14. Februar 2002

Der Ausschuss stellte Einvernehmen her, dass zunächst die Medizinische Fachexpertenkommission und sodann die Untersuchungskommission über ihre Ergebnisse berichten mögen.

Die Senatsvertreter legten einleitend zu den seinerzeitigen Vorgängen dar, Mitte des vergangenen Jahres sei der Deputation und der Öffentlichkeit bekannt geworden, dass in der Herzchirurgie des UKE Herr Professor Dapper Operationen durchgeführt habe, nachdem er selbst vorher schwer erkrankt gewesen sei. Der BWF sei durch ein anonymes Schreiben mitgeteilt worden, dass das UKE über die Umstände bereits etwa ein Jahr vorher informiert gewesen sei. Im August 2001 seien die beiden Kommissionen zur Überprüfung der Vorgänge eingesetzt worden.

Die Medizinische Fachexpertenkommission habe im vergangenen September die betreffenden Krankenakten für den Zeitraum von August 1998 bis Juli 1999 gesichtet und in acht von 121 Fällen Auffälligkeiten während oder nach den Operationen ermittelt. Die festgestellte Letalität habe unter dem bundesweiten Durchschnitt für solche Operationen gelegen.

Die Untersuchungskommission Herzchirurgie berichte, so die Senatsvertreter weiter, dass Herr Professor Dapper im Januar 1998 erkrankt sei und in der Folge in Zeiträumen von Juni bis Oktober 1998 sowie von März bis Juli 1999 an Operationen beteiligt gewesen sei, überwiegend assistierend, aber auch hauptverantwortlich. Es sei nie abschließend festgestellt worden, ob Herr Professor Dapper nach seiner Erkrankung wieder operierfähig gewesen sei, es habe aber Anlass zu Zweifeln an der weiteren Eignung gegeben. Eine Genehmigung für die Operationen habe Herr Professor Dapper nicht erhalten.

Es sei nicht nachweisbar, dass die bei Operationen aufgetretenen Komplikationen medizinische Fehler darstellten oder nur eine Realisierung bestehender medizinischer Risiken. Dem damaligen Ärztlichen Direktor, Herrn Professor Leichtweiß, sei nicht bekannt geworden, dass Herr Professor Dapper auch hauptverantwortlich Operationen durchgeführt habe. Die Kommission habe mit ihm Gespräche führen können, nicht jedoch mit Herrn Professor Dapper, der dies abgelehnt habe. Die Kommission habe daher keine abschließende Wahrheitsfindung vornehmen können.

Die Senatsvertreter erwähnten dann, dass der seit dem Juli 2001 beurlaubte bisherige Ärztliche Direktor, nachdem ihm laut Untersuchungsergebnis keine arbeitsrechtlichen Verfehlungen zur Last gelegt Bericht des Wissenschaftsausschusses über das Thema Vorfälle in der Herzchirurgie des UKE (Selbstbefassung) Vorsitzende: Dr. Barbara Brüning Schriftführer: Wolfgang Beuß werden könnten, noch vor Ablauf des geschlossenen Sonderdienstvertrages auf eigenen Wunsch zum 31. Januar dieses Jahres aus dem UKE ausgeschieden sei. Herr Professor Jüde werde bis zum Abschluss des Nachbesetzungsverfahrens ­ nach der Absicht des Kuratoriums noch vor der Sommerpause ­ weiterhin die Funktion des Ärztlichen Direktors kommissarisch übernehmen. Die Funktion des Dekans für den Fachbereich Medizin nehme, entsprechend dem UKE-Strukturgesetz, nicht mehr der Ärztliche Direktor wahr; Dekan sei Herr Professor Wagener, UKE.

Das Mitglied der Medizinischen Fachexpertenkommission, Herr Professor Reichenspurner, berichtete, bei den meisten der untersuchten 121 Fälle, von denen acht Auffälligkeiten aufgewiesen hätten, habe es sich um Reoperationen gehandelt, in denen also das Herz mit den Nachbarstrukturen im Brustkorb verwachsen gewesen sei. In solchen Fällen stelle eine erneute Öffnung des Brustkorbs stets ein erhöhtes Risiko dar. Die in den geprüften Fällen festgestellten Blutungen seien nicht überproportional häufig aufgetreten. Anhand der Unterlagen sei nicht zu klären gewesen, wer bei den Operationen für die komplikationsträchtigen Schritte persönlich verantwortlich gewesen sei. Die Letalität des untersuchten Krankenguts habe bei 3,2 Prozent rangiert und damit unter dem bundesweiten Durchschnitt. Auf Nachfrage der SPD-Abgeordneten sagte Herr Professor Reichenspurner zum Begriffsverständnis der postoperativen Komplikationen, dies beträfe den Zeitraum des anschließenden Aufenthalts im UKE.

