Unterbringung von jugendlichen Straftätern

Der rotgrüne Senat stellte während seiner Amtszeit für die Vermeidung von Untersuchungshaft für jugendliche Straftäter Plätze in Intensiv Betreuten Wohngruppen zur Verfügung.

Mit Schreiben vom 8. Oktober 2002 hat die Justizbehörde die im Bereich des Jugendstrafrechts tätigen Richter und Staatsanwälte angewiesen, die Belegungen der Jugend-Wohnungen mit nach §§71, 72 JGG Untergebrachten im Rahmen der Fluktuation schnellstmöglich auf das vereinbarte Kontingent zu reduzieren und dieses bis zum Jahresende nicht mehr zu überschreiten. Als Begründung wurde angeführt, dass sich die Justizbehörde aufgrund der erforderlichen Konsolidierungsmaßnahmen außer Stande sieht, die Kosten für die erhebliche Überbelegung bis zum Ende des Jahres zu tragen.

Die §§71, 72 JGG dienen der Vermeidung von U-Haft bei Jugendlichen. Eine Einweisung in U-Haft wäre in diesem Fall rechtswidrig.

Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat.

Nachdem es in Hamburg über viele Jahre keinerlei verbindliche Unterbringung von Jugendlichen mit Rund-um-die-Uhr-Betreuung gegeben hatte, hat der Landesbetrieb Erziehung und Berufsbildung (LEB) im Jahre 1998 zwei Intensiv Betreute Wohngruppen mit insgesamt 16 Plätzen eingerichtet.

Davon standen sechs Plätze aufgrund einer am 23. Juli 1998 geschlossenen Vereinbarung zwischen der damaligen Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung, dem LEB und der Justizbehörde zur Unterbringung nach §§ 71, 72 Jugendgerichtsgesetz (JGG) zur Verfügung; die Kosten der Unterbringung werden aus dem Einzelplan der Justizbehörde finanziert. Die anderen zehn Plätze sind für die Aufnahme ebenfalls intensiv zu betreuender Jugendlicher im Rahmen der Jugendhilfe vorgesehen.

Im Jahre 2002 ist es erstmals zu einer länger andauernden Überschreitung des festgelegten Kontingents für die Unterbringung von Jugendlichen nach §§ 71, 72 JGG gekommen. Das hat mehr Kosten verursacht, als Mittel dafür im Einzelplan der Justizbehörde vorgesehen sind. Deshalb hat die Justizbehörde den LEB als Betreiber der Intensiv Betreuten Wohngruppen mit Schreiben vom 8. Oktober 2002 aufgefordert, die Belegung der Wohnungen im Rahmen der Fluktuation auf das vereinbarte Kontingent von sechs Plätzen zu reduzieren und dieses nicht zu überschreiten. Die Gerichte und Staatsanwaltschaften sind entsprechend informiert worden.

Wenn für einen möglicherweise für eine Unterbringung nach §§ 71, 72 JGG geeigneten Beschuldigten wegen Ausschöpfung des zur Verfügung stehenden Kontingents zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung kein Platz verfügbar ist, ist bei Vorliegen der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen Untersuchungshaft zu verhängen.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. Wie viele Plätze stehen in Intensiv Betreuten Wohngruppen zur Verfügung?

In den Intensiv Betreuten Wohngruppen (IBW) stehen zurzeit zehn Plätze für erzieherische Hilfen nach § 34 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) sowie sechs Plätze für die Vermeidung von Untersuchungshaft nach §§ 71, 72 Jugendgerichtsgesetz (JGG) zur Verfügung.

2. Wie viele Plätze sind zurzeit belegt?

Am 12. November 2002 waren in den IBW 8 Plätze zur Vermeidung von Untersuchungshaft nach §§ 71/72 JGG und ein Platz für erzieherische Hilfen nach § 34 SGB VIII belegt.

3. Wie waren die Belegungszahlen in den letzten zwei Jahren?

Die IBW waren in den letzten zwei Jahren sowie im laufenden Kalenderjahr bis einschließlich Oktober im jeweiligen Jahresdurchschnitt wie folgt ausgelastet:

4. Was geschieht zurzeit mit den straffällig gewordenen Jugendlichen, die im Normalfall von den Jugendrichtern in die Intensiv Betreuten Wohngruppen eingewiesen würden?

Den in der Frage unterstellten Normalfall gibt es nicht. Die für die Entscheidung zuständigen Jugendgerichte beurteilen immer den konkreten Einzelfall. Sie haben insbesondere zu entscheiden, ob Jugendliche in Untersuchungshaft genommen werden müssen.

5. Ist zu befürchten, dass die Jugendlichen aufgrund der nicht vollzogenen Einweisung in eine Intensiv Betreute Wohngruppe auf freien Fuß gesetzt werden müssen?

In der Jugendvollzugsanstalt Hahnöfersand stehen Untersuchungshaftplätze in ausreichender Zahl zur Verfügung.

