Dezentralisierung der Jugendgerichtsbarkeit

Im Koalitionsvertrag haben die den Senat tragenden Parteien gleichwohl die räumliche Dezentralisierung der Jugendgerichtsbarkeit vereinbart, um eine größere Orts- und Milieunähe zu erreichen (Koalitionsvertrag Seite 14). Als erstem Amtsgericht wurde dem AG Barmbek bereits die Zuständigkeit für Jugendstrafsachen übertragen, zum 1. März 2003 soll dem neu gegründeten AG St.Georg die Zuständigkeit übertragen werden. Im Übrigen werden bisher sämtliche Straftaten Jugendlicher zentral beim Amtsgericht Hamburg-Mitte verhandelt. Dabei ist jeder Jugendrichter für genau bestimmte Ortsteile zuständig, so dass bereits jetzt eine Bündelung der Zuständigkeiten für jugendliche Straftäter in der Hand eines Richters bzw. einer Richterin gegeben ist.

Jugendliche begehen Straftaten oftmals nicht als Alleintäter, sondern in Gruppen. Durch die Zentralisierung der Jugendgerichtsbarkeit beim AG Hamburg ist gewährleistet, dass eine Verfolgung mehrerer Straftaten eines Jugendlichen auch dann zeitnah und gebündelt in einem Verfahren erfolgen kann, wenn die Taten von jeweils mehreren Tätern mit unterschiedlichen Wohnorten innerhalb Hamburgs begangen wurden. Teilweise konnten noch während der laufenden Hauptverhandlung die neuen Anklagen beigezogen werden. Durch die Dezentralisierung kann hingegen eine Zersplitterung der Zuständigkeiten für mehrere Straftaten ein und desselben Jugendlichen eintreten. Denn bei Straftaten mehrerer Jugendlicher wird die Tat bei dem Gericht angeklagt, welches für den ältesten jugendlichen Beschuldigten zuständig ist.

Damit hängt es vom Zufall ab, vor welchem Gericht sich Jugendliche zu verantworten haben, die gemeinsam mit anderen Jugendlichen Straftaten begehen. Eine Bündelung der Zuständigkeiten bei einem Gericht bzw. in der Hand eines einzigen Richters ist dann nicht mehr gegeben. Das gerade bei Vielfachtätern erforderliche schnelle und entschlossene Handeln der Jugendgerichte könnte dadurch gefährdet werden. Bei Haftentscheidungen kann die zusätzliche Gefahr entstehen, dass sämtliche für die Haftentscheidung erforderlichen Informationen (z.B. Kontakt zum Bewährungshelfer, Arbeitsstelle, laufende Strafverfahren) nicht beim zuständigen Haftrichter vorliegen und der Haftrichter dadurch z. B. eine etwaige Wiederholungsgefahr bei Mehrfachtätern verkennt.

Vor dem Hintergrund der heute gegebenen Bündelung der Zuständigkeiten nach dem Wohnortprinzip innerhalb der Jugendrichter beim AG Hamburg-Mitte sowie der Gefahr der Zersplitterung der Zuständigkeiten durch Mittäterschaften stellt sich die Frage, ob der Nutzen der von der Koalition angestrebten Dezentralisierung im Verhältnis zu den zu erwartenden Nachteilen und Kosten dieser Maßnahme steht.

Dies vorausgeschickt, fragen wir den Senat.

Der Senat hat sich für die Dezentralisierung und Segmentierung des Amtsgerichts Hamburg durch die Bildung selbständiger Teilbereiche optimaler Größe (Segmente) sowie durch die Gründung von zwei neuen Stadtteilgerichten entschieden. Damit werden Bereiche geschaffen, die effektiv, kunden- und mitarbeiterfreundlich organisiert, räumlich zusammengefasst und umfassend mit moderner Technik ausgestattet sind. Insbesondere Stadtteilgerichte bieten eine Vielzahl von Vorteilen, die über diejenigen einer Untergliederung des Amtsgerichts Hamburg allein in Fachsegmente hinausgehen. Die Serviceleistungen für die Bürger werden dadurch verbessert, dass sie alle Dienstleistungen der örtlichen Gerichtsbarkeit an einem Ort vorfinden. Beim zuständigen Stadtteilgericht können beispielsweise Grundbücher eingesehen, Erbscheine beantragt, Betreuungsangelegenheiten geregelt oder Zivilklagen eingereicht werden. In Strafsachen trägt die bessere Orts- und Sachkenntnis der zuständigen Strafrichter und die ortsnahe Verhandlung amtsgerichtlicher Strafsachen zu einer erhöhten Befriedungswirkung der Urteile bei. Im Übrigen wird auf die Drucksache 17/953 verwiesen.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht sinnvoll, einzelne Zuständigkeiten, wie sie die Jugendstrafgerichtsbarkeit darstellt, weiterhin zentral im Amtsgericht Hamburg zu belassen.