Die SPD-Abgeordneten bezeichneten es als bedauerlich, dass persönliche Verantwortlichkeiten nicht feststellbar seien, und fragten, ob nicht gerade bei Reoperationen, die einen besonderen Schwierigkeitsgrad darstellten, die vollständige Operierfähigkeit eines Arztes gegeben sein müsse.

Herr Professor Reichenspurner bestätigte, dass ein Arzt, der einen Brustkorb öffne, ein erfahrener Herzchirurg sein müsse. Auf anschließende Frage der SPD-Abgeordneten entgegnete er, in den betreffenden Zeiträumen in den Jahren 1998 und 1999 habe es fünf entsprechend qualifizierte Operateure am UKE gegeben.

Mit Hinweis auf den Fall Lars, in dem bei Auftreten der Komplikationen versucht worden sei, die Leistenarterien zu eröffnen, wollten die SPD-Abgeordneten allgemein wissen, ob es in solchen schwierigen Fällen nicht üblich sei, sich vor Beginn der Operationen zu überlegen, welche Maßnahmen bei Komplikationen zu ergreifen wären.

Herr Professor Reichenspurner stimmte dem grundsätzlich zu, insbesondere bei Reoperationen. Bei Kindern scheide die Eröffnung von Leistengefäßen in der Regel aus, weil die Gefäße meistens zu klein seien.

Zur Frage des GAL-Abgeordneten, ob die Aussage zur Letalität zu relativieren sei, entgegnete Herr Professor Reichenspurner, sicherlich gebe es Unterschiede durch die Eigenschaft als Universitätsklinikum oder als allgemeines Krankenhaus wie auch durch einen abweichenden Qualifizierungsstand des Personals. Es gebe aber in der Breite einen Ausgleich, z. B. durch große Unterschiede beim Krankengut.

Ohnehin betrieben in Deutschland nur 70 Krankenhäuser Herzchirurgie, davon seien 32 Universitätsklinika.

Die CDU-Abgeordneten erinnerten an den Barmbek-Bernbeck-Komplex, bei dem bereits damals gravierende Mängel der OP-Dokumentation festgestellt worden seien. Seinerzeit habe es einen interfraktionellen Antrag zur Verbesserung der Situation gegeben. Die Abgeordneten fragten dann, ob die Fachgesellschaft der Herzchirurgen bei der Entwicklung ihrer hohen Standards auch den Bereich der OP-Dokumentation einbezogen hätten.

Herr Professor Reichenspurner antwortete, dem sei nicht so. Daher gebe es auch eine Bandbreite der Handhabung in den Klinika. Er erinnerte daran, dass er am 1. Juli 2001 die Klinikleitung übernommen habe und bereits am 20. Juli des vergangenen Jahres eine Dienstanweisung für die OP-Dokumentation erlassen habe.

Die SPD-Abgeordneten interessierte, ob Regelungen geschaffen seien, nach denen in der Herzchirurgie niemand an Operationen beteiligt werde, der nicht völlig gesund sei.

Herr Professor Reichenspurner bestätigte, dass solche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weder im OPnoch im Intensivbereich eingesetzt würden. Eine besondere Dienstanweisung sei dazu nicht erlassen, eine Klärung erfolge in den täglichen Dienstbesprechungen. Er selbst wie auch der leitende Chirurg in der Kinder-Herzchirurgie hätten für solche Fälle Vertreter.

Der Vorsitzende der Untersuchungskommission, Herr Dr. Mückenheim, schickte seinen Ausführungen voraus, er werde hauptsächlich auf die Rahmenbedingungen der Kommissionstätigkeit eingehen. Die Kommission sei weder ein parlamentarisches noch ein Gremium der Rechtsprechung gewesen. Für die als Zeugen in Betracht gekommenen Beschäftigten des UKE habe erst eine arbeits- oder dienstrechtliche Pflicht begründet werden müssen, vor der Kommission auszusagen. Dabei sei außerdem die Gefahr möglicher Selbstbelastung auszuschließen gewesen. Abgesehen von Herrn Professor Dapper hätten alle in Frage gekommenen Zeugen vollen Umfangs ausgesagt. Nach dem Ergebnis sei anzunehmen, dass weder die Staatsanwaltschaft noch die Ärztekammer Hamburg bei der Ermittlung des Sachverhalts sehr viel weitergehende Erkenntnisse erlangen würden, abgesehen vom konkreten Einzelfall. Die Betrachtung von Einzelfällen sei ohnedies nicht Teil des Kommissionsauftrags gewesen.