6. Wie lange ist nach realistischer Einschätzung damit zu rechnen, dass die straffällig gewordenen Jugendlichen nicht in eine Einrichtung eingewiesen werden können?

Da die Verweildauer der Jugendlichen in den Intensiv Betreuten Wohngruppen zur Vermeidung von Untersuchungshaft nach §§ 71, 72 JGG sehr unterschiedlich ist und teilweise bis zu sechs Monaten beträgt, ist eine solche Einschätzung nicht möglich. Die Verweildauer hängt entscheidend davon ab, wie schnell das zuständige Jugendgericht einen Termin zur Hauptverhandlung anberaumt.

7. Ist eine Einweisung in eine Intensiv Betreute Wohngruppe juristisch vergleichbar mit einer Einweisung in eine geschlossene Anstalt, wie sie in der Feuerbergstraße geplant ist, oder gibt es juristisch begründete Unterschiede?

Es bestehen bedeutsame juristische Unterschiede zwischen der Unterbringung Jugendlicher nach §§ 71, 72 JGG und der Unterbringung in eine geschlossene Einrichtung der Jugendhilfe nach § 34 SGB VIII. Während des Strafverfahrens gegen einen Jugendlichen kann der Jugendrichter nach dem JGG die einstweilige Unterbringung des beschuldigten Jugendlichen in einem geeigneten Heim der Jugendhilfe anordnen, und zwar

a) gemäß § 71 Absatz 2 JGG, wenn dies auch im Hinblick auf die in dem Strafverfahren zu erwartenden Maßnahmen geboten ist, um den Jugendlichen vor einer weiteren Gefährdung seiner Entwicklung, insbesondere der Begehung neuer Straftaten, zu bewahren, oder

b) gemäß § 72 Absatz 4 JGG zur Vermeidung einer sonst anzuordnenden Untersuchungshaft.

Die vorgesehene geschlossene Einrichtung dient dagegen der Unterbringung von Minderjährigen, bei denen eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, die sich insbesondere auch in der Begehung von Straftaten in gravierenden und/oder wiederholten Fällen zeigen kann. Dabei handelt es sich um eine Jugendhilfemaßnahme nach § 34 SGB VIII, die rechtlich keinen Zusammenhang zu einem Strafverfahren hat.

Die Unterbringung des Kindes oder Jugendlichen wird in diesen Fällen vom Inhaber des Erziehungsund insbesondere des Aufenthaltsbestimmungsrechts veranlasst. Aufgrund einer entsprechenden Übertragung durch das Familiengericht nach § 1666a BGB ist das häufig das Jugendamt. Die Unterbringung des betreffenden Kindes oder Jugendlichen durch das Jugendamt oder den sonstigen Erziehungsberechtigten in einer geschlossenen Einrichtung bedarf als freiheitsentziehende Maßnahme im Sinne von Artikel 104 GG der Genehmigung des Familiengerichts nach § 1631b BGB.

Die Durchführung erzieherischer Hilfen nach § 34 SGB VIII in den IBW erfolgt auf der Grundlage des § 27 SGB VIII.

8. Die Justizbehörde gibt Konsolidierungsmaßnahmen als Gründe für ihre Ablehnung der Kostenübernahme der Plätze in Intensiv Betreuten Wohngruppen an, obwohl der Staat dazu verpflichtet ist, für jede gesetzliche Maßnahme die entsprechenden Plätze vorzuhalten. Wie begründet der Senat seine Entscheidung, einerseits die hohen Investitionskosten für die Vorbereitung der Feuerbergstraße bereitzustellen und andererseits die vorhandenen und benötigten Betreuungsangebote nicht in der erforderlichen Höhe zu finanzieren?

Bei der Unterbringung von Jugendlichen nach §§ 71, 72 JGG in den IBW und der geschlossenen Unterbringung handelt es sich um zwei verschiedene Angebote. Diese unterscheiden sich nicht nur in ihren rechtlichen Grundlagen, sondern auch in der Finanzierung. Zwischen der Finanzierung der sechs Plätze in den IBW durch die Justizbehörde und den Investitionskosten für die geschlossene Unterbringung, die aus dem Haushalt der Behörde für Soziales und Familie finanziert werden, besteht kein Zusammenhang. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.

9. Trifft es zu, dass die Übernahme der Kosten für die Belegung der Plätze in Intensiv Betreuten Wohnungen nicht gewährleistet werden kann, weil stattdessen in den Aus- bzw. Umbau der Einrichtung Feuerbergstraße investiert wird? Falls nein, aus welchen anderen Gründen werden die Kosten für die Belegung von Intensiv Betreuten Wohnungen nicht übernommen?

Nein. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.

10. Ist angedacht, dass die Jugendrichter zukünftig die Möglichkeit haben, bei Auslastung der Plätze in Intensiv Betreuten Wohnungen auch nach §§71, 72 JGG in die geschlossene Anstalt Feuerbergstraße einweisen zu können, um auch auf diese Weise U-Haft zu vermeiden?

Nein.