Der Senat vertritt die Auffassung, dass die Vorteile der Dezentralisierung deutlich überwiegen. Dabei war in besonderer Weise zu berücksichtigen, dass bewährte Bündelungsverfahren auch nach der Dezentralisierung gerichtsübergreifend stattfinden. So ist die Zuständigkeit der Abteilungen nach dem Geschäftsverteilungsplan beim Bezirksjugendgericht und beim Amtsgericht Hamburg-Barmbek nach Ortsteilen unterteilt. Bei Sachen, die verbunden werden sollen, hat dies auch im Bezirksjugendgericht abteilungsübergreifend unter Abstimmung mehrerer Richter und Richterinnen zu erfolgen. Soweit die Frage gerichtsübergreifend zwischen dem Amtsgericht Hamburg-Barmbek und dem Bezirksjugendgericht auftritt, ist in ähnlicher Weise zu verfahren. Der zügige Aktentransport ist durch bestehende Fahrdienste sichergestellt.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. Wie viele Verfahren von Mehrfachtätern konnten in den Jahren 1999, 2000 und 2001 beim Bezirksjugendgericht Hamburg-Mitte gebündelt werden?

Die Bündelung der Verfahren von Mehrfachtätern wird statistisch nicht erfasst.

2. Erwartet der Senat durch die Dezentralisierung eine Steigerung oder eine Absenkung der Bündelung von Verfahren?

Siehe Vorbemerkung.

3. Hat eine Auswertung der Erfahrungen mit der Zuständigkeit für Jugendstrafsachen beim AG Barmbek stattgefunden? Falls ja, auf welchen Kriterien beruhte die Auswertung und was hat diese ergeben?

4. Falls die Auswertung noch nicht abgeschlossen ist: Aus welchem Grund wird diese nicht abgewartet, bevor in einem weiteren Außengericht (St.Georg) Jugendabteilungen eingerichtet werden?

Ja. Die aus der Auswertung der Erfahrungen im Amtsgericht Barmbek gewonnenen Erkenntnisse geben keinen Anlass, von der Dezentralisierung der Jugendgerichte abzurücken. Diese wird am 1. Februar 2003 mit der Gründung des Amtsgerichts St.Georg fortgesetzt.

5. Welche zusätzlichen Kosten entstehen ­ ausgehend von den Erfahrungen mit dem Jugendgericht beim AG Barmbek ­ hinsichtlich der Zuführungen inhaftierter Jugendlicher/Heranwachsender im Vergleich zur zentralen Jugendgerichtsbarkeit? Welche personellen Ressourcen sind hierfür erforderlich und sind diese im Haushaltsplan-Entwurf für 2003 bereits berücksichtigt? Müssen weitere Fahrzeuge dafür angeschafft werden?

Kosten sind nicht gesondert erhoben worden und entstehen allenfalls in geringfügigem Umfang bei den bestehenden Zuführdiensten. Gesonderte finanzielle Mittel sind nicht erforderlich und daher nicht veranschlagt worden.

6. Wie groß ist der Anteil der Verhandlungen vor dem Bezirksjugendgericht Hamburg-Mitte, bei denen mehr als ein Jugendlicher angeklagt wird? Wie will der Senat der in der Vorbemerkung dargestellten Gefahr der Zersplitterung der Zuständigkeiten für einen Jugendlichen durch weitere Mittäter begegnen?

In der Zählkartenstatistik wird die Anzahl der Verfahren erfasst, bei der ein oder mehrere Beschuldigte beteiligt waren: Für 2001 stellt sich die Entwicklung wie folgt dar:

7. Welcher personelle Aufwand entsteht durch eine Zersplitterung von Zuständigkeiten insbesondere durch die gegenseitige Anforderung von Akten? Inwieweit verzögert sich dadurch der Abschluss von Verfahren?

Keiner. Bisher waren keine Verzögerungen bei den Verfahren als Folge der Dezentralisierung feststellbar. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.

8. Sind Stellungnahmen der beteiligten Gerichte, der Staatsanwaltschaft, der beteiligten Jugendbehörden zur geplanten weiteren Dezentralisierung eingeholt worden und was haben diese ggf. ergeben?

Ja, aufgrund der abgegebenen Stellungnahmen ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass eine weitere Dezentralisierung der Jugendgerichtsbarkeit sinnvoll ist.

9. Sind bauliche Veränderungen (insbesondere Einlasskontrollen und Haftzellen) in den bestehenden Außengerichten aufgrund der Dezentralisierung der Jugendgerichtsbarkeit erforderlich? Falls ja, welche Kosten entstehen dadurch und sind hierfür ausreichend Mittel im Haushaltsplan-Entwurf 2003 veranschlagt?

Nein.

10. Inwieweit verträgt sich die geplante Dezentralisierung der Jugendgerichtsbarkeit mit der fast zeitgleich von der Behörde für Inneres geplanten Zentralisierung bei den Jugendschutzabteilungen, den Jugendbeauftragten der Polizei? Ist hinsichtlich der Dezentralisierungspläne bisher eine Abstimmung mit der Behörde für Inneres erfolgt?

Der Senat sieht keinen zwingenden Zusammenhang zwischen der Organisation der Jugendbeauftragten und der Jugendschutzabteilungen und der Dezentralisierung der Jugendgerichtsbarkeit.

Weitere Aussagen können zurzeit noch nicht getroffen werden, da die Überlegungen zum Reorganisationsprozess noch nicht abgeschlossen sind.

Soweit gerichtliche Zuständigkeiten die polizeiliche Arbeit beeinflussen, wird dies von der Behörde für Inneres berücksichtigt.