Herr Dr. Mückenheim fuhr fort, es seien bei der Verwertung der Gutachten der Professoren L. und K. aus dem Jahr 1999 sowie von Teilen der Personalakte Herrn Professor Dappers juristische Hürden zu überwinden gewesen. Das Gutachten Herrn Professor K.s für die Universität Gießen habe im Hinblick auf die ärztliche Schweigepflicht nicht hinzugezogen werden können. Es habe auch keine mündliche Befragung der Professoren L. und K. über den Inhalt der Gutachten hinausgehend geben können.

Erhebliche Schwierigkeit für die Tätigkeit der Kommission sei gewesen, dass sie erst gebildet worden sei, nachdem Herr Professor Dapper und die Beteiligten seines Umfelds durch die Medien eine massive Vorverurteilung erfahren hätten ­ wofür auch die Staatsanwaltschaft durch ihr Vorgehen mitverantwortlich sei. Von dieser Präjudizierung seien auch die Kommissionsmitglieder nicht völlig unberührt geblieben.

Der Untersuchungsauftrag, so Herr Dr. Mückenheim weiter, sei umfangreich gewesen. Die Mitglieder hätten den Eindruck gehabt, durch die in der Öffentlichkeit entstandene Vorverurteilung unter Zeitdruck zu stehen, und daher ihre Tätigkeit beschleunigt. Die Arbeiten seien bereits drei Monate nach Bildung des Gremiums abgeschlossen, der Abschlussbericht sei schon eine Woche nach der letzten Kommissionssitzung vorgelegt worden. Die Einstimmigkeit zu den Aussagen des Berichts, dies sei noch anzumerken, sei nicht von Anfang an gegeben gewesen, sondern nach einem längeren Prozess kritischer Erörterung entstanden.

Abschließend bemerkte Herr Dr. Mückenheim, dass die Kommission alle erdenkliche Unterstützung vom UKE wie auch der BWF erhalten habe. Seit Beginn der Kommissionstätigkeit habe es am UKE die Aufnahme einer Analyse der festgestellten Schwachpunkte gegeben. Die Kommission habe sich bemüht, durch die ausführliche Begründung ihrer Ergebnisse um Überzeugung zu werben.

Auf Vorschlag der CDU-Abgeordneten führte der kommissarische Ärztliche Direktor des UKE aus, in der Folge der Untersuchung seien einige Handlungsbedarfe erkannt worden, z. B. hinsichtlich der Definition besonderer ­ meldepflichtiger ­ Vorkommnisse, zu denen es nunmehr eine bereichsspezifisch definierte Dienstanweisung gebe. Des Weiteren sei die sich derzeit im Mitbestimmungsverfahren des Wissenschaftlichen Personalrats des UKE befindliche Verfahrensanweisung zur Wiedereingliederung von Ärztinnen und Ärzten nach längerer Dienstunfähigkeit zu erwähnen, die bundesweit ein Novum darstelle. Noch zu klären seien Maßnahmen zur Nachweispflicht bei Krankheit sowie die etwaige externe Überprüfung der wieder erlangten Arbeitsfähigkeit von Ärztinnen und Ärzten. Erledigt sei bereits die Empfehlung, die Dienstanweisung zur Führung und Herausgabe von Krankenunterlagen und Röntgenbildern zu überarbeiten. Nicht gefolgt sei man ­ aus finanziellen Gründen und weil der Bedarf nicht gesehen werde ­ dem Vorschlag, eine Stelle für einen Personalreferenten zu schaffen, der direkt dem Ärztlichen Direktor unterstellt wäre.

Zum Letzten sagten die SPD-Abgeordneten, es sei ihnen völlig unverständlich, dass eine Schlüsselposition wie die eines Personalreferenten nicht geschaffen werden solle. Die Untersuchung habe gezeigt, dass die Misere insbesondere durch das damalige mangelhafte Vertrauensverhältnis innerhalb der Klinik für Herzchirurgie entstanden sei. Es sei notwendig, eine andere Führungskultur und einen anderen Umgang mit und zwischen den Beschäftigten zu etablieren. Herr Professor Reichenspurner habe für seine Klinik offensichtlich bereits dahin gehende Schritte unternommen.

