Anerkennung der Beschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst

In der Grundsatzeinigung über die Anerkennung der Beschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst vom 25. September 1991 ist folgender Wortlaut enthalten: Zeiten jeglicher Tätigkeit für das (Ministerium für (Amt für Nationale Sicherheit) sind von einer Berücksichtigung ausgeschlossen. Entsprechendes gilt für Tätigkeiten, die auf Grund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden sind.

Ich frage die Landesregierung:

1. Kann die Landesregierung Thüringens garantieren, dass die besondere persönliche Systemnähe in allen Ministerien und nachgeordneten Einrichtungen nach einheitlichen Gesichtspunkten beurteilt wird? Nach welchem Verfahren soll die Beurteilung erfolgen?

2. Welche Personengruppen betrachtet die Landesregierung als besonders persönlich systemnah? Hält die Landesregierung insbesondere:

- ehemalige Vorsitzende der Räte der Kreise sowie deren Stellvertreter

- ehemalige Funktionäre der Räte der Bezirke oder ihnen beigeordneter Instanzen, z. B. der Bezirksplankommissio- nen

- ehemalige Bürgermeister sowie deren Stellvertreter

- ehemalige Sekretäre von Parteileitungen der SED und der Blockparteien

- ehemalige Berufssoldaten und -offiziere der NVA

- ehemalige Mitarbeiter der Abteilungen Inneres

- ehemalige Offiziere der Volkspolizei

- ehemalige Funktionsträger der Kampfgruppen

- ehemalige Reserveoffiziere der NVA für besonders persönlich systemnah?

3. Wird eine Einstufung als besonders persönlich systemnah weitere Konsequenzen, z. B. auf das Beschäftigungsverhältnis insgesamt, haben?

Das Thüringer Innenministerium hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 3. April 1992 wie folgt beantwortet:

Zu 1.: Die Landesregierung wird Sorge tragen, dass das Land Thüringen als Arbeitgeber das Kriterium der besonderen persönlichen Systemnähe einheitlich beurteilen wird. Um dieses Ziel zu erreichen, fanden am 28. Januar und 25. März 1992 Besprechungen unter Beteiligung aller Ressorts im Thüringer Innenministerium statt, in denen einheitliche Verfahrensgrundsätze erarbeitet wurden.

In Übereinstimmung mit den Änderungstarifverträgen und den Hinweisen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder wird hiernach jede(r) Bedienstete von der personalverwaltenden Stelle mittels Formblatt aufgefordert, Erklärungen und Nachweise über seine bisherigen beruflichen Tätigkeiten abzugeben. Weiterhin sind Zeiten evtl.

Tätigkeiten für das ehren- oder hauptamtlicher Funktionen in systemunterstützenden Parteien oder Organisationen und der Zugehörigkeit zu Grenztruppen anzugeben, die eine Anrechnung auf die Beschäftigungszeiten ausschließen. Die sehr weitgehende Berücksichtigung von Zeiten als Beschäftigungszeit ist nur möglich geworden, weil hiervon im Rahmen der den Tarifvertragsparteien zustehenden Gestaltungsmöglichkeiten solche Zeiten ausgenommen worden sind, die für tarifrechtliche Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis in einer rechtsstaatlichen und demokratischen Verwaltung außer Betracht zu bleiben haben.

Die Auswertung der Unterlagen erfolgt in den obersten Landesbehörden und kann auf die personalverwaltenden Stellen bis zur nachgeordneten Mittelbehörde delegiert werden.

Im Sinne einer landeseinheitlichen Regelung sind sämtliche Problem- und Streitfälle mit dem Thüringer Innenministerium abzustimmen.

Zu 2.: Das Thema der besonderen persönlichen Systemnähe bei der Anerkennung von Beschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst bildete einen Schwerpunkt bei den Tarifverhandlungen zwischen den Arbeitgebern und den Tarifpartnern des öffentlichen Dienstes. Die Erstellung eines umfassenden Negativkatalogs war aufgrund der Vielzahl von einzelfallbezogenen Konstellationen nicht möglich.

Die Übertragung einer Tätigkeit aufgrund der besonderen persönlichen Systemnähe liegt dann vor, wenn eine kausale Verknüpfung zwischen beiden gegeben ist. Das wird insbesondere vermutet, wenn der Angestellte

a) vor oder bei Übertragung der Tätigkeit eine hauptamtliche oder hervorgehobene ehrenamtliche Funktion in der SED, dem FDGB, der FDJ oder einer vergleichbar systemunterstützenden Partei oder Organisation innehatte,

b) als mittlere oder obere Führungskraft in zentralen Staatsorganen, als obere Führungskraft beim Rat eines Bezirkes, als Vorsitzender des Rates eines Kreises oder einer kreisfreien Stadt (Oberbürgermeister) oder in einer vergleichbaren Funktion tätig war,

c) hauptamtlich Lehrender an den Bildungseinrichtungen der SED oder einer Massen- oder gesellschaftlichen Organisation war oder

d) Absolvent der Akademie für Staat und Recht oder einer vergleichbaren Bildungseinrichtung war.

Der Angestellte kann die Vermutung widerlegen.

Obwohl also für die Frage, ob eine Tätigkeit aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen wurde, der Tarifvertrag eine Reihe von Vermutungen aufstellt, entbindet dies die Verwaltung nicht von der Verpflichtung, etwaige besondere Umstände des Einzelfalles in die Entscheidung einzubeziehen.

Die Landesregierung hat sichergestellt, dass durch die Abstimmung sämtlicher Problemfälle mit dem Thüringer Innenministerium die Einheitlichkeit der Entscheidungen gewahrt wird.

Zu 3.: Im Zusammenhang mit den zu Frage 2 dargelegten Tatbeständen ergibt sich folgendes:

- Der Arbeitgeber kann sich generell gegen eine Beschäftigung dieses Personenkreises entschließen und vom Abschluß eines Arbeitsvertrages absehen.

- Sofern das Arbeitsverhältnis fortgesetzt wird, sind die einschlägigen Zeiten einer entsprechenden Tätigkeit und die vorher zurückgelegten Zeiten von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ausgeschlossen.

Entscheidet sich der Arbeitgeber in Kenntnis der früheren Tätigkeit des Arbeitnehmers zunächst für dessen Weiterbeschäftigung, bleibt das Recht zur Kündigung grundsätzlich unberührt. In der Mitteilung über die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung als Beschäftigungszeit liegt nicht zugleich die Erklärung des Arbeitgebers, von einem möglicherweise bestehenden Recht zur Kündigung keinen Gebrauch machen zu wollen.

Sind Zeiten von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ausgeschlossen, können auch die vor diesem Zeitraum liegenden Tätigkeiten nicht berücksichtigt werden. Von dem Zeitpunkt an, an dem die Gründe für eine Nichtberücksichtigung unzweifelhaft weggefallen sind (z.B. Beendigung der Tätigkeit für das können spätere Zeiten bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen angerechnet werden.

Auch Überlegungen dieser Art werden in die einzelfallbezogene Prüfung einbezogen.