Die Senatsvertreter erwiderten, problematisch seien am UKE sicherlich die Kommunikationsstrukturen und die hohe Leitungsspanne. Mit der anstehenden Satzung wolle man regeln, dass es eine Zentrenbildung, eine handhabbare Führungsspanne und eine vernünftige Leitungsstruktur gäbe.

Der kommissarische Ärztliche Direktor des UKE hielt den SPD-Abgeordneten entgegen, die geschilderten Probleme ließen sich gerade nicht durch einen Personalreferenten lösen. Das UKE habe hierzu vielmehr ein System von Ombudsleuten und Vertrauenspersonen sowie eine Stelle für Konfliktbewältigung eingerichtet. Daneben kümmerten sich auch die beiden Personalräte um solche Belange. Hinzuweisen sei auf die zurzeit laufende Ausschreibung zur Optimierung der internen und externen Kommunikation des UKE.

Die SPD-Abgeordneten warfen ein, dass laut Untersuchungsbericht die bisherigen Strukturen nicht ausreichten.

Der GAL-Abgeordnete legte dar, im Bericht der Untersuchungskommission werde massives organisatorisches Versagen beschrieben. Nicht nachvollziehbar seien Vorgänge wie z.B., dass das damalige Gespräch des Ärztlichen Direktors mit Herrn Professor Dapper nicht dokumentiert worden sei - mit der Folge unterschiedlicher Interpretation des Gesprächsergebnisses durch beide Personen -, dass dem Ärztlichen Direktor nicht bekannt gewesen sei, dass Herr Professor Dapper wieder operiert habe, oder dass die Arztkollegen Herrn Professor Dappers dessen Operierunfähigkeit hätten erkennen müssen, aber nicht eingegriffen hätten. Angesichts dessen hätten Strukturen bestanden, bei denen für Patienten sogar Lebensgefahr bestanden habe.

Auch Herr Dr. Mückenheim äußerte seine Verwunderung, dass kein schriftlicher Vermerk über das genannte Gespräch erstellt worden sei. Es wäre in jedem Fall besser gewesen, wenn ein Dritter noch zugegen gewesen wäre. Daher plädiere die Kommission für die Funktion eines Personalreferenten.

Die CDU-Abgeordneten meinten, es habe weniger ein organisatorisches, vielmehr ein eher menschliches Versagen vorgelegen. Die damaligen Vorgänge gingen ohne Zweifel zu Lasten der Patienten. Es komme für die Zukunft darauf an, bei der Auswahl bzw. der Qualifizierung von Personal für Führungsfunktionen in den Klinika auf solche Kompetenzen besonderen Wert zu legen, die ein neues Bewusstsein darstellten und damit solche Vorgänge verhindern könnten.

Die Senatsvertreter waren der Ansicht, dass es vielfältige Gründe für die damaligen Vorgänge gebe.

Die Problematik lasse sich daher zumindest zum Teil durch organisatorische Änderungen verbessern.

Durch das UKE-Strukturgesetz und die anstehende erste Novellierung sei man auf dem entsprechenden Weg.

Herr Dr. Makowka sagte, das UKE habe zur Behebung der Kommunikationsdefizite schon einige Schritte unternommen, erwähnt worden seien schon die Vertrauensleute, die Stelle zur Konfliktregelung und der Mobbing-Beauftragte. Noch stärker ausgeprägt werden müsse der Konsens über Führungsinhalte. Die empfohlene Funktion eines Personalreferenten lehne sich an die der Präsidialrichter an den Gerichten an, die sehr erfolgreiche Arbeit leisteten. Solche Stelleninhaber könnte man als Führungskräfte der Zukunft bezeichnen.

Der FDP-Abgeordnete erachtete das Chefarzt-System als gute Institution. Die Auswahl von Bewerbern für solche Positionen sollte aber auch nach anderen Kriterien als z. B. nur dem Renommee als Wissenschaftler erfolgen. Zu den seinerzeitigen Vorgängen in der Herzchirurgie sei zu fragen, ob es nicht ein Versagen der Aufsichtsbehörde gegeben habe.

Zur letzten Bemerkung wies Herr Dr. Mückenheim auf die zeitlichen Abläufe hin, insbesondere darauf, dass Herr Professor Dapper mit Ablauf des 31. Oktober 1999 ausgeschieden sei, der anonyme Brief die BWF-Leitung jedoch erst etwa ein Jahr später erreicht habe.

Die Senatsvertreter machten zum Stichwort Aufsicht darauf aufmerksam, dass diese nach der jetzigen Rechtslage nunmehr ausschließlich beim Ärztlichen Direktor liege.